Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Susanne S***, Haushalt, Haymogasse 82/4, 1238 Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Kluger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Friedrich D***
Gesellschaft mbH, Pfarrgasse 16, 2340 Mödling, vertreten durch Dr. Rudolf Gimborn, Dr. Fritz Wintersberger, Rechtsanwälte in Mödling, wegen S 50.000,-- s.A., infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 7. April 1987, GZ 1 R 8/87-23, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 30. Oktober 1986, GZ 30 Cg 378/85-21, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
In der vom Erstgericht am 8. September 1986 durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung wurde ein Protokoll aufgenommen, das in Vollschrift die in § 207 Abs 1 Z 1 bis 3 vorgeschriebenen Angaben und den Beschluß enthält, daß von der Beiziehung eines Schriftführers abgesehen und für den übrigen Teil des Verhandlungsprotokolles ein Schallträger verwendet wird. Weiters ist in Vollschrift beurkundet, daß die Parteien mit der sofortigen Löschung der Aufnahme am Schallträger einverstanden sind. Als Ergebnis der Verhandlung ist festgehalten, daß ein bedingter Vergleich geschlossen wurde, für beide Parteien wurde eine Protokollsabschrift vorgesehen. Die erste Seite des Verhandlungsprotokolles, auf der alle diese Beurkundungen enthalten sind, weist die Unterschriften der Klägerin des Klagevertreters und des Richters auf. Schließlich findet sich auf der ersten Seite des Protokolles noch der Vermerk "Vgl. umseits". Auf der Rückseite ist in Langschrift ein Vergleich protokolliert, dessen Punkt 2. folgenden Wortlaut hat:
"Dieser Vergleich wird nur wirksam, wenn er nicht von einer der Parteien bis 20. Oktober 1986 widerrufen wird."
Unterhalb des Vergleiches befindet sich ein offensichtlich vom Richter stammendes Handzeichen. Am 26. September 1986 wurde die Übersendung der Protokollabschriften an die Parteien abgefertigt. Am 21. Oktober 1986 langte ein am 20. Oktober 1986 zur Post gegebener Vergleichswiderruf der beklagten Partei beim Erstgericht ein. Das Erstgericht wies den Vergleichswiderruf mit der Begründung zurück, die Widerrufserklärung hätte am 20. Oktober 1986 bei Gericht einlangen müssen.
Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Verfahrensfortsetzung auf. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, die beklagte Partei habe (durch ihren Rechtsvertreter) den Vergleich nicht unterfertigt, sodaß ein Vergleich gar nicht wirksam zustande gekommen sei. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes JBl 1986, 465 sei der Wille der Parteien, die einen gerichtlichen Vergleich vereinbaren, regelmäßig auf die Schriftform gerichtet, sodaß sie vor der Leistung der Unterschrift unter den - gemäß § 212 Abs 6 ZPO in Vollschrift
protokollierten - Vergleich nicht gebunden sein wollten und auch nicht seien. Selbst die - hier nur von der Klagsseite vorliegenden - Unterschriften der Parteien(vertreter) unter dem auch bei Verwendung eines Schallträgers gemäß § 212 a Abs 1 Satz 2 ZPO in Vollschrift aufzunehmenden Teil des Verhandlungsprotokolles hätten sohin zur Einhaltung der für den gerichtlichen Vergleich als vereinbart anzusehenden Schriftform nicht ausgereicht, wenn nicht der - wie hier auf der Rückseite - in Vollschrift protokollierte Vergleichstext selbst ebenfalls unterschrieben sei. Der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes JBl 1987, 122 werde abgesehen davon, daß auch von ihr die (im vorliegenden Fall seitens der beklagten Partei fehlende) Unterschrift der Parteien(vertreter) unter dem - auch ohne langschriftlichen Vergleichstext abgefaßten - Verhandlungsprotokoll (Formblatt) zur "Vollendung der für den gerichtlichen Vergleich vereinbarten Schriftform" erfordert zu sein scheine, schon deshalb nicht gefolgt, weil das Rekursgericht den Worten "in solchem Falle" im Satz 2 des § 212 Abs 6 ZPO ein anderes Verständnis beimesse. Denn diese Worte bezögen sich nicht auf das fehlende Begehren einer Protokollabschrift, sondern eben auf die vorher genannten Prozeßerledigungsfälle und wären daher durch das Wort "jedenfalls" sinngemäß zu ergänzen. Nur so erschienen nämlich vor allem bei unbedingten Vergleichen Verzögerungen und Zweifelsfragen über Art und Zeitpunkt der Prozeßbeendigung vermieden.
