TE OGH 1987/9/2 1Ob24/87

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Veröffentlicht am 02.09.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Kodek und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter N***, Schlosser, Salzburg, Triebenbachstraße 13, vertreten durch Dr. Thomas Langer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 250.944 s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert S 300.944) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 20. Februar 1987, GZ 12 R 8/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 27. Oktober 1986, GZ 1 Cg 117/86-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.787,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1. März 1944 geborene Kläger wurde am 1. Februar 1985 mit der Aufnahmediagnose "paranoid-psychotisches Zustandsbild" über Anordnung des Amtsarztes Hofrat Dr. F*** in die Männerbeobachtung der Landesnervenklinik Salzburg aufgenommen. Am 13. Februar 1985 wurde er im Rahmen des eingeleiteten Anhaltungsverfahrens von den gerichtlichen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie Hofrat Prim. Dr. Ernst W*** und Dr. Rudolf F*** untersucht. In Befund und Gutachten der Sachverständigen wird ausgeführt:

"Er (Kläger) selbst sei von Beruf Schlosser, habe 1981 einen Arbeitsunfall gehabt und wohne in der Triebenbachstraße 13,

4. Stock, Tür 29. Auf die Frage, warum er hier sei, sagt er, er habe einen Waffenpaß beantragt, deshalb habe ihn Hofrat Dr. F*** hierhergeschickt, damit seine Persönlichkeit untersucht werde. Vorher hatte er eine Waffenbesitzkarte, diese habe man ihm entzogen. Er brauche eine Schußwaffe zu seinem Selbstschutz, wenn er auf Reisen sei.

Heute sei der 13.2.1985 (richtig), hier sei die Männer-Beobachtungsstation in der Landesnervenklinik. Als er zu dem Polizeiarzt, Herrn Hofrat Dr. F***, vorgeladen wurde, habe ihn vorher die Kriminalpolizei durchsucht. Auch eine Hausdurchsuchung in seiner Wohnung habe stattgefunden. Auf die Frage, ob er irgendwelche Stimmen höre, sagt er, dies könne er verneinen, allerdings gibt er an, daß er bei gleichwertigen Menschen sofort eine Kommunikation spüre.

Dasselbe sei auch bei Bildern und auch bei einem Kruzifix der Fall. Diese haben für ihn alle eine große Aussagekraft. Er beginnt daraufhin Cicero zu zitieren, der ein Gedicht über die Würde und Freiheit gemacht hat. Er kann es auswendig. Er hat aber nie ein Gymnasium besucht.

Er zeigt kleine Narben an der Innenseite des rechten Unterarmes vor und sagt, dies sei der Einschuß, an der Außenseite des Unterarmes befinde sich der Ausschuß. Es sei auf ihn schon geschossen worden. Auch in der Mönchsberggarage sei er angeschossen worden. Wahrscheinlich stammt das Geschoß aus einem Kugelschreiber oder einem Fotoapparat. Es handelte sich dabei um eine Nähnadel, welche mit der Öse nach vorne in seinem Rücken stecken blieb. Heute ist an der Stelle eine Wucherung aufgetreten. Er möchte sie hier der Kommission zeigen. Wahrscheinlich war sie mit Skorpiongift vergiftet, daher auch die Wucherung.

Auf die Frage, wer hinter allen diesen Anschlägen stehe, sagt er, er wisse das nicht mit Sicherheit, meine aber die RAF. Zum Beispiel habe er Andreas B*** vor seinem letzten Überfall kennen gelernt, er habe ihn gefragt, ob er sich in der Pyrotechnik auskenne. In Schottland habe er einen menschlichen Schädel ohne Gehirnschale unter einem Lammfell entdeckt. In der Nähe eines Sees, wo er dortmals mit seinem Auto war, gab es so viele Mücken, daß er sie mit dem Staubsauger aus dem Auto heraussaugen mußte. Auch der Automotor erlitt einen solchen Schaden durch die Mücken, daß er ihn in Vorarlberg reparieren mußte. Nach Angabe der behandelnden Ärztin habe er auch Herrn Hofrat F*** gedroht, daß er ihn, wenn er herauskäme, erschießen werde. Auf die Frage des Richters sagt er, er möchte so schnell wie möglich hinaus, er sei gesund.

