Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heidemarie W***, Schriftenmalerin, Landsberger Straße 425, D-8000 München 60, vertreten durch Dr. Ernst F. Mayr, Dr. Christoph Rittler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Friedrich O***, Kaufmann, Sportplatz 6, 6200 Jenbach, vertreten durch Dr. Gerhard Dorer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Kündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16.Mai 1986, GZ 3 a R 268/86-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz vom 4.Februar 1986, GZ C 404/85-8, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin kündigte dem Beklagten das ihm im Jahre 1976 vermietete Einfamilienhaus in Jenbach, Sportplatz 6, wegen dringenden Eigenbedarfes gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG am 8.5.1985 mit der Begründung auf, sie befinde sich zufolge des Scheiterns ihrer Ehe und der Unmöglichkeit, mittels der von ihr bezogenen Arbeitslosenunterstützung die bisherige teure Wohnung in München behalten zu können, in einer Notlage, sodaß sie unbedingt auf die Wohnungnahme in ihrem Einfamilienhaus angewiesen sei. Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Kündigung und die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe ihren Lebensmittelpunkt weiterhin in München und sei für ihre Wohnung dort immer selbst aufgekommen. Der Kündigungsgrund hätte unverzüglich geltend gemacht werden müssen. Für die Klägerin würde erst durch eine Übersiedlung nach Tirol ein Notstand eintreten. Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin den Mietgegenstand binnen 14 Tagen geräumt zu übergeben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von S 60.000,--, nicht aber jenen von S 300.000,-- übersteige, und daß die Revision zulässig sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt der Beklagte eine auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Aufhebung der Kündigung und Abweisung des Kündigungsbegehrens.
In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unzulässig, weil entgegen der berufungsgerichtlichen Ansicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht vorliegen.
Nach den erstgerichtlichen, vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Feststellungen hat der Beklagte von der Klägerin mit schriftlichem Mietvertrag vom 3.5.1976 die Liegenschaft EZ 423 KG Jenbach mit dem im Jahre 1956 ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel erbauten Einfamilienhaus Jenbach Sportplatz Nr. 6 gegen einen wertgesicherten monatlichen Mietzins von S 4.000,-- auf unbestimmte Zeit samt Möbel und Inventar gemietet, wobei hinsichtlich einer Kündigung auf die gesetzlichen Bestimmungen verwiesen wurde. Nachdem die Klägerin gegen den Beklagten mehrfache Rechtsstreitigkeiten wegen Nichtbezahlung von Mietzins und Betriebskosten, Beschädigung des Bestandobjektes, Ungültigkeit des Mietvertrages usw. anhängig gemacht hatte, führte sie zuletzt zu C 235/85 des Erstgerichtes gegen den Beklagten einen Kündigungsprozeß wegen Nichtzahlung von Mietzinsbeträgen und Betriebskosten sowie nachteiligen Gebrauchs des Bestandgegenstandes, welches Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin sind nunmehr sehr ungünstig. Sie lebt als österreichische Staatsbürgerin in München, ist arbeitslos und bezieht ein wöchentliches Arbeitslosenentgelt von 217,20 DM. Bis zum September 1985 zahlte ihr Ehemann, von welchem sie getrennt lebt und keinen Unterhalt bezieht, die Kosten der Wohnung in München von monatlich DM 1.128,60. Die Scheidung der Ehe ist beabsichtigt. Die Klägerin ist auf Grund ihrer äußerst ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die für sie unerschwinglich gewordene Wohnung zu halten und weiterhin in München zu leben. Um die Miete zahlen zu können, mußte sie zuletzt bereits ein Darlehen aufnehmen. Sie will daher nach Österreich zurückkehren und in ihrem Haus wohnen, wobei sie auch hofft, in Österreich leichter eine Arbeit zu finden als in Deutschland, wo ihr bei der Arbeitssuche Inländer vorgezogen werden, sodaß es äußerst schwierig ist, einen Arbeitsplatz zu erlangen. Die Klägerin ist aus diesen Gründen genötigt, nach Österreich zurückzukehren und auf die an den Beklagten vermietete Wohnung dringend angewiesen.
