TE OGH 1987/6/16 2Ob17/87

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Veröffentlicht am 16.06.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*** U***, Adalbert Stifterstraße 65, 1200 Wien,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei E*** A*** V***-A***, Brandstätte 7-9, 1010 Wien,

vertreten durch Dr. Oswald Karminski-Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 86.497,80 s.A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 17.Dezember 1986, GZ 18 R 277/86-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 11.Juli 1986, GZ 40 Cg 706/84-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"I. Das Klagebegehren

1. Es werde festgestellt, daß die beklagte Partei im Rahmen des zugrundeliegenden Haftpflichtversicherungsvertrages betreffend das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen W 234.990, Halter M*** GesmbH, Stahl- und Industrieanlagenbau, 1220 Wien, verpflichtet ist, der klagenden Partei alle jene Leistungen zu ersetzen, welche die klagende Partei auf Grund der jeweils in Geltung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen über die gesetzliche Unfallversicherung aus Anlaß des tödlichen Unfalls des Alois H*** vom 6.Februar 1981 zu erbringen hat; dies jedoch nur insoweit, als diese Leistungen in dem Schaden Deckung finden, dessen Ersatz Hermine H*** ohne den im § 332 Abs. 1 ASVG vorgesehenen Rechtsübergang von der beklagten Partei unmittelbar zu fordern berechtigt wäre, und beschränkt auf die Versicherungssumme;

2. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 86.497,80 samt 4 % Zinsen aus S 35.292,80 seit 25. Jänner 1985 und aus S 86.497,80 seit 5.September 1985 zu bezahlen, wird abgewiesen.

II.

Desgleichen wird das "für den Fall der Annahme der Geltung des § 334 ASVG gestellte" Eventualbegehren, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei im Rahmen des zugrundeliegenden Haftpflichtversicherungsvertrages betreffend das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen W 234.996, Halter M*** GesmbH, Stahl- und Industrieanlagenbau, 1220 Wien, verpflichtet sich, der klagenden Partei alle jene Leistungen zu ersetzen, welche die klagende Partei auf Grund der jeweils in Geltung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen über die gesetzliche Unfallversicherung aus Anlaß des tödlichen Unfalles des Alois H*** vom 6.Februar 1981 zu erbringen hat, abgewiesen.

III.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 54.914,47 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 2.618,-- Barauslagen und S 4.754,22 Umsatzsteuer) und die mit S 21.324,20 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 1.478,-- Barauslagen und S 1.804,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei hat weiters der beklagten Partei die mit S 14.780,90 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.880,-- Barauslagen und S 1.081,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rudolf S*** verschuldete am 6.Februar 1981 als Lenker eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges einen Verkehrsunfall, bei dem der Insasse Alois H*** tödliche Verletzungen erlitt.

Die klagende Partei, die an die Witwe des Getöteten Rentenleistungen erbringt, stellte das aus Punkt I. des Spruches ersichtliche Begehren. In der Tagsatzung vom 25.Mai 1984 stellte sie das Eventualbegehren, "präzisierte" in der Tagsatzung vom 22. März 1985 ihr Vorbringen allerdings dahin, daß grobe Fahrlässigkeit des Rudolf S*** nicht vorliege.

