Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck und Karl Siegfried Pratscher als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf N***, Pensionist, 1200 Wien, Leystraße 23/2/1/7, vertreten durch Dr. Werner Weidinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** D*** A***
(Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Entziehung eines Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. April 1987, GZ 32 Rs 38/87-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 30. Juli 1986, GZ 11b C 84/86-9 (nunmehr 11 Cgs 84/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes und das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien werden aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung - auch über die dem Kläger durch das Berufungs- und das Revisionsverfahren verursachten Kosten - an das Arbeits- und Sozialgericht Wien verwiesen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 10. Februar 1986 setzte die Beklagte die Invaliditätspension des Klägers ab 1. April 1986 unter Berufung auf § 97 Abs. 3 ASVG um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag herab, weil die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hilflosenzuschuß nach § 105a Abs. 1 ASVG nicht mehr vorlägen. Der dagegen am 30. April 1986 erhobenen Klage ist das Begehren zu entnehmen, die Beklagte zur Weitergewährung des Hilflosenzuschusses zu verurteilen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger allein aufstehen und sich niederlegen, sich an- und auskleiden, waschen, die Toilette aufsuchen könne, aber zum Niedersetzen und Aufstehen Handgriffe brauche, sich eine Mahlzeit zubereiten, essen, einen Ofen warten könne, wobei das Herausfallen von Glut insofern eine Gefährdung bilde, weil der Kläger nicht schnell genug beim Ofen sein könne, die Wohnung in Ordnung halten und Kleider und Schuhe reinigen sowie die kleine Leibwäsche pflegen könne. Er könne jedoch die notwendigen Lebensmittel des täglichen Bedarfes nicht immer selbst einholen, insbesondere bei feuchtnasser und schneeglatter Fahrbahn. Zu allen schwierigen Tätigkeiten wie z. B. Heranbringen von Heizmaterial, Besorgen der Großwäsche, Großreinemachen, Fensterputzen, aber auch für die Benützung eines Bades ohne Haltegriffe brauche er fremde Hilfe. Dieser Zustand habe "zur Zeit der Antragstellung bestanden" und sei nicht besserungsfähig. "Zur Zeit gegenüber der Gewährung" sei insofern eine Besserung eingetreten, als die Beine beiderseits belastungsfähig seien. "Die zusätzliche Versteifung des linken Sprunggelenkes bedeute jedoch zweifelsohne eine wesentliche Erschwerung".
Daraus zog das Erstgericht den rechtlichen Schluß, daß der Kläger nicht hilflos im Sinne des § 105a ASVG sei, weil er nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.
Der Kläger bekämpfte dieses Urteil mit Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, wobei er unter dem erstgenannten Berufungsgrund ua. geltend machte, daß die Frage, ob sich sein Zustand seit der "Gewährung" wesentlich gebessert habe, nicht ausreichend geklärt worden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Dagegen richtet sich die mit Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung begründete Revision des Klägers mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn anzuändern, allenfalls aufzuheben. Deutlicher als in der Berufung und nunmehr ausschließlich macht der Kläger unter dem erstgenannten Revisionsgrund Feststellungsmängel im Zusammenhang mit der Frage der wesentlichen Besserung seines Zustandes geltend.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel ist nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zulässig. Wegen wesentlicher Feststellungsmängel ist der im § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO bezeichnete Revisionsgrund gegeben.
Nach § 97 Abs. 3 ASVG wird die Herabsetzung einer Rente (Pension), wenn der Herabsetzungsgrund in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes des Rentners (Pensionisten) ... gelegen ist, mit dem Ablauf des Kalendermonates wirksam, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, ... Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine laufende Leistung nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung nach § 99 Abs. 1 ASVG zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 100 Abs. 1 leg.cit. ohne weiteres Verfahren erlischt. Nach § 99 Abs. 3 ASVG wird die Entziehung einer Leistung, wenn der Entziehungsgrund in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes des Anspruchsberechtigten gelegen ist, mit dem Ablauf des Kalendermonates wirksam, der auf die Zustellung des Bescheides folgt ...
