Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Maier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei LSH-F***
Baugesellschaft m.b.H., Salzburger Straße 321, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Rudolf Schuh, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1) Franz Peter Schmid, Kraftfahrer, Bauerstraße 16/1, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Manfred Meyndt und Dr. Dominikus Schweiger, Rechtsanwälte in Linz, und 2) R*** Ö***
(Ö*** B***), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen S 350.000,-- s. A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7.Oktober 1986, GZ 4 R 108/86-22, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23.Jänner 1986, GZ 2 Cg 463/84-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Aus Anlaß der Revision des Erstbeklagten werden die Urteile der Vorinstanzen insoweit, als die Klagsforderung gegenüber dem Erstbeklagten mit einem Betrag von S 1.000,-- als zu Recht bestehend erkannt und der Erstbeklagte zur Zahlung eines Betrages von S 1.000,-- an die klagende Partei verurteilt wurde, als nichtig aufgehoben. In diesem Umfang wird das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren zurückgewiesen.
Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Im übrigen wird beiden Revisionen teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
1) Die Klagsforderung besteht mit S 174.000,-- (gegenüber dem Erstbeklagten) bzw. mit S 175.000,-- (gegenüber der Zweitbeklagten) zu Recht und mit S 175.000,-- nicht zu Recht.
2) Die eingewendete Gegenforderung der Zweitbeklagten besteht bis zur Höhe der als berechtigt erkannten Klagsforderung zu Recht.
3) Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von
S 349.000,-- zu bezahlen, die Zweitbeklagte sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 1.000,-- zu bezahlen und die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 12 % Zinsen aus S 350.000,-- seit 2.7.1983 zu bezahlen, wird daher abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, an Kosten des Verfahrens in erster Instanz dem Erstbeklagten den Betrag von S 61.786,33,-- (darin Barauslagen von S 810,-- und Umsatzsteuer von S 554,33) und der Zweitbeklagten den Betrag von S 60.990,-- (darin Barauslagen von S 5.802,--, keine Umsatzsteuer), an Kosten des Berufungsverfahrens dem Erstbeklagten den Betrag von S 21.126,20 (darin Barauslagen von S 1.280,-- und Umsatzsteuer von S 1.804,20) und der Zweitbeklagten den Betrag von S 21.049,-- (darin keine Umsatzsteuer und keine Barauslagen) sowie an Kosten des Revisionsverfahrens dem Erstbeklagten den Betrag von S 11.901,45 (darin Umsatzsteuer von S 1.081,95, keine Barauslagen) und der Zweitbeklagten den Betrag von S 10.819,50 (darin keine Umsatzsteuer und keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 1.7.1983 ereignete sich gegen 12.30 Uhr auf der Rohrbacher Bundesstraße im Ortsgebiet von Puchenau bei Km 3,95 ein Verkehrsunfall, an dem Johann H*** als Lenker eines LKW-Zuges der Klägerin, bestehend aus dem Zugwagen mit dem Kennzeichen L 17.436 und dem Anhänger (Tieflader) mit dem Kennzeichen L 37.294, und der Erstbeklagte als Lenker des Omnibusses mit dem Kennzeichen BB 5.247 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Halter des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Der in Richtung Linz fahrende LKW-Zug der Klägerin kollidierte mit dem Omnibus der Zweitbeklagten, als dieser aus einer Haltestellenbucht herausfuhr. Dabei wurden diese beiden Fahrzeuge und ein weiterer Omnibus der Zweitbeklagten mit dem Kennzeichen BB 4.783 beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde gegen die beteiligten Lenker zu 23 E Vr 297/84 des LG Linz ein Strafverfahren eingeleitet. Gegen H*** wurde es gemäß § 90 StPO eingestellt. Der Erstbeklagte wurde mit Urteil vom 10.12.1984 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Es wurde ihm zur Last gelegt, daß er, ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, aus der Haltestelle ausfuhr und dabei auch den linken Fahrstreifen der in Richtung Linz führenden Fahrbahnhälfte benützte. Mit diesem Strafurteil wurde der Klägerin als Privatbeteiligter gemäß § 369 Abs 1 StPO ein Schadenersatzbetrag von S 1.000,-- zuerkannt. Ein vom Erstbeklagten gegen dieses Strafurteil erhobenes Rechtsmittel blieb erfolglos. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 350.000,-- s.A. (Reparatur- und Ausfallkosten). Der Höhe nach ist das Klagebegehren nicht strittig. Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe, weil er mit dem Omnibus der Zweitbeklagten, ohne auf den herankommenden LKW-Zug der Klägerin zu achten, aus der Haltestellenbucht herausgefahren sei und dabei auch noch den linken Teil der Fahrbahn befahren habe. Dem Lenker des LKW-Zuges sei es nicht mehr möglich gewesen, eine Kollision zu vermeiden.
Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe den Lenker des LKW-Zuges der Klägerin, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Er habe auf die Betätigung des linken Blinkers durch den Erstbeklagten verspätet reagiert und gegen die Vorschrift des § 26 a Abs 2 StVO verstoßen. Schließlich wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung der Zweitbeklagten aus diesem Verkehrsunfall in der Höhe von S 1,200.000,-- aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Der Höhe nach ist auch diese eingewendete Schadenersatzforderung der Zweitbeklagten nicht mehr strittig.
Das Erstgericht entschied, daß die Klagsforderung mit S 350.000,-- zu Recht und die eingewendete Gegenforderung der Zweitbeklagten bis zu dieser Höhe nicht zu Recht besteht. Es gab daher dem Klagebegehren statt.
Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Rohrbacher Bundesstraße hat im Ortsgebiet von Puchenau zunächst 2 Fahrspuren in Richtung Linz und teilt sich in einer Entfernung von etwa 170 m zur Ampelkreuzung II auf mehrere Fahrspuren auf. Im Kreuzungsbereich bzw. unmittelbar davor existieren dann 4 Fahrspuren in Fahrtrichtung Linz, wobei die beiden mittleren Fahrspuren in den geradeausführenden Teil führen, die linke in den Linksabbiegepfeil und die rechte in den Rechtsabbiegepfeil. Die Fahrspuren sind 3,5 m breit, wobei etwa 200 m vor der Kreuzung ein Fahrbahnteiler beginnt, der die Gegenrichtung vor der Betrachtungsrichtung abteilt. Nach der Kreuzung sind dann wieder nur 2 Fahrspuren in Richtung Linz vorhanden, die, wie bereits vor der Kreuzung, durch Leitlinienmarkierung voneinander getrennt sind. Die beiden Spuren weisen eine Breite von jeweils 3,4 m auf, wobei links- und rechtsseitig eine Randlinienmarkierung vorhanden ist. Die linksseitige Randlinie ist durchgehend, hat eine Breite von 0,15 m und einen Abstand vom Fahrbahnteiler von 0,4 m. Die rechtsseitige Randlinienmarkierung ist unterbrochen und teilt von der Fahrbahn die niveaugleiche Haltestellenbucht ab. Diese weist eine Länge von ca. 60 m auf, wobei sie sich etwa 5 m nach Beginn des Fluchtlinienschnittpunktes rechtsseitig leicht öffnet. Es befindet sich dann 1 m nach dem Fluchtlinienschnittpunkt rechtsseitig auf dem Gehsteig ein Haltestellenhüttchen mit einer Länge von etwa 11 m. 52 m nach dem Fluchtlinienschnittpunkt ist das Ende des gerade parallel verlaufenden Gehsteiges; dieser beginnt 18 m nach dem Fluchtlinienschnittpunkt. Zwischen diesen 18 m und den vorhin genannten 5 m öffnet sich die Haltestelle leicht schräg nach rechts. 52 m nach dem Fluchtlinienschnittpunkt beginnt dann die schräg zulaufende Kante der Haltestellenbucht in Richtung Fahrbahn. Die maximale Tiefe der Haltestellenbucht im Bereich des parallel verlaufenden Gehsteiges beträgt 3,5 m. Im Unfallsbereich besteht eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h. Die Sicht auf die Haltestelle einschließlich in derselben befindlichen Busse und der Haltestellenhütte ist mindestens aus 170 m möglich. Aus einer Entfernung von ca. 190 m sieht man gerade den Beginn der Haltestellenbucht.
