TE OGH 1987/9/24 13Os131/87

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Veröffentlicht am 24.09.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.September 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Levnaic-Iwanski als Schriftführers in der Strafsache gegen Julian Emilio B*** N*** und James Ruiz G*** wegen des Verbrechens nach § 12 SuchtgiftG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengerichts vom 7.Juli 1987, GZ. 34 b Vr 864/87-39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Der am 1.Jänner 1944 geborene kolumbianische Staatsbürger Julian Emilio B*** N*** und sein am 28.Mai 1951 geborener Landsmann James Ruiz G*** wurden des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 und 3 Z. 3 SuchtgiftG schuldig erkannt. Darnach haben sie am 10. und 11. April 1987 im bewußten und gewollten Zusammenwirken 1.428 Gramm reines Kokain aus Kolumbien ausgeführt und über die USA und die BRD nach Österreich eingeführt.

Beide Angeklagte bekämpfen den Schuldspruch mit getrennt

ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden.

Zur Beschwerde des Angeklagten B*** N***:

Diese wird auf § 281 Abs. 1 Z. 4, 5 und 9 lit. a StPO gestützt. In der Hauptverhandlung hat dieser Angeklagte die Einholung von Berichten von Amnesty International über die Lage der Menschenrechte in Kolumbien sowie von der Weltgesundheitsorganisation über die Drogensituation in Kolumbien beantragt (S. 221). Diesen Beweisantrag wies das Schöffengericht mit der Begründung ab, daß die angeführten Beweisthemen für den Sachausgang belanglos seien (S. 222). Sofern der Beschwerdeführer sich durch die Abweisung dieser Anträge in Verteidigungsrechten beeinträchtigt sieht (Z. 4), weil bewiesen hätte werden können, daß seine Verantwortung (die von ihm behauptete Notwehrsituation betreffend) richtig sei und daß die zu Drogendiensten Gezwungenen in das Funktionieren des Staats und die Unabhängigkeit von Polizei und Gerichten kein Vertrauen haben können, weicht die Verfahrensrüge vom Thema des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrags ab und wird solcherart nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht.

Die Annahme des Schöffengerichts, die Angeklagten hätten beim verfahrensgegenständlichen Suchtgifttransport sich in keiner Notstandssituation befunden, erachtet der Nichtigkeitswerber B*** N*** als mangelhaft begründet (Z. 5).

Das Erstgericht hat diese Feststellung darauf gestützt, daß eine finanzielle Abhängigkeit der "Suchtgiftkuriere" wegen ihnen von den Drogenhändlern gewährter Darlehen durchaus möglich sei. Zwang werde aber dabei kaum angewendet, weil die Auftraggeber das Risiko eingehen würden, angezeigt zu werden oder doch zumindest die wertvolle Ware zu verlieren. Vielmehr sei das Motiv der Kuriere die ihnen in Aussicht gestellte Belohnung. Wären beide Angeklagten einem so starken Druck ausgesetzt gewesen, der einem entschuldigenden Notstand gleichkäme, hätten ihnen die Händler keine Belohnung von je 2.000 US-Dollar in Aussicht gestellt und als Vorausleistung sie nicht mit Spesenersätzen, die die Reisekosten offenbar überstiegen, ausgestattet. Gegen eine derart massive Druckausübung spreche ferner, daß die Angeklagten nunmehr angegeben hätten, nicht mehr zum Drogenschmuggel bereit zu sein, auch nicht im Fall einer neuerlichen Nötigung. Letztlich sei deswegen freiwilliger Körperschmuggel der Angeklagten anzunehmen, weil sie, wenn nicht schon bei der angeblich korrupten kolumbianischen Polizei, so doch in den USA oder in Europa den Behörden Mitteilung von der an ihnen begangenen Nötigung mit dem befohlenen Suchtgifttransport machen hätten können. Auch im Fall einer Gefahr für die Angehörigen der Transporteure hätten die korrekt arbeitenden Polizeibeamten Mittel und Wege gefunden, die Erhebungen unter Wahrung der Anonymität der Anzeiger und sonach unter Schonung ihrer Angehörigen durchzuführen (S. 230 f.). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht sind die Erwägungen des Schöffengerichts zur Nichtannahme des Schuldausschließungsgrunds nach § 10 Abs. 1 StGB weder undeutlich, unvollständig und widersprüchlich noch unbegründet. Mit den Einwänden,

