Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Michael S***, Botschaftsrat, Wien 14., Linzerstraße 395/1, geb. 2. April 1946 in Wien, vertreten durch Dr. Christa Heller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dagmar S***, Studentin, geb. 8. August 1952 in Knittelfeld, Wien 14., Linzerstraße 395/1, vertreten durch Dr. Claus Janovsky und Dr. Michael Datzik, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. März 1987, GZ 3 R 194/86-55, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 25. Juni 1986, GZ 38 Cg 3/83-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 2.953,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 268,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Vorinstanzen haben die zwischen den Streitteilen am 5. Oktober 1974 geschlossene Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Hiebei gingen sie von folgendem wesentlichem Sachverhalt aus:
Im Dezember 1978 erhielt der Kläger die Verständigung, daß er im Februar 1979 den Dienst an der österreichischen Botschaft in Saudiarabien anzutreten habe. Seine Bewerbung beim auswärtigen Dienst war im Einvernehmen mit der Beklagten erfolgt. Bereits vor der Bewerbung hatten die Streitteile besprochen, daß die Beklagte, die damals studierte, den Kläger in den Semesterferien besuchen und diese Ferien an seinem Dienstort verbringen werde, wobei die Möglichkeit einer Verlängerung der Ferien um einen Monat ins Auge gefaßt wurde. Tatsächlich kam die Beklagte im Juni 1979 nach Jeddah, dem Dienstort des Klägers und verblieb dort drei Monate. Da sie jedoch mit dem Ort und den Leuten nicht zufrieden war und ihr das gesellschaftliche Leben nicht zusagte, beteiligte sie sich an diesem später nicht mehr und begleitete den Kläger auch nicht auf Empfänge. Nach drei Monaten erklärte sie, es nicht länger in Jeddah auszuhalten und aus Studiengründen nach Österreich fahren zu wollen. Der Kläger versuchte sie zu überreden, bei ihm zu bleiben und war enttäuscht, als er die Beklagte nicht zu halten vermochte. Während seiner Dienstzuteilung nach Jeddah verbrachte der Kläger jährlich ein bis zwei Aufenthalte in der Dauer von jeweils maximal einem Monat in Österreich.
Im Jahre 1980 verbrachte die Beklagte zwei Monate in Jeddah, im Jahre 1981 einen Monat. 1982 war sie nur mehr etwa 14 Tage dort. Der Kläger war mit diesen immer kürzeren Anwesenheiten der Beklagten an seinem Dienstort nicht einverstanden und ersuchte die Beklagte, mindestens drei bis vier Monate bei ihm zu verbringen, doch reagierte die Beklagte "dilatorisch".
Anläßlich seines Urlaubes im Sommer 1982 versuchte der Kläger die Beklagte zu bewegen, ihm nach Jeddah zu folgen, doch lehnte dies die Beklagte mit der Begründung ab, ihr gefalle das Leben dort nicht und sie halte es dort nicht aus. Mehrfache Ansuchen des Klägers um Versetzung an einen anderen Dienstort hatten bis 1985 keinen Erfolg. Im übrigen hatte die Beklagte durch die Äußerung, sie wolle ihr Studium fortsetzen und nach dessen Beendigung einen Beruf ausüben, beim Kläger den Eindruck erweckt, daß sie ihm auch an einen anderen Dienstort nicht folgen werde. Der Kläger war darüber sehr bedrückt. Bereits im November 1982 war ihm klar geworden, daß die beiderseitigen Vorstellungen von ihrem Leben und ihrer Zukunft grundverschieden waren. Da sich kein tragbarer Kompromiß abzeichnete, schlug der Kläger der Beklagten die Scheidung vor. Den Rat der Beklagten, zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse eine Freundin zu nehmen, lehnte er aus weltanschaulichen Gründen ab. Als die Beklagte jedoch zu Weihnachten 1982 seine neuerliche Aufforderung, ihm nach Jeddah zu folgen ablehnte, sagte er, daß er ihren Vorschlag, eine Freundin zu suchen, aufgreifen werde. Dem widersprach die Beklagte nicht. Der Kläger nahm Ende 1982 ehewidrige Beziehungen zu einer Jugendfreundin Flora A*** auf, wogegen die Beklagte keine Einwendungen hatte. Am 15. Juni 1984 gebar Flora A*** dem Kläger einen Sohn. Im Hinblick auf seine Verpflichtung als Diplomat muß der Kläger jedoch seine "neue Familie" bei Aufrechterhaltung der Ehe gewissermaßen verstecken. Der Kläger hatte bereits vorher dienstliche Nachteile, weil die Beklagte, entgegen den üblichen Erwartungen, ihrer Repräsentationspflicht als Ehefrau eines Diplomaten nicht entsprach.
Im Februar 1983 schlug der Kläger der Beklagten eine einvernehmliche Scheidung vor, womit die Beklagte vorerst einverstanden war. In der Folge widersetzte sie sich jedoch einem derartigen Begehren.