Die beklagte Partei wendete ein, Rudolf S*** sei im Unfallszeitpunkt beim Lenken eins Firmenbusses Aufseher im Betrieb gewesen, weshalb der Haftungsausschluß des § 333 Abs. 4 ASVG gegeben sei.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Hauptbegehrens. Es ging hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Rudolf S*** war bei der Firma M*** als Betriebsschlosser mit dem Aufgabenbereich Durchführung von im Betrieb anfallenden Reparaturen tätig. Alois H*** war in diesem Unternehmen ebenfalls als Schlosser tätig. Beide erhielten ihre Anweisungen entweder vom Magazineur J*** oder vom Betriebsleiter Franz H***. Im Betrieb waren sie einander gleichgestellt, es war ausgeschlossen, daß einer dem anderen Anweisungen erteilt hätte. Der am Unfall beteiligte Firmenwagen Toyota ACE Bus war eigens zu dem Zweck angeschafft worden, die aus Richtung Hollabrunn kommenden Dienstnehmer der Firma M*** zur Arbeitsstätte und wieder zurückzubringen. Lenker dieses Fahrzeuges war morgens in der Regel der Betriebsleiter Franz H***, nach Dienstschluß oblag es dem in Göllersdorf wohnhaften Firmenchauffeur, den Bus zu lenken. Wenn dieser anderweitig eingesetzt war, fuhr der Betriebsleiter, bei dessen Verhinderung teilte er dies Rudolf S*** mit, der dann als Lenker einsprang. Die Fahrtroute stand von vornherein fest und wurde nicht abgeändert. S*** erhielt für die Chauffeurdienste kein Entgelt, er erachtete diese als in seinem Interesse gelegen. Während der Fahrt hatte er keinerlei Anordnungsbefugnis. Wäre es aus Gründen der Verkehrssicherheit oder der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Wageninneren erforderlich gewesen, wäre er als für die Sicherheit der Fahrgäste verantwortlicher Fahrzeuglenker eingeschritten. Dies war mangels Erfordernisses nie der Fall. Am Freitag dem 6.Februar 1981 hatte Rudolf S*** nach Dienstschluß zu Mittag den Bus zu lenken. Er war nicht übermüdet. Ob er infolge eines "Sekundenschlafes" oder aber irgend einer anderen Unaufmerksamkeit den Unfall verursachte, kann nicht festgestellt werden. Er wurde mit Urteil des Strafgerichtes gemäß § 80 StGB verurteilt, infolge Unaufmerksamkeit als Lenker des Kombi-Busses auf den Anhänger eines vor ihm fahrenden LKW-Zuges aufgefahren zu sein.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin:

Ob der Lenker eines Kraftfahrzeuges gegenüber den mitfahrenden Arbeitskameraden als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG anzusehen sei, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Sei der Lenker bei der Beförderung von Personen nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich und habe er darüber hinausgehende Pflichten und Befugnisse nicht gehabt, komme ihm die Eigenschaft eines Aufsehers im Betrieb nicht zu. Aufseher im Betrieb sei nur eine Person, die über die Durchführung von Betriebsvorgängen bestimmen könne, nicht aber schon jemand, der bloß mitfahrenden Personen in seiner Funktion als Kraftfahrzeuglenker Anweisungen über das Verhalten im Kraftfahrzeug geben könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Das Gericht zweiter Instanz zitierte im Rahmen der rechtlichen Beurteilung Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, in welchen die Eigenschaft eines Kraftfahrzeuglenkers als Aufseher im Betrieb verneint (ZVR 1979/142; 2 Ob 83, 84/83) bzw. bejaht (ZVR 1984/23 ua) wurde und gelangte zu dem Ergebnis, im hier zu beurteilenden Fall habe die Betriebsleitung zwar ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt, doch sei die Fahrt außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit und ohne Entgelt erfolgt. Als Lenker habe einer der auf der Strecke wohnenden Beschäftigten fungiert. In einem solchen Fall dürfe der Lenker des Kraftfahrzeuges nicht anders behandelt werden als ein gewöhnlicher Kraftfahrzeuglenker, so daß ensprechend den in der Entscheidung ZVR 1979/142 angeführten Grundsätzen Rudolf S*** nicht als Aufseher im Betrieb anzusehen sei.

