TE OGH 1987/6/17 9ObS3/87

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Veröffentlicht am 17.06.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner und Mag. Karl Dirschmied in der Rechtssache der klagenden Partei Franz H***, Vöcklabruck, Pfarrfeld Nr. 59, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***

U***, Wien 20., Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 1987, GZ 13 R S 2/87-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz vom 13. Oktober 1986, GZ 2 C 57/85-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger stürzte am 25. Februar 1967 bei einem Arbeitsunfall aus einer Höhe von ungefähr 4 m ab. Er erlitt dabei eine Gehirnerschütterung sowie eine Wurzellaesion von C 7 und C 8, fraglich auch C 6 und Th 1. Als Entschädigung für die Folgen dieses Unfalles bezieht er seit 3. Juni 1975 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als Dauerrente. Im Zuerkennungsbescheid vom 13. Jänner 1976 wurde als Begründung für die Gewährung der Entschädigung die Kraftminderung des linken Armes und der Hand, Gefühlsstörungen im Bereich des 7. und 8. Halswirbels und des 1. Brustwirbels sowie glaubhafte Beschwerden angeführt. Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger unter Behauptung einer wesentlichen Verschlimmerung der Folgen dieses Arbeitsunfalles die beklagte Partei zur Leistung einer Dauerrente von 30 vH der Vollrente ab 21. August 1984 anstatt der bisher gewährten Rente zu verpflichten.

Das Erstgericht wies das Begehren ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehende Feststellungen zugrundelegte.