Das Gutachten der Sachverständigen lautete wie folgt: "Herr N*** Walter ist in allen Qualitäten gut orientiert, leidet aber an einer paranoiden Psychose mit optischen Sinnestäuschungen, Beziehungs-, Beachtungs- und Verfolgungsideen. Durch seine Vorliebe zu den Feuerwaffen ist er als gemeingefährlich zu bezeichnen. Bis heute keine Korrektur seiner Wahnvorstellung. Eine weitere Anhaltung ist aus gerichtspsychiatrischer Sicht für 6 Monate gerechtfertigt."

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 25. Februar 1985, 33 L 28/85-4, wurde die weitere Anhaltung des Klägers in der geschlossenen Anstalt bis 13. August 1985 für zulässig erklärt. Das Gericht schloß sich dem Gutachten der vernommenen Sachverständigen unter Bedachtnahme auf die Krankengeschichte und aus eigener Wahrnehmung an und erachtete deshalb die weitere Anhaltung als gerechtfertigt.

Gegen diesen Beschluß erhob der Kläger Rekurs an das Landesgericht Salzburg, in dem er ausführte, er sei seit einem Arbeitsunfall arbeitslos, was nach Prof. Dr. Erwin R*** zwangsläufig zu psychischen Belastungen führe. Trotzdem sei er bisher nicht in psychiatrischer Behandlung gestanden oder gar in einer geschlossenen Anstalt angehalten worden. Seines Erachtens sei er nicht geisteskrank, er beantrage jedoch die Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens, möglichst von Prof. Dr. Erwin R***, insbesondere zum Beweis dafür, daß er nicht gemeingefährlich sei. Nur aus seiner angeblichen Vorliebe für Feuerwaffen auf seine Gemeingefährlichkeit zu schließen, sei absurd. Er sei nicht vorbestraft und auch nicht als gewalttätig bekannt. Eine Feuerwaffe benütze er nur zum Üben und zur Verteidigung in Notwehr. Erst anläßlich seines Antrages auf Ausstellung eines Waffenpasses seien die Behörden auf ihn aufmerksam geworden.

Das Landesgericht Salzburg gab dem Rekurs des Klägers mit Beschluß vom 21. März 1985, 33 R 190/85, nicht Folge. Der Kläger leide an einer paranoiden Psychose mit optischen Sinnestäuschungen bzw. Beobachtungs- und Verfolgungsideen, es sei bisher keine Korrektur seiner Wahnvorstellungen eingetreten. Es liege demnach bei ihm eine Geisteskrankheit vor, weshalb seine Anhaltung zu Recht für zulässig erklärt worden sei. Bedenken und Einwände gegen die vom Erstgericht eingeholten Gutachten habe er nicht geltend gemacht. Solche Bedenken bestünden nach der Aktenlage auch nicht. Wesentlich für die Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit der weiteren Anhaltung in der Anstalt sei nur, ob eine Geisteskrankheit oder Geistesschwäche vorliege oder ob der Angehaltene geistesgesund sei; auf die Frage der Selbst- oder Gemeingefährlichkeit komme es dabei nicht an. Unzulässig sei die Anhaltung gemäß § 22 EntmO nur dann, wenn der Angehaltene geistesgesund sei, nicht aber schon deshalb, weil er zwar krank sei, jedoch der Anstaltspflege nicht bedürfe. Sinn des Anhaltungsverfahrens sei es ausschließlich zu verhindern, daß ein Geistesgesunder gegen seinen Willen in der geschlossenen Anstalt angehalten werde. Sei der Angehaltene geisteskrank, dann obliege es der Verwaltung des Krankenhauses zu beurteilen, ob er anstaltsbedürftig sei.

Im Strafverfahren 27 U 402/85 des Bezirksgerichtes Salzburg erstattete der gerichtliche Sachverständige Univ.Prof. Dr. Werner L*** am 26. März 1985 über den Geisteszustand des Klägers Befund und Gutachten wie folgt:

"Seit November 1981 arbeitet er nicht mehr. Er hatte damals einen Unfall und es ist ein Schiedsgerichtsverfahren wegen dieses Arbeitsunfalles anhängig. Sein Vater war Zollbeamter, ein Bruder von ihm ist bei der Post. Er habe nicht um Pensionierung angesucht, er will ja arbeiten, aber er fand nichts.

