TE OGH 1987/10/6 10ObS83/87

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Veröffentlicht am 06.10.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst sowie durch die fackundigen Laienrichter Dr.Franz Köck und Karl Siegfried Pratscher als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Miroslava M***, Hausbesorgerin, 1110 Wien, Simmeringer Hauptstraße 108 c/1, vertreten durch Dr.Franz J. Salzer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** D*** A*** (Landesstelle Wien),

1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. April 1987, GZ. 31 Rs 71/87-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 28.November 1986, GZ. 10 b C 218/86-22 (nunmehr 10 Cg S 218/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird verworfen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobenen Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende erstgerichtliche Urteil nach § 492 ZPO ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung nicht Folge. Dagegen wendet sich die Revision der Klägerin wegen Nichtigkeit mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das "Erstgericht" zurückzuverweisen. Die Revisionswerberin begründet ihr Rechtsmittel damit, daß sie durch das gesamte bisherige Verfahren in ihrem durch Art.6 Abs.1 MRK garantierten Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt worden sei, weil sie keine Gelegenheit gehabt hätte, ihren Leidenszustand vollständig darzulegen, zu den Gutachten der ärztlichen Sachverständigen Stellung zu nehmen und deren Unrichtigkeit zu beweisen. Sie sei zwar ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden, habe aber dazu wegen starker Schmerzen nicht erscheinen können, weshalb die Verhandlung in ihrer Abwesenheit durchgeführt worden sei.

Weil die Revision in einem Verfahren über wiederkehrende Leistungen in einer Sozialrechtssache erhoben wurde, ist sie nach § 46 Abs.4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs.2 dieser Gesetzesstelle zulässig.

Der behauptete Revisionsgrund liegt jedoch nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 503 Abs.1 Z 1 ZPO kann die Revision begehrt werden, "weil das Urteil des Berufungsgerichtes wegen eines der im § 477 (ZPO) bezeichneten Mängel nichtig ist."

Obwohl die erstzitierte Gesetzesstelle nur von Nichtigkeiten des Berufungsurteils spricht, können auch Nichtigkeiten des diesem vorangegangenen Berufungsverfahrens als Revisionsgrund geltend gemacht werden. Auch Nichtigkeitsgründe, die dem Urteil und dem Verfahren erster Instanz anhaften, sind im Revisionsverfahren nicht unbeachtlich oder unbekämpfbar, allerdings nur dann, wenn sie auch auf das Urteil oder das Verfahren des Berufungsgerichtes wirken und wenn dieser Nichtigkeitsgrund nicht bereits vom Berufungsgericht oder durch eine bindende Entscheidung über ein Prozeßhindernis oder eine Prozeßvoraussetzung verneint wurde (arg. § 42 Abs.3 JN; §§ 6a, 7 und 510 Abs.2 ZPO; Jud.63 neu; Fasching, ZPR Rz 1905; derselbe, Komm. IV 299 f; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht2 336). Im vorliegenden Fall wurde das der Klägerin durch Art.6 Abs.1 MRK verfassungsrechtlich zustehende Recht, "daß ihre Sache in billiger Weise öffentlich von einem Gericht gehört wird", von den Vorinstanzen nicht verletzt und ihr von diesen auch nicht durch ungesetzlichen Vorgang die Möglichkeit entzogen, vor ihnen zu verhandeln (§ 477 Abs.1 Z 4 ZPO).

Obwohl sich die Klägerin angeblich nicht ausreichend in deutscher Sprache verständigen kann, weist ihre am 18.August 1986 beim Erstgericht zu Protokoll gegebene Klage weder formelle noch inhaltliche Gebrechen auf.

Die Klägerin erhielt die Einwendungen der Beklagten zugestellt. Zur Aufnahme der Anamnesen und Befunde der vom Erstgericht bestellten ärztlichen Sachverständigen wurden der Klägerin vom Erstgericht beeidete Gerichtsdolmetscher beigestellt, so daß sie alle für die Beurteilung ihres körperlichen und geistigen Zustandes erforderlichen Angaben in ihrer Muttersprache vorbringen konnte. Die von den ärztlichen Sachverständigen erstatteten schriftlichen Gutachten wurden der Klägerin anläßlich der ihr 18 Tage vor der Verhandlung persönlich zugestellten ordnungsgemäßen Ladung zugestellt.

Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht, zu der auch ein Dolmetsch für die Muttersprache der Klägerin und die ärztlichen Sachverständigen sowie ein Sachverständiger für Berufskunde geladen waren, hätte die Klägerin die Möglichkeit gehabt, allenfalls mit Hilfe des Dolmetschs ihr Vorbringen zu ergänzen, sich zum Vorbringen der Beklagten und zu den Gutachten der Sachverständigen zu äußern etc.

Selbst wenn die Klägerin trotz ausgewiesener Ladung zur Verhandlung am 28.11.1986 nicht erschienen wäre, wogegen das über die mündliche Verhandlung aufgenommene Protokoll spricht, hätte das Erstgericht die Verhandlung nach dem damals noch geltenden § 389 Abs.2 ASVG auch in Abwesenheit der Klägerin durchführen dürfen, zumal ihm damals keine Gründe für eine Verlegung oder Erstreckung der Tagsatzung bekannt waren.

Wenn die Klägerin - wie sie erstmals in der Revision behauptet - "wegen starker Schmerzen" nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht hätte kommen können, wäre sie durch dieses möglicherweise unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis und nicht durch einen ungesetzlichen Vorgang an der Möglichkeit, persönlich vor Gericht zu verhandeln, verhindert gewesen. Davon, daß das erstgerichtliche Urteil und das ihm vorangegangene Verfahren im Sinne des Art.6 Abs.1 MRK oder des § 477 Abs.1 Z 4 ZPO nichtig wären, kann daher keine Rede sein. Für das Berufungsverfahren wurde der Klägerin im Rahmen der Verfahrenshilfe ein Rechtsanwalt beigegeben. Die Klägerin hatte daher die Möglichkeit, ihre Einwände gegen das Verfahren und das Urteil des Erstgerichtes vorzubringen. Da die Klägerin in der Berufungsschrift die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht ausdrücklich beantragte und ein solcher Antrag auch nicht von der Beklagten gestellt wurde, war nach § 492 Abs.1 ZPO anzunehmen, daß die Parteien auf die Anordnung einer solchen Tagsatzung verzichtet haben und hatte die Entscheidung über die Berufung nach Abs.2 dieser Gesetzesstelle in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung zu erfolgen. Die Meinung der Revisionswerberin, daß das Berufungsgericht gegen Art.6 Abs.1 MRK verstoßen oder den im § 477 Abs.1 Z 4 ZPO bezeichneten Nichtigkeitsgrund gesetzt hätte, ist daher ebenfalls unrichtig.

Auch von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor.

Die nur wegen Nichtigkeit erhobene Revision war daher zu verwerfen (Fasching, Komm.IV 366).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG.

Anmerkung

E12677

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00083.87.1006.000

Dokumentnummer

JJT_19871006_OGH0002_010OBS00083_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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