1. es sei nicht erkennbar, von welcher Tatsache ausgehend das Gericht die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 1 StGB verneinte,

2. das Gericht habe die Verantwortung des Erstangeklagten vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung unberücksichtigt gelassen, "wonach die unmittelbare Gefahr an Leib und Leben durch die Unfähigkeit, das erhaltene Darlehen zurückzuzahlen, ausgelöst worden sei", es habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt, daß die nicht rechtzeitige Rückzahlung der gewährten Darlehen lebensbedrohend gewesen sei, es habe letztlich Feststellungen unterlassen, ob es diese Verantwortung für unglaubwürdig halte,

3. dem Urteil hafte ein innerer Widerspruch insofern an, als aus dem Umstand, daß der Angeklagte einen das gewährte Darlehen übersteigenden Betrag erhalten sollte, der Schluß auf freiwilliges Handeln gezogen, andererseits aber die Feststellung getroffen worden sei, die Auftraggeber würden bei ausschließlicher Ausübung von Zwang Gefahr laufen, bei der Behörde angezeigt zu werden oder zumindest die wertvolle Ware zu verlieren,

4. für die auf (nicht näher begründeten oder erörterten) polizeilichen und forensischen Erfahrungen beruhende Feststellung, daß auf Drogenkuriere kaum ein unmittelbarer physischer oder psychischer Zwang ausgeübt werde, sondern die in Aussicht gestellte Belohnung die primäre Motivation sei, fehle jegliche Begründung, unbegründet bleibe auch die Unterlassung von Feststellungen des Gerichtshofs über die Lebensumstände und Modalitäten der Tatausführung, wodurch dem Beschwerdeführer die Berufung auf § 10 Abs. 1 StGB unmöglich gemacht werde,

5. es widerspreche den logischen Denkgesetzen und der Lebenserfahrung, daß die Gewährung einer Belohnung einen denkbar bestehenden Zwang beseitige, ebenso die Schlußfolgerung, die unter Zwang Stehenden würden sich in diesem Fall der Polizei stellen, weil die Drohung gegen die Familie der Angeklagten ja weiterbestand und auch von ausländischen Sicherheitsbehörden keine Gewähr für deren Sicherheit geboten war, letztlich widerspreche es aber auch der Logik und der Erfahrung, aus dem Vorbringen der Angeklagten, sie würden die Straftat nicht noch einmal begehen, den Schluß zu ziehen, der Zwang wäre nicht unwiderstehlich gewesen

werden in Wahrheit formelle Begründungsmängel nicht aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.: Das Beschwerdevorbringen geht nicht von den tatsächlichen (eingangs wiedergegebenen) Erwägungen aus, mit denen das Schöffengericht die Annahme eines entschuldigenden Notstands abgelehnt hat (vgl. die Ausführungen auf Seite 230 f.).

Zu 2.: Mit der Passage: "Nach sorgfältiger Prüfung der Glaubwürdigkeit und der Beweiskraft der Beweismittel, sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenhang (§ 258 Abs. 2 StPO), ist das Schöffengericht jedoch zur Überzeugung gelangt, daß solche, das strafbare Verhalten der Angeklagten entschuldigende Umstände für sie nicht vorlagen" (S. 230 oben), hat das Gericht deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es die in Richtung § 10 Abs. 1 StGB laufende Verantwortung beider Angeklagten als unglaubwürdig ablehnte. Die Behauptung, das Erstgericht habe die Verantwortung des Nichtigkeitswerbers unberücksichtigt gelassen und sich mit ihr nicht auseinandergesetzt, es habe auch Feststellungen unterlassen, ob es diese Verantwortung für unglaubwürdig halte, verläßt den Boden des tatsächlichen Urteilsinhalts.

