TE Vfgh Beschluss 2001/9/27 G152/01

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Veröffentlicht am 27.09.2001
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Index

80 Land-und Forstwirtschaft
80/04 Wettbewerbsrecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
DüngemittelG 1994 §5 Abs2 Z5 idF BGBl I 23/2001
DüngemittelG 1994 §6
DüngemittelG 1994 §9a
DüngemittelV 1994
Informationsrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.06.98. 98/34/EG Art9

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung im Düngemittelgesetz 1994 über das Verbot des Inverkehrbringens von - tierische Proteine iSd Tiermehlgesetzes enthaltenden - Düngemitteln infolge Zumutbarkeit der Erwirkung eines Bescheides angesichts des Außerkrafttretens von Festlegungen in der Düngemittelverordnung 1994 wegen Neuregelung der gesetzlichen Grundlage; kein Verstoß gegen die Informationsrichtlinie bei Erlassung der Novelle

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Die antragstellende Gesellschaft betreibt laut ihren eigenen Angaben ein auf die Herstellung natürlicher Mischdünger, Bodenhilfsstoffe, Kompostierhilfen, Bodenverbesserer und biologischer Pflanzenhilfs- und -stärkungsmittel spezialisiertes Unternehmen.

Mit dem vorliegenden auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG gestützten Antrag begehrt sie die Aufhebung der durch die Novelle BGBl. I 23/2001 eingefügten Bestimmung der Z5 des §5 Abs2 des Düngemittelgesetzes 1994 (DMG 1994), BGBl. 513, wegen Verstoßes gegen die verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentums- und gegen die Erwerbsausübungsfreiheit.

1. §5 DMG 1994 lautet (die angefochtene, durch die Novelle BGBl. I 23/2001 dem Abs2 angefügte Bestimmung ist hervorgehoben):

"§5. (1) Düngemittel, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Pflanzenhilfsmittel dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie einem Typ entsprechen, der durch Verordnung gemäß §6 zugelassen ist, oder wenn sie mit Bescheid gemäß §9 a zugelassen worden sind. Dies gilt nicht für Wirtschaftsdünger.

(2) Es ist verboten, Düngemittel, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Pflanzenhilfsmittel in Verkehr zu bringen, die

1. bei sachgerechter Anwendung

a)

die Fruchtbarkeit des Bodens oder

b)

die Gesundheit von Menschen und Haustieren oder

c)

den Naturhaushalt

gefährden, oder

2. Verordnungen nach §7 nicht entsprechen oder

3. falsch bezeichnet sind oder sonst den Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften nach §8 nicht entsprechen, oder

4. Klärschlamm, Klärschlammkompost, Fäkalien oder Müllkompost enthalten, soweit nicht Abs3 Ausnahmen vorsieht, oder

5. verarbeitete tierische Proteine im Sinne des Tiermehlgesetzes, BGBl. I Nr. 143/2000, enthalten.

(3) Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft kann im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler mit Verordnung unbelastete Klärschlämme und unbelastete Komposte biogenen Ursprungs zur Verwendung in Düngemitteln zulassen. In der Verordnung sind Art und Herkunft der Schlämme und der kompostierten Materialien sowie anzuwendende Herstellungs- und Reinigungsverfahren zu bestimmen."

Bei dem in der angefochtenen Bestimmung bezogenen Tiermehl-Gesetz handelt es sich um das als ArtII des BG BGBl. I Nr. 143/2000 erlassene Bundesgesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Rates über Schutzmaßnahmen in Bezug auf die transmissiblen spongiformen Enzephalopathien und die Verfütterung von tierischem Protein vom 4. Dezember 2000, mit dem - in Umsetzung dieser Entscheidung - "als Vorsichtsmaßnahme die Verwendung von tierischem Protein in Futtermitteln vorübergehend" verboten wird (§1). §2 Abs1 Tiermehl-Gesetz idF BGBl. I 22/2001 definiert "(v)erarbeitete tierische Proteine" folgendermaßen:

"Tiermehl, Fleisch und Knochenmehl, Fleischmehl, Knochenmehl, Blutmehl, getrocknetes Plasma und andere Blutprodukte, hydrolysierte Proteine, Hufmehl, Hornmehl, Mehl aus Geflügelabfällen, Federmehl, Trockengrieben, Fischmehl, Dicalciumphosphat, Gelatine und andere vergleichbare Produkte, einschließlich Mischungen dieser Produkte sowie Futtermittel, Futtermittelzusatzstoffe und Vormischungen, die derartige Produkte enthalten. Tierische Fette gelten im Sinne dieses Bundesgesetzes als verarbeitete tierische Proteine."

