TE OGH 1987/7/30 7Ob625/87

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Veröffentlicht am 30.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Kodek und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günther B***, Angestellter, Wien 2.,Dumreichergasse 167, vertreten durch Dr.Hans Peter Egger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S***-M*** Gesellschaft mbH, Braunau am Inn, Industriezeile 24, vertreten durch Dr.Manfred Lirk, Rechtsanwalt in Braunau, wegen restlichter S 50.000,-- s.A. und Feststellung (Streitwert S 5.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9. Februar 1987, GZ. 6 R 25/87-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. vom 14. November 1986, GZ.3 Cg 16/86-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 11.227,10 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 5.000,-- Barauslagen und S 566,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kaufte am 20.September 1985 unter Verwendung eines Großeinkaufsscheines der Firma M*** P*** als Selbstabholer bei der bei der Firma M*** in Vösendorf untergebrachten Firma M***-G*** mbH einen als "Schieder-Möbel"

angebotenen Tisch, bestehend aus einer abnehmbaren Tischplatte und einem Untergestell (Sockel). Beide Elemente sind aus Travertin. Beim Verladen des ca. 40 bis 50 kg schweren Sockels, der aus drei im Zentrum verklebten Elementen besteht, durch den Kläger löste sich ein Element aus der Verbindung, wodurch zwei der Elemente, an denen der KLäger den Sockel in die Höhe gehoben hatte, zusammenschlugen. Der Kläger erlitt hiedurch einen Trümmerbruch des linken Daumens. Er begehrt ein Schmerzengeld von S 60.000 s.A. und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden.

Die beklagte Partei bestreitet eine Haftung. Sie sei nicht Produzent des Tisches. Die Funktionssicherheit des Tisches sei gegeben gewesen. Die Tische würden beim Produzenten und auch bei ihr einer ständigen Kontrolle unterzogen. Von einem Mangel in der Funktionssicherheit habe sie keine Kenntnis gehabt. Der Unfall sei auf eine unsachgemäße Handhabung des Tisches durch den Kläger zurückzuführen. Nach den Kauf- und Lieferbedingungen sei überdies die Haftung ausgeschlossen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 50.000 s.A. zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das Leistungsmehrbegehren von S 10.000 s.A. wies es ab. Nach seinen Feststellungen wurde der vom Kläger gekaufte Tisch von der Firma SL S*** T*** GesmbH & Co KG Bad Oynhausen produziert. Diese Firma ist ebenso wie die beklagte Partei mit der Firma S***-M*** W*** GesmbH & Co KG gesellschaftsrechtlich verflochten. Durch die beklagte Partei werden die von der Firma S*** produzierten Tische als Schieder-Tische angepriesen und verkauft.

Der Sockel des vom Kläger gekauften Tisches war von einem Angestellten der Firma M*** vom Lager zum PKW des Klägers getragen worden. Dieser hatte allerdings hiebei den Sockel an der Unterseite ergriffen und ihn so in Längsrichtung der Sockelelemente bis auf Brusthöhe angehoben. Dem Loslösen eines Elementes, nachdem der Kläger den Sockel an zwei Elementen in die Höhe gehoben hatte, war keine andere Gewalteinwirkung vorausgegangen als die durch das Heben des Sockels selbst. Der beklagten Partei war bekannt, daß der Sockel in der Weise zu tragen ist, daß er seitlich angehoben, untergegriffen und dann mit untergegriffenen Händen in die Höhe gehoben wird. Der beklagten Partei war auch bekannt, daß das Tragen des Sockels in der vom Kläger gewählten Art nicht tunlich ist, weil hiebei mit dem Lösen der Verklebung gerechnet werden muß. Die Art, wie ein Tisch der vorliegenden Art zu tragen ist, ist auch im Möbelhandel bekannt. Schriftliche Anweisungen über die zweckmäßige Handhabung beim Tragen des Sockels erfolgten weder von Seiten der Firma S*** als Erzeuger gegenüber der beklagten Partei noch von dieser gegenüber der Firma M***-G*** mbH;