Der Erstbeklagte hatte den Linienbus der ÖBB mit dem Kennzeichen BB 5.247 im Ortsgebiet von Puchenau auf der Rohrbacher Bundesstraße aus Richtung Ottensheim kommend in Richtung Linz gelenkt. Er hielt sodann diesen 12 m langen und 2,5 m breiten Bus mit seiner vorderen Stoßstange etwa 30 m vom Ende der Haltestellenbucht entfernt an, um eine Person aussteigen zu lassen. Vor ihm stand der von Franz F*** gelenkte ÖBB-Bus mit dem Kennzeichen BB 4.783 in der Haltestellenbucht. Nachdem der Erstbeklagte ca. 8 Sekunden stehen geblieben war, schloß er die Türen, betätigte den Blinker und drehte am Volant nach links. Diese Tätigkeiten nahmen einen Zeitraum von etwa 2 Sekunden in Anspruch. Inzwischen näherte sich der von Johann H*** gelenkte LKW-Zug der Klägerin mit dem Tieflader, auf dem sich eine Schubraupe befand, mit einer Geschwindigkeit von 57 bis 60 km/h der der Haltestellenbucht vorgelagerten Kreuzung. Der Erstbeklagte lenkte den Autobus auf die Fahrbahn der Bundesstraße, als der Tiefenabstand zwischen diesem Fahrzeug und dem LKW-Zug der Klägerin ca. 68 m betrug. In diesem Moment war der LKW-Zug noch etwa 100 m von der späteren Kollisionsstelle entfernt und bereits im Sichtbereich des Erstbeklagten. Hätte H*** in diesem Augenblick auf das erkennbare Losfahren des Autobusses reagiert, dann wäre er nach einer Reaktionszeit von einer Sekunde in der Lage gewesen, die Geschwindigkeit des LKW-Zuges der des voranfahrenden Autobusses so anzupassen, daß dabei noch ein Tiefenabstand von mehr als 10 m zwischen den beiden Fahrzeugen verblieben wäre.
In der Folge kam der Erstbeklagte mit der linken vorderen Ecke des Busses mindestens 1 m linksseitig der die beiden Fahrstreifen trennenden Leitlinie. Der Fahrer des LKW-Zuges erkannte das Überschreiten der Leitlinie, als sich sein Fahrzeug noch 25 m hinter dem Autobus in einer Entfernung von ca. 40 m zur späteren Kollisionsstelle befand. Nach einer Reaktionszeit von nicht mehr als 0,5 Sekunden legte der LKW-Zug in abgebremstem Zustand noch eine Strecke zwischen 33 und 35 m zurück. Diese Vollbremsung führte zum Blockieren der Räder des LKW-Zuges, zu einer Schleuderbewegung und zu einem Klappmessereffekt auf Grund der vorhandenen Gewichtsverhältnisse des Zugfahrzeuges und des wesentlich schwereren Anhängers. Die linke vordere Ecke vom Fahrerhaus des LKW stieß gegen die linke hintere Ecke des vom Erstbeklagten gelenkten Autobusses; der LKW-Zug befand sich also schon in einer abgeknickten Stellung, als der Anstoß erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war der vom Erstbeklagten gelenkte Bus auf gleicher Höhe mit dem von Franz F*** gelenkten, der noch in der Haltestellenbucht stand. Durch die Kollision zwischen LKW und Autobus wurden die beiden Autobusse gegeneinander gedrückt. Da die Berührung zwischen dem LKW und dem vom Erstbeklagten gelenkten Bus nur im linken hinteren Teil des letzteren erfolgte, kam das Zugfahrzeug vom Bus frei, drehte sich - nun durch den Anstoß etwas abgebremst - weiter im Uhrzeigersinn und stieß gegen die linke Seitenwand des in der Haltestelle befindlichen Busses.
