Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Huber und Dr. Niederreiter als Richter in der Pflegschaftssache des am 11. Dezember 1971 ehelich geborenen mj. Christian F***, infolge Revisionsrekurses der Mutter Christine F***, Angestellte, 1140 Wien, Breitenseerstraße 112/1/17, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 14. Mai 1987, GZ. 47 R 265/87-156, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 17. Februar 1987, GZ. 2 P 192/86-149, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Ehe der Eltern des Minderjährigen ist seit 1972 geschieden. Nach dem pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleich vom 14. Juni 1972 stehen die Elternrechte der Mutter zu. Der Vater erhielt ein Besuchsrecht an jedem zweiten und vierten Samstag im Monat von 14 bis 18 Uhr. Vom 30. April 1984 bis 9. August 1984 befand sich der Minderjährige in der psychologischen Station des Julius Tandlerheimes. Seit 10. August 1984 hält er sich im Schülerheim Hartäckerstraße auf. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 1. März 1985 wurde der mütterlichen Großmutter Elfriede W*** ein Besuchsrecht an jedem ersten und dritten Wochenende von Samstag nach Schulschluß bis Sonntag 19 Uhr eingeräumt. Das Erstgericht hob das väterliche Besuchsrecht auf und räumte Elisabeth S*** die Berechtigung ein, den Minderjährigen am dritten Wochenende eines jeden Monates von Samstag nach Schulschluß bis Sonntag 19 Uhr sowie bis zu vier Wochen der Ferien eines Schuljahres nach Terminvereinbarung mit der Heimleitung zu sich zu nehmen. Es traf folgende Feststellungen:
Seit am 10. August 1984 gab es folgende Kontakte des Minderjährigen mit der Mutter: Erster Besuch im Dezember 1984, dann Osterurlaub bei der Mutter vom 1. bis 9. April 1985; in der Folge Ausgänge zur Mutter bis 19. Juni 1985. An diesem Tag erklärte die Mutter, vom Besuchsrecht zurückzutreten. Seither bestand nur mehr brieflicher Kontakt zur Mutter. Zu einem letzten persönlichen Zusammentreffen kam es zu Weihnachten 1986 für 2 Tage, welches jedoch nicht harmonisch endete. Seither gab es nur eine gemeinsame Besprechung im Heim. Die mütterliche Großmutter Elfriede W*** erklärte sich damit einverstanden, zu Gunsten von Elisabeth S*** auf ein Besuchswochenende im Monat zu verzichten. Diese ist eine Cousine der Mutter. Der Minderjährige hat seit längerer Zeit Kontakt zu Elisabeth S*** und deren Familie, er war auch wiederholt auf Besuch in deren Haus im Burgenland und wünscht ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Situation. Die Mutter spricht sich dagegen im wesentlichen mit der Begründung aus, daß Frau S*** mit einem noch verheirateten Mann zusammenlebe und unkontrollierbar sei, wo sich der Minderjährige jeweils befindet. Zwischen dem leiblichen Vater und seinem Sohn besteht keine Beziehung. Die Ermöglichung des vorgesehenen Kontaktes dient dem Wohl des Minderjährigen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Rechtlich stünden der vorgesehenen Maßnahme keine Bedenken entgegen. Obwohl § 148 ABGB nur das Besuchsrecht der Eltern und Großeltern regelt, könne dieser Bestimmung nicht entnommen werden, daß damit die Besuchsmöglichkeit anderen als der im Gesetz genannten Personen grundsätzlich untersagt wäre. Allerdings sollte diesen nur unter der Voraussetzung besonderer Umstände der gerichtlich geregelte Verkehr mit dem Kind möglich sein, insbesonders wenn dies im Interesse und Wohl des Kindes liegt und soweit dadurch nicht die Ehe oder das Familienleben der Eltern oder eines Elternteiles oder deren Beziehung zum Kind gestört werden. Im vorliegenden Fall sei der Minderjährige seit April 1984 im Heim untergebracht und hätte infolge der mangelnden Beziehung zu seinen Eltern praktisch keine Kontakte außerhalb des Heims, wenn sich nicht die jetzt allerdings schon 80 Jahre alte mütterliche Großmutter und Elisabeth S*** um den Minderjährigen in dessen Freizeit kümmerten. Zufolge der sonstigen Isolation im Heim wären nach Beendigung des Heimaufenthaltes soziale Einordnungsschwierigkeiten zu befürchten.