TE OGH 1987/9/15 4Ob573/87

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Veröffentlicht am 15.09.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Petrag, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Miriam R***, geboren am 30. November 1982, 3100 St. Pölten, Josefstraße 37, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Eckehard R***, Musiklehrer, 1120 Wien, Meidlinger Hauptstraße 11/3/4, vertreten durch Dr. Michael Stern und DDr. Peter Stern, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 27. Mai 1987, GZ. R 133/87-65, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 10. Februar 1987, GZ. 2 P 6/86-59, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die am 30. November 1982 geborene Miriam R*** ist das eheliche Kind des am 14. Dezember 1957 geborenen Eckehard R*** und der am 3. Dezember 1960 geborenen Maria R***. Die am 12. November 1982 geschlossene Ehe der Eltern wurde am 5. Juni 1986 durch das Familiengericht Saarbrücken geschieden. Eckehard R*** ist österreichischer Staatsbürger, Maria R***

schwedische Staatsbürgerin. Auch die Minderjährige ist daher österreichische Staatsbürgerin (und wohl gleichzeitig auch schwedische Staatsangehörige).

Jeder der beiden Elternteile beantragte, daß ihm allein die elterlichen Rechte (§ 144 ABGB) zuerkannt würden (ON 4 und 7). Das Erstgericht übertrug alle rein persönlichen elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB der Mutter. Es kam - vor allem auf Grund eines vom Sachverständigen Dr. Erwin S*** erstatteten Gutachtens (ON 43) - zu dem Ergebnis, daß zwar beide Elternteile grundsätzlich zur Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten geeignet seien, dem Wohl des Kindes jedoch mehr die engere Beziehung zur Mutter entspreche. Für ein Kind im Alter der Minderjährigen sei aus der entwicklungsbiologischen Sicht, insbesondere aus alters- und geschlechtsspezifischen Gründen, der Mutter der Vorrang als Betreuerin der Tochter einzuräumen. Rechtlich begründete es seine Entscheidung mit einem Hinweis auf § 177 Abs 2 ABGB, wonach das Wohl des Kindes für die Entscheidung über die Zuteilung der elterlichen Rechte ausschlaggebend sei. Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese vom Vater der Minderjährigen mit Rekurs angefochtene Entscheidung. Es traf umfangreiche ergänzende Feststellungen (ON 65 S 448 bis 455), wobei es insbesondere die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S*** auszugsweise wörtlich wiedergab (ON 65 S 451 bis 455). Es erachtete das Verfahren erster Instanz als mängelfrei und billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes. Rechtlich führte es aus:

Die inländische Gerichtsbarkeit sei im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes und seine österreichische Staatsbürgerschaft, aber auch nach den Bestimmungen des Haager Minderjährigen-Schutzübereinkommens, BGBl. 1975/446, ebenso zu bejahen wie die Zuständigkeit des Gerichtes erster Instanz. Bei der nach § 177 Abs 2 ABGB zu treffenden Entscheidung, welchem Elternteil die in § 144 ABGB bezeichneten Rechte und Pflichten künftig allein zustehen sollten, seien unter Berücksichtigung des Kindeswohles (§ 178 a ABGB) die Lebensverhältnisse der beiden Elternteile gegenüberzustellen und gegeneinander abzuwägen. Auf Grund der Feststellungen sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß an sich beide Elternteile grundsätzlich zur Pflege und Erziehung der Minderjährigen geeignet seien, die Mutter aber zur Gewährleistung des Kindeswohles eher berufen erscheine. Der Betreuung von Kleinkindern durch die Mutter sei im allgemeinen der Vorzug zu geben, weil jüngere Kinder, insbesondere Mädchen, nach entwicklungspsychologischen Kenntnissen eine viel stärkere Bindung zur Mutter als zum Vater hätten. Der Umstand, daß sich die Minderjährige jetzt seit etwa eineinhalb Jahren beim Vater befinde, müsse in den Hintergrund treten, weil die im Regelfall für Jahre richtungsweisende Entscheidung über den Verbleib eines Kindes nach rechtskräftiger Ehescheidung der Eltern nicht von dem mehr oder weniger zufälligen Umstand abhängen solle, welcher Elternteil das Kind im Zeitpunkt der tatsächlichen Trennung gerade bei sich gehabt habe. Die Minderjährige sei damals bereits etwa drei Jahre alt gewesen; ihre Beziehung zur Mutter sei durch deren Besuche aufrecht geblieben. Im übrigen wolle der Vater nach Wien übersiedeln; das Kind werde sich aber auf den mütterlichen Bereich eher und leichter einstellen als auf das neue Umfeld im Wiener Raum.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters wegen Aktenwidrigkeit und Nullität mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß ihm die in § 144 ABGB genannten elterlichen Rechte übertragen würden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Als aktenwidrig rügt der Rechtsmittelwerber die Ausführung des Rekursgerichtes, der Sachverständige Dr. S*** habe "neben der Kenntnis des gesamten Akteninhaltes bei einer eingehenden Befundaufnahme ein Bild von Vater, Mutter und Kind" gewonnen (ON 65 S 457). Dies stehe in Widerspruch zu der aktenkundigen Tatsache, daß nach Erstattung des Gutachtens mehrere Auskunftspersonen vernommen worden seien, die die Beurteilungsgrundlagen für den Gutachter entscheidend verändert hätten.

