Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Oktober 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer (Berichterstatter) und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz G*** und Sieglinde H*** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 f. StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Sieglinde H*** sowie über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten Franz G*** gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 6. Juli 1987, GZ 20 d Vr 9253/86-126, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Stöger, der Angeklagten Sieglinde H*** sowie der Verteidiger Dr. Withoff und Dr. Maurer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Franz G***, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die über den Angeklagten Franz G*** verhängte Strafe unter Ausschaltung des § 31 StGB auf 4 1/2 (viereinhalb) Jahre erhöht. Der Angeklagte Franz G*** wird mit seiner Berufung hierauf verwiesen.
Der Berufung der Angeklagten Sieglinde H*** wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen beiden Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Franz G*** und Sieglinde H*** wurden des Verbrechens der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten Zuhälterei nach §§ 15, 216 Abs 2 StGB, Sieglinde H*** überdies des Verbrechens des schweren Raubs nach §§ 142 Abs 1, 143 StGB und Franz G*** des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Folgend dem Wahrspruch der Geschwornen haben die Angeklagten in der Nacht zum 8.August 1986 in Wien gemeinsam getrachtet, der Heidelinde L*** den künftig zu erwerbenden Schandlohn abzupressen und unter Einschüchterung dieser Prostituierten und der Andrea K*** sich aus deren gewerbsmäßiger Unzucht eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Darüber hinaus hat Sieglinde H*** unter drohender Verwendung des Holzfußes eines Stockerls als Waffe der Heidelinde L*** 3.500 S geraubt und Franz G*** die Verhinderung dieser Straftat vorsätzlich unterlassen. Sieglinde H***, die sich vor den Geschwornen grundsätzlich schuldig bekannt und ein reumütiges - offenbar auch den Vorsatz umfassendes - Geständnis abgelegt hat (S. 173/II, 223/II), macht Urteilsnichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z. 5 StPO geltend.
Rechtliche Beurteilung
H*** hat in der Hauptverhandlung wiederholt behauptet, nicht nur bei der Tathandlung, sondern schon vorher unter dem Druck des Franz G*** gestanden zu sein (S. 179 ff./II); sie habe deshalb schon mehrmals die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen wollen. Der Verteidiger hat über diese Gespräche und darüber, daß der Angeklagten H*** mehrmals gesagt wurde, "solange nichts passiert, könne die Polizei nichts tun", die Einvernahme des Bezirksinspektors G*** beantragt (S. 202/II).
Nachdem der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs den diesbezüglichen Bericht des Kriminalbeamten G*** in der Hauptverhandlung aus dem Gedächtnis referiert hatte (eine Verlesung entfiel, weil dieser Bericht in der Hauptverhandlung nicht gefunden wurde), wies der Schwurgerichtshof den Antrag mit der Begründung ab, daß die Situation zur Tatzeit aus dem abgeführten Beweisverfahren hervorgekommen sei (S. 203/II).
Diese Begründung trifft zu. Inwieweit nämlich der Mitangeklagte G*** die Beschwerdeführerin zur Verübung der ihr jetzt vorgeworfenen Taten verhalten hat, darüber hat die Nichtigkeitswerberin mit dem Kriminalbeamten G*** nicht gesprochen, sondern nur über Ereignisse davor, deren Tatzeuge aber Bezirksinspektor G*** ebensowenig war. Gegenteiliges behauptet die Angeklagte H*** selbst nicht. Inwiefern aber die Schilderung der Beschwerdeführerin auf Richtigkeit beruht, hatten allein die Geschwornen im Rahmen der Beweiswürdigung zu entscheiden. Aus dem Gesagten folgt, daß einerseits G*** nicht Tatzeuge, ja nicht einmal Gesprächspartner betreffend die Urteilstaten war und daß andererseits der in der Hauptverhandlung referierte Bericht die Laienrichter gar nicht beirren konnte, weil er sich nicht auf entscheidende Tatsachen bezieht.
