Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Julie L***, Rentnerin, Uderns 75, vertreten durch Dr. Norbert Grill, Rechtsanwalt in Jenbach, wider die beklagten Parteien 1. Franz H***, Schuhmachermeister, und 2. Anna H***, Hausfrau, beide Stumm 17, beide vertreten durch Dr. Walter Anderl, Rechtsanwalt in Mayrhofen, wegen Einwilligung (Streitwert S 512.000), infolge von Rekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11. Mai 1987, GZ 6 R 379/86-33, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. September 1986, GZ 9 Cg 119/84-28, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Beiden Rekursen wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
"Das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien schuldig, in die bücherliche Einverleibung des Alleineigentums für Julie L***, geborene H***, geboren am 11. Oktober 1914, auf der Liegenschaft EZ 171 II KG Uderns einzuwilligen, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 212.382,72 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 18.527,52 Umsatzsteuer und S 8.580,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit "Übergabsvertrag" vom 27. Juli 1977 übergab die Klägerin den beiden Beklagten die Liegenschaft EZ 171 II KG Uderns mit den Grundstücken 1451/2 und 276 samt dem darauf errichteten Wohnhaus Uderns 75; das Eigentum der Beklagten und die als Gegenleistung eingeräumten Rechte der Klägerin wurden auch verbüchert. Der Übergabsvertrag hat in den streiterheblichen Punkten nachstehenden Wortlaut:
"II.....
Die Übernehmer verpflichten sich zur ungeteilten Hand, an die Übergeberin eine monatliche Leibrente von S 2.000,-- jeweils fällig bis zum 5. eines jeden Monates im vorhinein, mit einem Respiro von Tagen zu bezahlen.
V.
Der Übergeberin steht bis zu ihrem Ableben an den Übergabsliegenschaften das ausschließliche Nutzungsrecht zu, sie ist berechtigt, sämtliche Früchte und Einnahmen aus den Übergabsliegenschaften zu vereinnahmen und ist den Übernehmern dafür weder Rechenschaft noch Bilanz schuldig, das heißt, daß die Übergeberin bis zu ihrem Lebensende ihre Liegenschaften wie eine Eigentümerin bewirtschaften und nutzen kann.
VI.
Die Übernehmer verpflichten sich weiters, der Übergeberin jährlich bis zum 1. September eines jeden Jahres 10 fm Brennholz zum Haus zu stellen, und zwar auf Kosten der Übernehmer.
VII.
Für den Fall der Krankheit der Übergeberin verpflichten sich die Übernehmer, diese nach bestem Wissen und Gewissen zu versorgen und ihr die beste ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Sollte die Übergeberin mit der Pflege der Übernehmer nicht einverstanden sein, so haben die Übernehmer über ihren ausdrücklichen Wunsch der Übergeberin und nach Einholung des entsprechenden Beschlusses des Hausarztes der Übergeberin eine Pflegeperson in dem von ihr bewohnten Haus zur Verfügung zu stellen und diese auf ihre eigenen Kosten zu verköstigen und zu entlohnen. Die Kosten dieser Pflegeperson werden sohin von den Übernehmern alleine getragen, wobei allerdings Leistungen, die die Übergeberin von einer Krankenversicherung erhält, zu berücksichtigen sind.
IX.
Ab Übergabsstichtag verpflichten sich die Übernehmer weiters, das Vertragsobjekt in ordentlichem Zustand zu erhalten, dieses ordnungsgemäß zu betreuen und sämtliche an der Liegenschaft und am Haus notwendigen Reparaturen auf ihre Kosten durchführen zu lassen.....
XVI.
Ergänzend wird festgehalten, daß sich dieser Vertrag nicht nur auf die Liegenschaften der Übergeberin beziehen soll, sondern auch auf das gesamte Zubehör und Inventar, welches zum Zeitpunkt des Todes der Übergeberin vorhanden ist bzw. im Haus der Übergeberin vorgefunden wird. Das heißt also, daß die Übergeberin zu Lebzeiten mit sämtlichen Einrichtungsgegenständen und Inventargegenständen wie eine Eigentümerin verfügen kann und daß das Eigentum an Zubehör und Inventar erst mit dem Tode der Übergeberin auf die Übernehmer übergeht."