Technische Mängel am Anhänger bzw. am LKW-Zugfahrzeug, insbesondere an deren Bremsanlagen, lagen nicht vor. Wenn der Erstbeklagte mit seinem Fahrzeug lediglich den rechten Fahrstreifen in Anspruch genommen hätte, wäre ein Vorbeifahren des LKW-Zuges an dem Autobus auf dem linken Fahrstreifen ohne weiteres möglich gewesen. Für den Erstbeklagten hätte die Möglichkeit bestanden, lediglich unter Benützung des rechten Fahrstreifens aus der Haltestelle herauszufahren.
Der LKW-Zug befand sich im Zeitpunkt der Bremseinleitung auf dem linken Fahrstreifen; ob er von vornherein am linken Fahrstreifen fuhr oder H*** wegen des Erkennens des losfahrenden Autobusses auf den linken Fahrstreifen wechselte, konnte nicht festgestellt werden. Auch bei einer Geschwindigkeit von etwa 45 km/h hätte eine Vollbremsung des LKW-Zuges ein Abknicken hervorgerufen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß das Verschulden des Erstbeklagten schon durch seine strafgerichtliche Verurteilung feststehe. Ihm sei vorzuwerfen, daß er beim Hinausfahren aus der Haltestelle auch den linken Fahrstreifen benützt habe.
§ 26 a Abs 2 StVO beziehe sich nur auf den der Haltestellenbucht zunächst gelegenen Fahrstreifen. Der Erstbeklagte habe auch gegen
§ 11 Abs 1 StVO verstoßen. Dagegen habe H*** die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung nicht überschritten. Er habe nicht von vornherein damit rechnen müssen, daß der Erstbeklagte den objektiv nicht notwendigen Fahrstreifenwechsel vornehmen werde (§ 3 StVO). Er sei erst zu einer entsprechenden Abwehrhandlung verpflichtet gewesen, als für ihn das verkehrswidrige Verhalten des Erstbeklagten erkennbar geworden sei. Diese Abwehrhandlung habe er nicht verzögert. Den gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufungen der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.
Das Berufungsgericht stellte nach Beweisergänzung zusätzlich fest, daß es zur Unfallszeit nieselte; die Fahrbahn der Bundesstraße war naß. Der LKW und der Tieflader der Klägerin hatten je eine Breite von 2,5 m. Der Erstbeklagte betätigte vor dem Hinausfahren auf die Bundesstraße den linken Blinker.
Im übrigen übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich.
Rechtlich führte es im wesentlichen aus, daß das Verschulden des Erstbeklagten auf Grund seiner strafgerichtlichen Verurteilung feststehe. Es liege darin, daß er, ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, aus der Haltestelle herausgefahren sei und dabei auch den linken Fahrstreifen der in Richtung Linz führenden Fahrbahnhälfte benützt habe, wobei er mit der linken Vorderecke des Autobusses mindestens 1 m nach links über die die beiden Fahrstreifen trennende Leitlinie gekommen sei und ihm ein Hinausfahren lediglich unter Benützung des rechten Fahrstreifens möglich gewesen wäre.
Hingegen treffe den Lenker des LKW-Zuges der Klägerin kein Verschulden.
Bei der Vorschrift des § 26 a Abs 2 StVO handle es sich um keine Vorrangbestimmung. Der Autobus der Zweitbeklagten habe daher keinen Vorrang gehabt; der Lenker des LKW-Zuges habe nicht gegen eine Vorrangbestimmung verstoßen. Es könne ihm auch kein Verstoß gegen § 26 a Abs 2 StVO vorgeworfen werden, da dem Autobus die ungehinderte Abfahrt von der Haltestelle ermöglicht worden sei. Der Erstbeklagte hätte zum Abfahren nur den rechten Fahrstreifen benötigt; wenn er am rechten Fahrstreifen verblieben wäre, wäre er vom LKW-Zug in keiner Weise behindert worden.
