Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Eleonore Anna H***, geboren am 19.Oktober 1935, Hausfrau, Klagenfurt, August Jakschstraße 38, vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte und widerklagende Partei Adolf H***, geboren am 4.Februar 1928 in St. Ulrich, Pensionist, Wolfsberg, Priel 278, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. November 1986, GZ 2 R 58,59/86-93, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 20.Dezember 1985, GZ 21 Cg 61/85-73, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden nur Klägerin) und der Beklagte und Widerkläger (im folgenden nur Beklagter) haben am 9.6.1962 die Ehe geschlossen, der zwei Kinder, der am 8.4.1963 geborene Dietmar und die am 28.9.1969 geborene Eva Maria entstammen. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war Klagenfurt. Beide Teile begehren die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG jeweils aus dem Verschulden des anderen, der Beklagte hilfsweise auch nach § 50 EheG. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die Ehe nach § 50 EheG schied und das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren beider Teile abwies.
Das Berufungsgericht führte eine Beweiswiederholung durch und legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Die Streitteile bewohnten bis Dezember 1980 ein ihnen je zur Hälfte gehöriges Haus in Wasendorf. Dieses Haus wurde verkauft und mit dem Erlös eine Eigentumswohnung in Klagenfurt angeschafft. Der Beklagte, der bis Februar 1982 beim Ö*** S*** UND
T*** beschäftigt war, arbeitete an auswärtigen
Baustellen und war dadurch viel von zu Hause abwesend. Während des Aufenthaltes der Streitteile in Wasendorf fühlte sich die Klägerin von Insekten verfolgt und behauptete Beeinträchtigungen durch Erdstrahlen. Bereits in der Zeit ab 1977 gab es zwischen den Streitteilen Auseinandersetzungen. Ursache dieser Auseinandersetzungen, die von der Klägerin ausgegangen sind, waren die unterschiedlichen Auffassungen der Streitteile über die Kindererziehung sowie Provokationen durch die Klägerin. Die Klägerin, die während der beruflichen Abwesenheit des Beklagten die Kinder und den Haushalt ordentlich versorgte, änderte ihr Verhalten grundlegend, wenn der Beklagte während seiner arbeitsfreien Zeit nach Hause kam. Sie versorgte dann den Haushalt nicht und legte sich ins Bett. Sie verbot den Kindern, mit dem Vater fernzusehen. Dies führte zu Streitigkeiten zwischen den Parteien, in deren Verlauf die Klägerin auch Verletzungen und Ohnmachten vortäuschte. Einmal ging die Klägerin auf den Beklagten mit Pantoffeln los, worauf ihr dieser eine Ohrfeige versetzte. Im Verlaufe der von der Klägerin angefangenen Streitigkeiten kam es auch zu gegenseitigen Beschimpfungen. Wegen dieser Vorfälle kam es zu Ehescheidungsverfahren, die aber durch Klagsrücknahmen beendet wurden, da sich die eheliche Situation wieder beruhigt hatte und wegen der Kinder an eine Trennung nicht gedacht wurde. Während der Zeit des Aufenthaltes der Streitteile in Wasendorf wohnte der Beklagte zeitweise in einem Burschenheim, weil er es zu Hause nicht aushielt und die Klägerin den Haushalt nicht versorgte. Im August 1981 kam es zwischen den Streitteilen zu einer Auseinandersetzung wegen des vom Beklagten zu leistenden Unterhaltes. Durch eine irrtümlich vom Arbeitgeber des Beklagten erfolgte zu geringe Überweisung kam es zu einem von der Klägerin provozierten Streit. Diesen Vorfall nahm die Klägerin zum Anlaß, für den Beklagten nicht mehr zu sorgen, der ab diesem Zeitpunkt das Frühstück und die übrigen Mahlzeiten auswärts einnehmen mußte. Es wurde ihm von der Klägerin auch verwehrt, das Schlafzimmer zu benützen. Die Klägerin hat auch immer wieder Differenzen mit den Kindern ausgetragen. Wenn der Beklagte eingriff, kam es zu Streitigkeiten, in deren Verlauf sich die Ehegatten gegenseitig beschimpften. Im Zuge solcher Streitigkeiten täuschte die Klägerin auch wieder Ohnmachtsanfälle vor. Beim Versuch des Beklagten, einen Arzt zu rufen, stand die Klägerin wieder auf. Der Beklagte, der die ständigen Streitigkeiten nicht mehr aushielt, zog im Dezember 1981 aus der Ehewohnung aus. Die Klägerin hatte ihn vorher im Zuge der Auseinandersetzungen immer aufgefordert, die Ehewohnung zu verlassen. Seit August 1982 wohnt der Beklagte in einer Mietwohnung. Auch der Sohn der Streitteile wohnt dort, da er es bei der Klägerin nicht mehr ausgehalten hat. Seit Ende Mai 1984 befindet sich auch die Tochter beim Vater.
