Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Melber, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Melanie (geboren am 13. März 1980) und Daniel (geboren am 23. März 1981) Z***, infolge Revisionsrekurses der Mutter Elisabeth Z***, Sekretärin, 2380 Perchtoldsdorf, Herzogbergstraße 131, vertreten durch Dr. Achim Maurer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 26. März 1987, GZ 43 R 29/87-51, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 17. November 1986, GZ 10 P 20/86-48, und das diesem vorangegangene Verfahren hinsichtlich des mj. Daniel Z*** als nichtig aufgehoben und der Antrag der Mutter vom 28. März 1986 in diesem Umfang zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß, der in Punkt 2. seines Spruches als unangefochten unberührt bleibt, und im Punkte 1. des Spruches aufgehoben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters Amiram Z*** gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 17. November 1986, 10 P 20/86-48, soweit er den mj. Daniel Z*** betrifft, aufgetragen.
Text
Begründung:
Jeder der beiden Elternteile hat beantragt, ihm die elterlichen Rechte über die ehelichen Kinder Melanie (geboren 13. März 1980) und Daniel (geboren 23. März 1981) Z*** allein zuzusprechen (ON 5 und ON 8). Im Oktober 1986 hat der Vater seinen Wohnsitz nach Israel verlegt und die ehelichen Kinder dorthin mitgenommen, wo sie sich noch befinden.
Das Erstgericht sprach aus, daß die Rechte gemäß § 144 ABGB nur der Mutter zustehen, und wies den Antrag des Vaters ab. Diesen Beschluß setzte das Erstgericht gemäß § 12 Abs. 1 AußStrG sogleich in Vollzug.
Das Rekursgericht erklärte aus Anlaß des Rekurses des Vaters die angefochtene Entscheidung sowie das vorangegangene Verfahren hinsichtlich des mj. Daniel Z*** für nichtig und wies den Antrag der Mutter insoweit zurück (Punkt 1. des Spruches). Soweit sich der Rekurs gegen die Entscheidung über die Übertragung der elterlichen Rechte betreffend die mj. Melanie richtete, gab ihm das Rekursgericht Folge, hob die angefochtene Entscheidung in diesem Umfange auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück (Punkt 2. des Spruches). Auf Grund der Amtsvermerke vom 12. März 1987, wonach nunmehr in Israel ein Pflegschaftsverfahren über die Zuteilung der elterlichen Rechte hinsichtlich beider Kinder anhängig sei, und vom 18. März 1987, wonach zwar die mj. Melanie neben der israelischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, der mj. Daniel aber ausschließlich israelischer Staatsbürger sei, gelangte das Rekursgericht in rechtlicher Hinsicht zu der Auffassung, daß hinsichtlich des mj. Daniel die Voraussetzungen für die inländische Gerichtsbarkeit zu Sorgerechtsentscheidungen in Pflegschaftssachen gemäß § 110 JN nicht gegeben seien, weshalb dieser Teil der Entscheidung des Erstgerichtes und das diesem vorangegangene Verfahren nichtig seien und der Antrag der Mutter insoweit zurückzuweisen gewesen sei. Betreffend die mj. Melanie, die auch österreichische Staatsbürgerin sei, werde das Erstgericht die Voraussetzungen gemäß § 110 Abs. 2 JN über das Absehen von der Fortsetzung des Verfahrens zu prüfen haben, weil diese Minderjährige (nunmehr) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland habe. Nur gegen den Ausspruch zu Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter; er ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Auf Grund der vom Rekursgericht nach der Vorlage des Revisionsrekurses getroffenen Erhebungen steht fest, daß der mj. Daniel in der Staatsbürgerschaftsevidenz der Gemeinde Wien als österreichischer Staatsbürger mit dem Erwerbsgrund gemäß Art. II StbGNov 1983 und dem Erwerbstag 27. Dezember 1983 verzeichnet ist. Über einen Verlust der Staatsbürgerschaft bestehen keine Vormerkungen (Auskunft des Magistrates der Stadt Wien, MA. 61, vom 22. Mai 1987). Die Annahme des Rekursgerichtes, daß hinsichtlich des mj. Daniel für Sorgerechtsentscheidungen in Pflegschaftssachen die inländische Gerichtsbarkeit gemäß § 110 Abs. 1 JN nicht gegeben sei, weil dieser nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, basiert somit auf einer unrichtigen Tatsachengrundlage. Die von den Eltern beantragten Regelungen sind Schutzmaßnahmen im Sinne des Haager Minderjährigenschutzabkommens BGBl. 1975/446 (MSA; siehe EfSlg. 