Von einer Aktenwidrigkeit kann indes keine Rede sein: Liest man den im Rechtsmittel zitierten Satzteil in seinem Gesamtzusammenhang, dann wird klar, daß das Rekursgericht nur von der Kenntnis des Sachverständigen vom gesamten Akteninhalt zum Zeitpunkt seiner Begutachtung gesprochen hat. Das Gericht zweiter Instanz führt nämlich an der angegebenen Stelle in Erledigung der Mängelrüge des ehelichen Vaters aus, die (nach Erstattung des Gutachtens ON 43) vernommenen Zeuginnen Susanne P*** und Ingrid B*** hätten keine solchen Umstände mitgeteilt, "die gleichsam dem Gutachten des Sachverständigen die Grundlage entzogen haben". Es dürfe ja nicht übersehen werden, daß der sehr erfahrene, seit vielen Jahren auf diesem Gebiet tätige Sachverständige Hofrat Dr. S*** "neben der Kenntnis des gesamten Akteninhaltes bei einer eingehenden Befundaufnahme ein Bild von Vater, Mutter und Kind gewonnen und dieses Gesamtbild auf Grund seiner Erfahrung im Gutachten verwertet" habe. Ein - das Wesen der Aktenwidrigkeit im Sinne des § 16 AußStrG ausmachender - Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und den darauf beruhenden wesentlichen Tatsachenfeststellungen, der nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist (Fasching, LB Rz 1771; EFSlg 50.006 ua.), liegt sohin nicht vor.

Auch die Rechtsmittelausführungen, daß eine Ergänzung des Gutachtens nach den später gewonnenen Beweisergebnissen erforderlich gewesen wäre, sind nicht geeignet, eine Aktenwidrigkeit aufzuzeigen. Mit seinen Ausführungen zum Rechtsmittelgrund der Nullität wiederholt der Revisionsrekurswerber im wesentlichen nur seinen Vorwurf, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht das Gutachten des Sachverständigen Dr. S*** als wichtigste Entscheidungsgrundlage herangezogen, obwohl darin wesentliche, nachträglich hervorgekommene Umstände nicht berücksichtigt worden seien. Damit wendet sich der Vater der Minderjährigen in Wahrheit gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die in einem Rechtsmittel nach § 16 AußStrG nicht bekämpft werden kann (EFSlg 49.923), und macht einen Verfahrensverstoß geltend, der nach dieser Bestimmung unbeachtlich ist (EFSlg 50.001 uva.). Eine allfällige Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften kann im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses nur dann wahrgenommen werden, wenn der Verletzung dieser Bestimmungen wegen ihrer besonderen Bedeutung im Einzelfall das Gewicht einer Nullität im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG zukommt (EFSlg 50.002 mwN). Der dort nicht näher umschriebene Begriff der Nullität ist grundsätzlich der Zivilprozeßordnung zu entnehmen, deren § 477 sinngemäß anzuwenden ist (EFSlg 37.368, 49.997 ua.). In ganz besonderen Fällen ist auch solchen Verfahrensverstößen, die nicht dem § 477 ZPO unterstellt werden könnten, das Gewicht einer Nichtigkeit beizumessen (EFSlg 37.369 und 37.370 ua.). Verfahrensverstöße können aber immer nur dann Nichtigkeit begründen, wenn sie von einschneidender Bedeutung sind (EFSlg Band XVIII/3; EFSlg 49.981). Dies hat die Rechtsprechung jedoch nur bei der Verletzung fundamentaler Grundsätze angenommen, so etwa dann, wenn ein Verfahrensmangel geradezu eine Rechtsverweigerung zur Folge hätte (EFSlg 23.637, 32.612 ua.). Ein derartiger Verstoß ist dem Rekursgericht aber keineswegs unterlaufen, wenn es in der Überzeugung, daß die nach Erstattung des Gutachtens ON 43 abgelegten Aussagen zu den Ergebnissen des Sachverständigen nicht im Widerspruch stehen, keine Ergänzung seines Gutachtens angeordnet hat. Das Besuchsrecht des Rechtsmittelwerbers war nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung; das Rekursgericht hatte darüber nicht abzusprechen. Darin, daß es kein Besuchsrecht eingeräumt hat, kann somit keine Nichtigkeit gelegen sein.

Schließlich meint der Revisionsrekurswerber, seine am 23. April 1987 stattgefundene Vernehmung (ON 63) sei als nichtig aufzuheben gewesen, weil sich der vernehmende Richter, Vizepräsident Dr. A***, für befangen erklärt habe. Da die Vernehmung in der Folge nicht wiederholt worden sei, liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Dem kann nicht gefolgt werden. Im Außerstreitverfahren gilt - anders als im Zivilprozeß (§ 412 ZPO) - nicht der Grundsatz der Unmittelbarkeit (EFSlg 37.114 uva.). Dem Umstand, daß der vernehmende Richter nicht selbst an der Entscheidung des Rekursgerichtes mitgewirkt hat, kommt somit keine Bedeutung zu. Im übrigen wäre das rechtliche Gehör des Rechtsmittelwerbers auch dann gewahrt worden, wenn er im Rekursverfahren überhaupt nicht persönlich vernommen worden wäre. Er war nämlich am Verfahren erster Instanz ständig beteiligt und konnte außerdem seinen Standpunkt in den Rechtsmittelschriften darlegen (EFSlg 37.153 uva.).

Da somit keiner der Anfechtungsgründe des § 16 Abs 1 AußStrG vorliegt, war das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen.

Anmerkung

E11764

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00573.87.0915.000

Dokumentnummer

JJT_19870915_OGH0002_0040OB00573_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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