In den Zulassungs-Verordnungen sind gemäß §6 DMG 1994 für jeden Typ nach dem Stand der Wissenschaft und Technologie Mindestanforderungen so festzusetzen, daß bei einer sachgerechten Anwendung die Fruchtbarkeit des Bodens oder die Gesundheit von Menschen und Haustieren oder der Naturhaushalt nicht gefährdet wird und die Düngemittel ferner geeignet sind, das Wachstum von Pflanzen hinreichend zu fördern oder die Qualität der gedüngten Pflanzen zu verbessern oder den Ertrag auf den gedüngten Flächen zu erhöhen (Abs2). Gemäß §6 Abs3 sind in den Verordnungen, soweit dies für den jeweiligen Typ erforderlich ist, weiters insbesondere zu bestimmen:

"1. die Bezeichnung der Typen,

2.

die Zusammensetzung der Typen,

3.

die Art der Erzeugung sowie der verwendeten Ausgangsmaterialien, wenn dies für die Beurteilung des Produktes notwendig ist,

4.

äußere Merkmale,

5.

Gehalte an Nebenbestandteilen,

6.

bei Düngemitteln die bestimmenden Nährstoffe, deren Mindestgehalt sowie sonstige Bestandteile,

7.

die Bedeutung an Nährstoffen nach ihren Formen und Löslichkeiten,

8.

für die Wirkung oder Anwendung der Düngemittel wichtige Erfordernisse."

Sofern Düngemittel, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Pflanzenhilfsmittel nicht bereits durch Verordnung gemäß §6 typenmäßig zugelassen worden sind, bedürfen solche Erzeugnisse einer Zulassung durch das Bundesamt und Forschungszentrum für Landwirtschaft (§9a Abs1 DMG 1994). Die Zulassung eines Düngemittels durch Bescheid, also ein individuelles Verwaltungsverfahren, ist kraft Gesetzes sohin nur dann zulässig, wenn das Düngemittel nicht bereits durch Verordnung gemäß §6 DMG 1994 typenmäßig zugelassen wurde.

2. Zu ihrer Antragslegitimation bringt die antragstellende Gesellschaft vor, daß bei Herstellung mehrerer ihrer Produkte im großen Ausmaß verarbeitete tierische Proteine iSd wiedergegebenen Begriffsbestimmung verwendet werden, es sich dabei allerdings ausschließlich um Materialien handle, die aus wissenschaftlicher Sicht im Hinblick auf BSE-Erreger als ungefährlich einzustufen seien. Diese Produkte seien bisher unter einer näher genannten Marke oder unter Eigenmarken österreichischer Abnehmer im Handel gewesen.

2.1. Aufgrund der angefochtenen Bestimmung sei es der antragstellenden Gesellschaft nunmehr verboten, diese Produkte in Verkehr zu bringen. Sie habe daher das ihr aus der Erwerbsfreiheit bislang erflossene, durch die düngemittelrechtlichen Vorschriften näher konkretisierte Recht, ihre Produkte am österreichischen Markt anzubieten und zu verkaufen, durch die in Rede stehende Novelle zum DMG 1994 verloren. Da die bei Inkrafttreten des Verbotes im Handel befindlichen Waren nunmehr wertlos seien, ja als Abfall Entsorgungskosten verursachten, liege auch ein Eingriff in das Eigentumsrecht vor.

