Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10.September 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitete Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wilhelm A*** wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z. 4 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengerichts vom 1.Juni 1987, GZ. 4 Vr 970/87-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Über die Berufung wird in einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.
Text
Gründe:
Der am 8.August 1972 geborene Schüler Wilhelm A*** wurde des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z. 4 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er von Mitte August 1986 (die Tat zu D 5 fällt in das Jahr 1986) bis einschließlich 13. Jänner 1987 in Gasen, Weiz und Birkfeld in 38 Angriffen in Kaufhäusern Sachen in einem Gesamtwert von ca. 40.000 S (S. 185) gestohlen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z. 4 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Er erblickt eine Verkürzung seiner Verteidigungsrechte in der Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrags auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit, zumal er mit den gegenständlichen Diebstählen kurz nach Vollendung des 14.Lebensjahrs begonnen habe und angesichts der Tatsache, daß ihm eine Unmenge von Diebstählen zur Last fällt, "ein gewisser Anhaltspunkt vorläge, daß er zu diesen Diebstählen in pathologischer Weise veranlaßt worden sein könnte" (S. 176, 177). Zur Begründung seines abweislichen Zwischenerkenntnisses führte der Schöffensenat aus, daß auf Grund der Aktenlage und des persönlichen Eindrucks des Angeklagten in Verbindung mit seiner eigenen Verantwortung vor Gericht kein Anhaltspunkt für die Notwendigkeit der Einholung eines fachärztlichen Gutachtens im beantragten Sinn entstanden sei (S. 177). In den Urteilsgründen wird noch ergänzend beigefügt, daß auf Grund der Jugenderhebungen durch die Bezirkshauptmannschaft Weiz (ON 9) festgestellt werden konnte, daß es sich beim Angeklagten um einen Burschen mit normaler Schuldbildung handelt, der auch seinem Alter entsprechend körperlich und geistig entwickelt ist. Im Gespräch mit der Sozialarbeiterin zeigte er sich sehr offen und zugänglich und erzählte auch von dem seinerzeitigen schwierigen Zusammenleben mit seinem (am 27. September 1985 verstorbenen) Vater und den gemeinsamen Einkäufen mit diesem, wobei er bemerken konnte, daß dieser öfter Sachen mitnahm, ohne sie bezahlt zu haben. Seiner Mutter macht er keine nennenswerten Schwierigkeiten. Der Schöffensenat war der Auffassung, daß der Angeklagte die Diebstähle deshalb begangen hat, weil er das schlechte Beispiel seines Vaters vor Augen hatte und teilweise durch seine Freunde zu diesen veranlaßt wurde, "obwohl er durchaus wußte, daß ein Diebstahl, als solcher betrachtet, strafbar ist" (S. 188, 189).
Der Antrag verfiel zu Recht der Abweisung, weil er schon vom Beweisthema her nicht zielführend war: Daß ein Jugendlicher kurz nach der Vollendung des 14.Lebensjahrs straffällig wird, kann für sich allein noch nicht als Indiz für dessen mangelnde Diskretions- und Dispositionsfähigkeit angesehen werden. Knüpft doch das Gesetz selbst (§§ 1 Z. 1 und 2, 9 JGG.) die Strafmündigkeit an die Erreichung dieses Alters und stellt damit die gesetzliche Vermutung auf, daß ab diesem Lebensalter die Fähigkeit des Jugendlichen, das Unrechtmäßige seines Verhaltens einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln, gegeben ist. Im übrigen deutet die weitere Diktion des Antrags, soweit aus der Vielzahl der diebischen Angriffe Schlüsse auf die mangelnde Strafmündigkeit gezogen werden sollen ("daß ... ein gewisser Anhaltspunkt vorläge, daß er ... veranlaßt worden sein könnte": S. 177) darauf hin, daß nur ein Erkundungsbeweis angestrebt wird, um allenfalls ein gewünschtes Beweisergebnis zu erzielen. Denn auch die in einer "Unzahl" diebischer Angriffe manifeste besondere Intensität eines kriminellen Verhaltens kann für sich allein oder auch in Verbindung mit einem erst knapp die Strafmündigkeit erreichenden Alter des Täters eine verzögerte Reife (§ 10 JGG.) noch nicht indizieren. Daß aber das Schöffengericht von sich aus ohne Beiziehung eines Jugendpsychiaters die Frage der Zurechnungsfähigkeit beurteilen kann, wurde in der Rechtsprechung wiederholt für den Fall bejaht, daß sich das Gericht auf Grund der gesamten Beweisergebnisse, insbesondere der vorliegenden Vernehmungsprotokolle des Jugendlichen und seines persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung, ein verläßliches Bild darüber machen konnte, ob besondere Umstände vorhanden sind, die die Entwicklung des Jugendlichen gestört haben, sodaß er nicht über die nötige Reife verfügt habe, das Unrechtmäßige seiner Handlungen einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Unter diesen hier gegebenen Voraussetzungen beeinträchtigt die Ablehnung eines in dieser Richtung gestellten Beweisantrags durch das Gericht nicht die Verteidigungsrechte des jugendlichen Angeklagten (10 Os 38/70, 10 Os 190/72, 10 Os 8/73, 12 Os 157/76, 13 Os 163/77, 10 Os 106/77, 12 Os 78/78, 11 Os 155/80). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs 1 Z. 2 StPO. schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.
Zur Verhandlung und Entscheidung über die des weiteren gegen den Strafausspruch ergriffene Berufung des Angeklagten wird ein Gerichtstag anberaumt werden (§ 296 Abs 3 StPO.).
Anmerkung
E11964European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00129.87.0910.000Dokumentnummer
JJT_19870910_OGH0002_0130OS00129_8700000_000