TE OGH 1987/9/2 9ObA61/87

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Veröffentlicht am 02.09.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann und Erich Reichelt als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Günter L***, Arbeiter, Zeltweg, Narzissenweg 5, vertreten durch Dr. Egon Duschek, Rechtsanwalt in Knittelfeld, wider die beklagte Partei Fa. Siegfried H***, Chemischreinigung und Färberei, Inhaberin Johanna R***, Schladming, Katzenburgweg 559, vertreten durch Dr. Werner Thurner und Dr. Peter Schaden, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 33.298,32 netto sA (Revisionsstreitwert S 30.730,11 netto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 1987, GZ 8 Ra 1010/87-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Judenburg vom 15. Oktober 1986, GZ Cr 3/86-16, zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.829,75 (darin S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1. Juli 1980 als Chemischreiniger beschäftigt. Am 15. Oktober 1984 wurde er mit der Begründung entlassen, daß er am 12. Oktober 1984 die Arbeitsleistung verweigert habe.

Mit der Behauptung, er sei ungerechtfertigt entlassen worden, verlangt der Kläger an Abfertigung, Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung den der Höhe nach unbestrittenen Betrag von S 33.298,32 netto sA von der Beklagten. Er habe in der Woche vom 8. Oktober bis 12. Oktober 1984 bereits 48 Stunden gearbeitet, sohin die höchstzulässige Anzahl von Überstunden erbracht und hätte am 12. Oktober 1984, einem Freitag, ab 13.00 Uhr frei gehabt. Die Beklagte habe ihm angeboten, er könne sich von ihren Obstbäumen Birnen holen, wenn er nachmittags noch einige Auslieferungen durchführe. Da es jedoch zu Mittag des 12. Oktober 1984 sehr stark geregnet habe, habe er von diesem Angebot nicht Gebrauch machen können und der Beklagten mitgeteilt, daß er nachmittags nicht arbeiten werde. Eine Mitarbeiterin der Beklagten namens Renate P*** habe dies zur Kenntnis genommen und ihm zugesichert, daß jemand anderer die Auslieferungen vornehmen werde.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzweisen. Sie habe mit dem Kläger bereits am 4. Oktober 1984 vereinbart, daß er am 12. Oktober 1984 nach der Arbeitszeit die Filialen der Beklagten mit gereinigten Kleidungsstücken beliefern solle. Dafür hätte er nur zwischen 40 und 50 Minuten benötigt. Mit der allen Arbeitnehmern offenstehenden Möglichkeit, für sich Birnen zu pflücken, habe der Auftrag nichts zu tun gehabt. Renate P*** sei bei der Beklagten nur als Büglerin beschäftigt gewesen und habe keinerlei Dispositionen treffen können. Die Anordnung der Überstunde sei dadurch gerechtfertigt gewesen, daß in ihrem Kleinbetrieb wegen Urlaubs des zweiten Chemischreinigers ein personeller Engpaß bestanden habe und die dringend erforderliche Auslieferung nur vom Kläger habe durchgeführt werden können. Sämtliche weiteren Mitarbeiter der Beklagten seien nämlich Frauen gewesen, die keinen Führerschein gehabt hätten. Die Nichtlieferung der gereinigten Kleidungsstücke habe die Beklagte, die davon erst am 15. Oktober 1984 erfahren habe, in große Schwierigkeiten gebracht, da ihre Geschäftslokale an Samstagen geschlossen gewesen seien und die Kunden ihre gereinigte Ware üblicherweise am Freitag nachmittag abgeholt hätten. Die Entlassung des Klägers sei daher zu Recht erfolgt. Gegen seinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung werde gemäß § 1162 d ABGB der Einwand der "Verjährung" erhoben. Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Streitteile vereinbarten am 4. Oktober 1984, daß der Kläger am 12. Oktober 1984 die Filialen der Beklagten mit den gereinigten Kleidungsstücken beliefern soll. Zu dieser Zeit war der Kläger wegen der Auflösung des Betriebs der Beklagten bereits zum Jahresende gekündigt. Weiters war vereinbart, daß es dem Kläger gestattet ist, nach dem Ende seiner Arbeitszeit um 13.00 Uhr von einem Baum der Beklagten Birnen zu pflücken. Da es am 12. Oktober 1984 regnete, verständigte die Beklagte die Büglerin Renate P***