2.2. Der Antragstellerin stehe auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um ihre Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit dieses unmittelbaren und aktuellen Eingriffes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen:

Zum einen sei es ihr nicht zumutbar, durch Übertretung der angefochtenen Gesetzesbestimmung ein Strafverfahren (vgl. §19 Abs1 Z1 lita DMG 1994) oder eine Beschlagnahme ihrer Waren (vgl. §14 Abs1 und 2 leg. cit.) zu provozieren, aber auch eine Antragstellung nach §9a DMG 1994 scheide aus folgenden Gründen aus:

Das in §9a DMG 1994 vorgesehene bescheidförmige Zulassungsverfahren sei nämlich auf solche Produkte beschränkt, die "nicht bereits durch Verordnung gemäß §6 typenmäßig zugelassen worden sind". Die in Rede stehenden Produkte der Antragstellerin seien aber von der Düngemittelverordnung 1994, BGBl. 1007/1994 idF BGBl. II 277/1998, erfaßt, in deren Anlage 1, Teil B sich unter der "Typenbezeichnung: Organischer Dünger" Dünger aus folgenden aufbereiteten tierischen Ausgangsstoffen finde:

"Blutmehl, Hautmehl (von ungegerbten Häuten und Fellen), Hufmehl und -späne (getrocknet oder geröstet), Hornmehl und -späne (getrocknet oder geröstet), Federmehl (hydrolysiert von Geflügel), Haarmehl (hydrolysiert, getrocknet, gemahlen und gesiebt), Ledermehl (von gegerbten Häuten und Fellen; auch hydrolysiert), Knochenmehl (auch entleimt und entfettet), Fischmehl entfettet, Fischguano, Fleischmehl teilentfettet, Tierkörpermehl".

Ein Antrag auf bescheidmäßige Zulassung dieser Produkte wäre somit zurückzuweisen, weil die Antragsvoraussetzung des §9a Abs1 DMG 1994 (Nichtvorliegen einer typenmäßigen Zulassung) nicht erfüllt sei.

Aber selbst wenn es möglich sein sollte, auf diesem Weg einen Bescheid zu erlangen, in dem die Behörde die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte, wäre ihr die Beschreitung dieses Weges nicht zuzumuten, weil sie durch das gegenständliche Totalverbot in existenzgefährdender Weise in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit eingeschränkt werde. Der Schaden und die wirtschaftlichen Folgen eines dauerhaften Kundenverlustes, die während eines aussichtslosen Verwaltungsverfahrens bereits einträten, seien irreversibel und unzumutbar.

In einem weiteren Schriftsatz vom 20. September 2001 versucht die antragstellende Gesellschaft darzutun, daß das von ihr angefochtene Verbot gemäß §5 Abs2 Z5 DMG 1994 wirtschaftlich bereits einen Umsatzrückgang von 25 % verursacht habe, sodaß "ihr der Umweg über eine Einzelzulassung ... nicht zumutbar" sei.

2.3. An einer Zulässigkeitsvoraussetzung könnte es allerdings - so die Antragstellerin - insofern mangeln, als die angefochtene Bestimmung aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen, in concreto wegen Verstoßes gegen die Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. 1998 L 204, S 37 ff., (Informationsrichtlinie) nicht anwendbar sein sollte:

"Der (§5 Abs2 Z5 DMG 1994 zugrundeliegende) Gesetzesbeschluß geht auf einen Antrag des Nationalratsausschusses für Land- und Forstwirtschaft vom 25.1.2001 zurück. Im Ausschußbericht (455 BlgNR XXI. GP) wurde zur Begründung des Antrags folgendes ausgeführt:

'Speziell im Sinne des Vorsorgeprinzips war das entsprechende Verbot notwendig. Dabei wird neben der Sicherheit für die Konsumenten auch an die Produktsicherheit für die Landwirte gedacht.'

Der Nationalrat nahm den Antrag in der Sitzung am 1.2.2001 in Zweiter und Dritter Lesung an. Der Gesetzesbeschluß wurde am 5.2.2001 dem Bundesrat übermittelt. Eine Notifizierung des Entwurfs an die Europäische Kommission war bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.

Der Rechtsvertreter der Antragstellerin wies in einer Eingabe an die in Betracht kommenden Bundesministerien, den Nationalrat und den Bundesrat auf die Verpflichtungen Österreichs aufgrund der ... InformationsRl hin. Mit Schreiben vom 16.2.2001 ... teilte daraufhin die Parlamentsdirektion mit, daß 'der Präsident des Bundesrates mit Schreiben vom 14. Februar 2001 den gegenständlichen Gesetzesbeschluß an den zuständigen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mit dem Ersuchen um Weiterleitung an die Europäische Kommission im Notifikationsverfahren übermittelt hat.'

