TE OGH 1987/6/25 6Ob606/86

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Veröffentlicht am 25.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter E***, geboren am 7. Jänner 1941 in Bad Hall, Musiker, Bad Hall, Am Sulzbach 1, vertreten durch Dr. Haratün Johannes Papazian, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Erika E***, geboren am 9. Dezember 1939 in Linz an der Donau, im Haushalt, Linz, Hirschgasse 28, vertreten durch Dr. Helmut Werthner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 3. April 1986, GZ 3 R 19/86-53, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 5. November 1985, GZ 7 Cg 385/83-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 308,85 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der im Jahre 1941 geborene Kläger und die um 13 Monate ältere Beklagte sind am 26.Oktober 1968 die Ehe eingegangen. Ihre Verbindung blieb kinderlos. Ihr Eheleben war rein äußerlich dadurch gekennzeichnet, daß sich der Mann als Berufsmusiker während der Fremdenverkehrszeiten außerhalb des gemeinsamen Wohnortes aufhielt. Am 31.August 1983 brachte der Mann eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage an. In Zusammenfassung des gesamten erstinstanzlichen Parteienvorbringens machte der Kläger als schwere Eheverfehlungen seiner Frau geltend, diese habe bereits in den ersten Ehejahren, als das Ehepaar noch im Hause der Mutter des Klägers gewohnt habe, jede persönliche Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Mutter zu unterbinden versucht. Der unerträglich gespannten Lage zwischen der Mutter des Klägers und der Beklagten sei im Jahre 1974 nur durch den Wegzug des Ehepaares zu begegnen gewesen. Die Beklagte habe ihren Haushalt grob vernachlässigt, dem Kläger keine warmen Speisen bereitet, seine Leibwäsche nicht gewaschen, sie habe den Kläger wiederholt beschimpft, beleidigt und mit dem Umbringen bedroht. In den Monaten vor Einbringung der Klage habe sich die Beklagte dem Kläger gegenüber interesselos und lieblos verhalten. Nach Zustellung der Scheidungsklage an die Beklagte sei es schließlich am 5.November 1983 dazu gekommen, daß die Beklagte, die damals zwar stark alkoholisiert, aber voll zurechnungsfähig gewesen sei, dem Kläger durch einen Faustschlag ins Gesicht eine Blutunterlaufung unter dem linken Auge zugefügt habe. Dabei habe sie ihn mit dem Umbringen bedroht und in der Folge eines seiner Musikinstrumente zertrümmert.

Die Beklagte wehrte sich gegen das Scheidungsbegehren, bestritt sämtliche ihr angelasteten Verfehlungen, insbesondere jedes eherechtliche Verschulden am Vorfall vom 5.November 1983. Dazu behauptete sie, damals habe sie der Kläger, der bloß einen Vorwand für sein auf "fadenscheinige" Gründe gestütztes Klagebegehren gesucht und sie bereits wiederholt zu provozieren versucht habe, grob beschimpft und aus der Wohnung ausgesperrt. Bei ihrem Versuch, die Türe aufzudrücken, habe sie diese vermutlich dem dahinter stehenden Kläger an den Kopf geschlagen. Einen Faustschlag habe sie dem Kläger nicht versetzt.

Hilfsweise stellte die Beklagte den Antrag, ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers auszusprechen. Konkret lastete sie dem Kläger dabei an, er sei ohne triftigen Grund aus der Ehewohnung fortgezogen und habe nicht bloß seine persönliche Fahrhabe sondern auch gemeinsame Ersparnisse mitgenommen.

Das Erstgericht wies das Scheidungsbegehren des Mannes ab. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Aus den dabei übernommenen erstrichterlichen Feststellungen ist hervorzuheben:

