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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ASchG 1994 §130 Abs5 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde der IJ in L, vertreten durch Dr. Witt & Partner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Argentinierstraße 20A/2A, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom 17. August 2004, Zl. Senat-WU-03-3001, betreffend Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 17. August 2004 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der I GmbH mit dem Sitz in L zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeber am 23. Jänner 2002 eine Baustelle in W betrieben habe, wobei folgende Mängel festgestellt worden seien:
Bei Spenglerarbeiten am Dachsaum des Daches (Absturzhöhe ca. 9 m, Dachneigung ca. 30 Grad und 10 Grad) seien die Arbeitnehmer S und M, obwohl Absturzgefahr von ca. 9 m bestanden habe, nicht mittels Sicherheitsgeschirr einschließlich der dazugehörigen Ausrüstung sicher angeseilt gewesen.
Sie habe dadurch zwei Übertretungen gemäß § 87 Abs. 2, 3 und 5 iVm § 7 Abs. 4 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) begangen. Es wurden gemäß § 130 Abs. 5 ASchG zwei Geldstrafen in der Höhe von je EUR 1.000,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von je 46 Stunden) verhängt.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 29. November 2004, B 1331/04-4, ihre Behandlung ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde erwogen:
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dem Spruch mangle die "Übertretungsnorm sowie ... Strafnorm" des § 161 BauV, ist verfehlt. Denn § 161 BauV hat nur folgenden Inhalt: "Übertretungen dieser Verordnung sind nach § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG zu bestrafen"; sie ist sohin weder eine Übertretungs- noch eine Strafnorm und in den Spruch nicht aufzunehmen. Dass aber Übertretungen der BauV gemäß § 130 Abs. 5 (Z. 1) ASchG als Verwaltungsübertretung zu bestrafen sind, ergibt sich aus dem - von der belangten Behörde insoweit übernommenen - Spruch ohnedies.
§ 87 Abs. 1, 2, 3 und 5 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung BGBl. Nr. 340/1994 lauten:
"(1) Bei Arbeiten auf Dächern bis zu einer Absturzhöhe von 3,00 m dürfen Absturzsicherungen, Abgrenzungen und Schutzeinrichtungen abweichend von § 7 entfallen, wenn die Arbeiten bei günstigen Witterungsverhältnissen sowie von unterwiesenen, erfahrenen und körperlich geeigneten Arbeitnehmern durchgeführt werden. In diesem Fall kann auch die Sicherung der Arbeitnehmer durch Anseilen entfallen, ausgenommen bei Arbeiten am Dachsaum und bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 45 Grad. § 7 Abs. 2 Z 1 bleibt unberührt.
(2) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m müssen Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 vorhanden sein.
(3) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Geeignete Schutzeinrichtungen sind Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88).
...
(5) Das Anbringen von Schutzeinrichtungen nach Abs. 3 darf
nur entfallen bei
1. geringfügigen Arbeiten, wie Reparatur- oder
Anstricharbeiten, die nicht länger als einen Tag dauern,
2. Arbeiten am Dachsaum oder im Giebelbereich.
In diesen Fällen müssen die Arbeitnehmer mittels Sicherheitsgeschirr angeseilt sein."
Die Beschwerdeführerin bestreitet in der Beschwerde nicht konkret die Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde zur Dachhöhe und -neigung. Damit gehen ihre Verfahrensrügen ins Leere, weil sie jedenfalls die Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels nicht dargetan hat.
Ebenso verfehlt ist die Forderung der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde hätte "genau festzustellen gehabt, wie lange die Arbeit beziehungsweise an welcher Stelle des Daches genau diese Arbeiten durchgeführt" worden seien. Auf die Dauer kommt es nicht an, weil diese allenfalls im Falle einer Ausnahme gemäß § 87 Abs. 5 Z. 1 BauV (wo allerdings gleichfalls das Anseilen entsprechend dem 2. Satz des Abs. 5 vorgeschrieben wäre) von Bedeutung sein könnte. Hier geht es aber um "Arbeiten am Dachsaum" gemäß § 87 Abs. 5 Z. 2 BauV; an welcher exakten Stelle des Dachsaumes gearbeitet wurde, ist irrelevant.
Des Weiteren wird in der Beschwerde das Verschulden der Beschwerdeführerin bestritten. Sie habe ein effizientes Kontrollsystem eingerichtet.
Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, ist für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften entscheidend die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001, Zl. 2000/02/0228).
Die belangte Behörde ging von jenem Kontrollsystem aus, das die Beschwerdeführerin in Schriftsätzen und sie selbst sowie die in dem von ihr repräsentierten Unternehmen tätig (gewesenen) Zeugen in der (erstreckten) mündlichen Verhandlung beschrieben hatten. Diese Angaben sind im angefochtenen Bescheid wiedergegeben.