Dem Lenker des LKW-Zuges könne auch keine überhöhte Geschwindigkeit vorgeworfen werden. Für den Unfallsbereich sei eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h angeordnet gewesen. Nach § 58 Abs 1 Z 2 lit e KDV betrage die höchste zulässige Fahrgeschwindigkeit für den LKW-Zug der Klägerin 60 km/h; sie sei nicht überschritten worden. Auch gegen § 20 Abs 1 StVO habe der Lenker des LKW-Zuges der Klägerin nicht verstoßen. Bloß abstrakt mögliche Gefahrenquellen brauchten bei der Wahl der Geschwindigkeit nicht in Rechnung gestellt zu werden. Der Lenker des LKW-Zuges habe zwar mit dem Abfahren des Autobusses aus der Haltestelle rechnen und ihm auch die ungehinderte Abfahrt ermöglichen müssen; er habe aber nach § 3 StVO solange auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Erstbeklagten vertrauen dürfen, als er dessen Verhalten nicht als zweideutig oder unklar erkennen habe können oder müssen. Der Vertrauensgrundsatz finde erst mit augenfälliger Erkennbarkeit des rechtswidrigen Verhaltens des anderen Verkehrsteilnehmers sein Ende. H*** habe sich im Zeitpunkt des Bremsmanövers mit dem LKW-Zug am linken Fahrstreifen befunden. Wenn er ursprünglich am rechten Fahrstreifen gefahren wäre - was nicht erwiesen sei - , hätte er auf das Herausfahren des Autobusses ausreichend durch ein Verlenken auf den linken Fahrstreifen reagiert. Er habe darauf vertrauen können, daß der Erstbeklagte nur unter Benützung des rechten Fahrstreifens auf die Bundesstraße herausfahren werde. Erst als für ihn erkennbar geworden sei, daß der Autobus über die Fahrbahnmitte gelenkt werde, habe er auch durch ein Bremsmanöver reagieren müssen. Eine unklare Verkehrssituation, auf die der Lenker des LKW-Zuges früher reagieren hätte müssen, sei nicht vorgelegen. Es könne ihm jedenfalls keine verspätete Reaktion vorgeworfen werden.
Von einem Kraftfahrzeuglenker müsse zwar erwartet werden, daß er mit den Regeln der Fahrtechnik und den besonderen Fahreigenschaften seines Fahrzeuges vertraut sei, die mit dem Fahren und Bremsen auf glatter Fahrbahn verbundenen Gefahren kenne und sein Verhalten danach einrichte. Auch daraus ergebe sich noch keine zu hohe Fahrgeschwindigkeit H***. Er sei zwar auf der nassen Straße mit etwa 57 bis 60 km/h gefahren, die Vollbremsung habe zum Blockieren der Räder und zu einer Schleuderbewegung des LKW-Zuges geführt und auch bei einer Geschwindigkeit von etwa 45 km/h hätte eine Vollbremsung ein Abknicken des LKW-Zuges hervorgerufen, doch sei eine unrichtige Abwehrmaßnahme, wenn sie unter dem Eindruck einer plötzlichen auftretenden Gefahr getroffen worden sei, zu vernachlässigen. Bei der festgestellten Situation könne H*** nicht vorgeworfen werden, daß er unter dem Eindruck der plötzlichen Gefahr eine Vollbremsung eingeleitet habe, anstatt nur so dosiert zu bremsen, daß der LKW-Zug nicht ins Schleudern gekommen wäre. Aus dem Schleudervorgang infolge des Bremsmanövers könne keine zu hohe Geschwindigkeit abgeleitet werden. Es könne daher nicht gesagt werden, daß dem Lenker des LKW-Zuges der Vertrauensgrundsatz nicht zugute gekommen wäre, weil er sich selbst nicht verkehrsgerecht verhalten hätte.
Dem gegenüber sei dem Erstbeklagten ein Verstoß gegen § 11 Abs 1 StVO vorzuwerfen. Die Bundesstraße habe in seiner Fahrtrichtung zwei Fahrstreifen aufgewiesen; beim Ausfahren von der Haltestelle habe der Erstbeklagte den rechten Fahrstreifen überfahren und sei mindestens 1 m in den linken Fahrstreifen hineingekommen. Dies bedeute einen Fahrstreifenwechsel, den er nur vornehmen hätte dürfen, wenn er sich überzeugt hätte, daß er ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei. Diese Beobachtung habe aber der Erstbeklagte nicht gemacht. Bei dem schwerwiegenden Verschulden des Erstbeklagten bestehe kein Anlaß, die Klägerin zum Schadensausgleich im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG heranzuziehen. Die Beklagten hätten daher der Klägerin ihren der Höhe nach unbestrittenen Schaden zur Gänze zu ersetzen, während die Zweitbeklagte ihren Schaden selbst tragen müsse.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß die Klagsforderung nur mit S 87.500,-- und die eingewendete Gegenforderung der Zweitbeklagten bis zu dieser Höhe als zu Recht bestehend erkannt und daher das Klagebegehren abgewiesen werde; die Zweitbeklagte stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, den Revisionen der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen sind im Hinblick auf die Höhe des Streitwertes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig.