Der Bundesrat faßte am 15.2.2001 den Beschluß, keinen Einspruch gegen den Gesetzesbeschluß zu erheben. Am 13.3.2001 wurde die gegenständliche Novelle im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Mit Schreiben vom 15.3.2001 teilte die Europäische Kommission der Republik Österreich mit, daß die beschriebene Vorgangsweise nicht der InformationsRl entspricht."

Durch diese Vorgangsweise habe Österreich bei Erlassung der angefochtenen Bestimmung seine Verpflichtungen aufgrund der Informations-Richtlinie verletzt. Zu deren Vorgängerregelung (RL 83/189/EWG idF der RL 88/182/EWG und 94/10/EG) habe der EuGH in der Rs. C-194/94, CIA Security International SA, Slg. 1996, I-2201, ausgesprochen, daß die nationalen Gerichte die Anwendung unter die Richtlinie fallender technischer Vorschriften, die unter Verstoß gegen die Mitteilungspflichten erlassen wurden, ablehnen müssen. Dieses Anwendungsverbot gelte sowohl für Verwaltungsbehörden (EuGH 16.6.1998, Rs. C-226/97, Lemmens, Slg. 1998, I-3711) als auch für Zivilgerichte (EuGH 26.9.2000, Unilever Italia SpA, Slg. 2000, I-7535).

Nach dieser Judikatur wäre somit die angefochtene Novelle zum DMG 1994 aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen allenfalls nicht anwendbar, wie von der antragstellenden Gesellschaft in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 20. September 2001 unter Hinweis auf ein Schreiben der EU-Kommission vom 13. März 2001 bekräftigt wird. Eine Zurückweisung aus diesem Grund würde für die Antragstellerin auf dasselbe Ergebnis hinauslaufen wie eine Stattgebung des Antrages.

3. In der Sache selbst trägt die Antragstellerin im einzelnen Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung wegen Verstoßes gegen die Erwerbs- und Eigentumsfreiheit vor.

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Abweisung des Antrages, für den Fall der Aufhebung die Setzung einer achtzehnmonatigen Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung begehrt. Über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes legte sie den auf die Notifikation bezughabenden Akt vor. Daraus geht hervor (Mitteilung der Kommission - SG(2001) D/51063), "daß die betreffende Notifizierungsakte am 15-05-2001 ... vorzeitig geschlossen wurde", weil "(d)er Text ... bereits vom betreffenden Mitgliedstaat verabschiedet und im Amtsblatt veröffentlicht (13/03/2001)" wurde.

4.1. Den Ausführungen der Antragstellerin, daß der Antrag deshalb unzulässig sein könnte, weil der zur Aufhebung beantragten Bestimmung unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht entgegenstünde, hält die Bundesregierung folgendes entgegen:

"Zum Dringlichkeitsverfahren:

Die Gesetzesnovelle, mit der die angefochtene Bestimmung in das Düngemittelgesetz aufgenommen wurde, wurde am 25. Jänner 2001 vom Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft als Gesetzesvorschlag beschlossen und vom Nationalrat in der Sitzung am 1. Februar 2001 in dritter Lesung angenommen und an den Bundesrat weitergeleitet. Da die Novelle grundsätzlich der Notifikationspflicht nach der Informationsrichtlinie unterliegt und eine solche Notifikation bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt war, ersuchte der Präsident des Bundesrates in einem Schreiben an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit um Weiterleitung der Novelle zum Düngemittelgesetz an die Kommission der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen des Notifikationsverfahrens unter Berufung auf das Dringlichkeitsverfahren nach Art9 Abs7 der Informationsrichtlinie bzw. §3 Abs4 Z1 des Notifikationsgesetzes 1999, BGBl. I Nr. 183/1999.