Am 27. Oktober 1984 hat er sich die Pistole gekauft. Er hat eine Waffenbesitzkarte gehabt. Die habe er im Vorjahr bezogen. Heuer wurde ihm diese wieder weggenommen und zwar am 22.1.1985. Er habe die Waffe zum Üben gebraucht. Seit seinem Unfall kann er den Zeigefinger der rechten Hand nicht mehr abbiegen. Um den Finger wieder beweglich zu machen, brauche er die Pistole und er habe geübt, teils rechts, teils links zu schießen. Er habe am Schießplatz auf Scheiben geschossen.

Es ist wieder die Funktionsfähigkeit der Hand schlecht, daß er das jetzt nicht mehr machen kann. Er habe den Waffenpaß bei Dr. F*** beantragt, dieser fühlte sich dann angeblich von ihm bedroht. Das ganze kam ihm eigentlich als Komplott vor. Zuerst inserierte man, man soll Waffen kaufen, dann nimmt man sie ihm wieder weg. Überhaupt sind Komplotte gegen ihn, auch in der Tiefgarage wurde er mit Nadeln angeschossen, diese Schußgeräte wurden in Kugelschreiber verborgen gehalten. Das alles gehe zurück auf einen Unfall in den 60er Jahren, er arbeitete damals in einem Silo und man warnte ihn nicht, daß er radioaktive Strahlen abschalten müsse. Er sah erst zu spät das Schild "Vorsicht gefährliche Radioaktivität". Das Schild war in englischer Sprache und durch Schmutz und Staub verdeckt. Da er aber drei Stunden unter der Radioaktivität gearbeitet habe, wurde er krank und er hat immer noch zeitweilig deswegen Schwächegefühl.

Aus dem Akt:

Mit Bescheid vom 17.1.1985 der Bundespolizei wurde Walter Alexander N*** die Waffenbesitzkarte entzogen. Er weigerte sich aber, die Waffe herauszugeben. Er wurde dann wegen unbefugtem Besitz einer Waffe angezeigt. Er drohte die Waffe eher mit einem Schlegel zu zerschlagen, als den Behörden herauszugeben, er werde auch den Staatsbürgerschaftsnachweis zerreißen und nach Afrika auswandern. Er wurde mit amtsärztlicher Parere in die Landesnervenklinik gebracht und äußerte dort paranoide Ideen. 1984 wurde er in der Mönchsberggarage mit einer Nadel angeschossen, an der Einschußstelle sehe man jetzt eine Warze, diese Nadel wurde aus einem Kugelschreiber oder Fotoapparat abgeschossen. Er war aber im übrigen immer koherent. Er äußerte dann auch Ideen über die Energiegewinnung, bezeichnete sich "unmanipulierbar" und er läßt sich nicht durch "Gedankenkraft" beeinflussen.

Gutachten

Der 40-jährige N*** Walter leidet an einer Geisteskrankheit. Wahrscheinlich ist diese Geisteskrankheit mehrere Jahre rückdatierbar, da er seit einem Unfall im Herbst 1981 nicht mehr arbeitet, bzw. offenbar nicht in der Lage war, eine berufliche Wiedereingliederung zu erreichen. Allerdings ist der Beschuldigte sprachlich geordnet und bei einem oberflächlichen Gespräch tritt seine Geisteskrankheit nicht offensichtlich hervor. Er leidet allerdings unter paranoiden Wahnvorstellungen und hat sich unter dem Druck von krankhaften Ideen die Waffe verschafft, er glaubt, daß er eine leichte Bewegungseinschränkung des rechten Zeigefingers damit "heilen" könne, daß er ständig mit der Pistole auf Scheiben schieße usw. Zu seinen aggressiven Äußerungen ist es unter dem Druck seiner Geisteskrankheit gekommen.

Aus psychiatrischer Sicht ist somit kein Zweifel, daß der Beschuldigte infolge einer Geisteskrankheit nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Tat zu begreifen."

Der Kläger begehrt den Betrag von S 250.944 s.A. und die Feststellung, daß die beklagte R*** Ö*** für alle