Im übrigen bestätigt der in Rede stehende Bericht ON. 111 ohnehin, daß H*** von Mitte bis Ende Juli 1986 mehrmals bei der Polizei bezüglich G*** vorgesprochen hat und sie dabei angewiesen wurde, "bei Vorliegen bzw. Setzen eines strafbaren Tatbestands durch Franz G*** eine Anzeige beim Bezirkspolizeikommissariat Landstraße zu erstatten oder über Notruf die Polizei davon in Kenntnis zu setzen", ferner, daß H*** in der Folge mitgeteilt hat, daß sie schon über Notruf die Polizei benachrichtigt und Franz G*** angezeigt hat. Daraus folgt wiederum, daß das Beweisziel mit dem angeführten Referat vorweggenommen war.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verurteilte Franz G*** nach § 144 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB und gemäß § 31 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Kreisgerichts Krems vom 1.September (richtig 14.Februar) 1986, AZ. 9 a E Vr 238/85 (§ 107 Abs 2 StGB: 7 Monate Freiheitsstrafe) zu einer Zusatzstrafe von drei Jahren und elf Monaten. Bei der Strafbemessung waren erschwerend die schon die Voraussetzungen des § 39 StGB erfüllenden Vorstrafen sowie das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, mildernd hingegen, daß die Erpressung und die Zuhälterei jeweils beim Versuch blieben.
Sieglinde H*** wurde nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung der §§ 28, 41 StGB mit drei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Erschwerend fielen drei einschlägige Vorstrafen ins Gewicht. Als mildernd wurden hingegen das reumütige Geständnis, der Umstand, daß die Erpressung und die Zuhälterei jeweils beim Versuch geblieben ist, die Verleitung durch den Mitangeklagten G*** und die eigene schwere Verletzung als Folge des Überfalls auf L*** (sie wurde kurz darnach vom Zuhälter der beiden Prostituierten K*** und L*** angeschossen) gewertet. Die Staatsanwaltschaft beantragt eine Straferhöhung bei Franz G***, die beiden Angeklagten begehren eine Strafreduktion, Siegainde H*** überdies die Gewährung bedingter Strafnachsicht. Nur die Staatsanwaltschaft ist mit ihrem Rechtsmittel im Recht.
§ 31 StGB wurde bei Franz G*** irrig angewendet, weil dabei auf die Fällung der Vorverurteilung in erster Instanz und nicht auf deren Rechtskraft abzustellen ist. Das folgt daraus, daß § 31 StGB nachträglich die seinerzeitige Nichtanwendung des § 56 StPO sanieren soll (Absorptionsgrundsatz des § 28 StGB) und eine Einbeziehung gemäß § 56 StPO nur bis zum Urteil erster Instanz möglich ist. Die Strafe war daher bei G*** um die im vorangegangenen Urteil verhängte, zu Unrecht berücksichtigte Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf insgesamt viereinhalb Jahre zu erhöhen. Die von Franz G*** in seiner Berufung heraugestrichene Relation zur Strafe seiner Mitangeklagten H*** ist - abgesehen davon, daß die Relation keinen Strafzumessungsgrund bildet - durchaus gewahrt. Wenngleich der Berufungswerber jetzt formell weniger Straftaten als seine Mitangeklagte zu verantworten hat, wiegt sein Rückfall während des anhängigen Strafverfahrens schwer. Auch geschahen alle Straftaten in seinem überwiegenden Interesse.
Sieglinde H*** versucht in ihrer Berufung, dem schädlichen Einfluß ihres Mitangeklagten G*** noch mehr Gewicht zu verleihen, als es das Erstgericht tat. Sie übersieht dabei, daß das schwerste Verbrechen, nämlich der Raub, von ihr allein begangen worden ist. Darüber hinaus hat das Geschwornengericht bei H*** den erschwerenden Umstand der Konkurrenz des Kapitalverbrechens (Raub) mit dem Verbrechen der Erpressung und dem Vergehen der Zuhälterei vernachlässigt. Eine noch weitere (außerordentliche) Strafmilderung erscheint damit ausgeschlossen.
Für die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht fehlen die formalen Voraussetzungen (siehe § 43 Abs 2 StGB).
Anmerkung
E11939European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00130.87.1015.000Dokumentnummer
JJT_19871015_OGH0002_0130OS00130_8700000_000