Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Juli 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Swoboda als Schriftführer in der Strafsache gegen Stefan J*** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 15. April 1987, GZ 20 Vr 2266/85-43, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, und des Verteidigers Dr. Raabe, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Stefan J*** (B.) von der wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch (in einen Würstelstand) nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen, jedoch (A.) des Verbrechens der (kurz danach) versuchten schweren Erpressung (des dort tätig gewesenen Verkäufers zur Herausgabe der Tageslosung) nach §§ 15, 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 1 StGB schuldig erkannt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in der Nacht zum 23. Mai 1985 in Hall in Gesellschaft des abgesondert verfolgten Wolfgang A*** als Beteiligten Karl W*** - der sie nach dem Scheitern des Diebstahlsversuchs verfolgt hatte - durch Drohung mit dem Tod zur Aushändigung der Einnahmen aus seiner Tätigkeit als Würstelverkäufer an sie (und damit zu einer Handlung, die den daran Berechtigten am Vermögen schädigen sollte,) zu nötigen versucht, wobei die Täter mit dem Vorsatz handelten, (durch das Verhalten des Genötigten und somit) durch die Zueignung dieser Einnahmen sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern.
Vor der Bejahung der darnach gestellten Eventualfrage 2 hatten die Geschwornen die im wesentlichen anklagekonforme Hauptfrage 1 nach versuchtem schwerem Raub gemäß §§ 15, 142 Abs. 1, 143 erster und zweiter Fall StGB, begangen durch das Vorhalten einer Waffe in Verbindung mit der an das Tatopfer gerichteten Aufforderung zu dem zuvor beschriebenen Verhalten, sohin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe, verneint; eine weitere Eventualfrage (3) nach (a) vollendeter Nötigung (des W*** zum Näherkommen) gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und (b) nach versuchter Bestimmung (des Genannten) zum Diebstahl (der sodann untereinander aufzuteilenden Einnahmen zum Nachteil seines Dienstgebers) gemäß §§ 15, 12 zweiter Fall, 127 Abs. 1 sowie Abs. 2 Z 1 und 3 StGB blieb folgerichtig unbeantwortet.
Den inhaltlich nur gegen den Schuldspruch gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, die von ersterer auf Z 6 und 8 sowie von letzterem auf Z 5 und 6 des § 345 Abs. 1 StPO gestützt werden, kommt keine Berechtigung zu. Der Mitangeklagte A*** befand sich nach der Aktenlage zuletzt in Pittsburgh/USA (ON 30), ist dort seit dem August 1986 unbekannten Aufenthalts (ON 36) und wird seit dem Juli dieses Jahres im Inland und auf dem europäischen Festland (ausgenommen Skandinavien) mit Steckbrief verfolgt (ON 32, 34). Unter diesen Umständen hat der Schwurgerichtshof mit Recht angenommen, daß dessen Einvernahme in der Hauptverhandlung wegen seiner Unerreichbarkeit nicht möglich sein werde: von einem voreiligen Verzicht auf ein vom Angeklagten angebotenes Beweismittel (Z 5) kann insoweit keine Rede sein. Gleichfalls nicht stichhältig ist die Instruktionsrüge der Anklagebehörde (Z 8), mit der letztere die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung in Ansehung der Abgrenzung zwischen Raub und Erpressung deswegen als unvollständig bemängelt, weil in den Erläuterungen zum Raub beim Hinweis darauf, daß der Täter den Vorsatz haben müsse, sich durch das Mittel der Gewalt oder Drohung den sofortigen Übergang einer präsenten Sache in seine Verfügungsgewalt zu ermöglichen, der im täglichen Sprachgebrauch nicht vorkommende "Rechtsbegriff der präsenten Sache" nicht erklärt und dessen Auslegung in der Rechtsprechung nicht dargetan worden sei: diese Unvollständigkeit habe die Laienrichter dahin irregeleitet, daß sie - wie sich aus der Niederschrift ihrer Erwägungen ergebe - davon ausgegangen seien, zwischen dem Ort der Drohung und dem Verwahrungsort der Beute habe trotz einer Entfernung von nur 200 m kein räumliches Naheverhältnis bestanden. Ein derartiges konkretes Mißverständnis der Geschwornen ist jedoch, der Beschwerdeauffassung zuwider, nicht objektivierbar, und auch im übrigen ist die Rüge nicht stichhältig.