Das 'Dringlichkeitsverfahren' ist nach Art9 Abs7 der Informationsrichtlinie dann zulässig, wenn die Ausarbeitung und Inkraftsetzung technischer Vorschriften ohne die Möglichkeit einer vorherigen Konsultation der Kommission aus dringenden Gründen, die durch eine ernste und unvorhersehbare Situation entstanden sind und sich auf den Schutz der Gesundheit der Menschen und Tiere, die Erhaltung von Pflanzen oder die Sicherheit beziehen, erforderlich ist. Die Dringlichkeit der Inanspruchnahme des Verfahrens nach Art9 Abs2 der Informationsrichtlinie wurde von Österreich im vorliegenden Fall damit begründet, dass eine unmittelbare Beeinträchtigung des Gesundheitsschutzes von Tier und Mensch bestehe. So stelle das BSE-Problem (bovine spongiforme Enzephalopathie) eine ernste Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier dar und die tierischen Proteine seien gegenwärtig der einzig bekannte Übertragungsweg. Weiters stellten auf Grund der dynamischen und insofern unvorhersehbaren Entwicklung der Kenntnisse über die Übertragung der Krankheit die Verwendung von tierischem Protein in allen Bereichen ein nicht einzuschätzendes Risiko dar. Darüber hinaus seien wegen des Beginns der Vegetationsphase unverzügliche und dringende Maßnahmen erforderlich, bevor die Bodenbearbeitung auf den landwirtschaftlichen Flächen beginne.

Die Bundesregierung vertritt in diesem Sinne die Auffassung, dass die Voraussetzungen des Dringlichkeitsverfahrens erfüllt waren.

Gemäß §3 Abs4 Z1 des Notifikationsgesetzes bzw. gemäß Art9 Abs7 der Informationsrichtlinie gelten die in §3 Abs2 des Notifikationsgesetzes bzw. in Art9 Abs1 bis 5 festgelegten Stillhaltefristen im Rahmen des so genannten 'Dringlichkeitsverfahrens' nicht. Die Stillhaltefristen fanden daher im vorliegenden Fall keine Anwendung.

Nach erfolgter Notifikation erhob der Bundesrat gegen die Novelle zum Düngemittelgesetz keinen Einspruch.

Gemäß Art9 Abs7 der Informationsrichtlinie war die Kommission verpflichtet, sich unverzüglich zu einer solchen Mitteilung eines Mitgliedstaates zu äußern. Österreich hat bis zum 12. März 2001 auf eine Antwort der Kommission gewartet. Da eine mehr als dreiwöchige Frist nicht mehr als 'kürzeste Frist' betrachtet werden konnte, erfolgte die Kundmachung der gegenständlichen Novelle zum Düngemittelgesetz 1994 mit BGBl. I Nr. 23/2001 vom 13. März 2001.

Die gegenständliche Novelle zum Düngemittelgesetz wurde somit nach dem Dringlichkeitsverfahren entsprechend den einschlägigen Bestimmungen der Informationsrichtlinie notifiziert.

Erst nach Kundmachung der gegenständlichen Novelle zum Düngemittelgesetz, die am 13. März 2001 erfolgte, langte am 15. März 2001 im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ein Schreiben der Kommission der Europäischen Gemeinschaft ein, in dem diese die österreichischen Behörden ersuchte, die von Österreich vorgebrachten Gründe für die Einleitung des Dringlichkeitsverfahrens gemäß Art9 Abs7 der Informationsrichtlinie durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu belegen, andernfalls sie die Bedingungen für das Dringlichkeitsverfahren als nicht erfüllt betrachten und die dreimonatige Stillhaltefrist gemäß Art9 Abs1 der Informationsrichtlinie für eröffnet erklären würde. Dieses Schreiben wurde umgehend dem sachlich zuständigen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zur Klärung der Frage, ob Österreich über neue wissenschaftliche Untersuchungen verfüge, weitergeleitet. Am 10. April 2001 wurde dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ein Schreiben des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft übermittelt, in dem dieses den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit um Weiterleitung seiner Stellungnahme zur Frage der Rechtfertigung der Inanspruchnahme des Dringlichkeitsverfahrens ersuchte. Diese Stellungnahme wurde noch am selben Tag an die Kommission der Europäischen Gemeinschaft weitergeleitet. Eine Reaktion der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu den von Österreich geltend gemachten Überlegungen betreffend die Rechtfertigung der Inanspruchnahme des Dringlichkeitsverfahrens liegt bislang nicht vor.