Aus Anlaß der Revision des Erstbeklagten war zunächst eine (im Rechtsmittel nicht geltend gemachte) den Vorinstanzen unterlaufene Nichtigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Die Vorinstanzen haben nämlich nicht berücksichtigt, daß der Erstbeklagte im Adhäsionsverfahren zur Zahlung eines Betrages von S 1.000,-- aus dem Titel des Schadenersatzes an die Klägerin verurteilt wurde. Dieser Entscheidung des Strafgerichtes kommt Rechtskraftwirkung zu (SZ 24/281 ua.), die im Sinne des § 411 Abs 2 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen ist (SZ 30/48 ua.). Diese gegen den Erstbeklagten im Adhäsionsverfahren ergangene Entscheidung begründet das Prozeßhindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache (8 Ob 47/86 ua.), sodaß im Umfang dieser Entscheidung die gegen den Erstbeklagten ergangenen Urteile der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben werden mußten und das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren zurückzuweisen war.
Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens waren im Sinne des § 51 Abs 2 ZPO gegenseitig aufzuheben.
Im übrigen kann den Revisionen der beiden Beklagten teilweise Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Das Fahrmanöver des Erstbeklagten ist entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht unter dem Gesichtspunkt eines Fahrstreifenwechsels im Sinne des § 11 Abs 1 StVO zu beurteilen - er befuhr die Fahrbahn der Rohrbacher Bundesstraße nicht in der Längsrichtung - , sondern unter dem Gesichtspunkt der für das Abfahren von Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs von gekennzeichneten Haltestellen im Ortsgebiet geltenden Spezialvorschrift des § 26 a Abs 2 StVO. Es handelt sich hier um keine Vorrangregelung im Sinne des § 19 StVO, wohl aber um eine Vorschrift, die sowohl dem abfahrenden Omnibuslenker als auch den Lenkern nachkommender Fahrzeuge bestimmte Pflichten auferlegt. Der Zweck dieser Gesetzesbestimmung liegt, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, in der Erleichterung des öffentlichen Kraftfahrlinienverkehrs (RV 23 BlgNR 14.GP 25); allerdings soll der Omnibuslenker diese Erleichterung nicht verkehrsgefährdend durchsetzen können (AB 294 BlgNR 14.GP 3).
Die Vorschrift des § 26 a Abs 2 StVO verpflichtet einerseits den Omnibuslenker, die Absicht zum Abfahren erst anzuzeigen, wenn das Fahrzeug tatsächlich abfahrbereit ist, und beim Abfahren andere Straßenbenützer nicht zu gefährden; die Lenker nachkommender Fahrzeuge werden durch diese Vorschrift verpflichtet, ihre Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und erforderlichenfalls anzuhalten, sobald der Omnibuslenker mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren. Daß der Erstbeklagte entgegen dieser Vorschrift sein Abfahrmanöver in verkehrsgefährdender Weise durchführte, steht auf Grund seiner strafgerichtlichen Verurteilung bindend fest (§ 268 ZPO); darin liegt sein Verschulden.
Aber auch der Lenker des LKW-Zuges der Klägerin hat entgegen der Rechtsmeinung der Vorinstanzen gegen die ihm im § 26 a Abs 2 StVO auferlegten Pflichten schuldhaft verstoßen.