Rechtliche Beurteilung
Denn zum einen geht es bei der Verwendung des von der Beschwerdeführerin relevierten Ausdrucks "präsente Sache" nicht um die Darlegung eines unmittelbar dem Gesetz zu entnehmenden Merkmals des in § 142 Abs. 1 StGB Abs. 1 StGB pönalisierten Raub-Tatbestands, welches schon aus diesem Grund der in § 321 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Auslegung bedürfte, sondern vielmehr um die Erfassung des seinerseits bereits aus anderen Tatbestandsmerkmalen - und zwar aus den (alternativen) Begehungsweisen "wegnimmt" und "abnötigt" - abgeleiteten, also mittelbar vorausgesetzten Erfordernisses eines (mit den Tathandlungen verbundenen) sofortigen Gewahrsamsübergangs in Ansehung der Raubbeute vom Opfer auf den (oder immerhin einen der mehreren) Täter (vgl SSt 55/8 ua); und zum anderen kann im vorliegenden Fall auch ganz allgemein nicht gesagt werden, daß das beanstandete Unterbleiben weitergehender Erläuterungen die Gefahr einer Irreführung der Laienrichter über die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale des Raubes mit sich gebracht und deshalb eine einer Unrichtigkeit im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes gleichkommende Unvollständigkeit der Belehrung zur Folge gehabt habe.
Das Erfordernis eines sofortigen Gewahrsamsübergangs beim Raub wird nämlich in der Rechtsbelehrung mit der gerügten Passage auch ohne eine spezielle Erläuterung der dabei verwendeten Bezeichnung "präsente Sache" für das Tatobjekt mit durchaus zureichender Klarheit dargetan; das Zurückführen der in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale einer strafbaren Handlung auf den ihnen im Einzelfall zugrunde liegenden konkreten Sachverhalt ist nicht Aufgabe der schriftlichen Rechtsbelehrung (§ 321 Abs. 1 StPO), sondern Gegenstand der im Anschluß an die mündliche Belehrung (§ 323 Abs. 1 StPO) abzuhaltenden Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschwornen (§ 323 Abs. 2 StPO).
Der von der Staatsanwaltschaft relevierten Erwägung der Laienrichter für die Annahme eines bloßen Erpressungsversuchs anstatt des mit der Anklage angenommenen Raubversuchs, daß "die Drohung" der Angeklagten "durch das scheinbare Einverständnis des Zeugen W***" (zu dem ihm vorgeschlagenen Diebstahl der Tageslosung zum Nachteil seines Dienstgebers) "in der Unterführung aufgehört" habe, ist entgegen der Beschwerdeauffassung kein realer Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß mit dieser Überlegung (auf Grund unvollständiger Belehrung rechtsirrig) auf das Nichtvorhandensein der von den Tätern angestrebten Beute in der besagten Unterführung (als dem Ort der letzten Drohung) abgestellt worden wäre und nicht bloß auf das Unterbleiben weiterer Drohungen seitens der Angeklagten mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Tatopfers, wie insbesondere durch das Vorhalten einer Waffe, nach dessen zum Schein erklärter Zustimmung zu dem ihm vorgeschlagenen Dienstgeberdiebstahl.
Insoweit konnten nämlich die Geschwornen auf Grund der - von seiten des Angeklagten J*** unwidersprochen gebliebenen (vgl S 256) - Darstellung des Zeugen W***, wonach beide Täter nach dessen scheinbarem Einverständnis ihre Waffen wegsteckten, A*** ihn aber im Anschluß daran aufforderte, auf dem Rückweg zum Würstelstand "keinen Blödsinn zu machen", weil sie ihn ansonsten - nachdem er ihnen seine Adresse bekanntgegeben hatte - "dann schon erwischen würden", worauf sie ihn während des folgenden Weges in die Mitte nahmen und A*** ihm einen Arm um die Schulter legte (S 19/21, 120, 257 f.), in Verbindung mit den Verantwortungen beider Angeklagten, sie hätten den sie verfolgenden W*** vor seiner zum Schein erklärten Zustimmung zum gemeinsamen Diebstahl der Tageslosung nur aus Angst mit den Waffen bedroht (S 41/43, 51/53, 104 f., 105 a f., 113 bis 115, 115 a, 256 f.), sehr wohl zur Überzeugung gelangen, daß die Täter zwar bei der einleitenden Bedrohung des Tatopfers mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (durch das Vorhalten einer Waffe) nicht darauf abzielten, jenem die Einnahmen aus dem Würstelstand abzunötigen, daß sie jedoch dem Genannten nach seinem scheinbaren Einverständnis zum Dienstgeberdiebstahl durch ihr beschriebenes weiteres Verhalten unter zusammenwirkender Ausnützung des solcherart herbeigeführten Einschüchterungseffekts für den Fall einer (von ihm tatsächlich vorausgeplanten) späteren Verweigerung seiner zugesagten Beteiligung nunmehr doch zu diesem Zweck mit der künftigen Verwirklichung der (ihm zuvor aus einem anderen Grund in Aussicht gestellten) Todesfolge drohten.