desgleichen nicht von dieser an den Kläger. Handhabungsanweisungen waren nicht beigepackt. Die beklagte Partei steht mit der M***-G*** mbH seit Jahren in Geschäftsverbindung, der die Geschäfts- und Lieferbedingungen der beklagten Partei zugrundeliegen. Punkt VIII dieser Geschäfts- und Lieferbedingungen sieht vor, daß ein Anspruch auf Ersatz von Folgeschäden ausgeschlossen ist und Mängelrügen nur beachtlich sind, wenn sie vom Käufer binnen 10 Tagen nach Gefahrenübergang der beklagten Partei schriftlich angezeigt werden.

Mit der Verletzung des Klägers waren 10 Tage schwere, 10 Tage mittelstarke und 40 Tage leichte Schmerzen verbunden. Der Kläger mußte 5 Wochen einen Gips tragen. Nach Ablegen des Gipsverbandes besteht eine Bewegungseinschränkung des linken Daumens, die Beugung ist um ca. 20 Grad vermindert. Die Grundphalanx des linken Daumens ist gegenüber dem rechten Daumen deutlich verdickt. Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes sei die beklagte Partei als Produzent zu behandeln. Als Produzent sei auch derjenige anzusehen, der die Ware von einem anderen erzeugen lasse und sie unter seinem Namen auf dem Markt vertreibe, der sich also als Produzent geriere. Letzteres treffe auf die beklagte Partei zu, weil sie die nicht von ihr selbst erzeugten Tische als Schieder-Tische verkaufe. Der beklagten Partei sei es daher als Verschulden anzulasten, wenn eine Konstruktion des Tisches gewählt worden sei, die bei einer vom Konsumenten zu erwartenden Handhabung die Gefahr einer Verletzung mit sich bringe. Jedenfalls wäre aber die beklagte Partei verpflichtet gewesen, den Kläger vor den Gefahren zu warnen, die mit dem Tragen des Sockels in der von ihm gewählten Art verbunden sind. Mangels einer entsprechenden Gebrauchsanweisung hafte die beklagte Partei auch als Händler, weil ihr bekannt gewesen sei, daß mit dem Tragen des Sockels in der vorliegenden Art eine Gefahr verbunden sei.

Durch die mit der M***-G*** mbH

vereinbarte Freizeichnungsklausel werde die Haftung der beklagten Partei nicht aufgehoben. Diese Freizeichnungsklausel sei gegenüber dem Letztverbraucher als unerlaubt anzusehen. Die Haftung der beklagten Partei bestehe auch unbeschadet des Umstandes, daß der Kauf im Rahmen der Firma M*** erfolgt sei, die lediglich an Großabnehmer und Wiederverkäufer verkaufe, weil auch Käufergruppen aus verschiedenen Branchen als Kunden in Betracht kämen, bei denen die Kenntnis eines Insiders nicht vorausgesetzt werden könne. Den Kläger treffe kein Mitverschulden an dem Unfall. Nach der Art und Schwere seiner Verletzungen sei ein Schmerzengeld von S 50.000 angemessen.

Das Berufungsgericht änderte das nur in seinem stattgebenden Teil angefochtene Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteigt, und erklärte die Revision für zulässig.

Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes sei ein Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit zulässig und wirke auch gegen Dritte, die sich mangels einer solchen Vereinbarung auf eine vertragliche Schutzwirkung zu ihren Gunsten im Rahmen der Produzentenhaftung berufen könnten. Der zwischen der beklagten Partei und der M***-G*** mbH vereinbarte