Die Behauptung der Antragstellerin, wonach nach Ansicht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft die 'beschriebene Vorgangsweise nicht der InformationsRL entspreche', entspricht somit nicht den Tatsachen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat in ihrem Schreiben keine endgültige Aussage darüber getroffen, ob sie die Berufung Österreichs auf das Dringlichkeitsverfahren für richtlinienkonform hält oder nicht - wobei im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben kann, welche Rechtsfolgen eine derartige Erklärung der Kommission habe könnte. Die Kommission hat die österreichischen Behörden nur um Übermittlung weiterer Unterlagen ersucht, die eine eingehendere Prüfung dieser Frage ermöglichen sollte.

Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Notifikation:

Zu der Rüge der Antragstellerin, wonach die angefochtene Bestimmung nicht anzuwenden sei, weil entgegen den Vorgaben der Informationsrichtlinie die Notifizierung nicht im 'Entwurfsstadium' erfolgt sei, wird wie folgt Stellung genommen:

Gemäß Art8 Abs1 erster Satz der Informationsrichtlinie übermitteln vorbehaltlich des Art10 die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt. Nach der Begriffsbestimmung des Art1 Z12 der Informationsrichtlinie gilt als 'Entwurf einer technischen Vorschrift' der Wortlaut einer technischen Spezifikation oder einer sonstigen Vorschrift oder einer Vorschrift betreffend Dienste einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind. Die Informationsrichtlinie enthält keine weiteren Angaben betreffend den Zeitpunkt des Normerzeugungsprozesses, zu dem die Mitteilung an die Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu erfolgen hat, um den Vorgaben der Informationsrichtlinie gerecht zu werden. Es liegt zu dieser Frage, soweit ersichtlich, auch noch keine Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft vor.

Es könnte daher fraglich sein, ob auch ein Gesetzesbeschluss des Nationalrates vor seiner Behandlung im Bundesrat noch als 'Entwurf' im Sinne der Informationsrichtlinie zu qualifizieren ist (vgl. zu dieser Problematik auch Bernhard/ Madner, Das Notifikationsverfahren nach der Informationsrichtlinie, JRP 1998, 87 ff, 96). Ob die Einhaltung der Stillhaltefristen des Art9 Informationsrichtlinie noch möglich wäre oder nicht - wie von der Antragstellerin behauptet -, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil gemäß Art9 Abs7 Informationsrichtlinie die Stillhaltefristen im Rahmen des so genannten 'Dringlichkeitsverfahrens' keine Anwendung fanden.

Nach Ansicht der Bundesregierung geht das gesamte Vorbringen der Antragstellerin, wonach die nationalen Gerichte die Anwendung unter die Informationsrichtlinie fallender technischer Vorschriften, die unter Verstoß gegen die Mitteilungspflicht erlassen wurden, ablehnen müssen, nun schon deswegen ins Leere, weil der von der Antragsstellerin herangezogenen Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft im Fall CIA Security International, Rs C-194/94, Slg 1996, 1-2201, der Sachverhalt zugrunde lag, dass die Notifikation der betreffenden Vorschrift zur Gänze unterlassen wurde. Der Gerichtshof hat im bezogenen Urteil, das noch zur Vorgängerin der Informationsrichtlinie, zur Richtlinie 83/189/EWG, ergangen ist, ausgesprochen, dass 'die Richtlinie dahingehend ausgelegt wird, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, der zur Unanwendbarkeit der fraglichen technischen Vorschriften auf einzelne führen kann' (CIA Security International, Rs C-194/94, Slg 1996, 1-2201 f, Rn 48). Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft hat somit die Rechtsfolge der Unanwendbarkeit für wesentliche Verfahrensfehler festgestellt (vgl. Bernhard/Madner, a.a.O., 100).

Diese Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil nach der vorgetragenen Ansicht der Bundesregierung kein Verfahrensfehler vorliegt. Keinesfalls stellt eine Notifikation nach Beschlussfassung durch den Nationalrat einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der einer gänzlichen Unterlassung der Notifikation gleich käme und nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft zur Unanwendbarkeit der vorliegenden Bestimmung führen würde."

Die Bundesregierung vertritt daher die Auffassung, daß der angefochtene §5 Abs2 Z5 des DMG 1994 in Geltung stehe und anzuwenden sei.

4.2. In der Sache selbst verteidigt die Bundesregierung die angefochtene Regelung als eine im öffentlichen Interesse gelegene und zur Zielerreichung taugliche und adäquate Maßnahme.

