Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia G***, geboren am 23. September 1948 in Wiesmath, Landwirtin, Wiesmath, Hölle 12, vertreten durch Dr. Eugen Radel, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Anton G***, geboren am 29. Oktober 1940 in Schwarzenbach, Landwirt, Schwarzenbach, Oberau 44, vertreten durch Dr. Johann Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wr. Neustadt, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 14. Februar 1987, GZ 14 R 102/86-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 25. November 1985, GZ 1 Cg 1317/84-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 2. August 1969 die Ehe geschlossen. Es war beiderseits die erste Ehe, der fünf mj. Kinder entstammen. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in Schwarzenbach.
Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte habe sie mehrmals mißhandelt, ihr gedroht, sie umzubringen, die Wohnungseinrichtung zertrümmert und seine Unterhaltspflicht verletzt. Hilfsweise begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe nach § 50 EheG.
Der Beklagte bestreitet die ihm angelasteten Eheverfehlungen. Wenn er Eheverfehlungen gesetzt habe, so nur infolge Provokation der Klägerin. Er stellte für den Fall der Scheidung der Ehe einen Mitschuldantrag. Die Klägerin habe grundlos Streit begonnen und ihn verlassen. Sie unterhalte ehewidrige Beziehungen zu Adolf M***. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Nach seinen Feststellungen verlief die Ehe der Streitteile von Anfang an nicht harmonisch, weil der Beklagte gegen die Klägerin häufig tätlich wurde. Er versetzte ihr Ohrfeigen, Fußtritte und warf ihr Steine nach. Anlaß für dieses Verhalten des Beklagten war etwa das Befahren von Grundstücken der Streitteile durch Dritte und die Verwendung von falschen Milchkannen durch die Klägerin. Anfangs waren die Tätlichkeiten häufiger, in der Folge wurde die Klägerin durchschnittlich einmal monatlich vom Beklagten attackiert. Die Klägerin hat den Beklagten mehrmals, nachdem sie von ihm geschlagen worden war und weitere Angriffe fürchtete, für ein paar Tage verlassen und bei ihrer Mutter gelebt. Um den 10. Mai 1984 geriet der Beklagte grundlos in Zorn und zertrümmerte die Schlafzimmermöbel.
Mit Versäumungsurteil des Erstgerichtes vom 29. November 1983, AZ 1 Cg 1449/83, wurde der Beklagte verurteilt, seiner Schwiegermutter ein Schmerzengeld von S 90.000,-- zu bezahlen, weil er sie körperlich verletzt hatte. Aufgrund dieses Urteils wurden gegen den Beklagten zu Beginn des Jahres 1984 mehrere Exekutionen beantragt. Durch diese Zahlungsverpflichtung "wurde der Beklagte nervlich überlastet". Aufgrund dieses Nervenzustandes und da der Beklagte den unrichtigen Eindruck hatte, die Klägerin freue sich über seine Schadenersatzverpflichtung, wurde er am 19. Mai 1984 mehrmals gegen sie tätlich: Während des Viehabtriebes warf der Beklagte einen etwa hühnereigroßen Stein gegen die Klägerin und traf sie im Bereich der Kniekehle. Die Klägerin erlitt einen Bluterguß. Im Stall nahm er dann einen isolierten Draht und schlug die Klägerin zweimal auf die Hüfte. Am späten Nachmittag, anläßlich des Viehaustriebes, schlug der Beklagte die Klägerin mit einem Mistrechen gegen die Schulter, wodurch sie auch dort einen Bluterguß erlitt. Aufgrund dieser Angriffe beabsichtigte die Klägerin den Beklagten zu verlassen. Über Ersuchen der Kinder blieb sie jedoch zunächst zu Hause. Am Abend nach dem Melken schüttete der Beklagte der Klägerin heißes Wasser gegen den linken Oberarm, wodurch sie Verbrennungen erlitt. Die Häufung dieser Angriffe, verbunden mit der Äußerung des Beklagten, die Klägerin gehöre statt zweimal viermal gestochen, versetzten die Klägerin in Furcht. Sie verließ daher den Beklagten und zog zu ihrer Mutter. Da sie aber dort wegen der beengten räumlichen Verhältnisse nicht bleiben kann, nahm sie Kontakt zu Adolf M*** auf, nachdem sie erfahren hatte, daß dieser ein Haus vermiete. Es fanden einige Gespräche zwischen der Klägerin und Adolf M*** statt. Es kam zwischen ihnen jedoch zu keinerlei ehewidrigen Beziehungen.