Haftungsausschluß wirke demgemäß auch gegen den Kläger. Grobe Fahrlässigkeit der beklagten Partei sei nicht behauptet worden. Eine solche ergebe sich auch nicht aus dem festgestellten Sachverhalt. Das Berufungsgericht verneinte auch eine deliktische Haftung der beklagten Partei, die überdies durch die Freizeichnungsklausel ausgeschlossen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Es ist allgemein anerkannte Rechtspflicht, niemanden körperlich zu verletzten oder in seiner körperlichen Sicherheit zu gefährden. Für denjenigen, der eine Ware herstellt, ergibt sich daraus die Pflicht, für deren ungefährliche Beschaffenheit zu sorgen und auf gefährliche Eigenschaften deutlich hinzuweisen (Bydlinski in Klang2 IV/2, 175; JBl.1959, 414; Rspr.1934/301; 8 Ob 174,175/72). Vom Produzenten wird daher gefordert, daß seine Erzeugnisse sach- und zweckgerecht konstruiert, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren fehlerfrei sein müssen, sodaß bei normalem bestimmungsgemäßem Gebrauch keine Schäden auftreten. Bei Produkten, die zwar abstrakt-generell fehlerfrei sind, bei denen aber in individuell konkreten Teilbereichen ihrer Verwendung, mit der gerechnet werden muß, Gefahren auftreten, ist auf diese Gefahren deutlich hinzuweisen (SZ 49/14). Verletzt der Hersteller diese Pflichten, haftet er dem Geschädigten nach Deliktsgrundsätzen. Den Tisch, bei dessen Transport der Kläger verletzt wurde, hat zwar nicht die beklagte Partei hergestellt, sie hat ihn aber als Generalimporteur und Zwischenhändler in den Verkehr gebracht. Das eingangs dargelegte Verletzungs- und Gefährdungsverbot gilt als allgemeine Rechtspflicht grundsätzlich auch für den Händler. Die Pflicht zur Vermeidung oder Beseitigung einer Gefahr trifft denjenigen, dem die Gefahr zuzurechnen ist. Das ist beim Inverkehrbringen von Sachen auch der Händler. Seine Sorgfaltspflichten sind aber enger gezogen. Er ist im allgemeinen nicht verpflichtet, eine Prüfung der Tauglichkeit oder Gefährlichkeit einer Ware bei gewissen Verwendungen vorzunehmen. Desgleichen genügt es, wenn der Händler die Gebrauchsanweisung des Herstellers weitergibt, soweit er nicht bereits aus bekanntgewordenen Schadensfällen Zweifel an der Richtigkeit derselben haben muß, sodaß dem Händler im Regelfall kein Vorwurf gemacht werden kann (SZ 54/13 und 116). Im vorliegenden Fall steht aber unbekämpft fest, daß der beklagten Partei bekannt war, daß der Sockel nicht durch Anheben an zwei der drei zusammengeklebten Elemente getragen werden darf, weil hiebei mit dem Lösen der Verklebung gerechnet werden muß. Daß sich diese Feststellung auf die Kenntnis der Organe der Beklagten Partei bezieht, kann nach dem Ersturteil nicht zweifelhaft sein. Ein Hinweis auf die Gefahr bei einem derartigen Tragen des Sockels war nicht vorhanden. Daß aber beim Lösen der Verklebung eine erhebliche Gefahr für die körperliche Sicherheit desjenigen besteht, der den Sockel in der beschriebenen Art trägt, liegt auf der Hand. Die beklagte Partei durfte sich daher nicht mehr auf die bloße Weitergabe des Produktes beschränken, sondern hätte selbst für einen entsprechenden Hinweis auf die Gefahr Sorge tragen müssen. Das Unterlassen eines solchen Hinweises könnte der beklagten Partei nur dann nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie mit einem derartigen Transport des Sockels nicht rechnen hätte müssen. Dies ist auch ihr Standpunkt, dem aber nicht gefolgt werden kann. Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Tisches setzt dessen Transport an den Ort des Gebrauches und vielfach auch eine Stellungsveränderung innerhalb des Ortes des Gebrauches voraus. Die beklagte Partei mußte auch damit rechnen, daß der Tisch im Wege der sogenannten Selbstabholung an den Verbraucher abgegeben wird. Die vom Kläger gewählte Art des Tragens ist keineswegs ungewöhnlich, sondern für einen Laien eher naheliegend. Die beklagte Partei kann sich aber auch nicht darauf berufen, daß sie an einen Händler verkaufte und im Möbelhandel bekannt war, daß derartige Tische nicht in der vom Kläger gewählten Art getragen werden dürfen. Sie hat den Tisch in Verkehr gebracht und war daher bei fehlendem Hinweis auf die Gefahr verpflichtet, selbst einen solchen Hinweis anzubringen oder dafür zu sorgen, daß dem Letztverbraucher ein solcher Hinweis gegeben wird.Aber auch letzteres erfolgte nach den Feststellungen nicht. Zu Recht hat daher das Erstgericht eine Haftung der beklagten Partei nach Deliktsgrundsätzen bejaht, weil sie in Kenntnis des Umstandes, daß eine bestimmte und auch zu erwartende Art des Tragens des Sockels eine Gefahr für die körperliche Sicherheit darstellt, den Sockel trotz eines fehlenden Hinweises auf diese Gefahr in Verkehr brachte, ohne selbst einen entsprechenden Hinweis anzubringen oder für einen entsprechenden Hinweis dem Verbraucher gegenüber zu sorgen.

