TE OGH 1987/9/8 10ObS56/87

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Veröffentlicht am 08.09.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als Richter sowie die fachkundigen Laieneritcher Hon.Prof. Dr. Gottfried Winkler und Franz Murmann als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Brigitte W***, 1190 Wien,

Sieveringerstraße 54, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Mai 1987, GZ 31 Rs 67/87-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 17.Dezember 1986, GZ 20 C 93/86-14 (nunmehr 20 Cgs 93/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Arbeits- und Sozialgericht Wien zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 5.Dezember 1985 wurde der Klägerin ab 1.August 1985 eine mit 30.September 1986 befristete Berufsunfähigkeitspension gewährt. Der Antrag auf Weitergewährung dieser Pension wurde mit Bescheid vom 6.Oktober 1986 abgewiesen. Die Klägerin begehrte, die beklagte Partei zur Weitergewährung der Pensionsleistung über den 30.September 1986 hinaus zu verpflichten und brachte vor, daß sie wegen verschiedener Leidenszustände weiterhin nicht in der Lage sei, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Leistung für die Zeit ab 1.Oktober 1985 nicht erfüllt seien. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrundelegte:

Die am 10.März 1943 geborene Klägerin leidet an geringem Cervikalsyndrom rechts und symptomatischer Lumboischialgie, psychiatrisch besteht eine sekundäre Neurastenie. Die Klägerin leidet an angeborener Hüftdysplasie, 1984/85 wurden ihr Endoprothesen rechts und links eingesetzt. Es besteht ein Zustand nach Kaiserschnittentbindung, beiderseits Krampfadern sowie Platt-Spreizfüße und Winkelzehen beiderseits. Unter Berücksichtigung sämtlicher Leidenszustände ist die Klägerin in der Lage, leichte Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen zu verrichten, sitzende Tätigkeiten erfordern wegen der Einschränkung der Hüftbeweglichkeit eine erhöhte Sitzfläche, im Gehen oder Stehen zu verrichtende Tätigkeiten sollen ein Drittel der Gesamtarbeitszeit nicht übersteigen. Der Arbeitsplatz ist unter städtischen und günstigen ländlichen Bedingungen erreichbar. Arbeiten unter ständigem besonderem Zeitdruck sind auszuschließen. Anlernbarkeit und Einordenbarkeit liegen vor. Die Klägerin ist Autofahrerin, das Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist zwar erschwert, aber möglich.

Die Klägerin hat 1959 die Handelsschule abgeschlossen und war bis 1965 als Büroangestellte tätig. Nach einer Unterbrechung von 1965 bis 1967 war die Klägerin von 1967 bis 31.Juli 1985 laufend als Büroangestellte tätig. Die Einstufung und Entlohnung erfolgte in der Verwendungsgruppe 3 des Kollektivvertrags für Angestellte des Gewerbes. Daraus zog das Erstgericht den Schluß, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension nicht erfüllt seien, weil die Klägerin nach wie vor in der Lage sei, den Beruf einer Büroangestellten auszuüben.

Das Berufungsgericht gab der von der Berufung gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge.

Es führte aus, die Unterlassung der Beischaffung der Krankengeschichten sowie der Operationsbefunde begründe keinen Verfahrensmangel, weil der ärztliche Sachverständige, dem diese Unterlagen zur Erweiterung seiner Beurteilungsgrundlage dienen sollten, ausdrücklich erklärt habe, daß er die wesentlichen Erkenntnisse aus seiner Untersuchung gewonnen habe und aus den Urkunden, deren Beischaffung die Klägerin beantragt habe, neue Ergebnisse nicht abgeleitet werden könnten.

Die Notwendigkeit der Benützung eines Sattelhockers am Arbeitsplatz schließe die Klägerin nicht vom Arbeitsmarkt aus, weil eine derartige Sitzgelegenheit bei angemessenen Kosten leicht beschaffbar sei und am Arbeitsplatz Verwendung finden könne. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern oder es aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Arbeits- und Sozialgericht Wien zurückzuverweisen. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

In der Revisionsschrift bemängelt die Klägerin neuerlich, daß die Beischaffung der Krankengeschichte sowie der Operationsbefunde unterblieben sei. Dieser Verfahrensmangel liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Im übrigen kommt den Revisionsausführungen jedoch Berechtigung zu.