In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf die vorliegendenfalls gemäß § 43 MRG anzuwendende Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 8 MRG, wonach der Vermieter aus dem Grunde des Eigenbedarfs das Bestandverhältnis aufkündigen kann, wenn er die vermieteten Wohnräume dringend für sich selbst benötigt, wobei hier im Hinblick auf die Vermietung eines Einfamilienhauses keine Interessenabwägung anzustellen sei. Da die Klägerin in Deutschland auf Grund ihrer Arbeitslosigkeit und ihrer gescheiterten Ehe vor dem finanziellen Ruin stehe, sei sie zur Rückkehr nach Österreich gezwungen, wo ihr aber keine sonstige Wohnung als das gekündigte Mietobjekt zur Verfügung stehe, sodaß sie dieses dringend benötige. Das Berufungsgericht verwies hinsichtlich verschiedenen Neuvorbringens auf das im Berufungsverfahren geltende Neuerungsverbot und hielt die geltend gemachten Berufungsgründe im übrigen nicht für gegeben. Zur Rechtsrüge führte es aus, auf der erstgerichtlichen Feststellungsgrundlage könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin die gegenständliche Aufkündigung aus dem Grunde eingebracht habe, den Beklagten "aus dem Hause zu entfernen". Gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG liege ein wichtiger Kündigungsgrund vor, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötige und ihm oder der Person, für die der Mietgegenstand benötigt werde, aus der Aufrechterhaltung des Mietvertrages ein unverhältnismäßig größerer Nachteil erwüchse als dem Mieter aus der Kündigung. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen entfalle, wenn es sich um ein gemietetes Einfamilienhaus oder Teile eines solchen handle. Hinsichtlich der den dringenden Eigenbedarf bestimmenden Kriterien sei die zu § 19 Abs 2 Z 5 MG ergangene Rechtsprechung anzuwenden. Danach liege ein solcher dringender Eigenbedarf vor, wenn das Wohnbedürfnis des Vermieters oder seines begünstigten Verwandten überhaupt nicht oder nur so unzulänglich gedeckt sei, daß eine notstandsartige, unabweisliche Notwendigkeit vorliege, diesen Mangel so bald wie möglich zu beseitigen. Da die Klägerin in Deutschland unmittelbar vor dem Verlust der Ehewohnung stehe, von ihrem Ehemann keinen Unterhalt mehr erhalte und arbeitslos sei, drohe ihr die Obdachlosigkeit, sodaß für sie der vorbeschriebene Notstand vorliege. Entgegen der Ansicht des Beklagten seien die für den Eigenbedarf geltend gemachten Gründe daher keinesfalls vage und in der Zukunft liegend, sondern dieser Eigenbedarf sei konkret gegeben. Der Notstand könne nur durch die vorgenommene Kündigung beseitigt werden. Im Hinblick darauf, daß der Ehemann der Klägerin den Mietzins für die Ehewohnung noch bis zum Ende September 1985 bezahlt habe, die gegenständliche Kündigung aber bereits im Mai 1985 eingebracht worden sei, liege entgegen der Auffassung des Beklagten auch keine verspätete Geltendmachung des Kündigungsgrundes vor. In der Revision wird auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach künftige Ereignisse einen Kündigungsgrund nur rechtfertigten, wenn sie mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien, sodaß vage, erst in der Zukunft liegende Möglichkeiten nicht berücksichtigt werden könnten. Davon ausgehend vertrete der Revisionswerber weiterhin den Standpunkt, die "von der Klägerin angeführten Absichten" stellten nur vage, erst in Zukunft liegende Möglichkeiten, aber keine konkreten Pläne dar. Die Klägerin sei schon über ein Jahr arbeitslos und habe nicht nachweisen können, daß sie "eine feste Arbeitsstelle in Österreich erhält". Trotz des schon im Jahre 1984 eingetretenen Scheiterns ihrer Ehe sei sie seither ohne Unterhalt weiterhin in Deutschland verblieben. Diese Umstände in Zusammenhalt mit den vorangegangenen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien und dem Versuch, das Haus zu verkaufen, ließen den Schluß auf einen Notstand, der die Auflösung des Mietverhältnisses erfordere, nicht zu. Die Klägerin versuche seit dem Jahre 1981 den Beklagten aus dem Hause zu bekommen und wolle nicht einem Notstand abhelfen, sondern das Haus verkaufen. Somit liege der behauptete Kündigungsgrund nicht vor.