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, in welchem die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes beantragt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof verlangte in früheren Entscheidungen zwar die Unterfertigung eines gerichtlichen Vergleiches durch die Parteien (SZ 42/61, JBl 1986, 465), nach der jüngsten Rechtsprechung (JBl 1987, 122; 3 Ob 116/86) ist die Unterschrift der Parteien auf dem Verhandlungsprotokoll aber kein Gültigkeitserfordernis, sofern die Parteien eine Protokollabschrift begehren, da - wie sich aus dem zweiten Satz des § 212 Abs 6 ZPO ergebe ("in solchem Falle") - eine Protokollierung des Vergleiches in Vollschrift nur erforderlich ist, wenn die Parteien keine Protokollsabschrift begehren. Diese jüngste Judikatur entspricht einem Teil der Lehre, die gegenteilige Lehre führt für ihren Standpunkt keine Begründung an.
In der Lehre haben Neuwirth (in Fasching II 973) und Heller-Berger-Stix (I 76) ausdrücklich den Standpunkt vertreten, für die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleiches sei die Unterfertigung nicht erforderlich. Auch Fasching (Zivilprozeßrecht, Rdz 1352) vertritt die Ansicht, die Unterfertigung sei kein Gültigkeitserfordernis, die gegenteilige Ansicht des Obersten Gerichtshofes sei zwar sehr praktisch und zweckmäßig, eine Unterfertigung werde vom Gesetz aber nicht verlangt. Rechberger-Simotta (Zivilprozeßrecht3, Rz 305 lit c b) führen aus, das Protokoll über den Vergleich müsse vom Richter und Schriftführer unterfertigt sein, nach der Rechtsprechung (SZ 42/61, EvBl 1986/60) auch von den Parteien. Auch diese beiden Autoren vertreten daher offenbar so wie die jüngste Judikatur des Obersten Gerichtshofes die Meinung, eine Unterfertigung des Vergleiches durch die Parteien sei nach dem Gesetz kein Gültigkeitserfordernis.
Die gegenteilige Ansicht wird in der Lehre von Holzhammer (Österreichisches Zivilprozeßrecht2 227) und von Ertl in Rummel, ABGB, Rdz 8 zu § 1380 vertreten. Beide Autoren halten die Unterfertigung des Vergleiches durch die Parteien für unerläßlich, geben hiefür jedoch keine Begründung, sondern verweisen lediglich auf SZ 42/61. Pfersmann führt in ÖJZ 1973, 315 aus, die Entscheidung SZ 42/61 sei richtig, er gibt hiefür aber ebenfalls keine Begründung. Daß Rummel für die Wirksamkeit des gerichtlichen Vergleiches die Unterfertigung durch die Parteien fordert, läßt sich weder der im JBl 1986, 465 zitierten Rdz 1 zu § 883 noch der vom Rekursgericht zitierten Rdz 1 zu § 886 entnehmen.
Der Argumentation des Rekursgerichtes, die Worte "in solchem Falle" im zweiten Satz des § 212 Abs 6 ZPO bezögen sich nicht auf das fehlende Begehren einer Protokollsabschrift, sondern auf die im ersten Satz genannten Prozeßerledigungsfälle, kann nicht gefolgt werden. Eine Auslegung nach dem Wortlaut führt dazu, daß die Protokollierung in Vollschrift zu erfolgen hat, wenn keine Protokollabschrift begehrt wurde. Eine Regelungsabsicht dahin, daß ein Vergleich immer in Vollschrift protokolliert werden müsse, läßt sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Es besteht daher kein Anlaß, von der neuesten Judikatur abzugehen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche Begründung in JBl 1987, 122 verwiesen. Aus diesen Gründen war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen, zumal die Rechtsansicht des Erstgerichtes, ein Vergleichswiderruf müsse innerhalb der Widerrufsfrist bei Gericht eingelangt sein, der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 29/31; SZ 42/26) und der Lehre (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdz 1350) entspricht. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E12112European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00619.87.1008.000Dokumentnummer
JJT_19871008_OGH0002_0060OB00619_8700000_000