Beim Kläger ist die linke Pupille etwas enger als die rechte. Die Halswirbelsäule ist vor allem bei der Drehbewegung nach beiden Seiten mäßiggradig blockiert. An der linken oberen Extremität ist die Ab- und Adduktion im Schultergelenk gering abgeschwächt, die Beugung im Ellenbogengelenk mäßig und sämtliche Kraftproben distal davon deutlich abgeschwächt. Der linke Mittel- und Ringfinger werden in einer deutlichen Beugestellung gehalten. Die musculi trizeps und bizeps und deltoideus links sind mäßig atroph. Auffallend sind weiters teilweise frische, teilweise ältere Brandwunden im Bereich des linken Kleinfingers, des rechten Kleinfingers und an der Außenseite des rechten Unterarmes. Die Muskeleigenreflexe des Trizeps sind beiderseits fehlend. Die linke Schulter steht deutlich höher als die rechte. An der ulnaren Seite beider Unterarme ab dem Ellenbogen und in den Fingern 3 bis 5 beider Hände zeigt sich eine deutliche Hypästhesie. An der linken unteren Extremität sind sämtliche Kraftproben mäßiggradig abgeschwächt. Es fällt eine leichte Atrophie im linken Ober- und Unterschenkelbereich auf, die Muskeleigenreflexe des Quadrizeps femoris sind beiderseits lebhaft auslösbar. Der Gang ist unsicher, das linke Bein kann nicht richtig angehoben werden, wird deutlich circumduziert. Im Rahmen der Befunderhebung dieses Verfahrens wurde eine Magnetresonanztomographie des cervikalen und thorakalen Spinalkanals durchgeführt. Der Befund erbrachte eine extraspinale langstreckige tumoröse Veränderung zwischen C 5 und Th 1, wie sie bei einer Syringomyelie gesehen wird. Die festgestellten neurologischen Ausfälle passen in das Bild dieser Erkrankung. Eine Syringomyelie ist eine anlagebedingte Rückenmarkserkrankung, wobei das morphologische Substrat eine Höhlenbildung in der grauen Substanz vor allem des unteren Cervicalmarkes ist. Eine posttraumatische Hämatomyelie, die als Ursache der bestehenden zystischen Myelopathie oder Syringomyelie in Frage käme, führt in der Regel unmittelbar zum spinalen Schock unter dem Bild einer kompletten oder partiellen Querschnittssymptomatik. Dieses in der Regel akute Bild bildet sich langsam zurück und kann sich auf eine mehr oder minder ausgeprägte Restsymptomatik stabilisieren. Da dem Kläger derartige Brückensymptome fehlen, kann der gegenständliche Unfall nicht als Ursache der Syringomyelie angesehen werden und damit auch nicht als Ursache für den nunmehr schlechteren Befund als den, der bei der Dauerrentengewährung vorlag.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der verschlechterte Zustand seine Ursache nicht in einer Verschlechterung der Unfallsfolgen, sondern in der nunmehr festgestellten unfallfremden Rückenmarkserkrankung, nämlich in der festgestellten Syringomyelie habe. Das Unfallereignis habe auf den Verlauf der Rückenmarkserkrankung keinen Einfluß. Eine Verschlechterung der Unfallfolgen sei daher nicht nachgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte aus, daß die Interpretation des Berufungswerbers, wonach im Rahmen einer Verschlimmerungsbehauptung die Kausalitätsfrage nicht aufgerollt werden dürfe, nicht nachvollzogen werden könne. Zwar müßten zur Beurteilung der Rechtskraftwirkung einer Entscheidung auch die Tatsachen, aus denen der Spruch abgeleitet wird, herangezogen werden, doch seien diese Tatsachen nicht isoliert rechtskraftfähig. Die Feststellung eines bestimmten Zustandes als Unfallfolge sei nicht bindend für die Beurteilung, ob eine Veränderung des Zustandes ebenfalls als Unfallfolge anzusehen sei. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Vorfrage der Kausalität selbständiger Entscheidungsgegenstand wäre, wie dies im § 65 Abs. 2 ASGG nunmehr vorgesehen sei. Da nicht jede Veränderung des Zustandes des Versicherten eine Neubemessung rechtfertige, sondern nur die Veränderung der Unfallfolgen, habe das Erstgericht zu Recht gesondert geprüft, ob es sich bei der behaupteten Verschlimmerung um eine Unfallfolge handle. Es habe sich entgegen der in der Berufung vertretenen Meinung nicht damit auseinandersetzen müssen, ob die im Gewährungsbescheid festgestellten neurologischen Ausfälle schon damals (zum Teil) auf die Syringomyelie zurückzuführen gewesen seien, da allein entscheidend sei, auf welche Ursachen die Verschlechterung des Zustandes zurückzuführen sei. Da feststehe, daß die Verschlechterung des Zustandes die Folge einer unfallfremden Erkrankung sei, sei die Abweisung des Klagebegehrens zu Recht erfolgt.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unbestritten ist, daß die nunmehrige Verschlechterung des Leidenszustandes des Klägers auf die Folgen eines anlagebedingten Leidens zurückzuführen sind. Der Revisionswerber wendet sich ausschließlich dagegen, daß eine neue Kausalitätsprüfung vorgenommen wurde. Er führt dazu aus, daß eine Prüfung der Frage erforderlich gewesen wäre, ob die dem Zuerkennungsbescheid vom 13. Jänner 1976 zugrundeliegenden Leidenszustände auf dieses anlagebedingte Leiden zurückzuführen seien. Sollte die beklagte Partei fälschlicherweise diesem schicksalshaften Leiden zuzuschreibende Folgen auf den Arbeitsunfall zurückgeführt haben, so würde dies von der Rechtskraftwirkung des Bescheides umfaßt und es stünde bindend fest, daß der Leidenszustand Folge des Unfallgeschehens sei. Seien im weiteren zufolge einer Verschlechterung des Zustandes die Voraussetzungen für eine Neubemessung der Rente erfüllt (§ 183 Abs. 1 ASVG), so sei die rechtskräftige Entscheidung durch den Vorbescheid zugrundezulegen und davon auszugehen, daß der Leidenszustand Folge des Arbeitsunfalles sei, ohne daß eine neue Kausalitätsprüfung zulässig wäre.

