TE OGH 1987/7/30 7Ob35/87

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Veröffentlicht am 30.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg F***, Kammern 922, Gemeinde Egg, vertreten durch Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Z*** K*** V*** AG, Wien 1., Schwarzenbergplatz 15, vertreten durch Dr. Josef und Dr. Martin Spiegel, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen S 16.200 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 7. April 1987, GZ 1 c R 35/87-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 8. Jänner 1987, GZ C 771/86-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.719,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 247,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat mit der beklagten Partei eine Unfallversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1965) zugrunde liegen. Am 2. November 1983 erlitt der Kläger einen Sportunfall, bei dem es zu einer Zerreißung des Innenmeniskus mit Blutergußbildung im rechten Kniegelenk kam. Nach drei Unfallsmeldungen an die beklagte Partei mit zum Teil abweichenden Angaben über die Ursache des Unfalls unterfertigte der Kläger am 13. Februar 1984 ein von der beklagten Partei stammendes als Entschädigungsquittung überschriebenes Formblatt, in dem der allgemeine Vertragstext vorgedruckt war, mit folgendem Inhalt:

"Ereignis vom 2. November 1983......Ich erkläre, daß ich gegen Erhalt einer einmaligen Zahlung von S 5.256 wegen aller Ansprüche aus diesem Ereignis - vorhersehbarer und nicht vorhersehbarer Art - für jetzt und die Zukunft gegenüber Z*** K*** V*** A*** zur Gänze abgefunden bin."

Der Kläger behauptet eine teilweise Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines als Unfallsfolge und begehrt die nach den AUVB hiefür vereinbarte Gliedertaxe. Im Zeitpunkt der Unterfertigung der Entschädigungsquittung sei ihm noch nicht bekannt gewesen, daß der Unfall eine Teilinvalidität zur Folge haben werde. Die in der Entschädigungsquittung enthaltene Bestimmung über die Abfindung aller Ansprüche sei gemäß § 879 Abs. 3 ABGB nichtig, weil sie den Kläger gröblich benachteilige.