Der Kläger nächtigte zuletzt zu Weihnachten 1982 in der Ehewohnung. Seither war er nur mehr dort, um seine Sachen abzuholen. Die Vorinstanzen vertraten die Rechtsansicht, die Ehe sei durch die ständige Weigerung der Beklagten, dem Kläger an seinem Dienstort zu folgen, bereits zu Weihnachten 1982 unheilbar zerrüttet gewesen. Zwar stelle auch der Ehebruch des Klägers mit Flora A*** eine schwere Eheverfehlung dar, doch führe dies nicht zum Verlust des Scheidungsbegehrens nach § 49 2. Satz EheG, weil ein Ehebruch dann eine mildere Beurteilung erfahren müsse, wenn er nur mehr die Folge einer bereits eingetretenen Ehezerrüttung gewesen sei. Das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren des Klägers sei daher grundsätzlich gerechtfertigt, doch müsse dem Kläger sein Ehebruch ebenfalls als schwere Eheverfehlung angelastet werden. Im Hinblick darauf, daß die Zerrüttung der Ehe durch das Verhalten der Beklagten ausgelöst worden und es zu dem Ehebruch erst nach endgültiger Zerrüttung gekommen sei, könne von einem überwiegenden Verschulden des Klägers an der Ehescheidung nicht gesprochen werden. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens habe nur dann zu erfolgen, wenn das Verschulden des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund trete, also ein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens hervorkomme. Im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf der beiderseitigen Eheverfehlungen sei dies hier nicht der Fall. Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
In den Revisionsausführungen macht die Beklagte neuerlich eine angebliche Nichtigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens geltend, deren Vorliegen bereits vom Berufungsgericht verneint worden ist.
Rechtliche Beurteilung
Nichtigkeiten, die in erster Instanz unterlaufen sind, können in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (EFSlg. 10.581, RZ 1968, 108 ua.). Im übrigen hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß die erstgerichtliche Entscheidung nicht von einem abgelehnten Richter gefällt worden ist, sodaß das Vorliegen des behaupteten Nichtigkeitsgrundes auch inhaltlich zutreffend verneint wurde.
Soweit die Revision von einem anderen als dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt ausgeht, ist sie nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weshalb in diesem Umfang Stellungnahmen entbehrlich sind.
Nach den getroffenen Feststellungen war die Ehe bereits zu Weihnachten 1982 durch das Verhalten der Beklagten, nämlich die ständige Weigerung, dem Kläger an seinen Dienstort zu folgen und zumindestens teilweise seine Repräsentationspflichten als Diplomat zu unterstützen, unheilbar zerrüttet. Erst nach diesem Zeitpunkt hat der Kläger ehewidrige Beziehungen zu Flora A*** aufgenommen. Diese ehewidrigen Beziehungen waren daher nur eine Folge der bereits vorher eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe. Zu den Ausführungen des Berufungsgerichtes bezüglich der Verpflichtung von Ehegatten, soweit dies möglich ist, gemeinsame Kontakte aufrecht zu erhalten, nimmt die Revision, zumindest unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, nicht Stellung. Es kann deshalb auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden.
Grundsätzlich ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Ehe nach § 49 EheG zu scheiden ist, von dem die endgültige Zerrüttung der Ehe bewirkenden Verhalten auszugehen. Nur wenn die Verfehlungen des Klägers nach ihrer Art, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlungen des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden sein Begehren sittlich nicht rechtfertigen würde, kommt es zu einem Verlust des Scheidungsrechtes nach § 49, zweiter Satz, EheG. Besteht zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen kein unmittelbarer und kausaler Zusammenhang, so ist der Ausschluß des Scheidungsbegehrens nur bei unverhältnismäßigem Mißverhältnis des Verschuldens des Klägers zum Verschulden der Beklagten gerechtfertigt (Pichler in Rummel, Rdz 5 f. zu § 49 EheG). Nach den getroffenen Feststellungen bestand zwar zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang, doch im umgekehrten Verhältnis dahin, daß nicht die Eheverfehlung der Beklagten eine Reaktion auf die Verfehlungen des Klägers war, sondern die Eheverfehlung des Klägers sich als Reaktion auf das Verhalten der Beklagten darstellte. Zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe hat überhaupt nur das Verhalten der Beklagten geführt. Bei diesem Sachverhalt kann von einem unverhältnismäßigen Mißverhältnis der beiderseitigen Eheverfehlungen im Sinne einer Benachteiligung der Beklagten keine Rede sein. Dies schließt aber eine Anwendung des Verwirkungstatbestandes nach § 49, zweiter Satz, EheG aus.
Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines der Ehegatten hat nur zu erfolgen, wenn ein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens hervorkommt (EFSlg. 41.282 ua.). Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensteile muß augenscheinlich, also offenkundig hervortreten (EFSlg. 43.691, 31.704 ua.). Von ausschlaggebender Bedeutung ist die Ursächlichkeit der Eheverfehlungen für die unheilbare Zerrüttung der Ehe (EFSlg. 43.677 ua.). Nach unheilbarer Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen spielen bei Beurteilung der Frage, welchen der beiden Ehegatten das überwiegende Verschulden trifft, keine entscheidende Rolle (EFSlg. 41.277 ua.).
Geht man von den aufgezeigten Grundsätzen aus, so ergibt sich, daß sich die Beklagte durch die Annahme des beiderseitigen Verschuldens ohne Ausspruch eines Überwiegens keinesfalls beschwert erachten kann. Die unheilbare Zerrüttung der Ehe ist ausschließlich auf ihre Eheverfehlungen zurückzuführen. Demnach tritt die erst spätere Eheverfehlung des Klägers, die keinen Einfluß auf die Zerrüttung der Ehe mehr hatte, gegenüber dem Verschulden der Beklagten nicht derart offenkundig hervor, daß der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Klägers nach § 60 Abs. 2 EheG gerechtfertigt wäre.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E11608European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00642.87.0709.000Dokumentnummer
JJT_19870709_OGH0002_0070OB00642_8700000_000