TE Vfgh Erkenntnis 2001/9/25 B681/99

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Veröffentlicht am 25.09.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG §52
BundesvergabeG §113
BundesvergabeG §115
BundesvergabeG §122
EG Art234
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge Art1
VfGG §88

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Unterlassung der Vorlage einer vorlagepflichtigen Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts an den EuGH seitens des Bundesvergabeamtes; Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags eines vom Auftraggeber faktisch nicht ausgeschiedenen, nach Ansicht der Nachprüfungsbehörde jedoch auszuscheidenden Bieters fraglich

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 17.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Abwasserverband "Großraum Bruck/Leitha-Neusiedl/See" hat durch von ihm beauftragte Ziviltechniker mit Veröffentlichung vom 23. Juli 1998 Erd- und Baumeisterarbeiten für die Errichtung eines Verbandssammlers im Abschnitt zwischen den Übernahmebauwerken Neusiedl West und Neusiedl Ost ausgeschrieben; dabei handelt sich um ein Teilprojekt im Zuge der Errichtung einer Großkläranlage in Bruck/Leitha. In den Ausschreibungsbestimmungen war unter anderem vorgesehen, daß Anbotssteller eine Referenzliste über dem geplanten Projekt ähnliche und von ihnen hergestellte Bauten bzw. gelieferte und montierte Anlagen vorzulegen hätten. Weiters wurde festgelegt, daß die Weitergabe des gesamten Auftrags an Subunternehmer nicht zulässig sein solle.

In der Folge wurden mehrere Angebote gelegt. Unter Bewertung der Angebote nach der Höhe ihrer jeweiligen Angebotssummen wurde jenes der beschwerdeführenden Gesellschaft an die erste Stelle gereiht.

Mit Schreiben vom 15. September 1998 wurde die beschwerdeführende Gesellschaft seitens des ausschreibenden Ziviltechnikerbüros aufgefordert, Referenzen, Angaben zur Firmenstruktur, einen Baueinreichungsplan sowie eine Geräteliste nachzureichen.

Mit Schreiben des Kreditschutzverbandes von 1870 vom 23. September 1998 bzw. vom 30. September 1998 wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft mittlere Bonität bzw. eine zufriedenstellende finanzielle Situation bescheinigt: Der Umsatz der beschwerdeführenden Gesellschaft für das Jahr 1997 wurde zwischen 15 und 17 Mio S liegend eingeschätzt. In weiterer Folge wurden der verlangte Baueinreichungsplan, die Geräteliste sowie entsprechende Referenzen vorgelegt und diese durch das ausschreibende Ziviltechnikerbüro einer Überprüfung unterzogen.

Im Prüfbericht vom 6. Oktober 1998 wurde schließlich unter Punkt 4. festgehalten, daß das Angebot der beschwerdeführenden Gesellschaft auszuscheiden sei, da zum einen die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit zur Durchführung des Auftrags nicht gegeben sei und zum anderen die beabsichtigte Weitergabe des Auftrags an eine zum Zeitpunkt der Angebotseröffnung noch nicht gegründete Subunternehmung unzulässig sei.

Mit Beschluß des Verbandsvorstandes vom 9. Oktober 1998 wurden die verfahrensgegenständlichen Erd- und Baumeisterarbeiten schließlich dem zweitgereihten Bieter zugeschlagen und ein entsprechendes Auftragsschreiben am selben Tag sowohl vom Auftraggeber als auch von jenem Bieter unterfertigt.

Mit Schreiben von diesem Tag (9. Oktober 1998) wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft mitgeteilt, daß ihr Angebot aufgrund des fehlenden Nachweises ausreichender technischer und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sowie aufgrund der Ankündigung des Einsatzes einer Subunternehmung, die zum Zeitpunkt der Angebotslegung (noch) nicht gegründet und deren Leistungsfähigkeit sohin nicht nachweisbar gewesen sei, nicht berücksichtigt werden konnte. Mitgeteilt wurde dabei weiters, daß an diesem Tag der Zuschlag und die Beauftragung an den zweitgereihten Bieter erfolgt seien.