Die Klägerin begehrt die Verurteilung beider Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung ihres Eigentumsrechtes an der genannten Liegenschaft. Sie habe sich im November 1983 und über den Jahreswechsel 1983/84 in Krankenhausbehandlung befunden. Trotz hausärztlicher Bestätigung ihrer Pflegebedürftigkeit sei sie von den Beklagten weder selbst in Pflege genommen noch sei ihr von diesen eine geeignete Pflegeperson namhaft gemacht worden. Sie habe deshalb mit Schreiben vom 27. Jänner 1984 den Rücktritt vom Vertrag erklärt und eine Nachfrist gesetzt; auch diese Frist sei ungenützt verstrichen. Überdies seien die Beklagten auch ihrer vertraglichen Erhaltungspflicht nicht nachgekommen.
Die Beklagten bestritten die behaupteten Vertragsverstöße und wendeten ein, die Klägerin hätte ihnen die Betreuung durch ihr Verhalten unmöglich gemacht. Der Mitteilung der Pflegebedürftigkeit sei kein hausärztliches Attest beigeschlossen gewesen. Von ihnen namhaft gemachte Pflegepersonen habe die Klägerin nicht akzeptiert. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, die Klägerin, die schon bis zum Abschluß des Übergabsvertrages im Haus gewohnt habe, sei dort auch danach verblieben. Das Haus habe sich bei der Übergabe in mindergutem Erhaltungszustand befunden. Die Beklagten hätten nach der Übergabe nur die laufenden Erhaltungs- und kleinere Instandsetzungsarbeiten verrichtet. Sie seien vom damaligen Vertreter der Klägerin, Dr. Josef T***, zur Vornahme von Reparaturarbeiten am Haus, vor allem zum Anstreichen und Abdichten der Fenster und zum Ausmalen der Zimmer, aufgefordert worden, doch sei ihnen deshalb der Vertragsrücktritt noch nicht abgedroht worden. Die Klägerin, die an Zuckerkrankheit und Bluthochdruck leide, habe sich Ende 1983 einer Unterleibsoperation unterziehen müssen. Anfang Jänner 1984 sei sie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wegen der Operation habe sie sich im Jänner und Februar 1984 in derart schlechter Verfassung befunden, daß sie während dieser Zeit der Pflege bedurft hätte. Ihr Hausarzt Dr. Eduard L*** habe die Pflegebedürftigkeit der Klägerin auch bestätigt. Die Beklagten seien vom Krankenhausaufenthalt der Klägerin und deren Entlassung vom Gemeindesekretär verständigt worden. Der Erstbeklagte habe sich am Tag ihrer Entlassung zu ihr begeben. Er habe sich mit ihr dahin geeinigt, daß er ihr jeweils das Mittagessen bringe; im übrigen habe die Klägerin erklärt, daß ihre Wäsche von einem Nachbarn gewaschen werde. Weitere Pflegeleistungen habe der Erstbeklagte der Klägerin nicht angeboten, doch habe die Klägerin solche auch nicht verlangt. Tatsächlich wäre aber eine weitergehende Betreuung der Klägerin notwendig gewesen. Sie habe in den ersten Wochen nach der Entlassung aus dem Spital das Haus mit Ausnahme der notwendigen Arztbesuche kaum verlassen können. Die Einkäufe habe ein Nachbar für sie besorgt. Die Klägerin habe zumeist liegen müssen und sei daher nicht in der Lage gewesen, ihre Wohnung zu reinigen. Die Beklagten hätten keine weiteren Hilfeleistungen für sie erbracht. Schon seit Herbst 1983 sei es zwischen den Streitteilen immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen, weil die Klägerin der Meinung gewesen sei, die Beklagten kämen ihrer Verpflichtung zur Vornahme von Instandsetzungsarbeiten nicht ordnungsgemäß nach. Nachdem der Erstbeklagte einige Tage lang der Klägerin das Mittagessen gebracht hatte und es dabei gleichfalls zu Streitigkeiten gekommen war, habe er ihr das Mittagessen nicht mehr gebracht. Mit Schreiben vom 16. Jänner 1984 habe Dr. Josef T*** die Beklagten namens der Klägerin unter Hinweis auf deren Pflegebedürftigkeit zu persönlicher Pflege bzw. Beistellung von Pflegepersonal aufgefordert. Trotz dieser Aufforderung seien die Beklagten nicht bereit gewesen, der Klägerin die Pflege selbst angedeihen zu lassen. Sie hätten sich aber bei Gisela A*** erkundigt, ob sie zur