telefonisch, daß der Kläger keine Birnen pflücken dürfe, weil dies zu gefährlich sei. Schon am Vormittag äußerte sich der Kläger P*** gegenüber dahin, daß er wegen des schlechten Wetters nicht bleiben werde und sie sich bemühen solle, Frau H***, die fallweise Zustellfahrten durchführte, zu erreichen, damit diese die Zustellungen ausführt. Nach 13.00 Uhr verließ der Kläger den Betrieb. H*** führte schließlich, wenn auch verspätet, die Zustellungen an die Filialen aus, was der Beklagten wegen der eingetretenen Verspätung Schwierigkeiten einbrachte. Vom 1. Oktober bis 5. Oktober 1984 arbeitete der Kläger 45 und vom 8. Oktober bis 12. Oktober 1984 48 Wochenstunden. Bei einer Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden leistete er in diesem Monat daher bereits 13 Überstunden.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger kein Verhalten eingenommen habe, das die Entlassung gerechtfertigt habe. Er habe nahezu vier Jahre bei der Beklagten zu deren Zufriedenheit gearbeitet und habe in den ersten zwei Oktoberwochen bereits 13 Überstunden geleistet. Ohne Genehmigung durch das Arbeitsinspektorat wäre jede weitere Überstunde unzulässig gewesen. Er habe die Leistung einer weiteren Überstunde berechtigt verweigert. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger S 2.568,21 netto sA an Urlaubsabfindung zusprach, das Mehrbegehren aber abwies. Es stellte ergänzend fest; Der Kläger hätte am 12. Oktober 1984 die Filialen der Beklagten bereits ab 14.00 Uhr beliefern können und hätte dazu etwa eine Stunde gebraucht. P*** hatte ihm mitgeteilt, daß er dableiben müsse, da sie nicht Autofahren könne und sonst niemand vorhanden sei, der seine Arbeit erledigen könne.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, es sei dem Kläger bewußt gewesen, daß es am 12. Oktober 1984 auf seine Arbeitsleistung dringend ankomme, da außer ihm dafür niemand zur Verfügung gestanden sei. Die Beklagte habe sich wegen des Personalmangels geradezu in einer Notstandssituation befunden, geshalb seine Arbeitsverweigerung als pflichtwidrig, erheblich und schuldhaft angesehen werden müsse. Einen rechtmäßigen Hinderungsgrund könne der Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen, da die Möglichkeit, in der freien Mittagszeit Birnen zu pflücken, nicht Bedingung der Zustelltätigkeit gewesen sei.

Da der Kläger am 12. Oktober 1984 bereits acht Stunden gearbeitet habe, hätte er die Zustellungen außerhalb der normalen Arbeitszeit ausführen müssen. Das habe er aber am 4. Oktober 1984, als er sich dazu ausdrücklich verpflichtete, bereits gewußt. Dennoch habe er sich bereit erklärt, betriebsnotwendige Überstunden zu leisten. Die Überstunden seien auch erlaubt gewesen, da der Kläger in der Woche vom 8. Oktober bis 12. Oktober 1984 nur acht Überstunden erbracht habe und daher unter Inanspruchnahme des "Jahrespaketes" von 60 Überstunden noch zwei Überstunden leisten hätte dürfen, ohne daß dadurch die Höchstgrenze der Tagesarbeitszeit von 10 Stunden überschritten worden wäre.

Zufolge der berechtigten Entlassung habe der Kläger zwar keinen Anspruch auf Abfertigung, Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung, wohl aber auf eine Urlaubsabfindung. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichten rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger brachte selbst wiederholt vor, daß er in der hier maßgeblichen Woche vom 8. Oktober bis 12. Oktober 1984 40 Normalstunden und 8 Überstunden geleistet habe (S 2 und 84). Die in der Revision aufgestellte Behauptung, der Kläger habe in dieser Woche schon 13 Überstunden erbracht, ist als Neuerung unbeachtlich (§ 504 ZPO); sie entspricht auch nicht den Feststellungen der Vorinstanzen. Unabhängig davon, ob der Kläger in der Woche vom 1. Oktober bis 5. Oktober 1984 40 oder nur 32 Normalstunden arbeitete, beträgt der Überstundenanteil gleichermaßen 5 Stunden. Die Feststellung der Normalarbeitszeit in der Woche vom 1. Oktober bis 5. Oktober 1984 ist daher unerheblich und wurde vom Berufungsgericht auch nicht getroffen. Schon deshalb ist daher der Mängelrüge und dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit die Grundlage entzogen (vgl. Arb. 7.588).

Der Rechtsrüge ist entgegenzuhalten, daß gemäß § 7 Abs 1 AZG bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes die Arbeitszeit über die zulässige Dauer um 5 Überstunden in der einzelnen Woche und darüber hinaus um höchstens 60 Überstunden innerhalb eines Kalenderjahres verlängert werden kann. Wöchentlich sind jedoch nicht mehr als 10 Überstunden zulässig; die Tagesarbeitszeit darf andererseits 10 Stunden nicht übersteigen. Der Ansicht des Klägers, die Arbeitszeit dürfe innerhalb eines Kalenderjahres um höchstens 60 Überstunden verlängert werden, steht sohin schon der Wortlaut des Gesetzes entgegen. Es dürfen vielmehr wöchentlich 5 Überstunden gearbeitet werden. Außer diesen stehen noch im gesamten Kalenderjahr 60 Überstunden zur Verfügung; nach Bedarf können daher wöchentlich neben 5 Überstunden bis zu Erschöpfung des Jahreskontingentes noch weitere Überstunden geleistet werden. Diese genehmigungsfreien Überstunden sind allerdings so zu verteilen, daß in einer Woche nicht mehr als 10 Überstunden anfallen und an einem Tag nicht länger als 10 Stunden gearbeitet wird (Cerny, Arbeitszeitrecht 78; Grillberger, Arbeitszeitgesetz 66).

