TE OGH 1987/7/1 9ObS7/87

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Veröffentlicht am 01.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer als Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Rudda und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bruno A***, Ach, Überackern-Mühltal 32, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 675,-- S, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 4. März 1987, GZ. 13 Rs 1014/87-9, womit das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz vom 27. Oktober 1986, GZ. 6 b C 21/86-4, sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte mit der am 15.9.1986 erhobenen Säumnisklage die Bezahlung eines Betrages von 675,-- S und brachte vor, er sei als beeidetes Jagdschutzorgan der Genossenschaftsjagd Überackern bestellt. Gemäß § 176 Abs.1 Z 3 ASVG bestehe ein aufrechter Versicherungsschutz bei der beklagten Partei. Durch den mit der Tätigkeit als Jagdschutzorgan verbundenen Aufenthalt im Wald sei der Kläger in erhöhtem Maße der Gefahr von Zeckenbissen und damit einer FSME-Infektion ausgesetzt. Er habe sich aus diesem Grund einer Schutzimpfung unterzogen und hiefür einen Betrag von S 675,-- ausgelegt. Da es sich bei der Impfung um eine Vorsorgemaßnahme zur Verhütung eines Arbeitsunfalles handle, sei die beklagte Partei zur Übernahme dieser Kosten verpflichtet. Eine bescheidmäßige Erledigung des am 7.1.1985 gestellten Antrages sei nicht erfolgt, so daß die Voraussetzungen für die Säumnisklage vorliegen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung, in eventu die Zurückweisung der Klage und brachte vor, daß die gesetzlichen Bestimmungen keine Grundlage für die Verpflichtung der beklagten Partei zur Übernahme der Kosten der Schutzimpfung enthielten. Bereits mit Schreiben vom 19.11.1984, das alle Bestandteile eines klagbaren Bescheides enthalte, sei dem Kläger die Ablehnung der Kostenübernahme mitgeteilt worden, so daß die Voraussetzungen für die Erhebung der Säumnisklage nicht gegeben seien.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers mit der Begründung ab, daß eine Leistungspflicht im Gesetz nicht begründet sei.

§ 188 a ASVG sehe lediglich vor, daß der Versicherungsträger zur Abwehr der Gefahr des Entstehens oder Wiederentstehens einer Berufskrankheit Leistungen der im § 189 Abs.2 ASVG angeführten Art gewähren könne. Aus dem Wort "kann" sei abzuleiten, daß kein Rechtsanspruch des Versicherten auf die Gewährung dieser Leistung bestehe.

Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung das Urteil des Erstgerichtes sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es führte aus, daß der Versicherungsfall der Gesundheitsbedrohung legistisch uneinheitlich ausgeformt sei; er finde sich verteilt auf die Bestimmungen der §§ 186 Z 5, 188 a und dem für diesen Fall nicht in Frage kommenden § 211 ASVG. § 186 Z 5 beziehe sich nur auf die vorbeugende Betreuung der von Berufskrankheiten bedrohten Versicherten; § 188 a enthalte nur Kann-Bestimmungen und sehe daher freiwillige Leistungen der beklagten Partei vor. Anträge auf Zuerkennung von freiwilligen Leistungen seien jedoch keine Leistungssachen gemäß § 354 ASVG. Für die Entscheidung hierüber sei der Rechtsweg nicht zulässig. Gegen diesen Beschluß richtet sich der gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zwar zulässige, aber nicht berechtigte Rekurs des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Rekurswerber gar nicht bekämpften Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der Rechtsweg ausschließlich für Begehren auf gesetzliche Pflichtleistungen offenstehe, ist beizutreten. Gemäß § 371 ASVG waren die Schiedsgerichte der Sozialversicherung ausschließlich zuständig zur Entscheidung über Streitigkeiten in Leistungssachen gemäß § 354 ASVG und in Verfahrenskostensachen gemäß § 359 Abs 2 und 4 ASVG. Der Begriff der Leistungssachen ist in § 354 ASVG definiert. Leistungssachen sind nach der Z 1 dieser Norm Angelegenheiten, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handelt, soweit nicht eine der in dieser Bestimmung dargestellten Vorfragen in Frage steht. Ein Anspruch auf eine Leistung besteht nur in Fällen, in denen das Gesetz bei Erfüllung der im Einzelfall angeordneten Voraussetzungen eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers statuiert. Es sind daher ausschließlich Angelegenheiten, die gesetzliche Pflichtleistungen betreffen, Leistungssachen nach § 354 Z 1 ASVG. Diesbezüglich hat sich durch das Inkrafttreten des ASGG keine Änderung ergeben, zumal die Definition der Sozialrechtssachen in § 65 Abs 1 Z 1 in dem hier wesentlichen Punkt wörtlich mit § 354 Z 1 ASVG übereinstimmt. Für Begehren, die nicht Ansprüche auf gesetzliche Pflichtleistungen zum Gegenstand haben, war der Rechtsweg in Leistungsstreitsachen ausgeschlossen und es steht für derartige Begehren auch der Rechtsweg in Sozialrechtssachen nicht offen (Kuderna, ASGG § 65 Erl 3 mwH).