Pflege der Klägerin bereit sei, doch habe diese abgelehnt. Mit Schreiben vom 27. Jänner 1984 habe Dr. Josef T*** die Beklagten "letztmalig" aufgefordert, binnen einer Woche für die nötige Pflege zu sorgen, insbesondere auch eine Pflegeperson beizustellen, widrigenfalls seine Mandantin hiemit ihren Rücktritt vom Vertrag erklärt. Trotz dieses Schreibens hätten die Beklagten weiterhin weder selbst Pflegeleistungen erbracht noch eine Pflegeperson beigestellt. Sie hätten es auch unterlassen, vor dem Wohnhaus der Klägerin Schnee zu räumen, obwohl dies nach der Schneelage erforderlich gewesen wäre. Die Pflegebedürftigkeit der Klägerin habe bis Ende Februar 1984 gewährt, danach sei sie von ihrer Operation soweit erholt gewesen, daß sie einer Pflege nicht mehr bedurft hätte. Nachdem sie den Rücktritt vom Vertrag erklärt hatte, habe die Klägerin Instandhaltungsarbeiter der Beklagten am Haus nicht mehr zugelassen und von diesen auch keine Pflegeleistungen mehr gefordert.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Übergabsvertrag als Leibrentenvertrag. Obwohl die Pflegebedürfigkeit der Klägerin für die Beklagten erkennbar gewesen sei und sie von deren Rechtsfreund darauf noch ausdrücklich hingewiesen worden seien, hätten sie ihr die erforderliche Pflege nicht angedeihen lassen. Ob den Beklagten die Erbringung weiterer eigener Pflegeleistungen angesichts des Verhaltens der Klägerin zumutbar gewesen wären, könne dahingestellt bleiben, weil dieser im Vertrag das Recht, die Beistellung einer Pflegeperson zu verlangen, eingeräumt worden sei. Diesem Verlangen seien die Beklagten nicht nachgekommen, so daß die Klägerin zum Rücktritt vom Vertrag, der Verschulden des säumigen Vertragspartners nicht voraussetze, berechtigt gewesen sei. Die Rechtsprechung verwehre zwar dem Verkäufer nach Übergabe des Kaufgegenstandes den Rücktritt wegen Zahlungsverzuges, doch sei nicht bloß die mittlerweile übergebene Liegenschaft, sondern es seien auch sämtliche beim Ableben der Klägerin noch vorhandenen Zubehörs- und Inventarsgegenstände Vertragsgegenstand; gemäß Punkt XVI des Übergabsvertrages sollten diese aber erst mit dem Tod der Klägerin ins Eigentum der Beklagten übergehen. Liege ein einheitlicher Kaufvertrag über zwei verschiedene Kaufobjekte vor, sei das Rücktrittsrecht des Verkäufers erst nach Übergabe beider Kaufgegenstände ausgeschlossen. Daher hindere die Übergabe der Kaufliegenschaft die Klägerin nicht an der Ausübung des Rücktrittsrechtes.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch das Erstgericht auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 15.000,-- nicht aber
S 300.000,-- übersteige. Das Rücktrittsrecht setze nur objektiven Verzug voraus; die Verpflichtung, die Klägerin bei Bedürftigkeit zu pflegen, sei Teil der Gegenleistung für die übergebene Liegenschaft und daher keine Nebenpflicht. Die Beklagten seien mit der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen in Verzug geraten. Sie seien trotz der Auseinandersetzungen zur Einstellung der ausbedungenen Pflegeleistungen nicht berechtigt gewesen, ohne Ersatz durch Beistellung einer Pflegeperson zu leisten. Auf die Pflegebedürftigkeit seien sie ausdrücklich hingewiesen worden, die Pflicht zur Übermittlung der hausärztlichen Bestätigung sei nicht Vertragsinhalt. Da die Klägerin eine Pflege durch die Beklagten nicht abgelehnt habe, wären diese bis zur Beistellung einer geeigneten Pflegeperson zu eigenen Pflegeleistungen verhalten gewesen. Sie seien damit in Verzug geraten, zumal sie auf die Schreiben des Vertreters der Klägerin nicht reagiert hätten. Für einen Annahmeverzug der Klägerin fehle jeder Anhaltspunkt. Die gesetzte Nachfrist sei im Hinblick auf die Bedürftigkeit der Klägerin nach ihrer Operation angemessen gewesen. Die Beklagten hätten aber auch nicht behauptet, daß sie die vertraglich zugesicherten Leistungen wenigstens innerhalb angemessener Frist erbracht hätten. Das Vorliegen eines Rücktrittsgrundes und die Angemessenheit der Nachfrist habe das Erstgericht zutreffend bejaht. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, daß der Verkäufer ab Übergabe, das sei ab Einverleibung des Eigentumsrechtes für die Käufer im Grundbuch, nicht mehr wegen Zahlungsverzuges zurücktreten könne, seien auch auf Leibrentenverträge anzuwenden. Werde eine Liegenschaft gegen eine Leibrente veräußert, sei der Vertrag Kauf- und Leibrentenvertrag. Solche Verträge begründeten kein Dauerschuldverhältnis, das die Verpflichtung beider Vertragsteile zu fortgesetzter oder periodisch wiederkehrender Erfüllungstätigkeit voraussetze; werde eine Liegenschaft gegen Leibrente veräußert, erfülle der Veräußerer seine Pflicht schon mit der Übergabe der Liegenschaft vollständig. Der vorliegende Leibrentenvertrag enthalte allerdings auch Elemente des Ausgedinges;
an der Beurteilung als Kaufvertrag ändere dies aber nichts. Auch beim bäuerlichen Übergabsvertrag mit Einräumung eines Ausgedinges werde dem Übergeber nach Übergabe kein Rücktrittsrecht zugebilligt;
da kein Dauerschuldverhältnis vorliege, komme auch die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nicht in Betracht. Das Rücktrittsrecht des Verkäufers wegen Leistungsverzuges sei aber nur dann ausgeschlossen, wenn er den Vertrag bereits zur Gänze erfüllt habe. Liege ein einheitlicher Kaufvertrag über zwei verschiedene Kaufgegenstände vor, sei dem Verkäufer das Rücktrittsrecht erst verwehrt, wenn beide Kaufobjekte dem Käufer übergeben wurden. Im Rechtsstreit habe sich bisher jedoch keine der Parteien darauf berufen, daß auch Zubehör und Inventar Vertragsgegenstand und dieses den Beklagten noch nicht übergeben worden sei. Die hiezu vom Erstgericht getroffenen Feststellungen seien somit nicht durch entsprechendes Prozeßvorbringen gedeckt. Solche überschießende Feststellungen seien nur dann zu beachten, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder einer Einwendung hielten. Ein Teil der Rechtsprechung anerkenne überschießende Feststellungen nur, wenn diese - allenfalls nach richterlicher Aufforderung - durch nachträgliches Prozeßvorbringen gedeckt würden in anderen Entscheidungen werde die Bedachtnahme hievon nicht abhängig gemacht. Das Berufungsgericht bejahe die Zulässigkeit überschießender Feststellungen und deren Berücksichtigung bei der Sachbeurteilung. Die Beklagten hätten jedoch die unterlassene Erörterung des durch die Parteienbehauptungen nicht gedeckten Verfahrensergebnisse durch das Erstgericht als Verfahrensmangel gerügt. Durch diese Vorgangsweise seien die Parteien tatsächlich mit einer von ihnen nicht beachteten Rechtsansicht überrascht und die Beklagten somit der Möglichkeit beraubt worden, im Verfahren ersten Instanz Vorbringen, mit welchem sie das vom Erstgericht angenommene Rücktrittsrecht möglicherweise hätten bekämpfen können, zu erstatten. So sei in ihrer Berufung ein Verzicht auf die ihnen im Punkt XIV des Übergabsvertrages eingeräumten Rechte behauptet worden; zur Erhebung dieser Einwendung hätten sie aber in erster Instanz mangels Prozeßbehauptung und Erörterung durch das Erstgericht keinen Anlaß gehabt. Überdies sei die genannte Vertragsbestimmung unklar und widersprüchlich. Einerseits sei dort festgehalten, daß die Klägerin über Zubehör und Inventar bis zu ihrem Tod "wie eine Eigentümerin" verfügen dürfe, was den Schluß zuließe, daß die Beklagten schon Eigentümer dieser Gegenstände geworden seien; andererseits sei vorgesehen, daß das Eigentum erst mit ihrem Ableben auf die Beklagten übergehe. Daraus könne allenfalls neben dem unbeschränkten Nutzungsrecht auch ein "ius tollendi" der Klägerin abgeleitet werden, so daß erst bei ihrem Tod feststehe, was den Übernehmern dann verbleibe. Ob die Gegenstände dem Beklagten aber tatsächlich bereits übergeben worden seien, lasse sich dem Wortlaut der Vertragsbestimmung nicht entnehmen.