Mit dem am 22. Oktober 1998 beim Bundesvergabeamt (BVA) eingelangten Antrag begehrte die beschwerdeführende Gesellschaft die Feststellung, daß wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz (BVergG) oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht ihr als Bestbieterin erteilt worden sei.

b) Mit Bescheid vom 23. März 1999, Z F-20/98-11, wurde dieser Antrag "gemäß §115 Abs1 Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG) BGBl. I Nr. 56/1997 mangels Antragslegitimation zurückgewiesen", da das Anbot der beschwerdeführenden Gesellschaft aus dem Grunde der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie aufgrund der unzulässigen Weitergabe der Bauausführungen an eine noch zu gründende Subunternehmung jedenfalls auszuscheiden gewesen sei:

"Da das Angebot der Antragstellerin somit aufgrund des Ausscheidens nicht mehr zu berücksichtigen war, konnte die Antragstellerin durch die spätere Entscheidung, den Zuschlag an die nach Höhe der Angebotssumme zweitgereihte (Bieterin), zu vergeben, nicht mehr in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Der Antragstellerin fehlt es somit an der Legitimation zur Geltendmachung der in ihrem Antrag und in der Verhandlung angeführten Rechtswidrigkeiten, weshalb ihr Antrag - im Hinblick auf die ständige Spruchpraxis des Bundesvergabeamtes (vgl. etwa GZ F-3/98-12 vom 18. Juni 1998) - spruchgemäß zurückzuweisen war. (...)

Unbeschadet dieser Ausführungen sieht sich das Bundesvergabeamt jedoch veranlaßt, auf ein Versäumnis des Auftraggebers ausdrücklich hinzuweisen: Gemäß §52 Abs2 BVergG sind Bieter, deren Angebote aufgrund des Ergebnisses der Prüfung ausgeschieden wurden, hievon unverzüglich, jedenfalls aber acht Tage vor Erteilung des Zuschlages unter Bekanntgabe des Grundes schriftlich zu verständigen. Im gegenständlichen Fall wurde der (erfolgreichen Bieterin) nach Beschluß des Vorstands der Auftrag am 9. Oktober 1998 erteilt. Mit Schreiben vom selben Tag wurde der Antragstellerin mitgeteilt, daß ihr Angebot aufgrund eines fehlenden Nachweises ausreichender technischer und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sowie der Ankündigung des Einsatzes einer Subfirma, die zur Anbotslegung nicht gegründet war und deren Leistungsfähigkeit somit nicht nachweisbar ist, nicht berücksichtigt werden könne. Die Frist des §52 Abs2 BVergG wurde somit nicht eingehalten, zumal bereits im Prüfbericht vom 6. Oktober 1998 die Notwendigkeit des Ausscheidens des Angebotes der Antragstellerin festgehalten wird."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wegen "objektiver Willkür der Behörde" sowie - ohne dies jedoch näher zu substantiieren - die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt und dabei beantragt, die gegenständliche Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen; von der Erstattung einer Gegenschrift hat es abgesehen.

Der als mitbeteiligte Partei dem verfassungsgerichtlichen Verfahren beigezogene auftraggebende Abwasserverband hat eine Äußerung erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 14.390/1995, 14.889/1997, 15.507/1999, VfGH vom 8.3.2001, B707/00) verletzt der Bescheid einer Verwaltungsbehörde unter anderem dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, wenn die bescheiderlassende Behörde als vorlagepflichtiges Gericht iSd Art234 Abs3 EG eingerichtet ist und es verabsäumt, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