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes gerichtete Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend wird sowohl im Urteil des Berufungsgerichtes als auch in der Revision und der Revisionsbeantwortung hervorgehoben, daß die Frage, ob einem Kraftfahrzeuglenker, der in einem Firmenwagen andere Dienstnehmer befördert, die Stellung eines Aufsehers im Betrieb im Sinne des § 333 Abs. 4 ASVG zukommt, in der Rechtsprechung teilweise bejaht und teilweise verneint wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, daß es immer auf die Umstände des Einzelfalles ankommt. Der vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Ansicht herangezogenen Entscheidung ZVR 1979/142 lag insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als die Dienstnehmner nach Verrichtung einer nicht am Sitz des Unternehmens ausgeführten Arbeit ein Gasthaus besuchten, in welches auch der Dienstgeber kam. Anschließend fuhr der Dienstgeber mit seinem PKW und ein Dienstnehmer mit dem Firmenwagen zum Sitz des Unternehmens. Der beim späteren Unfall geschädigte Dienstnehmer entschloß sich aus eigenem, im Firmenwagen mitzufahren, er wäre am Sitz des Unternehmens in seinen eigenen PKW umgestiegen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon insofern wesentlich, als der Dienstgeber angeordnet hatte, die Dienstnehmer zur Arbeitsstätte und zurück mit dem eigens zu diesem Zweck angeschafften Fahrzeug zu befördern. In derartigen Fällen hat der Oberste Gerichtshof die Eigenschaft des Kraftfahrzeuglenkers unabhängig von seiner sonstigen Stellung als Aufseher im Betrieb bejaht. So wurde zu ZVR 1984/23 ausgesprochen, daß die Rückbeförderung der Betriebsangehörigen an ihre Wohnorte auf Anordnung der Betriebsleitung einen den Betriebszwecken dienenden Betriebsvorgang bilde. Damit habe der Lenker nicht nur eine Verantwortlichkeit als KFZ-Lenker nach dem für den Straßenverkehr geltenden Vorschriften, sondern in einem, wenn auch beschränkten Teilbereich, eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen und dabei gewissermaßen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu gewährleisten, welche Aufgabe aber ein entsprechendes, zeitlich und umfänglich naturgemäß nur sehr eingeschränktes Weisungsrecht während der Fahrt erfordere. Für diese betrieblichen Organisationsleistungen, die im Interesse des Betriebes und der Beschäftigten lägen und ein Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte zum Ausdruck brächten, habe der Lenker als maßgebliches Glied die Verantwortung und sei daher zum Zeitpunkt des Unfalles Aufseher im Betrieb. In SZ 57/189 wurde ausgesprochen, daß derjenige, der einen Auftrag des Dienstgebers zur Beförderung von Betriebsangehörigen befolge, in einem, wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienten, hinsichtlich der beförderten Betriebsangehörigen eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen habe und damit Aufseher im Betrieb sei. Maßgebend sei, daß der beförderte Arbeitskollege nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen werde. Diese Ansicht wurde zuletzt in 8 Ob 17/86 wiederholt.

Der vorliegende Fall untescheidet sich in keinem wesentlichen Punkt von den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten. Auch hier wurde vom Kraftfahrzeuglenker auf Weisung des Dienstgebers im Firmenwagen Betriebsangehörige von der Arbeitsstätte an ihren Wohnort befördert. Der Umstand, daß der Lenker, der selbst mit dem Fahrzeug nach Hause fuhr und daher auch ein persönliches Interesse an dieser Beförderung hatte, hiefür kein gesondertes Entgelt erhielt, vermag nichts daran zu ändern, daß die Dienstnehmer im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben befördert wurden. Daß die Fahrt außerhalb der Dienstzeit durchgeführt wurde, ist bei einem Rücktransport der Beschäftigten an ihren Wohnort selbstverständlich, dies war auch bei den oben angeführten Entscheidungen der Fall. Weder die Ausführungen des Berufungsgerichtes noch jene in der Revisionsbeantwortung geben Anlaß, von der in diesen Entscheidungen vertretenen Rechtsansicht abzugehen.

Aus diesen Gründen besteht das Hauptbegehren der klagenden Partei nicht zu Recht. Es war aber auch das Eventualbegehren abzuweisen, weil keinerlei Umstände feststehen, die die Annahme eines groben Verschuldens des Kraftfahrzeuglenkers im Sinne des § 334 ASVG rechtfertigen könnten, was die klagende Partei schon in erster Instanz zugestanden hat.

Aus diesem Grund war der Revision Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens überdies auf § 50 ZPO.

Anmerkung

E11371

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00017.87.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19870616_OGH0002_0020OB00017_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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