Damit hat die Beschwerdeführerin zwar allgemein das Bestehen eines Kontrollsystems behauptet, jedoch nicht erkennbar dargelegt, wie dieses Kontrollsystem im Einzelnen auf der beschwerdegegenständlichen Baustelle funktionieren hätte sollen. Hiezu wäre es - wie der Verwaltungsgerichtshof zu ähnlichen Fällen hierarchisch aufgebauter Kontrollsysteme ausgeführt hat - erforderlich gewesen aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet sei, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolge und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen habe, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, dh. sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangten und dort auch tatsächlich befolgt würden. Nach der hg. Rechtsprechung reichen etwa stichprobenartige Überprüfungen der Baustellen und die Erteilung von Weisungen für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht aus. Gleiches gilt für eine Verwarnung für den ersten festgestellten Verstoß (vgl. zB. das bereits genannte hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001).
Im gegenständlichen Fall sei nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde die Baustelle nach Angaben der Beschwerdeführerin für "einen bis zwei Tage", nach anderen Angaben für "drei bis vier Tage" eingerichtet gewesen; zum Vorfallszeitpunkt habe sich der innerbetrieblich als Verantwortlicher für die Baustelle bestellte M in einer insgesamt dreitätigen Schulung befunden. Wann dieser die Baustelle tatsächlich beaufsichtigt bzw. kontrolliert habe, habe er nicht mehr angeben können. Schon deshalb ist nach Ansicht des Gerichtshofes eine Effizienz des Kontrollsystems nicht gegeben.
Es entspricht auch der ständigen hg. Rechtsprechung, dass gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat (vgl. zB. auch dazu das genannte hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001). Schon deshalb kann es kein - von der Beschwerdeführerin gefordertes - "Vertrauen" darauf geben, dass die "eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften ... einhalten". Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die in § 156 BauV enthaltenen Pflichten der Arbeitnehmer, gegen die die Arbeitnehmer S und M verstoßen hätten, weil sie die Schutzausrüstung nicht verwendet hätten, führt die Beschwerde nicht zum Erfolg, weil das Kontrollsystem - wie ausgeführt - gerade im Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen hat.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es habe bereits Entlassungen bzw. Kündigungen von Dienstnehmern wegen Nichtbeachtung der Sicherungsvorschriften gegeben, kann sich - unabhängig von der Frage, ob dies nicht ebenfalls ein Anhaltspunkt für ein mangelhaftes Kontrollsystem wäre - im vorliegenden Fall schon deshalb nicht auswirken, weil der einzige terminmäßig konkret genannte Entlassungsfall vom 4. März 2004, der dem von der Beschwerdeführerin zitierten Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes zu Grunde lag, sich lange nach dem gegenständlichen Tatzeitpunkt ereignete. Auch die - ohnehin nicht konkretisierten - Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2004 ("Entlassung möglich ... Schulung ... vorige Woche", "in diesem Jahr ... fünf Arbeitnehmer gekündigt") beziehen sich auf das Jahr 2004. Entlassungen oder Kündigungen, die wegen Nichtbeachtung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen durch Arbeitnehmer vor dem gegenständlichen Tatzeitpunkt ausgesprochen worden wären, wurden sohin nicht dargetan.
Damit können auch die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin behaupteten Verfahrensmängel nicht wesentlich sein.
Die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin sei es nicht gelungen, mangelndes Verschulden durch Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft zu machen, ist demnach nicht als rechtswidrig zu erkennen. Daran kann auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die in § 3 Abs. 3 und 4 ASchG enthaltenen Pflichten nichts ändern.
Insofern die Beschwerdeführerin das Fehlen eines gesetzlichen Maßstabes im Sinne des gemäß Art. 18 B-VG enthaltenen Legalitätsprinzips für ein wirksames Kontrollsystem behauptet, somit eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, ist sie an die dazu ergangene Begründung des zit. Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 29. November 2004, B 1331/04-4, zu erinnern, mit dem die Behandlung der Beschwerde der Beschwerdeführerin abgelehnt worden war.
Sodann rügt die Beschwerdeführerin noch in weitwendigen Ausführungen "Ermessensfehler" im Hinblick auf die "Effektivität" eines Kontrollsystems. Diese gehen schon deshalb ins Leere, weil es sich bei der Beantwortung der Frage der Wirksamkeit eines Kontrollsystems nicht um Ermessen handelt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 9. September 2005
Schlagworte
Mängel im Spruch Mängel im Spruch Nichtangabe der verletzten Verwaltungsvorschrift Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Arbeitsrecht ArbeiterschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005020018.X00Im RIS seit
20.10.2005