Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Petrag, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Vormundschaftssache der Minderjährigen Daniel W***, geboren am 30. Mai 1984, und Isabella W***, geboren am 5. Juli 1985, infolge Revisionsrekurses der Mutter Sylvia W***, Küchengehilfin, Linz, Unionstraße 70, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 2. Juni 1987, GZ 18 R 372/87-22, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 29. April 1987, GZ 4 P 61/86-18, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Beschluß vom 29. April 1987 überwies das Erstgericht auf Antrag des Jugendamtes die Minderjährigen Daniel und Isabella W*** der gerichtlichen Erziehungshilfe und ordnete ihre Unterbringung in einer Pflegefamilie an.
Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Die Mutter der beiden Kinder, Sylvia W***, geboren am 14. Februar 1967, die selbst bei Pflegeeltern und sodann bei ihrer Tante aufgewachsen ist, unterhielt schon im Jahr 1983 zu mehreren Männern gleichzeitig intime Beziehungen. Kurz nach der Geburt des zweiten Kindes wurde die Beziehung zum Vater der beiden Kinder Boules S*** H*** gelöst. In der Folge hatte Sylvia W*** Beziehungen zu verschiedenen anderen Männern, die die Beaufsichtigung der Kinder während der Nachtschicht der als Küchengehilfin arbeitenden Mutter übernahmen. Untertags waren die Kinder bei einer Tagesmutter. Hiebei fiel auf, daß die Kinder bereits um 9.00 Uhr derart übermüdet waren, daß sie sich schlafen legten. Darüber hinaus waren sie nahezu unfähig, zu spielen, und wünschten immer wieder das Einschalten des Fernsehapparates. Auch die körperliche Pflege der Kinder durch die Mutter ließ stark zu wünschen übrig. Seit Jänner 1987 brachte die Mutter die Kinder nur noch unregelmäßig zur Tagesmutter, im Februar 1987 nur einmal; mit 2. März 1987 wurde das Betreuungsverhältnis daher aufgekündigt. Nunmehr hat der arbeitslose Lebensgefährte der Mutter, Manfred H*** - die Lebensgemeinschaft besteht seit November 1986 -, während deren Arbeitszeit von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr die Pflege übernommen. Die Mutter ist gefühlsmäßig wenig ansprechbar und sich ihrer Verantwortung für die Kinder nicht bewußt. Für sie steht im Vordergrund, daß sie entlastet wird und ihr die Kinder von anderen Personen abgenommen werden. So gab sie Daniel und die erst wenige Monate alte Isabella dem Vater der Kinder über das Wochenende mit, ohne zu wissen, wo dieser wohnt, und ohne seine Lebensgefährtin zu kennen. Sie spricht kaum mit ihren Kindern und geht mit ihnen fast nie spazieren oder auf einen Spielplatz. Aus einer starken Bequemlichkeitshaltung heraus zeigt sie sich den Kindern gegenüber sehr gewährend. Manfred H***, von dem die Mutter ein Kind erwartet, kann sich wesentlich besser auf die kindlichen Bedürfnisse einstellen; er zeigt im Umgang mit der Mutter und den Kindern allerdings große Nachgiebigkeit und überläßt die Entscheidung über eine mögliche gemeinsame Zukunft weitestgehend der Mutter. Die mangelnde Förderung und unzureichende Betreuung führte bei dem älteren Kind, Daniel, zu bedeutenden Entwicklungsrückständen von sechs bis zehn Monaten in fast allen Bereichen (optische Wahrnehmung, Handgeschick, Körperkontrolle, Sprache, akustische Wahrnehmung); am größten ist der Rückstand in der Sprach- und Sozialentwicklung. Die minderjährige Isabella versteht es wesentlich besser, ihre Wünsche durchzusetzen und die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zu ziehen. Bei ihr liegt ein Entwicklungsrückstand nicht vor.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß von der Mutter eine kontinuierliche, konsequente und förderliche Erziehung nicht zu erwarten sei. Auf Grund ihrer Bindungsschwäche, aber auch der nachgiebigen Haltung Manfred H*** könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß sich diese Beziehung als stabil erweisen werde.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Ansicht, daß ohne Erziehungshilfe die Gefahr bestehe, daß die moralische und geistige Entwicklung der beiden Kinder ebenso vernachlässigt werde wie ihre körperliche Pflege.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist unzulässig.
Da das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichtes bestätigt hat, ist der Revisionsrekurs nur mit den Einschränkungen des § 16 AußStrG zulässig. Als Rechtsmittelgrund kommt der Sache nach nur offenbare Gesetzwidrigkeit in Betracht. Eine solche liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die für die Entscheidung maßgebende Frage im Gesetz ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß an der Absicht des Gesetzgebers nicht gezweifelt werden kann, und dennoch anders entschieden wurde (EFSlg. 49.971, 44.642, 42.327 ua). Offenbare Gesetzwidrigkeit kann auch darin liegen, daß das Pflegschaftsgericht bei seiner Entscheidung das Wohl des Pflegebefohlenen völlig außer acht gelassen hat (EFSlg. 49.970, 44.648, 42.350 ua). Welche tatsächlichen Umstände im Einzelfall die Anordnung der Maßnahme gemäß § 26 JWG rechtfertigen, ist im Gesetz nicht näher bestimmt; die Behauptung, daß diese Umstände im Einzelfall zur Rechtfertigung einer derartigen Maßnahme nicht ausreichten, kann daher - sofern nicht offensichtlich das Wohl des Kindes völlig außer acht gelassen wurde - den Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit im Sinn des § 16 AußStrG nicht begründen (EFSlg. 49.971, 44.673, 44.672 ua).
Die Rechtsmittelwerberin bekämpft die Ansicht des Rekursgerichtes, bei Belassung der Kinder bei der Mutter bestehe die Gefahr, daß die moralische und geistige Entwicklung der beiden Kinder ebenso vernachlässigt werde wie ihre körperliche Pflege. Sie verweist in ihrem Rechtsmittel darauf, daß ein Erziehungsnotstand allenfalls im September 1986 vorgelegen sei, als sie Probleme mit ihrem Lebensgefährten hatte; er habe noch bei ihr gewohnt als ihr neuer Freund H*** eingezogen sei. Seither hätten sich die Verhältnisse stabilisiert; sie habe mit Hilfe ihres nunmehrigen Lebensgefährten Manfred H***, der Vater des von ihr erwarteten dritten Kindes sei, die Wohnung saniert und habe zu ihm eine feste Beziehung. Eine Heirat sei im nächsten Jahr beabsichtigt. Die Feststellungen über die mangelnde Förderung und unzureichende Betreuung durch die Mutter sind durch die Erhebungen des Jugendamtes, Aussagen von Auskunftspersonen und ein psychologisches Sachverständigengutachten gedeckt. Mit dem Rekursvorbringen wird eine offenbare Gesetzwidrigkeit im vorangeführten Sinn nicht dargetan; sie liegt - wie oben dargestellt - nach der Aktenlage auch nicht vor, so daß der Revisionsrekurs zurückzuweisen war.
Anmerkung
E12048European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00572.87.0929.000Dokumentnummer
JJT_19870929_OGH0002_0040OB00572_8700000_000