Zu 3.: Auch dieser Einwand geht nicht von den Entscheidungsgründen aus: Die Behauptung, das Erstgericht habe den Schluß auf freiwilliges Handeln der Angeklagten nicht oder widerspruchsvoll auf die Erwägung gestützt, daß sie einen das gewährte Darlehen und die Reisekosten übersteigenden Betrag erhalten sollten, ist im Zusammenhang der dazu angestellten Überlegungen urteilsfremd. Die im Anschluß daran gezogenen Schlußfolgerungen aus in Wahrheit nicht getroffenen Feststellungen des Gerichts sind unbeachtlich.

Zu 4.: Gleichfalls mit den Entscheidungsgründen nicht im Einklang stehen die Ausführungen, das Gericht habe auf Grund polizeilicher und forensischer Erfahrung als erwiesen angenommen, daß auf Drogenkuriere kaum ein unmittelbarer psychischer und physischer Zwang angewendet werde; vielmehr hat das Erstgericht auf Grund kriminalpolizeilicher und forensischer Erfahrungen als gerichtsbekannt angenommen, daß von internationalen Drogenhändlern benützte Suchtgiftkuriere zuvor nicht selten durch Gewährung von Darlehen in finanzielle Abhängigkeit versetzt werden, um sie sodann zur Durchführung von Schmuggelreisen zu veranlassen. Daß das Gericht aber Feststellungen nicht getroffen habe, stellt einen Begründungsmangel im gerügten Sinn nicht dar.

Zu 5.: Dem diesbezüglichen Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde zuwider sind die Ausführungen des Erstgerichts, warum es eine Notstandssituation der Angeklagten nicht angenommen habe, in ihrer Gesamtheit gesehen nicht denkgesetzwidrig; die Beschwerdeausführungen erweisen sich daher als unzulässiger Angriff auf die schöffengerichtliche Beweiswürdigung. Somit läßt die gesamte Mängelrüge eine gesetzmäßige Ausführung vermissen, weil sie teils nicht vom tatsächlichen Inhalt der Entscheidungsgründe ausgeht, teils in unbeachtlicher Weise die Beweiswürdigung der Tatrichter bekämpft.

Letztlich entbehrt auch das Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde zu § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO einer prozeßordnungsgemäßen Darstellung. Sofern ein materiellrechtlicher Nichtigkeitsgrund nicht in einem Feststellungsmangel erblickt wird, hat die gesetzmäßige Ausführung einer Rechtsrüge stets einen Vergleich der Urteilskonstatierungen mit dem darauf angewendeten Strafgesetz zur Voraussetzung. Bei der Reklamierung der Annahme eines entschuldigenden Notstands oder Putativnotstands zeigt der Beschwerdeführer aber nicht auf, aus welchen Urteilsfeststellungen diese Schuldausschließungsgründe abzuleiten wären.

Zur Beschwerde des Angeklagten Ruiz G***:

Dieses Rechtsmittel wird auf § 281 Abs. 1 Z. 4, 9 lit. a und 9

lit. b StPO gestützt.

Die Verfahrensrüge (Z. 4) wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 7.Juli 1987 gestellten Antrags auf Einholung eines Leumundszeugnisses von der zuständigen Behörde in Bogota zum Beweis dafür, daß der Zweitangeklagte unbescholten sei, niemals in Kreisen verkehrte, die mit Kokainschmuggel zu tun hatten und ohne Zwang diese Reise nicht unternommen hätte (S. 221 unten); sie behauptet ferner eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte, weil die Aufnahme dieser Beweise ergeben hätte, daß der Beschwerdeführer auch in Kolumbien unbescholten sei und nicht in Verbrecherkreisen verkehrt habe. Sonach hätte das Gericht nicht umhin können, seiner Verantwortung Glauben zu schenken und die behauptete Notstandssituation als erwiesen anzunehmen.

