TE OGH 1987/7/7 2Ob615/87

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Veröffentlicht am 07.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna R***, geb. 10. März 1962 in Türnitz, Küchengehilfin, Schildbachrotte 1, 3184 Türnitz, vertreten durch Dr. Max Urbanek, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei Erwin R***, geb. 28. März 1960 in Lehmgstetten, Maurer, Lehmgstetten 2, 3262 Wang, vertreten durch Dr. Hubert Schweighofer, Rechtsanwalt in Melk, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. März 1987, GZ 16 R 297/86-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Endurteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 16. Juni 1986, GZ 6 Cg 400/84-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"Das Verschulden an der mit Teilurteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 13. April 1983, GZ 6 Cg 22/82-15, ausgesprochenen Scheidung der Ehe der Streitteile trifft den Beklagten. Der Beklagte hat der Klägerin die mit S 41.858,85 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 1.320,-- Barauslagen und S 3.685,35 Umsatzsteuer) und die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 257,75 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Der Beklagte hat weiters der Klägerin die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 23. Dezember 1980 vor dem Standesamt Steinakirchen am Forst die Ehe. Beide sind österreichische Staatbürger, ihr letzter gemeinsamer Aufenthalt war Wang. Der Ehe entstammt der am 7. Juni 1981 geborene Sohn Erwin. Die Klägerin macht in ihrer am 8. Jänner 1982 eingebrachten Klage sowie ergänzend im Verlauf des Verfahrens im wesentlichen geltend, sie sei von ihrer Schwiegermutter, in deren Haus sie nach der Eheschließung gezogen sei, geschlagen und auch sonst schlecht behandelt worden, die Schwiegermutter habe ihr das Kind weggenommen und habe die Klägerin im September 1981 hinausgeworfen. Der Beklagte habe die Klägerin nicht unterstützt und sich nicht um sie gekümmert. Bei einem Telefonat am 25. September 1981 mit ihrem Vater habe er gefragt, wann sie endlich ihre Kleider hole, und habe erklärt, es gebe nichts mehr zu reden, er habe bereits die Scheidungsklage eingebracht. Der Beklagte habe die rechtskräftigen Beschlüsse des Pflegschaftsgerichtes mißachtet und die Herausgabe des Kindes verweigert, entgegen seinen Versprechungen vor der Eheschließung habe er keine selbständige Wohnung beigestellt.

Der Beklagte stellte den Antrag, das überwiegende Verschulden der Klägerin auszusprechen. Die Klägerin habe den Beklagten eigenmächtig und grundlos verlassen und habe den Haushalt und die Pflege des ehelichen Sohnes gröblich vernachlässigt. Das Erstgericht schied die Ehe am 13. April 1983 mit einem als "Zwischenurteil" bezeichneten Teilurteil und behielt die Entscheidung über das Verschulden dem Endurteil vor. Die Parteien verzichteten sofort auf Rechtsmittel.

Im Endurteil sprach das Erstgericht aus, daß das Verschulden an der Scheidung beide Parteien zu gleichen Teilen treffe. Aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt (Seite 4-14 des Ersturteils = AS 228 ff) ist folgendes hervorzuheben:

Bei der Klägerin kam es auf Grund einer Rötelerkrankung ihrer Mutter während der Schwangerschaft zu einer zum Teil sicher durch organische Hirnschädigung verursachten abnormen psychischen Persönlichkeitsbildung mit leichtgradiger intellektueller Unterbegabung sowie gleichzeitig vorliegender angeborener höhergradiger Schwerhörigkeit und dadurch bedingten Störung der Sprachentwicklung. Die Klägerin hat bis zum Eintritt in eine Sonderschule für Schwerhörige überhaupt nicht gesprochen. Diese Mehrfachbehinderung hat auch die seelische Entwicklung bzw. Persönlichkeitsreifung der Klägerin nachhaltig bestimmt, das heißt negativ beeinflußt und gestört, sodaß es bei ihr zu einer abnormen Erlebnisverarbeitung gekommen ist, die praktisch von der Geburt und den ersten Kindheitsjahren an eingesetzt und nachhaltig und bestimmend die weitere Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin geprägt hat. Wegen des Zusammenwirkens der angeborenen und der reaktiven psychischen Veränderungen und Erlebnisweisen ist die Klägerin sehr wenig belastungsfähig und unfähig, sich auf ändernde Situationen schnell genug und in der richtigen Weise einzustellen, sodaß sie in vielen Belangen weitgehend unselbständig geblieben ist und sehr rasch durch entsprechende situative Belastungen überfordert werden kann, ohne daß allerdings bei ihr eine Geisteskrankheit oder psychische Erkrankung bzw. eine psychische Störung mit echtem psychiatrischem Krankheitswert bestehen würde. Ihre Prozeßfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Nachdem sich die Klägerin bis zum