2. Fraglich ist im vorliegenden Verfahren die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages eines Bieters, dessen Angebot vom Auftraggeber nicht in rechtmäßiger Form ausgeschieden wurde, obwohl es nach Ansicht des BVA wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auszuscheiden gewesen wäre. Die dem Bieter zugegangene Mitteilung des Auftraggebers, daß sein Angebot nicht berücksichtigt werden könne, erfolgte (wie das BVA selbst festhält) unter Verletzung des §52 Abs2 BVergG, wonach Bieter, deren Angebote auf Grund des Ergebnisses der Prüfung ausgeschieden werden, hievon unverzüglich, jedenfalls aber acht Tage vor Erteilung des Zuschlages unter Bekanntgabe des Grundes schriftlich zu verständigen sind, und ihnen dadurch die Möglichkeit eröffnet werden soll, noch vor Zuschlagserteilung das Ausscheiden ihrer Anbote einer Überprüfung durch die Vergabekontrollinstanz zuführen zu können. Schon durch die evidente Verletzung des §52 Abs2 BVergG war dem Bieter die rechtzeitige Stellung eines Rechtsschutzantrags zum Zwecke der Überprüfung der Vorgangsweise des Auftraggebers vor Erteilung des Zuschlags an einen Dritten nicht möglich.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis zu B707/00 vom 8. März 2001 auf die kontroversen Stellungnahmen zur vorfragenweisen Annahme einer - nach Ansicht des BVA gebotenen - Ausscheidung hingewiesen und ist zur Auffassung gelangt, daß die Frage des Ausschlusses eines - möglicherweise - auszuscheidenden, vom Auftraggeber selbst aber nicht ausgeschiedenen Bieters vom Nachprüfungsverfahren (im Wege der Zurückweisung seines Nachprüfungsantrages gemäß §115 Abs1 BVergG durch das BVA) unter dem Aspekt der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für dieses Nachprüfungsverfahren zweifelhaft ist. Unter Bezugnahme auf die einschlägige Judikatur des EuGH zur Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechts, wonach u.a. die Erfordernisse einer der Richtlinie entsprechenden Auslegung des nationalen Rechts und eines effektiven Schutzes der Rechte des einzelnen es dem nationalen Gericht gebieten "zu prüfen, ob dem einzelnen aufgrund der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ein Anspruch auf Nachprüfung der Vergabe (...) zuerkannt werden kann" (EuGH Rs. C-54/96, Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961, Rz 46) und der vom EuGH betonten Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art1 Abs1 der Rechtsmittelrichtlinie, ABl. 1989 L 395, 33 idF ABl. 1992 L 209, 1 (in der Folge: RM-RL), "wirksame und möglichst rasche Nachprüfungsverfahren einzuführen, um sicherzustellen, daß die Gemeinschaftsrichtlinien im Bereich des öffentlichen Auftragswesens beachtet werden" (EuGH Rs. C-81/98, Alcatel Austria AG ua., Slg. 1999, I-7671, Rz 34, 35), hat der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertreten, daß die Legitimation zur Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nach Art1 Abs3 RM-RL weit zu verstehen sein und deshalb jedem zustehen dürfte, der einen bestimmten zur Vergabe anstehenden öffentlichen Auftrag erhalten will (Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union, 1997, 156 f.). Angesichts dieses dem Verständnis der RM-RL möglicherweise innewohnenden weiten Rechtsschutzauftrages für Bewerber und Bieter in einem Vergabeverfahren erschien es dem Verfassungsgerichtshof fragwürdig, die Antragsvoraussetzungen nach §115 Abs1 BVergG in Verbindung mit §52 Abs1 und 2 BVergG so zu deuten, daß ein faktisch vom Auftraggeber nicht ausgeschiedener Bieter von der Nachprüfungsbehörde durch Zurückweisung seines Rechtsschutzantrages vom Nachprüfungsverfahren ausgeschlossen werden kann, wenn diese das Vorliegen eines Ausscheidungsgrundes vorfragenweise annimmt. Da diese Frage im Rahmen des dualen Rechtsschutzsystems des Gemeinschaftsrechts vom EuGH zu klären gewesen wäre und sie von diesem bisher noch nicht entschieden wurde, wäre das BVA verpflichtet gewesen, sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Die in dem besagten Erkenntnis vom 8. März 2001, B707/00, zum Ausdruck gebrachten Bedenken betreffen auch den angefochtenen Bescheid: Auch mit diesem hat das BVA durch seine Zurückweisung des Nachprüfungsantrags eine - wie oben dargelegt - vom Auftraggeber in rechtsrichtiger Weise nicht vorgenommene Ausscheidung gleichsam substituiert und aus diesem Grund der beschwerdeführenden Gesellschaft die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens nach Zuschlagserteilung verwehrt. Auch im vorliegenden Fall ist - wie im zitierten Verfahren zu B707/00 - dem BVA sohin der Vorwurf zu machen, entgegen der Anordnung des Art234 Abs3 EG eine vorlagepflichtige Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts - nämlich die Frage der Vereinbarkeit einer amtswegigen Substitution eines vom Auftraggeber zu setzenden Verfahrensschrittes mit den Anforderungen aus der RM-RL - dem EuGH nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt und dadurch die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu haben. Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Die zugesprochenen Kosten entsprechen jenen, die die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrer Beschwerde verzeichnet hat.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, EU-Recht Richtlinie, EU-Recht, Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B681.1999

Dokumentnummer

JFT_09989075_99B00681_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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