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, in welchem sie das Vorliegen von Aktenwidrigkeiten behauptet und auch offenbare Gesetzwidrigkeit als Beschwerdegrund heranzieht. Die geltend gemachten Anfechtungsgründe nach § 16 AußStrG liegen jedoch nicht vor:
Die Mutter bekämpft als aktenwidrig, was in Wirklichkeit das Ergebnis von Erhebungen darstellt, die die Vorinstanzen vorgenommen haben. Eine Aktenwidrigkeit wird damit nicht dargetan. Die Ansicht der Vorinstanzen, daß unter den besonderen Gegebenheiten des Falles ein persönlicher Kontakt des Minderjährigen zu Elisabeth S*** dem Wohl des Kindes dient und nach § 176 ABGB zulässig ist, stellt keine offenbare Gesetzwidrigkeit dar. Eine solche liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz selbst so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und dennoch eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (SZ 46/98; EFSlg. 39.806; 37.388 uva); dem wird der Fall gleichgehalten, daß eine Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechtes im Widerspruch steht (SZ 23/289; JBl. 1972, 327; EFSlg. 39.807 uva), etwa deshalb, weil das im § 178 a ABGB umschriebene Kindeswohl nicht beachtet wurde (EFSlg. 37.392; 32.617 uva). Nun ist es zwar richtig, daß ein Besuchsrecht im Sinne des § 148 ABGB nur den leiblichen Eltern und Großeltern gewährt wird und daß dessen Erweiterung auf andere Personen offensichtlich nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag (RZ 1977/62; 3 Ob 607/83; 2 Ob 578/85); wenn aber in einem Fall wie diesem sich weder Vater noch Mutter noch auch die hiefür zu alte Großmutter um den Minderjährigen persönlich kümmern oder kümmern können und dieser Gefahr läuft, im Heim, in welchem er untergebracht ist, gänzlich den Kontakt mit der Außenwelt zu verlieren, kann es im Sinne des § 176 ABGB angebracht und im Interesse des Minderjährigen sogar geboten sein, dem durch wirksame Maßnahmen zu begegnen. § 176 Abs. 1 ABGB sieht vor, daß das Gericht die zur Sicherung des Wohls des Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährden. Diese Bestimmung räumt dem Gericht umfassende Möglichkeiten ein; es hat alle nötigen, dem Kindeswohl entsprechenden Maßnahmen innerhalb der rechtlichen Grenzen unter Beachtung der Rechte der Eltern und Dritter zu treffen (Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 176; 1 Ob 595/85 ua). Wenn daher die Vorinstanzen im Sinne dieser Gesetzesstelle Elisabeth S*** die Berechtigung einräumten, den über 15 Jahre alten Minderjährigen auf seinen ausdrücklichen Wunsch einmal im Monat und in der Ferienzeit für einen längeren Zeitraum in ihrer Familie aufzunehmen, wird damit nicht in die den Eltern grundsätzlich zustehenden Rechte auf persönlichen Kontakt mit dem Kind eingegriffen, sondern bloß ein solcher Kontakt mit anderen Menschen deshalb ermöglicht, weil er von den Eltern selbst nicht ernstlich angestrebt wird.
Dies haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt, weshalb der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen war.
Anmerkung
E11732European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00623.87.0825.000Dokumentnummer
JJT_19870825_OGH0002_0020OB00623_8700000_000