9. Schuljahr in einem Internat der Behindertenschule in Wien aufgehalten und dann noch drei Monate eine Haushaltsschule besucht hat, diese aber wegen Schwierigkeiten mit Mitschülern wieder aufgegeben hatte und auf die Landwirtschaft ihrer Eltern zurückgekehrt war, arbeitete sie von Juni bis Dezember 1979 als Hausgehilfin in Baden. Das Dienstverhältnis wurde über Wunsch des Beklagten, der die Klägerin bei einer Tanzveranstaltung kennengelernt hatte, aufgegeben. Die Eltern der Klägerin äußerten dem Beklagten gegenüber Bedenken, als er Heiratsabsichten äußerte, sie erklärten, die Klägerin sei für eine Eheschließung noch zu jung und vor allem nicht in der Lage, selbständig einen Haushalt zu führen. Der Beklagte teilte diese Bedenken nicht und erklärte, dies mache ihm nichts aus, er werde schon darauf sehen, daß alles in Ordnung gehe, mit der Zeit würde die Klägerin sicher auch allein einen Haushalt führen. Als Ehewohnung schlug er der Klägerin eine solche in der Landwirtschaft seiner Mutter vor. Sollten wider Erwarten Schwierigkeiten zwischen der Klägerin und seiner Mutter auftreten, würde er von daheim ausziehen und ein eigenes Haus bauen. Nachdem die Klägerin schwanger geworden war, kam es zur Eheschließung. Die Streitteile hatten bei der Mutter des Beklagten, von der sie auch verpflegt wurden, ein eigenes Schlafzimmer. Der Beklagte hielt sich von Montag bis Freitag an seinem auswärtigen Dienstort auf. Die Klägerin unterstützte ihre Schwiegermutter bei den Küchenarbeiten, räumte ihr Zimmer auf und bügelte. Sie war aber nicht in der Lage, Speisen zuzubereiten. Während der Schwangerschaft kam es zu einer Belastung des ursprünglich ausgezeichneten Verhältnisses zwischen der Klägerin und ihrer Schwiegermutter. Nach der normal verlaufenen Geburt befand sich der eheliche Sohn zunächst bei der Klägerin. Als er wegen der Unverlässlichkeit der Klägerin - diese war nicht imstande, dem Kind zu bestimmten Zeiten die vorgeschriebenen Mengen an Nahrungsmitteln zu verabreichen - im Alter von etwa einem Monat an einem Darmkatarrh erkrankte, übernahm die Mutter des Beklagten auf Vorschlag des Arztes, der die Klägerin nicht für fähig hielt, das kranke Kind zu pflegen, die Pflege. Seither wurde das Kind ausschließlich von der Großmutter aufgezogen und schlief auch nachts in deren Zimmer. Die Klägerin war bedrückt, sprach oft ein bis zwei Tage nicht mit dem Beklagten und kümmerte sich um nichts. Der Beklagte qualifizierte dieses Verhalten ebenwo wie seine Mutter als "spinnen", machte sich Sorgen und trug sich mit Scheidungsgedanken. Da die Klägerin geklagt hatte, daß sie nie heimfahren könne, schlug ihre Schwiegermutter vor, der Beklagte solle die Klägerin für eine Woche zu ihren Eltern bringen, damit sie ihr Heimweh auskurieren könne. Der Beklagte brachte die Klägerin am Sonntag, den 13. September 1981, zu ihren Eltern, erklärte, daß sie dauernd spinne und daß er sich, wenn dies so weiterginge, scheiden lassen würde. Da sich die Eltern der Klägerin auf die Frage des Beklagten, ob sie ihre Tochter im Fall einer Scheidung wieder aufnehmen würden, ablehnend verhielten, kränkte sich die Klägerin und bat den Beklagten, sie sogleich wieder mitzunehmen. Auf der Heimfahrt äußerte sich der Beklagte abfällig über die Eltern der Klägerin. Diese kränkte sich, weinte die halbe Nacht und telefonierte am nächsten Tag nach der Abreise des Beklagten mit ihrem Bruder, der ihr zusagte, sie würde daheim wieder aufgenommen werden. Ab diesem Zeitpunkt hielt sich die Klägerin den ganzen Tag auf ihrem Zimmer auf, redete mit niemandem, kümmerte sich nicht um das Kind und rührte auch die von ihrer Schwiegermutter bereiteten Speisen nicht an. Die Schwiegermutter bezeichnete das Verhalten der Klägerin als "spinnen" und forderte sie auf, sofort zu verschwinden, sie solle mit dem nächsten Zug heimfahren, was sich die Klägerin aber nicht zutraute. Ihre Schwiegermutter rief beim Jugendamt an, worauf zwei Fürsorgerinnen erschienen, die von der Schwiegermutter gefragt wurden, ob das Jugendamt nicht etwas unternehmen könne, daß die Klägerin in ein Heim komme. Die Klägerin fürchtete sich vor den Fürsorgerinnen, weil ihre Schwiegermutter gesagt hatte, die Fürsorgerinnen würden ihre Einweisung "nach Mauer-Öhling" veranlassen. Nachdem die Klägerin neuerlich bei ihren Eltern angerufen hatte, erschienen diese am 18. September 1981 um 14 Uhr und erklärten der Schwiegermutter der Klägerin, sie würden ihre Tochter heimholen, der Beklagte müsse Unterhalt zahlen, was ihnen sehr gelegen komme, weil sie mit dem Geld das Haus aufstocken könnten. Die Klägerin hatte sich sofort beim Eintreffen ihrer Eltern "in Tränen aufgelöst" auf ihr Zimmer zurückgezogen. Um 16 Uhr 30 