Die beklagte Partei beruft sich auf den mit dem Kläger abgeschlossenen Abfindungsvergleich und vertritt im übrigen den Standpunkt, daß gemäß Art. 2 Z 2 lit. b AUVB kein unter die Versicherungsdeckung fallender Unfall vorliege. Art. 2 Z 2 lit. b AUVB lautet: Als Unfälle gelten auch, vom Willen des Versicherten unabhängige Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen - jedoch nicht der inneren Organe und Gefäße - infolge plötzlicher ungewohnter Kraftanstrengung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen spielte der Kläger am 2. November 1983 im Anschluß an eine Schigymnastikstunde mit einigen Turnerkollegen Hallenfußball. Er führte als Angreifer den Ball und wurde vom Verteidiger derart gestoppt, daß dieser den Ball blockierte, wodurch es zu einem "Preßball" kam. Durch diese abrupte, momentane Überlastung des Kniebereiches rechts riß der rechte Innenmeniskus ein. Der Kläger gab in seiner ersten Unfallsmeldung vom 23. November 1983 an, sich bei einer Schigymnastik am rechten Knie die Verrenkung bzw. Zerreißung zugezogen zu haben. Die zweite Unfallsmeldung an die beklagte Partei wurde vom Versicherungsvertreter ausgefüllt und dem behandelnden Arzt zur Bestätigung vorgelegt. Darin wurde ausgeführt, daß der Kläger bei der Schigymnastik mit seinem rechten Fuß umgekippt sei. In seiner Unfallsmeldung vom 20. Jänner 1984 gab der Kläger an, daß anschließend an ein Schitraining ein Fußballspiel ausgetragen worden sei und er hiebei im rechten Knie einen Schmerz verspürt habe. Die Verletzung sei ohne Fremdeinwirkung entstanden. Am 13. Februar 1984 waren zwei Vertreter der beklagten Partei beim Kläger und erklärten ihm, daß ihm eigentlich kein Anspruch aus dem Unfall zustehe. Es wurde ihm jedoch eine Kulanzzahlung von S 5.256 vorgeschlagen. Nachdem der Kläger den Vertragstext durchgelesen hatte, erklärte er sich mit dieser Zahlung einverstanden. Es war ihm damals noch nicht bekannt, ob die Verletzung eine Invalidität zur Folge haben werde. Er war aber mit der Zahlung des vorgeschlagenen Betrages einverstanden, weil er jedenfalls das Spital- bzw. Taggeld bekommen wollte. Der Kläger hatte das gleiche Risiko auch bei der A*** E*** versichert und machte bei dieser Versicherung dieselben Ansprüche geltend. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens vom 10. Oktober 1984 befriedigte die A*** E*** die Ansprüche des Klägers.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes liege ein unter die Versicherungsdeckung fallender Unfall im Sinne des Art. 2 Z 2 lit. b AUVB vor. Die Bestimmung in der Entschädigungsquittung über den Verzicht des Klägers auf alle weiteren Ansprüche sei jedoch nach § 879 Abs. 3 ABGB nichtig, weil nicht feststehe, daß der Kläger die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite seiner Erklärung gekannt habe oder darüber belehrt worden sei.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab und erklärte die Revision für zulässig. Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes betreffe die Verzichtserklärung des Klägers eine der beiderseitigen Hauptleistungen, sodaß auf sie § 879 Abs. 3 ABGB nicht anwendbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Die Beurteilung der Abfindungserklärung als Vergleich wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Die Revision wendet sich nur gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß durch die Vergleichsbestimmung betreffend den Verzicht des Klägers auf alle weiteren Ansprüche eine Hauptleistung festgelegt werde und diese Klausel daher nicht der Kontrolle nach § 879 Abs. 3 ABGB unterliege. Nach § 879 Abs. 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt. Diese durch das Konsumentenschutzgesetz geschaffene Bestimmung betrifft nach ihrem Wortlaut nur solche Vertragspunkte, "die nicht die beiderseitigen Hauptleistungen festlegen". Eine solche Einschränkung war im Ministerialentwurf zum Konsumentenschutzgesetz noch nicht vorgesehen. In den Erläuternden Bemerkungen zum Vorentwurf wurde jedoch schon zum Ausdruck gebracht, daß die Bestimmung vor allem die Kontrolle von Nebenabreden im Auge habe, nicht jedoch die Einigung über die Ware oder die sonst vertragstypischen Leistungen und das Entgelt (Krejci in Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz 146 f). Dem wurde durch die Einschaltung des vorgenannten Relativsatzes Rechnung getragen. Nach den Erläuternden Bemerkungen soll von der Inhaltskontrolle die Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung ausgenommen werden. Die von der Prüfung ausgenommenen Teile des Vertrages sind etwa die im § 885 ABGB genannten Hauptpunkte, also diejenigen Bestandteile eines Vertrages, die die Parteien vereinbaren müssen, damit überhaupt ein hinreichend bestimmter Vertrag (§ 869 ABGB) zustandekommt. Es sollen aber nicht alle Vertragsbestimmungen ausgenommen sein, die die Leistung und das Entgelt betreffen. Das Wort "festlegen" soll ausdrücken, daß mit der Ausnahme nur die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen gemeint ist, nicht aber etwa Bestimmungen, die die Preisberechnung in allgemeiner Form regeln (z.B. durch die Festlegung, welches Gewicht der Preisberechnung zugrunde zu legen ist) oder die die vertragstypische Leistung in allgemeiner Form näher umschreiben (744 BlgNR 14.GP 47; vgl. auch Krejci aaO 150, derselbe in Rummel ABGB Rz 238 zu § 879). Daraus ergibt sich, daß nicht schon jede die Hauptleistung betreffende Vertragsbestimmung der Kontrolle entzogen und der Begriff der Hauptleistung möglichst eng zu verstehen ist. Nach der durchaus vergleichbaren deutschen Rechtslage (vgl. Krejci Handbuch 147) sollen Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen festlegen, der Inhaltskontrolle entzogen sein, Klauseln, die das eigentliche Leistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen, sollen dagegen kontrollfähig sein (Palandt46 2350;

vgl. auch Ulmer-Brandner-Hensen AGB-Gesetz5 334 f;

Wolf-Horn-Lindacher AGB-Gesetz 196 f). Die Abgrenzung der Bestimmungen des unmittelbaren Leistungsgegenstandes von den der Inhaltskontrolle unterliegenden Modifikationen und Einschränkungen soll nach dem Schutzzweck der Norm erfolgen (Ulmer-Brandner-Hensen aaO 335).

Eine teleologische Betrachtung ergibt für den österreichischen Rechtsbereich, daß durch § 879 Abs. 3 ABGB unfaire vor allem in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmungen verhindert werden sollen. Bei in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern enthaltenen Klauseln treffen oft zwei Momente zusammen, die objektive Unbilligkeit der Bestimmung durch eine einseitige Verschiebung des vom Gesetz vorgesehenen Interessenausgleiches durch den Vertragsverfasser zum Nachteil seines Partners und eine "verdünnte Willensfreiheit" bei diesem, durch die er Vertragsbestandteile zum Inhalt seiner Erklärung macht, die er nicht wirklich will (744 BlgNR 14.GP 46; vgl. auch SZ 56/62).