Die Frage, wie die Sitzgelegenheit beschaffen sein muß, die die Klägerin in die Lage versetzt, den Beruf einer Büroangestellten während der Normalarbeitszeit auszuüben sowie ob derartige Sitzgelegenheiten an einer entsprechenden Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung stehen, ist bisher nicht ausreichend geklärt. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß von der Klägerin zu fordern sei, sich die erforderliche Sitzgelegenheit anzuschaffen, kann nicht beigetreten werden. Grundsätzlich sind die Arbeitsgeräte, dazu sind bei einer Bürotätigkeit auch die Sitzgelegenheiten zu zählen, von Dienstgebern zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht Angelegenheit des Dienstnehmers, mit eigenen Mitteln zur Ausstattung des Arbeitsplatzes beizutragen und ihn auf eigene Kosten so zu gestalten, daß ihm die Ausübung der Arbeit möglich ist. Bedarf ein Versicherter im Hinblick auf körperliche Gebrechen einer besonderen Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, so ist seine Verweisung auf den Arbeitsmarkt nur möglich, wenn eine entsprechende Anzahl von in dieser Weise eingerichteten Arbeitsplätzen besteht oder wenn auf andere Weise, etwa durch Kostenübernahme oder Beistellung der Hilfsmittel durch den Sozialversicherungsträger (§§ 300 ff ASVG) oder das Landesinvalidenamt (Förderungsmaßnahmen gem. § 6 InvalideneinstellungsG) sichergestellt ist, daß ein für ihn in Frage kommender Arbeitsplatz ohne jede Belastung für ihn in der erforderlichen Weise ausgestattet wird und die Zustimmung des Dienstgebers hiezu angenommen werden kann. Nur dann könnte davon ausgegangen werden, daß dem Versicherten der Arbeitsmarkt in einem bestimmten Bereich in gleicher Weise offen steht, wie anderen Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Fähigkeiten und Kenntnissen.

Aus den bisher vorliegenden Feststellungen ergibt sich nichts näheres über die für die Klägerin erforderliche Sitzgelegenheit; es wird lediglich der Bedarf nach einer erhöhten Sitzgelegenheit erwähnt. Die genaue Art dieser Sitzgelegenheit - der Sachverständige für Chirurgie hat bereits eine genauere Beschreibung vorgenommen - wird festzustellen sein. Im weiteren wird ergänzend zu prüfen sein, ob in einer Mehrzahl von Büroarbeitsplätzen - allenfalls in welcher Zahl insgesamt - solche Sitzgelegenheiten als vom Dienstgeber zur Verfügung gestellte Einrichtungsgegenstände vorhanden sind.

Sollte sich ergeben, was naheliegt, daß eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen, die bereits von vornherein in einer für die Klägerin erforderlichen Form ausgestaltet sind, nicht zur Verfügung stehen, so wird zu klären sein, ob allenfalls die Beschaffung der erforderlichen Sitzgelegenheit durch Kostenübernahme oder Beistellung von anderer Seite sichergestellt ist und ob eine ausreichende Anzahl von Dienstgebern dieser besonderen Ausstattung des Arbeitsplatzes die Zustimmung erteilt wird.

Zu klären wird auch sein, ob die Klägerin eine Antragstellung an den Sozialversicherungsträger oder das Landesinvalidenamt unternommen hat bzw. aus welchen Gründen eine solche Antragstellung bisher unterblieben ist.

Erst nach Klärung dieser Fragen wird sich eine abschließende Beurteilung des erhobenen Begehrens möglich erweisen. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E12185

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00056.87.0908.000

Dokumentnummer

JJT_19870908_OGH0002_010OBS00056_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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