machte der Bruder des Beklagten die Mitteilung, der Beklagte sei bereits in Wieselburg, hätte von dort angerufen und ersuche, mit der Abreise bis zu seiner Heimkehr zuzuwarten. Die zu diesem Zeitpunkt bereits im Aufbruch begriffene Klägerin und ihre Eltern lehnten dies ab. Als der Beklagte nach seiner Rückkehr von diesen Vorfällen erfuhr, war er - insbesondere über die Unterhaltsforderung - erzürnt und sagte seiner Mutter, er werde die Klägerin nicht zurückholen. Er sei zur Überzeugung gekommen, daß eine Fortführung der Ehe sinnlos wäre. Am folgenden Tag rief er bei seinen Schwiegereltern an und fragte, was los wäre, worauf er die Antwort erhielt, die Klägerin dächte nicht mehr daran, jemals wieder zu ihm zurückzukommen, er wäre verpflichtet, für sie zu zahlen. Der Beklagte entgegnete, wenn die Klägerin nicht mehr zurückkommen wolle, solle sie gleich ihr "Glumpert" holen. Am 25. September 1981 rief er neuerlich seinen Schwiegervater an und fragte, wann er endlich die Kleidung seiner Tochter abholen würde. Auf die Frage des Schwiegervaters, ob man sich nicht noch einmal zusammensetzen und über die ganze Angelegenheit reden könne, erklärte der Beklagte, es gäbe nichts mehr miteinander zu reden, er hätte sich bereits zur Scheidung entschlossen, wenn die Kleidung der Klägerin nicht abgeholt würde, werde er sie selbst zurückbringen. Dies tat er am folgenden Tag auch. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Scheibbs vom 5. Februar 1986, bestätigt vom Kreisgericht St. Pölten, wurde in Abänderung eines Beschlusses vom 21. Oktober 1982 ausgesprochen, daß die elterlichen Rechte hinsichtlich des ehelichen Sohnes dem Beklagten zustehen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, den Beklagten treffe ein Verschulden, weil er Scheidungsgedanken gefaßt habe, ohne zunächst mit der Klägerin einen Arzt aufzusuchen, er den Ehewillen vorzeitig aufgegeben und sich beim Telefonat mit seinem Schwiegervater am 25. September 1981 geweigert habe, ein Gespräch über die Fortsetzung der Ehe zu führen. Die Klägerin treffe aber ebenfalls ein Verschulden, weil sie den Hinauswurf durch ihre Schwiegermutter "direkt provoziert" habe. Ihre Abreise, ohne auf den Beklagten zu warten, sei ihr als Eheverfehlung anzulasten. Den Ausführungen des Sachverständigen, der eine Verantwortlichkeit der Klägerin verneint habe, weil sie nur durch Flucht aus dem Haus der Schwiegereltern sich der für sie unerträglichen Überforderung entziehen habe können, sei nicht zu folgen. Auch die Weigerung, zurückzukehren, sei ihr als Verschulden anzulasten. Das Berufungsgericht bestätigte das nur von der Klägerin bekämpfte Endurteil. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt. Zur Frage eines Verschuldens der Klägerin führte das Gericht zweiter Instanz aus, die Meinung des Erstgerichtes, die Klägerin habe den Hinauswurf durch ihre Schwiegermutter provoziert, sei im Hinblick auf das Sachverständigengutachten abzulehnen. Der Klägerin sei auch der Auszug aus der Ehewohnung nicht vorzuwerfen, was aber am Ergebnis nichts ändere, weil sie nachher keinen ernsthaften Versuch mehr unternommen habe, die eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten wieder aufzunehmen. Schon aus ihrer Aussage ergebe sich, daß sie im Hinblick auf das Verhalten ihrer Schwiegermutter nicht mehr bereit gewesen sei, die Ehe mit dem Beklagten fortzusetzen. Es sei ihr daher ebenso wie dem Beklagten vorzuwerfen, nach den Ereignissen zwischen dem 13. und dem 18. September 1981 den Ehewillen vorzeitig aufgegeben zu haben. Zusammenfassend sei zu sagen, daß die Ehezerrüttung in erster Linie auf Umständen beruhe, die den Parteien nicht als Verschulden anzulasten seien. Die Klägerin sei im Hinblick auf ihre Behinderung nicht in der Lage, selbständig einen Haushalt zu führen und das Kind aufzuziehen, andererseits aber nicht imstande, auf Dauer mit ihrer Schwiegermutter zusammenzuleben. Das in Abwesenheit des Beklagten von dessen Mutter gesetzte Verhalten, das allerdings wenig einfühlsam gewesen sei, könne nicht ihm als Eheverfehlung angelastet werden. Die Behinderung der Klägerin und die Lebensumstände der Streitteile hätten also in erster Linie die Ehezerrüttung herbeigeführt. Da schuldhafte Verfehlungen der Streitteile nur in geringerem Ausmaß zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten und die Eheverfehlungen des Beklagten die der Klägerin nicht erheblich überwögen, habe das Erstgericht im Ergebnis zu Recht gleichteiliges Verschulden angenommen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Alleinverschulden, hilfsweise das überwiegende Verschulden des Beklagten ausgesprochen werden. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor

(§ 510 Abs. 3 ZPO).

Der Rechtsrüge der Klägerin kann allerdings Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die Scheidung der Ehe aus Verschulden des Beklagten wurde rechtskräftig, es ist daher nur noch zu erörtern, ob der Klägerin ein Verschulden anzulasten ist. Die Besonderheit des Falles liegt darin, daß die Klägerin seit Geburt behindert ist. Der Beklagte wußte dies zwar, er unterschätzte die Folgen der Behinderung in bezug auf eine Eheführung aber offenbar. Wie dem Sachverständigengutachten zu entnehmen ist, führte das Leben im Haus der Schwiegermutter zu Überforderungen, denen die Klägerin wegen ihrer Behinderung und psychischen Störung nicht gewachsen war; die Klägerin hatte keine andere Möglichkeit, als sich dieser unerträglich gewordenen Überforderung zu entziehen. Daß die Klägerin ihre Aufgabe als Hausfrau und Mutter nicht erfüllen konnte, kann ihr ebensowenig als Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG angelastet werden wie der Umstand, daß sie den Haushalt ihrer Schwiegermutter verließ und zu ihren Eltern zurückkehrte, weil es an einem für den Ehescheidungsgrund des § 49 EheG erforderlichen Verschulden der Klägerin mangelt. Dies hat auch das Berufungsgericht erkannt, es machte der Klägerin aber zum Vorwurf, nachträglich keinen ernsthaften Versuch mehr unternommen zu haben, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen.