Im vorliegenden Fall geht es um die Beurteilung der in einem Abfindungsvergleich zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer enthaltenen nicht individuell-konkreten, sondern bloß allgemeinen Umschreibung der Ansprüche des Versicherungsnehmers die vom Vergleich umfaßt sein sollen. Der Vergleich besteht darin, daß die Parteien streitige oder zweifelhafte Rechte durch beiderseitiges Nachgeben neu festlegen. Wesentlicher Vertragsinhalt ist das beiderseitige Nachgeben. Der Erlaß einer unstreitigen oder nicht zweifelhaften Schuld oder die einseitige Anerkennung einer Forderung des anderen ohne beiderseitiges Nachgeben ist daher kein Vergleich. Der Vergleich ist demnach ein zweiseitig verbindlicher entgeltlicher Vertrag (Koziol-Welser7 I 259; Ertl in Rummel ABGB Rz 1 zu § 1380 mwN). Durch den Vergleich wird eine bestehende Streitigkeit oder Zweifelhaftigkeit endgültig beseitigt. Es liegt in seiner Natur, daß die Rechtslage zwischen den Parteien durch den Vergleich, soweit er reicht, bereinigt wird. Die Bereinigungswirkung tritt aber nur für die vom Vergleich erfaßten Punkte ein. Nur bei einem allgemeinen Vergleich, das ist ein solcher, der sich auf alle Streitigkeiten zwischen den Parteien erstrecken soll, erfaßt die Bereinigungswirkung auch solche Ansprüche, an die die Parteien zwar nicht dachten, aber denken konnten (vgl. Arb. 9209; EvBl. 1963/4; Wolff in Klang2 VI 284). Dagegen werden selbst von einem allgemeinen Vergleich (Generalvergleich) Forderungen und Verbindlichkeiten nicht erfaßt, an welche die Parteien nicht denken können und auch nicht solche, die eine Seite der anderen geflissentlich verheimlicht (Koziol-Welser aaO 259).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte der Kläger über die Ursache der Verletzung zunächst Angaben gemacht, die es zweifelhaft erscheinen ließen, ob ein Unfall im Sinne des Art. 2 Z 2 lit. b AUVB vorliegt. Die beklagte Partei hat demnach auch den Standpunkt vertreten, daß dem Kläger kein Anspruch auf eine Versicherungsleistung zustehe, ihm jedoch eine Kulanzzahlung angeboten. Damit war der Kläger aus der Erwägung einverstanden, daß er mindestens das Spital- bzw. Taggeld erhalten wolle. Zweifelhaft waren demnach nicht einzelne Ansprüche des Klägers oder die Höhe solcher sondern das grundsätzliche Bestehen eines Deckungsanspruches. Diese Zweifelhaftigkeit wurde durch beiderseitiges Nachgeben bereinigt. Von der Bereinigungswirkung des Vergleiches wären daher im Sinne der obigen Darlegungen alle über das von der beklagten Partei versprochene Taggeld hinausgehenden bekannten und vorhersehbaren, wenn auch tatsächlich nicht bedachten Ansprüche des Klägers auch dann umfaßt worden, wenn sie im Vertragsformblatt nicht ausdrücklich erwähnt worden wären. Durch die Klausel, "wegen aller vorhersehbaren Ansprüche abgefunden zu sein" wurde nur die Hauptleistung des Klägers festgelegt und nicht die vertragstypische Leistung näher umschrieben oder gar modifiziert. Die bekannten und vorhersehbaren Unfallsfolgen konnte der Kläger bei der Beurteilung der subjektiven Äquivalenz in seinen Willensbildungsprozeß auch einbeziehen, sodaß die genannte Klausel auch eine Verdünnung der Willensfreiheit des Klägers nicht bewirken konnte. Dem Berufungsgericht ist daher darin beizupflichten, daß die Klausel, wegen aller vorhersehbaren Ansprüche abgefunden zu sein, der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs. 3 ABGB entzogen ist. Unerörtert bleiben kann die Kontrollfähigkeit der Klausel, soweit sie sich auf nicht vorhersehbare Ansprüche bezieht. Daß eine Teilinvalidität im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht vorhersehbar gewesen sei, wurde vom Kläger nicht einmal behauptet. Vielmehr ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen, daß der Kläger damals noch in ärztlicher Behandlung stand und der Heilungsprozeß noch nicht abgeschlossen war, sodaß weitere Unfallsfolgen jedenfalls objektiv bedacht werden konnten.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E11835

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00035.87.0730.000

Dokumentnummer

JJT_19870730_OGH0002_0070OB00035_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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