Zur Revisionszulässigkeit war folgendes zu erwägen:
Im Sinne der unterinstanzlichen Ausführungen ist der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 8 MRG - abgesehen von den Fällen des Entfalles der Interessenabwägung - mit jenem des § 19 Abs 2 Z 5 MG identisch (siehe EB zur RV 425 Blg. Nr XV.GP, 42 f zu § 28 Z 8; JBL. 1985, 238; 7 Ob 510/85, 7 Ob 598/84 ua). Die von der Judikatur zu dem bereits in der letzteren Gesetzesbestimmung enthaltenen Begriff des dringenden Eigenbedarfes herausgebildeten Rechtssätze haben daher auch für die neue Rechtslage voll Geltung (JBl 1985, 238; 3 Ob 550/85, 7 Ob 724/86, 7 Ob 510/85, 7 Ob 598/84; Würth in Rummel ABGB, Rz 35 und 36 zu § 30 MRG). Danach setzt dringender Eigenbedarf einen Notstand voraus, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand sobald als möglich zu beseitigen. Bei dieser Beurteilung muß allerdings jede Art der Benötigung des Bestandgegenstandes berücksichtigt werden, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergibt, das nur durch Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden kann (MietSlg. 5.154, 12.435, 24.290 ua.). Insoweit wurde z.B. im Falle einer beabsichtigten Übersiedlung wegen eines Arbeitsplatzwechsels wohl gefordert, daß der neue Arbeitsplatz an dem Orte, in welchem der Bestandgegenstand liegt, nicht erst gesucht werden dürfe, sondern dort bereits tatsächlich gefunden worden sein müsse (JBl 1957, 366; 2 Ob 560/78). Eine Rückübersiedlung aus dem Ausland wurde dann nicht berücksichtigt, wenn der Vermieter anläßlich der wegen seines Auslandsaufenthaltes vorgenommenen langjährigen Vermietung seines Hauses seinen künftigen Bedarf bereits vorhersehen konnte (MietSlg. 27.367). Die durch die Übersiedlung der Tochter des Vermieters für sie eintretende Verbesserung der bisherigen Lebensverhältnisse wurde ebenfalls als nicht hinreichend für die Annahme eines dringenden Eigenbedarfes angesehen (2 Ob 560/78). Vorliegendenfalls steht fest, daß die Klägerin die Wohnung in München mangels entsprechenden Einkommens nicht behalten kann. Sie mußte zuletzt zwecks Zahlung des Mietzinses hiefür bereits ein Darlehen aufnehmen.
Für die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO erscheint Voraussetzung, daß das Berufungsgericht in der Beurteilung der Frage des dringenden Eigenbedarfes von der zu § 30 Abs 2 Z 8 MRG bereits vorhandenen Judikatur abgegangen ist. Dies legt das Berufungsgericht selbst nicht zugrunde, sondern es vermeint, hier liege eine Rechtsfrage vor, deren Lösung zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukomme. Dabei wird jedoch übersehen, daß hinsichtlich der für die Beantwortung der entscheidungserheblichen Frage dieses Einzelfalles maßgebenden Rechtsgrundsätze bereits eine hinreichende oberstgerichtliche Rechtsprechung vorhanden ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art muß somit nicht geklärt werden. Auch eine Mitwirkung des Obersten Gerichtshofes an der richtigen Konkretisierung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "dringender Eigenbedarf" im Wege der Fallvergleichung erscheint im Hinblick auf die umfangreiche Rechtsprechung hiezu nicht vonnöten. Demgemäß sind aber die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht gegeben. Da der Oberste Gerichtshof auf Grund der Anordnung des § 508 a Abs 1 ZPO an den Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden ist, war das somit unzulässige Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E11547European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00670.86.0901.000Dokumentnummer
JJT_19870901_OGH0002_0020OB00670_8600000_000