Diese Ansicht kann jedoch nicht geteilt werden. Berücksichtigt man die seit der Geburt der Klägerin bestehende Behinderung und die psychische Störung, wegen der das Leben im Haus der Schwiegermutter so unerträglich wurde, daß ihr die Rückkehr zu den Eltern nicht als Verschulden anzulasten ist, dann kann ihr auch das Unterlassen eines ernsthaften Versuches, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Da ein Verbleiben im Haus der Schwiegermutter für die Klägerin unerträglich war, kann ihr nicht angelastet werden, daß sie am folgenden Tag eine Rückkehr ablehnte. Zuzumuten wäre der Klägerin an sich gewesen, mit dem Beklagten eine Ehe außerhalb des Haushaltes ihrer Schwiegermutter zu führen, was allerdings wegen der Notwendigkeit der Beschaffung einer Wohnung eine gewisse Zeit in Anspruch genommen hätte und überdies im Hinblick auf die eingeschränkte Fähigkeit der Klägerin, einen Haushalt zu führen und das Kind zu betreuen, zu Schwierigkeiten geführt hätte. Wegen ihrer geistigen Behinderung kann es der Klägerin jedenfalls nicht als Verschulden angelastet werden, daß sie am Tag nach ihrer Rückkehr zu den Eltern dem Kläger nicht aus eigenem Antrieb ihre Bereitschaft bekundete, mit ihm außerhalb des Haushaltes seiner Mutter ein Eheleben zu führen. Bereits am Tag nach der Rückkehr zu den Eltern erklärte der Beklagte aber dem Vater der Klägerin, sie sollten ihr "Glumpert" holen. Eine Woche später lehnte er ein Gespräch mit der Begründung ab, er sei zur Scheidung entschlossen. Der intellektuell unterbegabten, wenig belastbaren Klägerin, die unfähig ist, sich auf sich ändernde Situation schnell und in richtiger Weise einzustellen und die in vielen Belangen weitgehend unselbständig geblieben ist, kann es daher nicht als Verschulden angelastet werden, daß sie sich nicht dennoch um eine Fortsetzung der Ehe bemühte. Es kann auch nicht ihr zum Vorwurf gemacht werden, daß ihre Eltern eine Scheidung wünschten, weil ihnen Unterhaltszahlungen des Beklagten willkommen waren. Das Verhalten der Klägerin während der Ehegemeinschaft mit dem Beklagten und ihre Rückkehr zu ihren Eltern widersprach zwar dem Wesen der Ehe, kann ihr aber nicht als Verschulden im Sinne des § 49 EheG angelastet werden.

Aus diesem Grund ist der Antrag des Beklagten, eine Mitschuld der Klägerin auszusprechen, nicht berechtigt. Inwieweit dem Beklagten schwere Eheverfehlungen anzulasten sind, ist in dieser Entscheidung nicht zu erörtern, weil die Ehescheidung aus seinem Verschulden mangels Anfechtung des Urteils der zweiten Instanz durch den Beklagten rechtskräftig geworden ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens überdies auf § 50 ZPO.

Anmerkung

E11348

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00615.87.0707.000

Dokumentnummer

JJT_19870707_OGH0002_0020OB00615_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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