Die Streitteile lernten einander 1960 in einem - vom Erstgericht als "berüchtigt" bezeichneten - Lokal kennen, in dem der Kläger als Alleinunterhalter und die Beklagte als Prostituierte tätig waren. Nach ihrer Eheschließung im Herbst 1968 wohnten die Streitteile bis 1974 in einem Haus der Mutter des Mannes. Die Beklagte geriet mit ihrer Schwiegermutter häufig in Streit, das Verhältnis der Beiden zueinander war sehr schlecht. Der Kläger versuchte, sich nach Möglichkeit aus den Streitigkeiten zwischen seiner Mutter und seiner Frau herauszuhalten, im Falle von Vermittlungsversuchen kam es auch zwischen ihm und der Beklagten zu Streitigkeiten. Seit dem Wegzug der Streitteile aus dem Hause der Mutter des Mannes bestand, von zwei kurzen Besuchen abgesehen, kein persönlicher Kontakt zwischen der Beklagten und ihrer Schwiegermutter. Der Kläger arbeitete als musikalischer Alleinunterhalter während der Saison außerhalb seines Wohnortes. Bei seiner Heimkehr nach Saisonende brachte er der Beklagten jeweils Geschenke mit. Die Beklagte zeigte sich über diese Aufmerksamkeiten immer sehr erfreut. Die Beklagte ging in einer Schmuck- und Uhrenhandlung einer Ganztagsbeschäftigung nach. Sie hielt die Ehewohnung sauber und ordentlich aufgeräumt. In der Küchentätigkeit lösten einander die Streitteile in den kurzen Zeiträumen, in denen der Kläger zu Hause weilte, in einer Art Arbeitsteilung ab. Gelegentlich hat die Beklagte als warmes Essen Dosenkost aufgewärmt.

Die Behauptungen des Klägers, die Beklagte habe oft tagelang das benützte Geschirr unabgewaschen stehengelassen, die Leibwäsche des Klägers nicht in Ordnung gehalten, den Kläger vor dem Vorfall vom 5. November 1983 gröblichst beschimpft, beleidigt oder bedroht, sich ihrem Mann gegenüber auch sonst lieblos und interesselos verhalten, wurden nicht erwiesen.

Am 5.November 1983, einem Samstag, hatte die Beklagte ganz gegen ihre Gepflogenheiten aus nicht geklärtem Anlaß eine größere Menge Bier und eine nicht genau feststellbare Menge Schnaps getrunken. Sie war dadurch in eine mittelstarke Berauschung versetzt. Der Kläger machte ihr wegen des Alkoholkonsums Vorhaltungen. Das führte zu einer wörtlichen Auseinandersetzung. Der Kläger versuchte, der Beklagten die Schnapsflasche, die sie in der Hand hielt, zu "entwenden". Er drängte die Beklagte dabei aus der Ehewohnung in das Stiegenhaus. Im Verlaufe des Hin- und Herzerrens um die Schnapsflasche versetzte die Beklagte dem Kläger einen Faustschlag gegen die linke Jochbeingegend. Sie schrie ihn an: "Ich bring' Dich um, ich stech' Dich ab!" Durch den Schlag erlitt der Kläger eine geringfügige Schwellung über dem linken Jochbeinbogen und eine Blutunterlaufung im Ausmaß von etwa 1 cm x 1 cm. Der Kläger lief daraufhin zur Polizei. In dieser Zeit demolierte die Beklagte in der Ehewohnung ein dort aufbewahrtes Rhythmusgerät des Klägers. Die Beklagte wurde festgenommen, tags darauf jedoch wieder freigelassen. Das wegen dieses Vorfalles gegen die Beklagte eingeleitete Strafverfahren wurde aus dem Grunde des § 42 Abs 1 StGB gemäß § 451 Abs 2 StPO eingestellt.

Der Kläger zog am folgenden Tag in das Haus, in dem die Streitteile während der ersten Ehejahre lebten und das ihm seine Mutter in der Zwischenzeit übergeben hatte. Der Kläger nahm aus der Ehewohnung ein Sparbuch mit, auf das gemeinsame Ersparnisse in der Höhe von etwa 80.000 S eingezahlt waren. Diesbezüglich setzten sich die Streitteile im Zuge des Eheverfahrens in der Weise auseinander, daß der Kläger der Beklagten ein Sparbuch mit einer Einlage in der halben Höhe der Einlage des gemeinsamen Sparbuches übergab. Der Kläger will die Ehe mit der Beklagten keinesfalls mehr fortsetzen.

Das Erstgericht nahm aufgrund der Haltung des Klägers eine tiefgreifende und unheilbare Zerrüttung der Ehe an, lastete der Beklagten ihr Verhalten vom 5.November 1983 zwar als Eheverfehlung an, wertete dieses Verhalten aber als eine milieubedingte, einmalige Entgleisung und deshalb nicht als schwere Eheverfehlung. Das Berufungsgericht versagte dem Vorfall vom 5.November 1983 ebenfalls die Wertung eines die Aufhebung der mehr als 15 Jahre ohne festgestellte Eheverfehlung der Beklagten währenden Ehe rechtfertigenden Scheidungsgrundes. Dabei folgerte das Berufungsgericht, daß die Ehe nach dem Vorbringen des Klägers und den getroffenen Feststellungen schon im Zeitpunkt der Klagseinbringung völlig zerrüttet gewesen sei und der Vorfall vom 5. November 1983 deshalb zwar bei der Abwägung eines Verschuldens eine Rolle spielen, aber mangels Ursächlichkeit für die Ehezerrüttung für sich allein ein Scheidungsbegehren nicht rechtfertigen könnte.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit einem Abänderungsantrag im Sinne seines Klagebegehrens und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachten Mängel des Berufungsverfahrens liegen

nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die Rechtsrüge ist nicht stichhältig.