Damit erweisen sich aber die Einwände sowohl der Anklagebehörde (mit Bezug auf den Grundtatbestand) als auch des Angeklagten J*** (in Ansehung der qualifizierenden Begehungsweise) gegen die Stellung der Eventualfrage 2 nach versuchter schwerer Erpressung gemäß §§ 15, 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 1 StGB (Z 6) gleichfalls als unberechtigt.
Denn mit den soeben zitierten Verfahrensergebnissen sind in der Hauptverhandlung durchaus Tatsachen "vorgebracht", also in den näheren Bereich der Möglichkeit gerückt worden (vgl SSt 51/29 ua), durch die, wenn sie (wie im vorliegenden Fall ersichtlich) als erwiesen angenommen werden, die Annahme gerechtfertigt wäre, daß beide Angeklagten zwar die (in zeitlicher und örtlicher Hinsicht) "sofortige" Aushändigung der (noch) im aufrechten Gewahrsam des Opfers gestandene Tageslosung - also von (in diesem Sinn) "präsenten Sachen" (vgl SSt 55/37 sowie abermals SSt 55/8 ua) - anstrebten, daß sie jenes Ziel aber nicht durch die Bedrohung des Karl W*** mit einer "gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben" (durch das Vorhalten einer Waffe) im Sinn des § 142 Abs. 1 StGB, sondern nur mit einer die Zufügung eines künftigen Übels ankündigenden "gefährlichen Drohung" nach § 144 Abs. 1 (§ 74 Z 5) StGB zu erreichen trachteten, die sich (im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Vorhalten einer Waffe) aber doch auf das (neuerliche) "In-Aussicht-Stellen" seiner Tötung (§ 106 Abs. 1 Z 1 StGB) erstrecken sollte.
Nach § 314 Abs. 1 StPO war demnach die bekämpfte Eventualfrage sowohl in Ansehung des Grundtatbestands der Erpressung als auch in bezug auf die in Rede stehende qualifizierende Begehungsweise indiziert.
Beide Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach § 145 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 41 StGB zu zehn Monaten Freiheitsstrafe; diese wurde ihm gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Das Erstgericht fand keinen Erschwerungsumstand. Als mildernd wertete es das Geständnis des Angeklagten, seine bisherige Unbescholtenheit, sein Alter unter 21 Jahren, den Umstand, daß er nicht als Initiator der Tat angesehen werden könne, sein Wohlverhalten seit der Tat, die zu seinem sonstigen Verhalten in einem auffallenden Widerspruch stehe, und schließlich den Umstand, daß es beim Versuch geblieben war.
Zufolge des Vorliegens vieler wichtiger und gewichtiger Milderungsgründe hielt es die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB für gerechtfertigt.
Die Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer Berufung eine schuldangemessene Erhöhung des Strafmaßes unter Ausschaltung der Anwendung des § 41 StGB an und verweist auf die mit der Tat verbundene kriminelle Energie, zumal "immerhin" zwei Personen die Drohung unter Verwendung von Waffen begingen.
Der Angeklagte begehrt mit seiner Berufung eine weitere Herabsetzung des Strafmaßes, weil den zahlreichen Milderungsgründen erhöhtes Gewicht beizumessen sei.
Keiner der beiden Berufungen kommt Berechtigung zu. Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe zutreffend und vollständig erfaßt und gewürdigt. Es hat bei der gegebenen Sachlage zu Recht die Voraussetzungen der außerordentlichen Strafmilderung gemäß § 41 StGB für gegeben erachtet. Eine Erhöhung der Strafe erscheint daher nicht gerechtfertigt.
Angesichts des doch nicht ganz geringen Schuld- und Unrechtsgehaltes konnte aber auch eine Strafermäßigung nicht in Betracht gezogen werden. Das Erstgericht hat vielmehr ein Strafmaß gefunden, das alle Strafzumessungsgründe des vorliegenden Falles entsprechend berücksichtigt.
Es mußte daher beiden Berufungen ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E11689European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0150OS00098.87.0724.000Dokumentnummer
JJT_19870724_OGH0002_0150OS00098_8700000_000