Durch die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme wurden keine Verfahrensgrundsätze hintangesetzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist. Für den Sachausgang entscheidend ist nämlich nicht, ob der Nichtigkeitswerber unbescholten ist oder ob er in Kreisen verkehrt hat, die sich mit Kokainschmuggel befassen, sondern ob er den Suchtgiftschmuggel in entschuldigendem Notstand begangen hat. Der Rauschgiftschmuggel steht auf Grund des Geständnisses beider Angeklagten und der sichergestellten Suchtmittel fest. Auf Grund freier Beweiswürdigung (§ 258 Z. 2 StPO) nahm das Gericht als erwiesen an, daß sich die Angeklagten nicht in der von ihnen behaupteten Ausnahmesituation befunden haben. Für diese Erwägungen waren die Frage der Unbescholtenheit des Angeklagten Ruiz G*** und die in einer Urkunde bestätigte Kontaktlosigkeit mit Kokainschmugglern ohne Bedeutung, denn aus keinem der beiden Umstände können Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob sich die Angeklagten vor Beginn des Suchtgifttransports in einer Notstandssituation befunden haben. Die Beweisthemen betreffen daher keine entscheidungswesentlichen Umstände. Eine Beschwerde, die einen nicht entscheidenden Umstand zum Gegenstand einer Verfahrensrüge macht, gelangt nicht zu gesetzmäßiger Ausführung (SSt. 31/30, 32/70). Mit dem Hinweis aber, daß bei Erwiesenheit der Beweisthemen die Tatrichter der Verantwortung der Angeklagten Glauben hätten schenken müssen, begibt sich der Nichtigkeitswerber auf das einer Anfechtung im schöffengerichtlichen Rechtsmittelverfahren entzogene Gebiet der Beweiswürdigung.

Unter Z. 9 lit. a macht der Beschwerdeführer geltend, das Erstgericht habe zur subjektiven Tatseite keine Feststellungen getroffen. Dem ist zu erwidern: Das Gericht hat festgestellt, daß beide Angeklagten den Auftrag erhalten hatten, das Suchtgift von Bogota nach Mailand zu bringen, wo sie es an Verbindungsleute zum Weiterverkauf übergeben sollten (S. 228). Damit ist eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage dafür vorhanden, daß die Angeklagten den Vorsatz hatten, das Kokain in Verkehr zu setzen. Indem der Beschwerdeführer diese Urteilskonstatierung übergeht, bringt er die Rechtsrüge nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung. Gleiches gilt für das Vorbringen zur Z. 9 lit. b, mit welchem das Fehlen von Feststellungen betreffend die vom Beschwerdeführer behauptete Notstandssituation gerügt wird - insbesondere werde nicht festgestellt, inwieweit seiner diesbezüglichen Verantwortung geglaubt werde. Das Schöffengericht hat ausdrücklich konstatiert, daß "solche, das strafbare Verhalten der Angeklagten entschuldigenden Umstände nicht vorliegen" (S. 230). Sowohl daraus als auch aus den Erwägungen hiezu (S. 230 f.) ergibt sich zwangsläufig, daß die Unterinstanz der bezughabenden Verantwortung beider Angeklagten nicht folgte. Auch hier weicht die Beschwerde vom Urteilsinhalt ab.

Da beide Nichtigkeitsbeschwerden nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt wurden, waren sie gemäß § 285 d Abs. 2 Z. 1 StPO i.V.m.

§ 285 a Z. 2 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Die Zuleitung der Akten zur Entscheidung über die Berufungen an das Oberlandesgericht Linz beruht darauf, daß eine die ausnahmsweise Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs für die Erledigung der Berufungen (§ 296 StPO) begründende Sachentscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerden entfällt (RZ. 1970 S. 17, 18, 1973 S. 70; EvBl. 1981 Nr. 46; JBl. 1985 S. 565; RZ. 1987/48 S. 180, linke Spalte, u.v.a.).

Anmerkung

E11951

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00131.87.0924.000

Dokumentnummer

JJT_19870924_OGH0002_0130OS00131_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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