Der Revisionswerber kann daher nicht mit Erfolg neu einwenden, er habe im Jahre 1984 bereits 173 Überstunden geleistet, da sich aus dieser Behauptung noch nichts darüber ergibt, inwieweit lediglich die gesetzliche Ermächtigung in Anspruch genommen wurde, 5 Überstunden pro Woche zu arbeiten und inwieweit überhaupt schon auf das Jahreskontingent von 60 Überstunden gegriffen wurde. Abgesehen davon fehlt es dazu an jeglichem Vorbringen in den Vorinstanzen. Es ist daher davon auszugehen, daß der Kläger in der Woche vom 8. Oktober bis 12. Oktober 1984 bereits 8 Überstunden geleistet und daß er am 12. Oktober 1984 8 Normalstunden gearbeitet hatte. Bei Vorliegen objektiver Kriterien, die eine Mehrarbeit erforderten (Cerny aaO 77; Arb. 6.862), hätten sohin im Rahmen der gesetzlichen Höchstgrenzen noch 2 Überstunden zulässigerweise angeordnet werden können.

Nach den Feststellungen ordnete die Beklagte die Leistung von Überstunden aber nicht einseitig an (Cerny aaO 74; Haslinger Überstundenprobleme im Arbeitszeitrecht ZAS 1971 50 f; Arb. 10.427, 10.449 ua), sondern sie vereinbarte mit dem Kläger bereits eine Woche vorher, daß er die Filialen mit den gereinigten Kleidungsstücken beliefert. Die Vereinbarung der etwa 1 Stunde erfordernden Auslieferung erfolgte nicht willkürlich, sondern infolge der betrieblichen Notwendigkeit, daß in dieser Woche kein anderer geeigneter Arbeitnehmer der Beklagten für diese Tätigkeit zur Verfügung stand. Der Kläger machte auch keinerlei Vorbehalte und erhob keine Einwendungen. Daß ihm während der Mittagszeit Gelegenheit geboten wurde, für sich Birnen zu ernten, war jedenfalls keine Bedingung der Überstundenleistung.

Nach den Feststellungen verließ der Kläger den Betrieb der Beklagten, ohne sich darum zu kümmern, ob die dringend erforderlichen Zustellungen durch die von ihm namhaft gemachte Aushilfe überhaupt ausgeführt werden konnten, und trotz des Vorhalts seiner Arbeitskollegin P***, daß niemand vorhanden sei, der seine Arbeit erledigen könne. Er nahm damit bewußt in Kauf, daß die Beklagte ihren Verpflichtungen den Kunden gegenüber nicht werde erfüllen können. Er handelte pflichtwidrig und schuldhaft im Sinne des § 82 lit f GewO 1859, erster Tatbestand (Kuderna, Entlassungsrecht 67 f). Das unbefugte Verlassen der Arbeit war aber auch erheblich, da seine Tätigkeit dringlich war, die Beklagte sich ohne Kontrollmöglichkeit auf die Zusage der Arbeitsleistung verlassen mußte und sein Verhalten den Arbeitserfolg des Gesamtbetriebes in Frage stellte; unterblieb die Auslieferung der gereinigten Kleidungsstücke an die Filialen der Beklagten, konnten die Waren nicht mehr termingerecht an die Kunden zurückgegeben werden. Da es auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, war die in der Dauer einer Stunde an sich noch kurze Arbeitsverweigerung schon tatbestandsmäßig (Kuderna aaO 66; SrM I A/d 477;

SrM I A/d 1061 = Arb. 9-046; Arb. 9.135, 9.690, 9.991). Ein rechtmäßiger, die Entlassung ausschließender Hinderungsgrund könnte nur dann angenommen werden, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls aus besonderen Gründen die vereinbarte Arbeitsleistung billigerweise nicht mehr zugemutet hätte werden können, wie es etwa bei einer unvorhersehbaren Kollision seiner Vertragspflichten mit einer höherwertigen Pflicht der Fall gewesen sein könnte (Arb. 9.578, 9.671, RdW 1987, 23 ua). Dafür kann der Kläger nur die witterungsbedingte Unmöglichkeit, Birnen zu ernten, anführen. Dabei handelte es sich aber nur um allenfalls enttäuschte Erwartungen, deren Ursache außerhalb der Einflußmöglichkeit der Streitteile lag. Die der Beklagten zugesicherte Zustellung wurde dadurch keineswegs unzumutbar. Soweit die Revision ausführt, der Kläger habe die Zustimmung der Beklagten zum Verlassen des Betriebes vermuten dürfen, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Da der Kläger sohin zu Recht entlassen wurde, stehen ihm die in der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der vom Berufungsgericht vorgenommene Teilzuspruch ist nicht Gegenstand der Revision. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E11876

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBA00061.87.0902.000

Dokumentnummer

JJT_19870902_OGH0002_009OBA00061_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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