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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1297;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der B in H, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9/II, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 1. August 2005, Zl. LGSTi/V/0553/3297 26 06 58-704/2005, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice, mit welchem der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 4. Oktober bis 6. Dezember 2004 rückwirkend berichtigt und die Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von EUR 601,60 verpflichtet wurde, abgewiesen. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Beschwerdeführerin zunächst auf Grund einer beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vorgemerkten unrichtigen Bemessungsgrundlage im Rückforderungszeitraum Arbeitslosengeld in einer Höhe ausbezahlt worden, die insgesamt um EUR 601,60 über dem (rechtens) gebührenden Arbeitslosengeld gelegen sei. Die unrichtige Bemessungsgrundlage habe EUR 2.273,42 betragen, woraus sich für den Bezugszeitraum vom 4. Oktober bis 6. Dezember 2004 ein Tagessatz von EUR 28,55 ergeben habe. Die tatsächliche Höhe der Bemessungsgrundlage habe nach Korrektur beim Hauptverband EUR 1.187,45 betragen, woraus sich ein tatsächlicher Arbeitslosengeldanspruch in der Höhe von täglich EUR 19,15 ergebe. Für 64 Tage Arbeitslosenbezug errechne sich somit ein "rechtmäßiger Anspruch" in der Höhe von EUR 1.225,60 gegenüber dem zunächst ausbezahlten in der Höhe von EUR 1.827,20.
Nach dem Versicherungsdatenauszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger sei die Beschwerdeführerin im Jahr 1982 erstmalig und seither 27 mal im Bezug von Arbeitslosengeld gestanden. Sie sei seit dem Jahr 1990 beim selben Dienstgeber (einem Gastwirt), unterbrochen durch Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges, beschäftigt. Die aus diesen Beschäftigungsverhältnissen resultierenden täglichen Arbeitslosengeldbezüge hätten im Jahr 1993 EUR 15,16 (S 208,50), in den Jahren 1994, 1998, 1999, 2000 EUR 15,44 (S 212,40), im Jahr 2001 EUR 16,08 (S 221,20), im Jahr 2002 EUR 17,74 und im Jahr 2003 EUR 17,35 betragen. Der Bezug von EUR 17,35 beruhe auf einer Bemessungsgrundlage in der Höhe von EUR 1.077,41. Die Bemessungsgrundlage für den strittigen Bezug des Jahres 2003 habe EUR 1.187,45 betragen. Einer Steigerung der Bemessungsgrundlage von rund 10 % sei - zufolge der Fehlberechnung - eine Steigerung des Arbeitslosengeldes von rund 65 % gegenüber gestanden (EUR 17,35 zu EUR 28,55). Das Ermittlungsverfahren habe weiters ergeben, dass der Berechnung des hier strittigen Arbeitslosengeldes eine Bemessungsgrundlage des Jahres 2003 zu Grunde liege, die einem durchschnittlichen monatlichen Nettoentgelt von EUR 835,13 entspreche. Der der Beschwerdeführerin auf der Grundlage des unrichtigen Tagsatzes von EUR 28,55 zuerkannte (unrichtige) Leistungsbezug in der Höhe von monatlich EUR 856,50 sei somit höher gewesen als ihr durchschnittliches Nettoentgelt. Der Beschwerdeführerin habe auf Grund ihrer oftmaligen Leistungsbezüge auffallen müssen, dass diese Zuerkennung nicht rechtmäßig gewesen sei. Nach Ansicht des Leistungsausschusses sei ihr auch bekannt gewesen, dass ein Arbeitslosengeldanspruch ca. 60 % des dieser Berechnung zu Grunde liegenden Nettoentgelts betrage und dieses keinesfalls übersteigen könne. Die Beschwerdeführerin sei daher zum Rückersatz des Überbezuges zu verpflichten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Berichtigung des Leistungsbezuges der Beschwerdeführerin, sondern ausschließlich gegen die Rückforderung des Überbezuges in der Höhe von EUR 601,60.
Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung der Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen unter anderem dann zu verpflichten, wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Dieser (dritte) Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG ist schon nach dem isolierten Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass ..." nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennenmüssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht (vgl. die Erkenntnisse vom 19. Mai 1988, Zl. 86/08/0046, vom 16. Juni 1992, Zl. 91/08/0158, vom 16. Juni 1992, Zl. 91/08/0163 uva).
Aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen und Erkennenmüssen, dass Leistung nicht oder nicht in voller Höhe gebühre) folgt, dass die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz - dolus eventualis - voraussetzen, während es für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war (vgl. die Erkenntnisse vom 16. Juni 1992, Zl. 91/08/0163, vom 29. April 2002, Zl. 99/03/0015 und vom 19. Februar 2004, Zl. 2000/08/0091).
Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (iS des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt, noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1983, Slg. Nr. 10.968/A). Insbesondere ist im gegebenen Zusammenhang die (allgemeine) Vermutung von der Gesetzeskenntnis (§ 2 ABGB) nicht ohne Weiteres heranzuziehen, weil dies der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommenen Absicht des Gesetzgebers, nicht schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein für die Rückforderung genügen zu lassen, zuwiderliefe (vgl. das Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 91/08/0158 uva).
Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze hängt die Rechtmäßigkeit der Bejahung des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG davon ab, ob die Beschwerdeführerin bei Gebrauch ihrer zu vermutenden gewöhnlichen Fähigkeiten - sachverhaltsbezogen - aus dem Bezug des Arbeitslosengeldes in der Höhe von monatlich EUR 856,50 erkennen musste, dass ihr Arbeitslosengeld in dieser Höhe nicht gebührte.
Wenn die belangte Behörde dies auf Grund des von ihr ermittelten Sachverhaltes bejaht hat, ist dies nicht rechtswidrig:
Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid stand die Beschwerdeführerin seit 1982 27 mal im Bezug von Arbeitslosengeld, woraus ihr das Verhältnis der Höhe des Arbeitslosengeldes zur Höhe ihrer vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erzielten Arbeitsverdienste, welches die belangte Behörde mit 60 % des Nettoentgeltes beziffert, - zumindest annähernd - bekannt sein musste. Auch zeigt die belangte Behörde auf, dass sich im Verhältnis zum vorletzten Bezugsfall das durchschnittliche (Brutto-)Arbeitsentgelt (welches im Wesentlichen die Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld darstellt) zwar um rund 10 %, hingegen das zunächst zuerkannte Arbeitslosengeld (täglich EUR 28,55) das Arbeitslosengeld des früheren Bezugsfalls (täglich EUR 17,35) um 65 % überstiegen hat. Schließlich hat die belangte Behörde auch noch darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zuletzt ein durchschnittliches Nettoarbeitsentgelt von etwa EUR 835,13 erzielte, sodass das ihr zunächst zuerkannte und ausbezahlte Arbeitslosengeld dieses um mehr als EUR 20,-- überstiegen hat.
Diese Umstände in ihrem Zusammenhalt vermögen die Schlussfolgerung der belangten Behörde zu rechtfertigen, dass die Beschwerdeführerin bei Anwendung der gewöhnlich vorauszusetzenden Fähigkeiten wissen musste, dass ihr Arbeitslosengeld in der Höhe von monatlich EUR 856,50 nicht gebührte.
Soweit in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit von Verfahrensvorschriften ein Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens vor der regionalen Geschäftsstelle gerügt wird (Nichteinhaltung einer Frist zur Stellungnahme durch vorzeitige Bescheiderlassung), ist darauf zu entgegnen, dass die Beschwerdeführerin nicht darlegt, inwieweit dieser Umstand zu einem fehlerhaften Bescheid der belangten Behörde im Berufungsverfahren führen konnte. Soweit aber im Rahmen der Rechtsrüge die Auffassung vertreten wird, "Schlechtgläubigkeit" im Sinne des hier maßgebenden Rückforderungstatbestandes setze voraus, dass der Überbezug "ohne weiteres" hätte erkennbar sein müssen, ist diesen Ausführungen zwar durchaus zuzustimmen. Die belangte Behörde hat aber gerade dies auf Grund der von ihr näher dargelegten Begleitumstände mit Recht angenommen.
Im Übrigen wird sogar in der Beschwerde nur in Zweifel gezogen, ob der Beschwerdeführerin die Höhe des Überbezuges von EUR 601,60 (für den gesamten Zeitraum der Rückforderung) erkennbar gewesen sei. Es sei der Beschwerdeführerin durchaus zugute gehalten, dass sie die genaue Höhe des Überbezuges nicht erkennen konnte. Darauf kommt es aber nicht an: Maßgeblich und für die Berechtigung des AMS zur Rückforderung ausreichend ist, dass die Beschwerdeführerin bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können, dass ihr das Arbeitslosengeld nicht in der Höhe zugestanden ist, in der es ihr vom AMS zuerkannt und auch ausbezahlt wurde. Bedenken gegen die Sachlichkeit dieser Regelung bestehen schon deshalb nicht, weil die Beschwerdeführerin jederzeit beim Arbeitsmarktservice hätte erkunden können, in welchem Ausmaß sie mit einer Berichtigung der Leistung bzw. mit einer Rückforderung zu rechnen hatte, sowie inwieweit sie das erkennbar zu hohe Arbeitslosengeld tatsächlich auch verbrauchen durfte, ohne einer Rückforderung ausgesetzt zu sein.
Da somit bereits die Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren abzuweisen.
Wien, am 14. September 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005080155.X00Im RIS seit
17.11.2005