Der Streitfall ist vornehmlich dadurch gekennzeichnet, daß die Eheleute wegen der Berufsausübung des Mannes den größten Teil des Jahres voneinander getrennt gelebt hatten und der Ehemann nach rund 15-jähriger Ehe mit der Behauptung einer unheilbaren Ehezerrüttung ein Scheidungsbegehren nach § 49 EheG erhob, die als Eheverfehlungen der Frau behaupteten Umstände aber dann im Rechtsstreit nicht zu erweisen vermochte. Am Wochenende vor der ersten über diese Scheidungsklage anberaumten Tatsatzung zur mündlichen Streitverhandlung setzte sich die damals fast 44 Jahre alte Frau aus einem nicht festgestellten Anlaß durch Alkoholgenuß in einer für sie ungewöhnlichen Weise in den Zustand einer mittelstarken Berauschung. Der Ehemann versuchte in dieser Lage, seine Frau durch gewaltsame Wegnahme der von ihr gehaltenen Flasche von weiterem Alkoholkonsum abzuhalten. In der dadurch ausgelösten Reaktion versetzte die Frau ihrem Mann einen Faustschlag ins Gesicht, stieß Drohungen gegen ihn aus und beschädigte, als der Mann zur Polizei lief, eines seiner Musikinstrumente.

Das Erstgericht qualifizierte dies als einmalige, milieubedingte Entgleisung, das Berufungsgericht verneinte vor allem die Beachtlichkeit des zumindest objektiv als ehewidrig anzusehenden Verhaltens mangels Ursächlichkeit für die bereits nach den eigenen Klagsangaben des Mannes eingetreten gewesene unheilbare Ehezerrüttung.

Scheidungsgründe sind Umstände, die einem Ehepartner aus einem als schutzwürdig erachteten Interesse den gesetzlichen Anspruch gewähren, seine grundsätzlich auf Lebenszeit eingegangenen Verpflichtungen zur ehelichen Lebensgemeinschaft durch Richterspruch aufheben zu lassen. Das ist bei der Auslegung des Begriffes "schwere Eheverfehlung" im Tatbestand des § 49 EheG und dessen Anwendung auf den Einzelfall zu beachten. Die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit, die Achtung der Persönlichkeit und die Schonung persönlichen Eigentums sind sicherlich Voraussetzungen einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft, im eherechtlichen Sinne vorwerfbare Verletzungen der sich daraus ergebenden Verhaltensgebote sind Eheverfehlungen. Ob sie als schwere Eheverfehlung den Scheidungstatbestand nach § 49 EheG erfüllen, hängt im Zweifelsfall davon ab, welche Schlüsse auf die eheliche Gesinnung des anderen der verletzte Teil aus dem Verhalten ziehen durfte, tatsächlich zieht und welchen Einfluß dies auf seinen eigenen Ehewillen ausübt.

Die Einmaligkeit des festgestellten Alkoholgenusses der Beklagten, die zumindest wenig einfühlsame, gewaltsame Vorgangsweise des Klägers gegen seine alkoholisierte Ehefrau, die in ihm in der damaligen Lage vor allem den Prozeßgegner mit einem unberechtigten Standpunkt sehen konnte, und das Fehlen früherer Vorkommnisse, bei denen die Beklagte ihren eigenen Standpunkt durch Tätlichkeiten gegen den Kläger durchzusetzen versucht hätte, lassen wegen des Ausnahmecharakters der Situation die von der Beklagten in einem Zustand herabgesetzter Zurechnungsfähigkeit gesetzten ehewidrigen Verhaltensweisen nicht als Ausdruck mangelnder ehelicher Gesinnung, sondern als eine zwar nicht entschuldbare Reaktion, aber doch - wie es das Erstgericht formulierte - Entgleisung erscheinen, die zwar nicht wegen ihrer Milieubezogenheit, wohl aber wegen der dargelegten Abhängigkeit von den konkreten Umständen von den Vorinstanzen mit Recht nicht als schwere Eheverfehlung gewertet wurde. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E10978

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00606.86.0625.000

Dokumentnummer

JJT_19870625_OGH0002_0060OB00606_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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