Rechtliche Beurteilung
Die von beiden Parteien erhobenen Rekurse sind berechtigt, der Rekurs der Klägerin allerdings nicht in ihrem Sinne. Im Rekursverfahren ist nur mehr die Frage strittig, ob die Klägerin trotz bereits erfolgter Übergabe der Liegenschaft durch Einverleibung des Eigentumsrechtes für die beiden Beklagten berechtigt war, wegen deren festgestellten Leistungsverzuges vom Vertrag zurückzutreten. Die Klägerin behauptet Spruchreife der Sache im Sinne der Klagsstattgebung, weil der Vertrag angesichts seines Punktes XIV noch nicht zur Gänze erfüllt sei; die Beklagten streben hingegen die Abweisung des Klagebegehrens an, weil sich die Rücktrittserklärung der Klägerin ihren eigenen Behauptungen im Verfahren erster Instanz zufolge bloß auf die Liegenschaft erstreckt habe. Der Rechtsstreit erweist sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes als spruchreif.
Dem Gericht zweiter Instanz ist darin beizupflichten, daß der von den Streitteilen als Übergabsvertrag bezeichnete Vertrag angesichts der unter den für die Überlassung der Liegenschaft vereinbarten Gegenleistungen im Vordergrund stehenden Leibrente als Leibrenten- und gleichzeitig auch als Kaufvertrag zu beurteilen ist (SZ 49/46; SZ 45/112 u.v.a.; Krejci in Rummel, ABGB, §§ 1284-1286 Rz 5). Die durch Art. 8 Nr 21 EVHGB aus § 454 BGB ausdrücklich nur für den Handelskauf übernommene dispositive Regelung, daß dem Verkäufer das Rücktrittsrecht nach § 918 dann nicht zustehe, wenn er dem Käufer die Ware übergeben und den Kaufpreis gestundet hat, ist nach ständiger Rechtsprechung (RZ 1986/28; SZ 52/36; SZ 45/112 u.v.a.) und überwiegender Lehre (Wahle und Bydlinski in Klang2 IV/2, 23 und 137 f; Koziol-Welser, Grundriß7 I 218; Hämmerle-Wünsch, Handelsrecht3 III 207; Kramer in Straube, HGB, Art. 8 Nr. 21 EVHGB Rz 3; Faistenberger-Barta-Eccher in Gschnitzer, Schuldrecht Allgemeiner Teil2, 115; aM Mayrhofer in Ehrenzweig3, Schuldrecht Allgemeiner Teil 386 entgegen der Vorauflage II/1, 209; Raischauer in Rummel, ABGB, § 918 Rz 10;
Gschnitzer, Schuldrecht Allgemeiner Teil1 70) analog anzuwenden;
demnach ist auch dem Leibrentenberechtigten der Rücktritt von dem als echtem Kaufvertrag zu beurteilenden Leibrentenvertrag nach Übergabe der Liegenschaft verwehrt (SZ 45/112; Bydlinski a. a.O. 138). Nicht anders wäre die Rechtslage, würde man den Vertrag - so wie die Parteien bei dessen Abschluß - angesichts der übrigen Gegenleistungen der Beklagten, die als typische Ausgedingsleistungen anzusehen sind, als Übergabsvertrag beurteilen. Auch bei solchen ist nach ständiger Rechtsprechung (SZ 50/166;
EvBl. 1972/38; EvBl. 1970/223; vgl. auch Aicher in Rummel, aaO § 1035 Rz 45) das Rücktrittsrecht gemäß § 918 ABGB schon nach faktischer Besitzeinräumung (SZ 50/166), jedenfalls aber nach bücherlicher Durchführung des Vertrages (JBl. 1981, 88 u.a.) ausgeschlossen, sofern - wie hier - kein Rücktrittsvorbehalt in den Vertrag aufgenommen wurde. Gegen diese Rechtsgrundsätze wendet sich die Klägerin in ihrem Rekurs auch nicht.