künftigen Schäden ersatzpflichtig sei, die ihre Ursache darin haben, daß seine Anhaltung mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg für zulässig erklärt worden sei. Dieser Beschluß sei rechtswidrig, weil die von ihm im Rekurs ausdrücklich geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht aufgegriffen worden sei. Darüber hinaus beruhe der Beschluß auf einer nicht vertretbaren Rechtsauffassung. Es treffe nicht zu, daß der Zweck des Anhaltungsverfahrens ausschließlich darin bestehe zu verhindern, daß ein Geistesgesunder gegen seinen Willen in einer geschlossenen Anstalt festgehalten werde. Vielmehr sei stets auch die Notwendigkeit der Anhaltung vom Gericht zu prüfen. Auf die Vertretbarkeit der Rechtsansicht komme es nicht an. Er stütze seinen Anspruch insbesondere auf die Bestimmung des Art. 5 Abs. 5 MRK. Er sei vom 21. März 1985 bis 3. September 1985 zu Unrecht angehalten worden und habe dadurch seelische Qualen erdulden müssen. Dies rechtfertige den Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 150.000; weiters habe er einen Verdienstentgang in der Höhe von S 100.944 erlitten. Da Personen, die wegen Geisteskrankheit in Behandlung standen, auf dem Arbeitsmarkt nur schwer unterzubringen seien, und nicht abzusehen sei, ob er jemals wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden könne, sei auch das Begehren auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden gerechtfertigt. Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, dem Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 21. März 1985 liege keine unvertretbare Rechtsansicht zugrunde. Aus den Gutachten der im Anhaltungsverfahren vernommenen Sachverständigen ergebe sich, daß der Kläger wegen seiner Vorliebe für Feuerwaffen als gemeingefährlich zu bezeichnen gewesen sei. Die Tatsache, daß er bislang ohne medizinische Betreuung das Auslangen gefunden und auch keine Gewalttaten verübt habe, stehe der Beurteilung seiner Gemeingefährlichkeit nicht entgegen. Immerhin habe der Kläger gegenüber der behandelnden Ärztin gedroht, Hofrat Dr. F*** erschießen zu wollen, wenn er aus der Anstalt herauskomme. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe zwar entgegen der vom Landesgericht Salzburg als Rekursgericht vertretenen Auffassung in seinem Rekurs gegen den Anhaltungsbeschluß die Annahme einer Geisteskrankheit bekämpft; damit sei aber im Ergebnis nichts gewonnen, weil das Rekursgericht nach der gesamten Aktenlage keine Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen haben mußte und insbesondere nicht gehalten war, unter allen Umständen den vom Angehaltenen beantragten weiteren psychiatrischen Sachverständigen beizuziehen. Ob das Gericht im Anhaltungsverfahren die Notwendigkeit der Anhaltung zu prüfen habe, sei strittig. Die von Hugelmann, NZ 1918, 149, und Ehrenzweig, NZ 1918, 237, vertretene Auffassung, wonach im Anhaltungsverfahren stets auch die Notwendigkeit der Anhaltung in der geschlossenen Anstalt zu prüfen sei, habe sich in der Praxis viele Jahrzehnte lang nicht durchzusetzen vermocht. Von einer Unvertretbarkeit der gegenteiligen Auffassung könne unter Bedachtnahme auf den möglicherweise mißglückten Wortlaut des § 22 EntmO keine Rede sein. Selbst wenn man aber die vom Landesgericht Salzburg als Rekursgericht vertretene Auffassung als nicht dem Gesetz gemäß ansehen würde, wäre für den Kläger nichts gewonnen, weil seine Vorliebe für Waffen im Hinblick auf die aufgetretenen Verfolgungsideen die Befürchtung rechtfertigten, daß er unbegründet jemand mit einer Waffe attackieren könne. Schadenersatz gemäß Art. 5 Abs. 5 MRK wegen rechtswidrigen Entzugs der Freiheit gebühre nur dann, wenn die Haft nicht rechtmäßig gewesen sei. Dies treffe nur dann zu, wenn sich die freiheitsbeschränkende Maßnahme rechtlich überhaupt nicht vertreten lasse, was im vorliegenden Fall nicht gesagt werden könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 300.000 übersteigt. Die Rechtsansicht des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes, wesentlich für die Zulässigkeit der Anhaltung sei nur das Vorliegen einer Geisteskrankheit, nicht aber Selbst- oder Gemeingefährlichkeit, sei zwar vertretbar, werde jedoch vom Berufungsgericht nicht geteilt. Grundsätzlich könne ein Amtshaftungsanspruch aus einer vertretbaren, wenn auch unrichtigen Rechtsansicht nicht abgeleitet werden. Der Schadenersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 MRK stelle jedoch darauf ab, ob der Geschädigte entgegen der Bestimmung des Art. 5 MRK von einer Haft betroffen worden sei. Als Ausfluß des besonderen Schutzes der persönlichen Freiheit sei daher eine unrichtige Rechtsansicht, die zur Aufrechterhaltuang einer Anhaltung führe, auch dann, wenn sie vertretbar sei, rechtswidrig. Nach den von den gerichtlichen Sachverständigen im Anhaltungsverfahren erhobenen Befund hätten jedoch hinreichende Anhaltspunkte für die Gemeingefährlichkeit des Klägers bestanden. Aus der eigenen Darstellung des Klägers ergebe sich seine Vorliebe für Feuerwaffen wie auch seine geistige Beeinträchtigung durch Verfolgungsideen. Er habe gegenüber der behandelnden Ärztin erklärt, daß er Hofrat Dr. F*** erschießen werde, wenn er herauskomme. Dies habe die Annahme seiner Gemeingefährlichkeit und damit die Anhaltung jedenfalls für die Dauer von sechs Monaten gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision des Klägers kommt Berechtigung nicht zu. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, gewährt Art. 5 Abs. 5 MRK demjenigen, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft durch einen Träger öffentlicher Gewalt entzogen wurde, gegen den Rechtsträger, dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Art. 5 MRK verletzten, einen sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfassenden, vom Verschulden des Organes unabhängigen Schadenersatzanspruch, der im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen ist (EvBl. 1987/118; SZ 55/18; SZ 48/69 mwN; EvBl. 1981/208; Binder, Der Haftentschädigungsanspruch ZfV 1977, 124 ff). Art. 5 Abs. 1 MRK ermächtigt ungeachtet der unmittelbaren Anwendbarkeit der Menschenrechtskonvention im österreichischen Rechtsbereich staatliche Organe noch nicht zur Anordnung von Freiheitsbeschränkungen; diese Beschränkungen müssen vielmehr durch das innerstaatliche Recht gedeckt sein (1 Ob 709/86; SZ 54/108; Funk/Gimpel-Hinteregger, Der Schutz der persönlichen Freiheit in Österreich, EuGRZ 1985, 6; Herzog, Das Grundrecht auf Freiheit, AÖR 86, 210). Der Freiheitsentzug nach innerstaatlichem Recht darf nur "auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg" erfolgen und über die in Art. 5 Abs. 1 MRK normierten materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht hinausgehen (SZ 54/108). Die Verwahrung einer Person in Haft ist gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. e MRK zulässig, wenn der Betroffene eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheit bildet oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist. Eine gerichtliche Haftverfügung wird in diesen Fällen von der Menschenrechtskonvention nicht gefordert; Art. 5 Abs. 1 MRK verweist vielmehr auf das innerstaatliche Recht (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR, EuGRZ 1979, 650, 654). Die Zuordnung entsprechender Ermächtigungen zum Justiz- und Verwaltungsrecht bleibt der staatlichen Rechtsordnung überlassen. Geht die Freiheitsbeschränkung von einem Verwaltungsorgan aus, hat der Betroffene gemäß Art. 5 Abs. 4 MRK das Recht, deren Rechtmäßigkeit durch ein Gericht überprüfen zu lassen, das unverzüglich zu entscheiden hat (EGMR EuGRZ 1986, 8, 11; EGMR EuGRZ 1985, 642, 645; EGMR EuGRZ 1984, 6, 9; EGMR EuGRZ 1982, 101, 104; EGMR EuGRZ 1979, 650, 655). Aufgabe des Gerichtes ist es dann festzustellen, ob die gesetzliche Voraussetzung für die Anhaltung, die Geisteskrankheit, noch vorliegt und die Fortdauer der Unterbringung rechtfertigt oder aber die Entlassung zu verfügen ist (Europäische Kommission für Menschenrechte - EKMR EuGRZ 1978, 398, 400). Dabei ist den nationalen Behörden ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzuerkennen, wenn sie die Einweisung einer Person als geisteskrank verfügen, weil sie dabei in erster Linie Beweise zu bewerten haben. Es müssen aber drei Minimalvoraussetzungen für die Einweisung gegeben sein: Die Geisteskrankheit muß überzeugend dargelegt worden sein, sie muß von ihrer Art und ihrem Schweregrad her die Einweisung rechtfertigen und die Einweisung darf nicht länger ausgedehnt werden, als die Geisteskrankheit besteht (EGMR EuGRZ 1986, 8, 9; EGMR EuGRZ 1985, 642, 644; EGMR EuGRZ 1979, 650, 654; in diesem Sinne auch bereits 1 Ob 709/86).

Wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit der Lehre ausgesprochen hat (8 Ob 504/84; 5 Ob 70/74; Welser, Die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Anhaltung, JBl. 1973, 501) ist die Anhaltung grundsätzlich nur dann zulässig, wenn der Angehaltene geisteskrank ist und sonst die eigene Sicherheit oder die Sicherheit anderer gefährden würde. Andere Gründe wie etwa Zweckmäßigkeit der Unterbringung oder Pflege eines Geisteskranken in der geschlossenen Anstalt sieht das Gesetz nicht als Anhaltungsgründe vor. Im Hinblick auf die im Verfassungsrang stehende Norm des Art. 5 Abs. 1 lit. e MRK und die dargestellte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hiezu kann auch die Bestimmung des § 22 EntmO nur dahin verstanden werden, daß Selbst- oder Gemeingefährlichkeit vom Gericht zu prüfende Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anhaltung sind. Diese ist auf das unabweislich notwendige Maß zu beschränken. Der Rechtsmittelwerber macht geltend, das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht habe im Beschluß vom 21. März 1985 das Vorliegen seiner Gemeingefährlichkeit und damit der Anstaltsbedürftigkeit nicht geprüft. Das Berufungsgericht habe nur unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens die Berechtigung des Amtshaftungsanspruchs verneint, weil vom Landesgericht Salzburg bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Anstaltsbedürftigkeit zu bejahen gewesen wäre.