Die in der Landwirtschaft der Streitteile anfallenden Geschäfte wickelte der Beklagte ab. Er kassierte und verwaltete auch das Geld. Über Verlangen der Klägerin gab er ihr Geld. Lebensmittel, die auf dem Bauernhof nicht produziert wurden, wurden grundsätzlich vom Beklagten eingekauft. Dies deshalb, weil das Anwesen der Streitteile vom nächsten Ort etwa eine Gehstunde entfernt ist, keine öffentlichen Verkehrsmittel verkehren und die Klägerin nicht in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken. Seit etwa März 1984, dem Zeitpunkt der Einleitung von Exekutionen, hat der Beklagte für die Klägerin und die Familie nichts mehr eingekauft. Er gab der Klägerin auch kein Geld mehr. Entsprechende Ersuchen quittierte er mit der Bemerkung, für einen Trampel kaufe er nicht ein und gebe auch kein Geld her. Mit gerichtlichem Vergleich vom 14. September 1984 verpflichtete sich der Beklagte der Klägerin ab 1. Oktober 1984 einen monatlichen Unterhalt von S 1.500,-- zu bezahlen. Der Beklagte kam dieser Verpflichtung jedoch nicht nach.
Nachdem der Beklagte von der Klägerin verlassen worden war, nahm er im November 1984 über ein Eheanbahnungsinstitut mit einer Frau Kontakt auf. Dieser erschöpfte sich jedoch in einem Briefverkehr. Eine Begegnung fand nicht statt.
Die Klägerin hat niemals grundlos mit dem Beklagten Streit in einem Ausmaß begonnen, wie er in funktionierenden Ehen nicht auch vorkommen kann. Beim Beklagten handelt es sich um einen primär minderbegabten, gemütsarm-egozentrischen, undifferenzierten, eigene, primitive Rechts- und Verhaltensnormen vertretenden Mann, der zur Durchsetzung seiner Absichten und Vorstellungen zu unbeherrschten Aggressionsausbrüchen tendiert. Beim Beklagten liegt Alkoholmißbrauch im Sinne eines Betatrinkers vor. Er neigt zu Mißhandlungen seiner Ehefrau. Die Tätlichkeiten am 19. Mai 1984 wurden von ihm in einer schuldausschließenden, einer passageren Krankheit gleichzusetzenden krankhaften Reaktion gesetzt. Sein übriges Verhalten ist jedoch nicht der Ausfluß einer geistigen Störung im engeren Sinn, sondern seiner Persönlichkeitsabartigkeit. Die Klägerin will die Ehe mit dem Beklagten nicht wieder aufnehmen. Nach der Auffassung des Erstgerichtes sei die Frage, ob eine Ehe nach § 49 oder nach § 50 EheG zu scheiden sei, nach dem Gesamtverhalten eines Ehegatten während der Ehe zu beurteilen. Dem Beklagten könnten lediglich die Mißhandlungen der Klägerin am 19. Mai 1985 mangels Verschuldens nicht als Eheverfehlungen angelastet werden, weil sie auf einer geistigen Störung beruhten. Berücksichtige man aber die Tätlichkeiten gegen die Klägerin vor dem 19. Mai 1984, die Unterhaltsverletzung des Beklagten seit etwa März 1984 und seinen Versuch, zu einer anderen Frau Kontakt aufzunehmen, ergebe sich, daß er die Ehe schuldhaft zerrüttet habe. Die Klägerin treffe dagegen kein Verschulden, weil die Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft aufgrund der Tätlichkeiten des Beklagten gerechtfertigt gewesen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es führte eine Beweisergänzung durch und stellte ergänzend fest, daß für die abnorme Persönlichkeitsentwicklung des Beklagten sein Konflikt mit seiner Schwiegermutter Leopoldine H*** entscheidend war. Ab der Pfändung von 5 Kälbern und 2 Stieren im Rahmen einer von Leopoldine H*** betriebenen Fahrnisexekution am 29. März 1984 war die abnorme Persönlichkeitsentwicklung des Beklagten so fortgeschritten und seine Willensbildung so beeinträchtigt, daß seine Entscheidungsfreiheit in entscheidender Weise herabgesetzt war. Vor diesem Zeitpunkt war er in der Lage, seine Entscheidungen willensgemäß zu steuern. Seine Persönlichkeitsstruktur wich vorher nicht in entscheidendem Maße von der Norm ab. Im übrigen übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung.
Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, daß unter einer geistigen Störung im Sinne des § 50 EheG nicht nur geistige Erkrankungen minderen Grades, sondern auch nervöse Störungen (Psychoneurosen, Zwangsneurosen) und sonstige Anomalien (Melancholie, Hysterie) zu verstehen seien. Die Verantwortlichkeit des Ehegatten müsse nicht zur Gänze ausgeschlossen sein. Es genüge, wenn sie erheblich beeinträchtigt sei. Diese subjektive Komponente bestehe in einer erheblichen Beeinträchtigung der Willensbildung und -kontrolle, die nicht den Grad der Unzurechnungsfähigkeit erreicht haben müsse. In diesem Sinne habe der Beklagte erst seit dem 29. März 1984 an einer geistigen Störung gelitten. Er habe daher die vor diesem Zeitpunkt gesetzten schweren Eheverfehlungen nach § 49 EheG zu vertreten. Beruhten die einem Ehegatten anzulastenden schweren Eheverfehlungen zum Teil nicht auf einer geistigen Störung, so könnten diese die Grundlage einer Scheidung aus Verschulden nach § 49 EheG bilden. In diesem Sinne seien dem Beklagten die wiederholten Mißhandlungen der Klägerin als schwere Eheverfehlungen anzulasten. Daß die Klägerin das Verhalten des Beklagten jahrelang ertragen habe und nur im Interesse der Kinder die Ehe fortgesetzt habe, sei nicht als Verzeihung zu werten. Es liege auch keine Verfristung des Scheidungsrechtes vor, weil ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten als Einheit aufzufassen sei. Aus den Feststellungen ergebe sich, daß die letzte dem Beklagten noch als Verschulden anzulastende Mißhandlung der Klägerin im Februar 1984
erfolgt sei, sodaß die sechsmonatige Klagefrist gewahrt worden sei. Darüber hinaus sei aber der Lauf der Frist durch die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft am 19. Mai 1984 gehemmt gewesen. Selbst wenn man die wiederholten und regelmäßigen Mißhandlungen der Klägerin durch den Beklagten nicht als Einheit werte, würde sich am Ergebnis nichts ändern, weil auch verfristete Eheverfehlungen zur Unterstützung der Scheidungsklage geltend gemacht werden könnten und nicht verfristete schwere Eheverfehlungen des Beklagten jedenfalls vorlägen.
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der behauptete Verfahrensmangel durch Unterlassung der ergänzenden Parteienvernehmung durch das Berufungsgericht liegt nicht vor. Die Beurteilung der Frage, ob das Gericht die bisherigen Beweisergebnisse als ausreichend ansieht, ist ein Akt der Beweiswürdigung. Die Ablehnung des Beweises der ergänzenden Parteienvernehmung durch das Berufungsgericht wegen hinreichender Klärung des Sachverhaltes durch die aufgenommenen Beweise kann daher nicht mit Revision bekämpft werden (ZVR 1980/154; SZ 26/273; SZ 23/175 uva).
In der Rechtsrüge wendet sich der Beklagte gegen die Feststellung des Berufungsgerichtes, daß seine abnorme Persönlichkeitsentwicklung erst ab dem 29. März 1984 seine freie Willensbildung erheblich beeinträchtigte. Aus dem im Strafakt 5 U 547/84 des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt erliegenden Gutachten ergebe sich, daß es sich bei dem festgestellten Zustand des Beklagten um einen schon vorher bestandenen Dauerzustand handle.
Damit bekämpft der Revisionswerber nur die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist. Bei seiner Behauptung, daß die Ehe nicht nach § 49 EheG, sondern nur nach § 50 EheG geschieden hätte werden dürfen, geht der Revisionswerber von der von ihm gewünschten, nicht aber von der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung aus. Die Rechtsrüge ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E11456European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00633.87.0709.000Dokumentnummer
JJT_19870709_OGH0002_0070OB00633_8700000_000