Obwohl der Hilflosenzuschuß - anders als etwa der Steigerungsbetrag, der besondere Steigerungsbetrag und der Kinderzuschlag - kein Renten(Pensions)bestandteil im engeren Sinne ist (siehe z.B. § 261 Abs. 1 ASVG; so auch Teschner in Tomandl, SV-System 3.ErgLfg 404), handelt es sich dabei um einen Renten- oder Pensionsbestandteil im weiteren Sinn, weshalb die - mit Bescheid vorzunehmende - Entziehung eines solchen Zuschusses für sich allein als Herabsetzung der Rente (Pension), zu der er gewährt wurde, im Sinne des § 97 Abs. 3 ASVG anzusehen ist (MGA ASVG 45.ErgLfg 566 f und 42.ErgLfg 576).
Eine solche Herabsetzung einer Rente (Pension) um den Hilflosenzuschuß stellt aber auch die Entziehung eines Bestandteiles eines Anspruches auf eine laufende Leistung im weiteren Sinn dar, deren Voraussetzungen im § 99 Abs. 1 und 2 ASVG festgelegt sind. Ein Hilflosenzuschuß darf daher (für sich allein) auf Dauer nur entzogen werden, wenn seine im § 105a Abs. 1 ASVG angeführten Voraussetzungen nicht mehr vorhanden sind, wenn der Rentner (Pensionist) also nicht mehr derart hilflos ist, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedarf.
Dies wird in der Regel seinen Grund in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen und/oder geistigen Zustandes des Rentners (Pensionisten) haben.
Ob eine solche anspruchsvernichtende, also wesentliche (entscheidende) Änderung der Umstände eingetreten ist, ist durch Vergleich der zur Zeit der Gewährung - nicht etwa der Weitergewährung - des Hilflosenzuschusses gegebenen mit den nunmehrigen Verhältnissen des Rentners (Pensionisten) festzustellen. Ist keine wesentliche Änderung eingetreten, dann kann der Hilflosenzuschuß wegen der Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides auch dann nicht entzogen werden, wenn seine Voraussetzungen im Zeitpunkt seiner Gewährung gefehlt haben. (so auch MGA ASVG
42.
ErgLfg 576 und 45.ErgLfg 577; Schrammel in Tomandl, SV-System
3.
ErgLfg 181 f).
Dieser Vergleich und damit eine gründliche rechtliche Beurteilung der vorliegenden Sozialrechtssache ist aber noch nicht möglich, weil bisher nicht festgestellt wurde, 1. wann und in welcher Form der Hilflosenzuschuß zuletzt gewährt wurde - nach dem den Kläger betreffenden Pensionsakt der Beklagten dürfte es sich um den im Verfahren 11 C 19/85 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien am 12. Juni 1985 geschlossenen Vergleich handeln, in dem sich die Beklagte verpflichtet haben dürfte, dem Kläger den (ab 1. Jänner 1985 enzogenen) Hilflosenzuschuß ab 7. März 1985 wieder zu gewähren -; 2. in welchem Zustand sich der Kläger damals befand und 3. ob, allenfalls wann und wie sich dieser Zustand verändert hat.
Da die beiden Vorinstanzen einen nicht alle erheblichen Tatsachen enthaltenden Sachverhalt und damit die Sache rechtlich unrichtig beurteilt haben und die Sache in erster Instanz leichter spruchreif gemacht werden kann, waren die Urteile der beiden Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das nunmehr in erster Instanz zuständige Arbeits- und Sozialgericht Wien zu verweisen.
Die Entscheidung über den Ersatz der dem Kläger durch das Berufungs- und das Revisionsverfahren verursachten Kosten ist nach § 52 Abs. 1 ZPO derzeit noch nicht möglich.
Anmerkung
E12434European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00101.87.1020.000Dokumentnummer
JJT_19871020_OGH0002_010OBS00101_8700000_000