Es ist richtig, daß der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertritt, dem beklagten Rechtsträger sei die Einwendung rechtmäßigen Alternativverhaltens im Amtshaftungsprozeß zu versagen, wenn die übertretene Verhaltensnorm von ihrem Schutzzweck her jedes andere Organverhalten ausschließen will und deshalb Eingriffe in fremdes Rechtsgut an eine bestimmte Form (ein bestimmtes Verhalten) binden will. In einem Fall, in dem der Verfassungsgerichtshof bereits eine Verletzung des Rechtes auf persönliche Freiheit festgestellt hatte, versagte daher der Oberste Gerichtshof der Einwendung des Rechtsträgers, die rechtswidrige Haft wäre auch vom zuständigen Richter verhängt worden und dabei wäre derselbe Schaden eingetreten, die Zulässigkeit (SZ 54/108). Ebenso ließ der Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem Bescheide gar nicht bzw. die getroffene Maßnahme in keiner Weise rechtfertigend begründet worden waren, eine Prüfung, ob irgendeine andere vertretbare (aber nicht aufgezeigte) Begründung zu demselben Ergebnis wie die Bescheide geführt hätten, nicht zu (JBl. 1987, 244). Im vorliegenden Fall lagen aber Entscheidungen der für die Genehmigung der Anhaltung zuständigen Gerichte vor. Das Rekursgericht lehnte allerdings rechtsunrichtig eine Prüfung der Anhaltungsunbedürftigkeit des Klägers ab, übernahm aber doch die auf Gutachten von Sachverständigen gestützten Feststellungen des Erstgerichtes, aus denen sich die Gemeingefährlichkeit und damit die Anhaltungsbedürftigkeit des Klägers einwandfrei ergab, als unbedenklich. Allein daraus, daß es einen Teil der getroffenen Feststellungen für seine rechtliche Beurteilung rechtsirrig als unwesentlich erachtete, kann die nach den gerichtlichen Feststellungen gerechtfertigte Anhaltung des Klägers noch nicht als konventionswidrig angesehen werden. Es ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß die dem Landesgericht Salzburg als Rekursgericht vorgelegenen Befunde und Gutachten der im Anhalteverfahren vernommenen gerichtlichen Sachverständigen die Annahme einer Gemeingefährlichkeit des Klägers rechtfertigten. Die psychiatrische Exploration des Klägers förderte massive Wahnideen zutage. Daß der Kläger eine Waffe besaß, deren Herausgabe er verweigerte, und gegenüber der behandelnden Ärztin geäußert hatte, er werde Hofrat Dr. F***, den er offensichtlich für die Nichterteilung des Waffenpasses und seine Einweisung in die psychiatrische Anstalt verantwortlich machte, erschießen, rechtfertigte die Annahme der Gemeingefährlichkeit des Klägers und damit seine Einweisung in die geschlossene Anstalt. Es liegen auch keine hinreichenden Gründe für die Annahme vor, daß die Anhaltung des Klägers länger, als dies den Umständen nach erforderlich war, ausgedehnt worden wäre. Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E11706

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00024.87.0902.000

Dokumentnummer

JJT_19870902_OGH0002_0010OB00024_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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