Die Vorinstanzen haben jedoch unter Berufung auf SZ 45/112 die Auffassung vertreten, der Verkäufer könne das Rücktrittsrecht bei einheitlichem Kaufvertrag über zwei verschiedene Kaufobjekte solange ausüben, bis der Vertrag zur Gänze erfüllt sei. Diese Ansicht entspricht auch deutscher Lehre und Rechtsprechung zu der für die österreichische handelsrechtliche Regelung vorbildlichen Norm des § 454 BGB, die angesichts des regelmäßig vereinbarten Eigentumsvorbehaltes beim Kreditkauf beweglicher Sachen nur mehr im Liegenschaftsverkehr erhebliche Bedeutung hat (RGZ 50, 138, 140; Mezger in RGRK12 Rz 2; Westermann in Münch Komm2 RZ 5; Honsell in Staudinger12 Rz 4; Pallandt-Putzo46 Anm 2), wonach diese Bestimmung bei teilweiser Erfüllung regelmäßig nicht anzuwenden ist; dieser Auffassung ist auch für den österreichischen Rechtsbereich beizutreten. In der Entscheidung SZ 45/112 ist dementsprechend dem Verkäufer, der Liegenschaftsanteile und ein Unternehmen mit einheitlichem Vertrag verkauft hatte, das Rücktrittsrecht zugebilligt worden, weil der Vertrag über die Liegenschaftsanteile noch nicht bücherlich durchgeführt gewesen war. Ist hingegen nur mehr ein unwesentlicher Teil der Lieferung bzw. der sonstigen Leistung des Verkäufers ausständig, ist bereits die das Rücktrittsrecht ausschließende Vertragserfüllung anzunehmen (vgl. RGZ 50, 138, 140; Soergel-Ballerstedt10 § 454 BGB Rz 4; Honsell a. a.O.; Pallandt-Putzo a.a.O.). Das muß insbesondere gelten, wenn die Vertragspartner der noch ausständigen Leistung keine der übrigen Vertragserfüllung vergleichbare Bedeutung beimessen. Im Punkt XVI hielten die Parteien fest, daß sich der Vertrag auch auf das gesamte Zubehör und Inventar beziehen solle, jedoch nur insoweit, als es beim Ableben der Klägerin noch vorhanden sei bzw. im Haus vorgefunden werde. Es dürfte zwar nicht zweifelhaft sein,daß nur das im Zeitpunkt des Todes der Übergeberin im Haus vorhandene Zubehör und Inventar Vertragsgegenstand sei und erst dann ins Eigentum des Übernehmers übergehen sollte, doch wäre auch damit klargestellt, daß das Interesse der Beklagten beim Vertragsabschluß ausschließlich auf die Übereignung der Liegenschaft gerichtet war und sie sich gegebenenfalls selbst damit abfinden wollten, daß ihnen vom Zubehör und Inventar überhaupt nichts oder bloß wertlose oder unbrauchbare Gegenstände zukommen werden, ohne daß sie zu einer entsprechenden Kaufpreisreduktion berechtigt wären. Bei dieser Interessenlage war der Vertrag mit der Übereingung der Liegenschaft durch die Klägerin an die Beklagten im wesentlichen erfüllt; die Stundung des Kaufpreises liegt schon in der Vereinbarung der Leibrente und der übrigen - augedingsartigen - Leistungen. Hat aber die Klägerin den Kaufgegenstand bereits (im wesentlichen) unter Kreditierung des Kaufpreises übergeben, so war sie zum Rücktritt vom "Übergabsvertrag" vom 27. Juli 1977 nicht berechtigt, so daß die Streitsache - im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens - zur Entscheidung reif ist, ohne daß es der vom Berufungsgericht angeordneten Verfahrensergänzung durch das Erstgericht bedarf. Der Oberste Gerichtshof hat somit gemäß § 519 Abs. 2 zweiter Satz ZPO durch Urteil in der Sache selbst in diesem Sinn zu erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E12003European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00649.87.0923.000Dokumentnummer
JJT_19870923_OGH0002_0010OB00649_8700000_000