39.799 ua). Dieses hat eine Verteilung der Zuständigkeiten für Schutzmaßnahmen auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes (Art. 1 und 2 MSA) und auf den Heimatstaat (Art. 4 MSA) geschaffen, welche Zuständigkeiten nebeneinander bestehen. Daher ist zu prüfen, ob sich die internationale Zuständigkeit (inländische Gerichtsbarkeit) für die Anwendung dieser Maßnahmen nach dem MSA oder nach innerstaatlichem Recht richtet. Das MSA geht in seinem Anwendungsbereich den autonomen Kollisionsnormen vor und ist sowohl vom Inkrafttreten des IPRG (§ 53 IPRG) als auch von der Zivilverfahrens-Novelle 1983, die § 110 JN novelliert hat (EB 669 BlgNR 15.GP zu § 110 JN Pkt. 5) unberührt geblieben. Nach Art. 13 Abs. 1 MSA ist das Übereinkommen auf alle Minderjährigen anzuwenden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben. Der gewöhnliche Aufenthalt ist dort gegeben, wo sich der Mittelpunkt der Lebensführung befindet; im Zweifel kann ein solcher nach einer Aufenthaltsdauer von wenigstens 6 Monaten angenommen werden (JBl. 1984, 153 mwN); es bedarf aber vor allem dann einer sorgfältigen Prüfung der jeweiligen Umstände, wenn der Aufenthalt des Kindes ein mehr oder weniger zwangsweiser ist, weil das Kind noch vor einer gerichtlichen Entscheidung über die Zuweisung der Elternrechte von einem Elternteil in einen anderen Staat gebracht wurde (Schwimann, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen und seine Anwendung in Österreich, JBl. 1976, 233 ff, !236 ). Der für die Beurteilung der inländischen Gerichtsbarkeit maßgebliche Zeitpunkt ist die Erlassung der Schutzmaßnahme; eine perpetuatio fori tritt nicht ein (Kropholler, Das Haager Abkommen über den Schutz der Minderjährigen 114); der nachträgliche Wegfall der Voraussetzungen der inländischen Gerichtsbarkeit hat rückwirkend die Nichtigkeit des gesamten vorangegangenen Verfahrens zur Folge (Fasching I 228; JBl. 1984, 153).
Ob der mj. Daniel durch die lange Aufenthaltsdauer den gewöhnlichen Aufenthalt in Israel erlangt hat, ist aber für das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit hier ohne Bedeutung: Hat er nämlich den gewöhnlichen Aufenthalt in Israel, dann ist das Übereinkommen nach seinem Art. 13 Abs. 1 nicht anzuwenden, weil Israel nicht zu den Vertragsstaaten dieses Abkommens gehört; es bleibt dann bei der inländischen Gerichtsbarkeit gemäß § 110 Abs. 1 Z 1 JN. Ist aber mangels Relevanz der Verbringung des Minderjährigen nach Israel ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland anzunehmen, dann ist die inländische Gerichtsbarkeit nach § 1 MSA gegeben. Dieses Abkommen findet nämlich auch auf minderjährige österreichische Staatsangehörige Anwendung, wenn diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben (Schwimann, Grundriß des IPR 246; Wiesbauer, Die Anwendung des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens auf minderjährige österreichische Staatsbürger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich, ÖJZ 1978, 151 ff; 7 Ob 651/84; 8 Ob 573/84). In beiden Fällen ist auch in der Sache nach österreichischem materiellen Recht zu entscheiden, und zwar entweder auf Grund des § 24 IPRG iVm § 9 Abs. 1 Satz 2 IPRG oder sonst nach Art. 2 MSA (7 Ob 651/84).
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluß im Umfang der Anfechtung aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Anmerkung
E12315European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00535.87.1020.000Dokumentnummer
JJT_19871020_OGH0002_0040OB00535_8700000_000