Eine Einschränkung der in dieser Gesetzesstelle den Lenkern nachkommender Fahrzeuge auferlegten Pflichten auf solche, die beim Vorhandensein von zwei Fahrstreifen in ihrer Fahrtrichtung den rechten Fahrstreifen benützen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, daß Omnibusse des Kraftfahrlinienverkehrs - trotz der auch ihre Lenker im Sinne des § 7 Abs 1 StVO treffenden Verpflichtung, so weit rechts zu fahren, wie ihnen dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und ohne Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist - oft schon infolge ihrer Länge gar nicht die Möglichkeit haben, aus einer Haltestellenbucht in den rechten Fahrstreifen ohne dessen Überschreiten nach links einzufahren und daß diese Möglichkeit vor allem für den nachkommenden Fahrzeuglenker nicht abschätzbar ist. Es sind auch Fälle möglich, in denen solche Fahrzeuge im Zuge des Abfahrens von einer Haltestelle direkt auf den linken Fahrstreifen gelenkt werden müssen, etwa dann, wenn sich auf dem rechten Fahrstreifen Hindernisse befinden oder der Omnibus unmittelbar im Zuge seiner Abfahrt zum Linksabbiegen eingeordnet werden muß. Der an die Lenker nachkommender Fahrzeuge im § 26 a Abs 2 StVO gerichtete Gesetzesbefehl, ihre Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und erforderlichenfalls anzuhalten, sobald der Omnibuslenker mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren, kann daher weder nach dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle noch nach ihrem Zweck auf die auf dem rechten Fahrstreifen nachkommenden Fahrzeuglenker beschränkt werden; er richtet sich in gleicher Weise auch an die Lenker der auf dem links anschließenden zweiten Fahrstreifen in der gleichen Fahrtrichtung nachkommender Fahrzeuge. Der Lenker des LKW-Zuges der Klägerin konnte daher seinen aus § 26 a Abs 2 StVO abzuleitenden Pflichten nicht dadurch nachkommen, daß er bei Wahrnehmung des Abfahrmanövers des Erstbeklagten allenfalls auf den zweiten (linken) Fahrstreifen in seiner Fahrtrichtung wechselte und dort mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhr. Er war vielmehr gehalten, schon in dem Zeitpunkt, in dem der Erstbeklagte mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigte, von der Haltestelle abzufahren, die Geschwindigkeit des von ihm gelenkten LKW-Zuges soweit herabzusetzen, daß dem Erstbeklagten das ungehinderte Abfahren von der Haltestelle in der Weise, wie er es tatsächlich ausführte, ermöglicht wurde. Dazu wäre der Lenker des LKW-Zuges der Klägerin nach den Feststellungen der Vorinstanzen ohne weiteres in der Lage gewesen. Er durfte sich aber entgegen der Rechtsmeinung der Vorinstanzen keinesfalls bis zur Wahrnehmung des Gegenteils darauf verlassen, daß der Erstbeklagte beim Abfahren von der Haltestelle nur den rechten Fahrstreifen befahren werde. Sein Verschulden liegt nicht darin, daß er bei Erkennen des Eindringens des Omnibusses in den linken Fahrstreifen eine Notbremsung einleitete, die zum Schleudern und Abknicken des LKW-Zuges führte - daß in diesem Zeitpunkt überhaupt noch irgendeine Möglichkeit bestanden hätte, den Unfall zu vermeiden, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht - , sondern darin, daß er als der Erstbeklagte mit dem Fahrtrichtungsanzeiger seine Absicht anzeigte, von der Haltestelle abzufahren, nicht im Sinne des § 26 a Abs 2 StVO die Fahrgeschwindigkeit des LKW-Zuges so verminderte, daß dem Erstbeklagten das ungehinderte Abfahren von der Haltestelle ermöglicht wurde, sondern stattdessen seine Fahrt auf dem linken Fahrstreifen mit unverminderter Geschwindigkeit fortsetzte. Unter den gegebenen Umständen kann nicht gesagt werden, daß das Gewicht des Fehlverhaltens eines der beiden beteiligten Lenker das des anderen bedeutend überwiegt. Es erscheint daher eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt. Dies führt dazu, daß in teilweiser Stattgebung der Revision der Beklagten wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden ist. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E11857European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00026.87.0827.000Dokumentnummer
JJT_19870827_OGH0002_0080OB00026_8700000_000