Diesen Ausführungen kann nicht beigetreten werden.

Die Rechtskraft eines Bescheides ist bei Prüfung der hier relevanten Frage nicht anders zu beurteilen als die Rechtskraft eines Urteils. Die bescheidmäßige Entscheidung kann keine weitere Wirkung entfalten als sie eingetreten wäre, wenn der ursprüngliche Zuspruch mit gerichtlichem Urteil erfolgt wäre.

Die Frage, ob der bestehende Leidenszustand Folge eines Arbeitsunfalles war, war eine Vorfrage für die mit Bescheid vom 13. Jänner 1976 getroffene Entscheidung über das Begehren des Klägers auf Gewährung der Versehrtenrente. Die Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich jedoch nur auf den Teil des Anspruches, über den abgesprochen wurde. Selbst wenn in den Entscheidungsgründen davon ausgegangen worden wäre, daß der Anspruch im Hinblick auf die angenommene Kausalität zwischen dem Leidenszustand und dem Arbeitsunfall dem Grunde nach zu Recht bestehe, bleibt die Rechtskraft auf den im Spruch entschiedenen Anspruchsteil beschränkt. Eine Ausnahme besteht im Zivilprozeß - für das Verfahren vor dem Versicherungsträger ist ein derartiger, über den Spruch hinausgehender Ausspruch über den Grund nicht vorgesehen - nur dort, wo von einer Partei im Wege eines Zwischenfeststellungsantrages die spruchgemäße Erledigung über das zugrundeliegende Rechtsverhältnis verlangt wurde (Fasching III, 710). Mangels eines solchen Ausspruches erfaßt die materielle Rechtskraft der Entscheidung ausschließlich den Teil des Anspruches, über den spruchgemäß entschieden wurde. Wird - gestützt auf denselben

Anspruchsgrund - ein neuerliches Begehren, das nicht Gegenstand der ersten Entscheidung war, erhoben, dann kann die beklagte Partei Einwendungen gegen den noch nicht erledigten Teil des Anspruches vorbringen (1 Ob 753/83). Eine Bindung an die Begründung der Vorentscheidung bezüglich des Grundes des Anspruches besteht in diesem Fall nicht; mangels einer materiellen Rechtskraftwirkung ist der Grund des Anspruches neu zu prüfen.

Der Begründung der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung SSV 15/21 kann insoweit beigetreten werden, als dort ausgeführt wird, daß eine frühere allenfalls unrichtige Beurteilung der Unfallkausalität nicht nach § 183 Abs. 1 ASVG und auch nicht nach § 99 Abs. 1 ASVG korrigiert werden kann. Die Herabsetzung oder Entziehung der zuerkannten Leistung wegen eines bei der Gewährung unterlaufenen Irrtums ist nicht möglich; dem steht die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegen. Die Rechtskraft erfaßt dabei allerdings nur den Teil des Anspruches, der Gegenstand des Spruches der Entscheidung war. Eine Wirkung dergestalt, daß die die Grundlage der früheren Entscheidung bildende Vorfragenentscheidung auch für später aus demselben Sachverhalt geltend gemachte Ansprüche bindend wäre, besteht hingegen nicht.

Zutreffend hat daher das Erstgericht eine neuerliche Kausalitätsprüfung zur Klärung des Anspruchsgrundes vorgenommen. Daß auf Grund des Ergebnisses dieser Überprüfung das erhobene Begehren nicht zu Recht besteht, ist unbestritten. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG; Gründe, die trotz Unterliegens einen Kostenanspruch nach dieser Gesetzesstelle rechtfertigen können, wurden weder geltend gemacht noch sind Gründe dieser Art aus dem Akt ersichtlich.

Anmerkung

E11258

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBS00003.87.0617.000

Dokumentnummer

JJT_19870617_OGH0002_009OBS00003_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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