Im Jänner 1982 kaufte die Klägerin einen neuen Staubsauger, obwohl ein solcher neu im Jahre 1980 angeschafft worden war. Auch ein Elektroherd, der in der Folge nicht benützt wurde, wurde von der Klägerin gekauft.
Den letzten ehelichen Verkehr hatten die Streitteile im Jahre 1972. Beide Teile sind nicht mehr bereit, die Ehe fortzusetzen. Die Ehe ist vollkommen zerrüttet.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine anlagebedingt schwer abnorme Persönlichkeit. Sie ist nicht geisteskrank. Bei einer Person mit der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin kann praktisch jede Situation abnorme Reaktionen herbeiführen. Insbesondere Konfliktsituationen rufen solche Reaktionen hervor. Bei der Klägerin liegen diese Konfliksituationen im Verhältnis zum Ehepartner und zu den Kindern. Im Verlauf der letzten 10 Jahre haben sich bei ihr hysterische Verhaltensmuster und phobische Störungen entwickelt. Dadurch kommt es bei ihr zum Umschlagen von übertriebener Liebe in Abneigung. Menschen wie die Klägerin werden mit ihren partnerschaftlichen Beziehungen kaum fertig. Durch ihre Veranlagung kommt es bei der Klägerin aus nichtigen Anlässen zum Aufschaukeln von Affekten, die von ihr anlagebedingt nicht oder nicht rechtzeitig bewältigt werden können. Zum typischen Verhaltensmuster derartig schwer abnormer Persönlichkeiten gehört es auch, daß bei gegebener oder angenommener Gefahr des Verlustes des Partners und nach Fehlschlag, durch positives Entgegenkommen den Partner wieder zu finden, an dessen soziale Gefühle appeliert wird. Die "Krankheit" wird dazu benützt, um die Umgebung zu beeindrucken und für sich zu gewinnen. Sehr häufig kommt es dann nach dem Umschlagen der positiven Gefühle zum Partner dazu, daß in überzeugender Weise zur Belastung des Partners bis zur schweren Verleumdung und schweren üblen Nachrede unwahre Behauptungen aufgestellt werden. Diese werden insofern wider besseres Wissen erhoben, als die betreffende Person zunächst subjektiv der Auffassung ist, Wahres zu sagen, ihr später aber bewußt wird, eben nicht die Wahrheit gesagt zu haben und sie nunmehr in der Regel nicht bereit ist, dies richtigzustellen. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes seien die Beschimpfungen der Klägerin durch den Beklagten und ihre einmalige Mißhandlung als entschuldbare Reaktionshandlungen auf das unmittelbar vorangegangene Verhalten der Klägerin zu werten. Dem Beklagten könne aber auch sein Auszug aus der Ehewohnung nicht als Eheverfehlung angelastet werden, weil ihn die Klägerin hiezu mehrfach aufgefordert habe und er dadurch nur den ständigen Streitigkeiten ausgewichen sei. Die Klägerin habe zwar dadurch, daß sie grundlos Streitigkeiten begonnen habe, den Beklagten beschimpft und die Haushaltsführung vernachlässigt habe, den Tatbestand schwerer Eheverfehlungen verwirklicht. Dadurch sei die Ehe auch zerrüttet worden. Ihr könne dieses Verhalten aber mangels Verschuldens nicht als Eheverfehlung angelastet werden, weil es auf einer geistigen Störung beruhe. Als geistige Störung im Sinne des § 50 EheG seien abnorme Handlungsweisen wie Psychopathie, Psychoneurosen, Hysterie, wahnhafte Einbildungen, psychopathische Zustände, Zwangshandlungen und dgl. zu verstehen, durch die die moralische Kraft des Betroffenen in einer, seine freie Willensbildung erheblich beeinträchtigenden Weise herabgesetzt sei. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin gegeben. In den Fällen der §§ 50 bis 52 EheG dürfe die Ehe zwar nicht geschieden werden, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt sei. Bei Vorliegen des Tatbestandes nach § 50 EheG habe aber der gesunde Ehegatte grundsätzlich ein Recht auf Scheidung. Die Härteklausel sei nicht als Regel, sondern als einschränkend auszulegende Ausnahme anzusehen. Im vorliegenden Fall lägen keine besonderen Umstände vor, die erkennen ließen, daß die Klägerin über die mit der Scheidung verbundene Härte hinaus außergewöhnlich hart getroffen werde. Da der Beklagte die Krankheit der Klägerin nicht verschuldet habe und ihm die Weiterführung der Ehe nicht zumutbar sei, sei das Scheidungsbegehren auch sittlich gerechtfertigt. Es sei daher lediglich dem hilfsweise auf § 50 EheG gestützten Scheidungsbegehren des Beklagten stattzugeben.
Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richten sich die Revisionen beider Teile. Die Klägerin bekämpft die Scheidung der Ehe nach § 50 EheG, der Beklagte die Abweisung seines auf § 49 EheG gestützten Scheidungsbegehrens.
Rechtliche Beurteilung
Keine der beiden Revisionen ist gerechtfertigt.
1.) Zur Revision der Klägerin:
Die Klägerin wendet sich nur dagegen, daß die Scheidung der Ehe nicht gemäß § 54 EheG abgelehnt worden sei. Nach § 54 EheG darf in den Fällen der §§ 50 bis 52 EheG die Ehe nicht geschieden werden, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen namentlich nach der Dauer der Ehe, dem Lebensalter der Ehegatten und dem Anlaß der Erkrankung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes geben die Bestimmungen der §§ 50 bis 52 EheG dem gesunden Ehegatten grundsätzlich ein Recht auf Scheidung. Die Bestimmung des § 54 EheG ist nur bei besonders ungünstigen Auswirkungen der Ehescheidung anzuwenden. Die Anwendung dieser Bestimmung ist nicht als Regel, sondern als einschränkend auszulegende Ausnahme zu verstehen. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die erkennen lassen, daß der beklagte Ehegatte über die mit der Scheidung regelmäßig verbundene Härte hinaus außergewöhnlich hart getroffen wird (EFSlg.33.989, 29.568, 29.570, 22.782 f ua). Bei Beurteilung dieser Frage ist das gesamte Verhalten der beiden Ehegatten zu berücksichtigen (EFSlg.33.990, 22.785 ua) und zu beachten, ob dem gesunden Teil die Aufrechterhaltung der Ehe zumutbar ist (EFSlg.22.786 ua; vgl. auch Schwind, Ehegesetz2 226 f).
Die Klägerin beruft sich auf ihre körperlichen Gebrechen und daß sie nicht mehr in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen. Nach den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen besteht bei der Klägerin ein diffuses Schmerzsyndrom von Seiten der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule bei einer ausgedehnten psychosomatischen Erkrankung. Daß die Erkrankung der Klägerin vom Beklagten verschuldet oder mitverursacht wurde, wird nicht behauptet. Für eine solche Annahme liegen auch keine Anhaltspunkte vor. Aus rein wirtschaftlichen Erwägungen die mangelnde sittliche Rechtfertigung abzuleiten, ist nach herrschender Ansicht nicht gerechtfertigt (EFSlg.22.791, 22.789, 7 Ob 557/87; Schwind aaO 228). Bei Berücksichtigung der Gesamtbeziehungen zwischen den Ehegatten kann das Alter der Klägerin und die Dauer der Ehe die Anwendung der Härteklausel schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Klägerin selbst eine Scheidungsklage erhoben hatte (vgl. Schwind in Klang2 I 802; EvBl.1959/278). Daran kann auch die körperliche Erkrankung der Klägerin nichts ändern, weil diese schon zu einem Zeitpunkt bestand, als die Klägerin auf Scheidung der ehe drang. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend die Anwendung des § 54 EheG abgelehnt.
2.) Zur Revision des Beklagten:
Daß unter geistiger Störung im Sinne des § 50 EheG nicht nur Geisteskrankheiten minderen Grades, sondern auch nervöse Störungen und geistige Anomalien wie etwa Hysterie zu verstehen sind (SZ 23/313 ua), wird vom Beklagten nicht in Abrede gestellt. Seine Meinung, der Klägerin sei ihr Verhalten als Verschulden anzulasten, weil es der Willenssteuerung keinesfalls entzogen gewesen sei, ist unrichtig. In den Fällen des § 50 EheG ist es nicht erforderlich, daß die Verantwortlichkeit des Kranken gänzlich ausgeschlossen ist, es genügt eine erhebliche Beeinträchtigung der Willensbildung und -kontrolle (SZ 23/313; EFSlg.48.781 ua; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 50 EheG). Eine solche hat das Berufungsgericht angenommen. Der Grad der Beeinträchtigung der Willensbildung oder der Kritikfähigkeit einer Person ist eine Tatfrage. Soweit der Revisionswerber daher aus dem Sachverständigengutachten abzuleiten versucht, daß die Klägerin bei intakter formaler Intelligenz ihre Eheverfehlungen erkennen und korrigieren hätte können, wendet er sich nur gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die aber einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist. Demgemäß ist beiden Revisionen ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 45 a und 50 ZPO.
Anmerkung
E11830European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00635.87.0730.000Dokumentnummer
JJT_19870730_OGH0002_0070OB00635_8700000_000