Zu prüfen ist daher, ob das erhobene Begehren auf eine gesetzliche Pflichtleistung gerichtet ist. Den Ausführungen des Rekurses, die diesen Standpunkt vertreten, kann nicht beigestimmt werden.

§ 172 Abs 1 ASVG, die einleitende Bestimmung des Abschnittes I des Dritten Teiles des ASVG, ist, was auch in der Überschrift zum Ausdruck kommt, eine programmatische Erklärung über die Aufgaben, die der Gesetzgeber der gesetzlichen Unfallversicherung überträgt.

§ 173 ASVG enthält den Katalog der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, die im Abschnitt III ihre Individualisierung finden, wobei jeweils auch die Voraussetzungen für die im einzelnen bezeichneten Ansprüche normiert werden. § 172 Abs 1 ASVG ist daher keine Rechtsquelle, aus der unmittelbar ein Leistungsanspruch abgeleitet werden kann. Ein Anspruch auf eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht vielmehr nur dann, wenn die Voraussetzungen der §§ 189 ff ASVG erfüllt sind, soweit jeweils auch eine Leistungspflicht der beklagten Partei vorgesehen ist. Ob eine bestimmte Maßnahme aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist, muß bei Prüfung der Frage, ob eine Verpflichtung der beklagten Partei zur Erbringung einer Leistung besteht, außer Betracht bleiben. Es ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers, der den vorhandenen Leistungskatalog statuiert hat, solchen Überlegungen Rechnung zu tragen und ihn allenfalls zu erweitern. Der erschöpfende Charakter des Kataloges verbietet eine extensive Interpretation in dem Sinn, daß die Leistungspflicht durch den Träger der gesetzlichen Unfallversicherungen auf Leistungen ausgedehnt würde, die im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

Eine gesundheitliche Schädigung des Klägers ist unbestritten nicht eingetreten. Das Begehren auf Kostenübernahme wird für eine Maßnahme begehrt, der ausschließlich vorbeugender Charakter zukommt. Damit kann aus den Vorschriften der §§ 189 ff ASVG, die Leistungen ausschließlich für den Fall einer körperlichen Schädigung des Versicherten (Überschrift des 1.Unterabschnittes des Abschnittes III) oder des Todes des Versicherten (Überschrift des 2. Unterabschnittes des Abschnittes III) vorsehen, der geltend gemachte Anspruch nicht abgeleitet werden. Die Bestimmungen über die Unfallverhütung finden sich im Abschnitt II des Dritten Teiles des ASVG (§§ 185 bis 188 a). Auch diese Normen enthalten keine Grundlage für die Verpflichtung der beklagten Partei zur Übernahme der Kosten der streitgegenständlichen Impfung. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine durch einen Zeckenbiß hervorgerufene Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren wäre, für die allein die Vorschrift des § 188 a ASVG vorbeugende Maßnahmen vorsieht. Die zitierte Gesetzesstelle stellt die Erbringung von Leistungen der dort beschriebenen Art in das Ermessen des Versicherungsträgers. Es handelt sich sohin um eine freiwillige Leistung, auf deren Erbringung der Versicherte keinen subjektiven Anspruch hat.

Mangels jeglicher Grundlage für eine Pflicht der beklagten Partei zur Erbringung der begehrten Leistung ist der Rechtsweg ausgeschlossen, so daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit dem Gesetz in Einklang steht. Damit erübrigt sich eine Erörterung der Frage, ob im Hinblick auf das Schreiben vom 19.11.1984 die Voraussetzungen für die Erhebung der Säumnisklage vorliegen. Gründe, die einen Kostenersatzanspruch des Klägers gemäß § 77 Abs 1 lit b ASGG trotz Erfolglosigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen könnten, wurden weder bescheinigt noch ergeben sich solche Gründe aus dem Akteninhalt.

Anmerkung

E11230

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBS00007.87.0701.000

Dokumentnummer

JJT_19870701_OGH0002_009OBS00007_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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