Koziol (Haftpflichtrecht2 I 346) hält unter Berufung auf deutsches Schrifttum einen vertraglichen Haftungsausschluß auch für die Deliktshaftung für zulässig (vgl. Palandt46 320; Staudinger12 II Rdz 71 zu § 276; Larenz12 II 691). Fraglich ist dann aber immer noch, ob ein vereinbarter Haftungsausschluß für Deliktshaftung auch gegen Dritte wirkt. Diese Fragen brauchen hier aber deshalb nicht entschieden zu werden, weil zunächst der Umfang des vereinbarten Haftungsausschlusses durch Auslegung der Freizeichnungsklausel zu ermitteln ist. Nach Punkt VIII der Geschäfts- und Lieferbedingungen der beklagten Partei sind Ansprüche auf Ersatz von Folgeschäden ausgeschlossen, und Mängelrügen sind nur beachtlich, wenn die Mängel vom Käufer binnen 10 Tagen schriftlich angezeigt werden. Nach dem Wortlaut kann diese Klausel von einem redlichen Erklärungsempfänger aber nur so verstanden werden, daß der Ersatz jenes Schadens ausgeschlossen sein soll, den der Gläubiger dadurch erleidet, daß der Schuldner seine Leistung mangelhaft erbringt, somit eine positive Vertragsverletzung vorliegt und dadurch Güter des Gläubigers verletzt werden. Der Erklärungsempfänger mußte nach dem Wortlaut dieser Erklärung keineswegs davon ausgehen, daß der Schuldner auch Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung ausschließen wollte. Umstände, aus denen sich eine über den Inhalt der schriftlichen Erklärung hinausgehende Parteienabsicht ergebe, wurden nicht einmal behauptet. Liegt somit schon nach dem Inhalt der Freizeichnungsklausel ein Haftungsausschluß für deliktisches Verhalten nicht vor, stellt sich weder die Frage nach der Zulässigkeit eines vertraglichen Ausschlusses der Deliktshaftung noch nach dessen Wirkung für den Kläger.

Beizupflichten ist dem Erstgericht darin, daß nach der Art der Verletzung des Klägers und den damit verbundenen Schmerzen unter Bedachnahme auf vergleichbare Fälle und unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz noch vorhandenen Bewegungseinschränkung ein Schmerzengeld von S 50.000 angemessen ist. Unrichtig ist jedoch, daß die Voraussetzungen für ein Feststellungsbegehren nicht vorliegen, ergibt sich doch aus den Feststellungen, daß die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintrittes besteht (vgl. ZVR 1973/72 und 45). Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E12135

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00625.87.0730.000

Dokumentnummer

JJT_19870730_OGH0002_0070OB00625_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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