II. Der Antrag ist unzulässig:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.684/1988, 13.871/1994).

2. Diese letztgenannte Voraussetzung ist aber aufgrund folgender Überlegungen hier nicht gegeben:

2.1. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 12.634/1991, 12.756/1991 und 14.741/1997) tritt eine Durchführungsverordnung bei Änderung ihrer - im Sinne des Art18 Abs2 B-VG erforderlichen - gesetzlichen Grundlage im Falle eines Widerspruchs zur Neufassung gleichzeitig mit ihrer ursprünglichen gesetzlichen Grundlage außer Kraft, sofern die Neufassung des Gesetzes keine Grundlage im Sinne des Art18 Abs2 B-VG bietet.

Gemäß §5 Abs1 DMG 1994 dürfen Düngemittel, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Pflanzenhilfsmittel in Verkehr gebracht werden, wenn sie einem Typ entsprechen, der durch eine Verordnung gemäß §6 leg.cit. zugelassen ist, oder wenn sie mit Bescheid gemäß §9a DMG 1994 zugelassen worden sind.

Die u.a. aufgrund des §6 DMG 1994 erlassene Düngemittelverordnung 1994, BGBl. 1007 idF BGBl. II 277/1998, ist, sofern sie Typen von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen und Pflanzenhilfsmitteln festlegt und damit zuläßt, eine Durchführungsverordnung im Sinne des Art18 Abs2 B-VG. Sie darf daher bei der Typenfestlegung nicht von den vom Gesetzgeber in §5 Abs2 DMG 1994 festgelegten Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Düngemitteln abweichen.

Die das Inverkehrbringen von (tierische Proteine iSd Tiermehl-Gesetzes enthaltenden) Düngemitteln verbietende Bestimmung des §5 Abs2 Z5 DMG 1994 trat mangels einer besonderen Inkrafttretensregelung an dem ihrer Kundmachung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag, also am 14. März 2001, in Kraft. Mit diesem Tag sind daher auch sämtliche - in der Neuregelung keine gesetzliche Deckung findenden - typenmäßigen Festlegungen der Düngemittelverordnung 1994 außer Kraft getreten. Dies gilt insbesondere auch für die unter Z1 der Anlage 1, Teil B, Typenbezeichnung "Organischer Dünger" genannten Dünger aus aufbereiteten tierischen Ausgangsstoffen.

2.2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind daher die von ihr hergestellten, tierische Proteine iSd Tiermehl-Gesetzes enthaltenden Produkte nicht (mehr) durch die Düngemittelverordnung 1994 zugelassen. Für nicht (mehr) durch die Verordnung gemäß §6 DMG 1994 zugelassene Typen von Düngemitteln sieht aber §9a DMG 1994 ausdrücklich ein individuelles, in die Erlassung eines Bescheides mündendes Antragsverfahren vor (vgl. oben Pkt. I.1.). Ein auf §9a DMG 1994 gestützter Antrag ist daher von der Behörde materiell zu behandeln. Dabei ist u.a. zu prüfen, ob die Erzeugnisse, deren Zulassung begehrt wird, Stoffe im Sinne des §5 Abs2 Z5 DMG 1994 enthalten.

2.3. An der Zumutbarkeit dieses Verwaltungsrechtsweges vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß ein solches Verfahren bei unveränderter Rechtslage möglicherweise nicht zu dem von der Antragstellerin angestrebten Erfolg führen wird. Denn es kommt nicht auf die materiellen Erfolgschancen des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Rechtsweges an, sondern darauf, daß im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit besteht, die vom Antragsteller angenommenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gesetzesbestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes kann auch nicht gesagt werden, daß der antragstellenden Gesellschaft die Beschreitung dieses Verwaltungsrechtsweges nach den besonderen Umständen dieses Falles unzumutbar wäre, also etwa eine besondere Härte für den Antragsteller (s. dazu etwa VfSlg. 8212/1977, S 461 f., VfSlg. 8433/1978, S 341, 343) bildete. Der in diese Richtung zielenden Behauptung im Antrag, aber auch im ergänzenden Schriftsatz vom 20. September 2001 ("massive Umsatzverluste", Abwanderung des Käuferpublikums, Notwendigkeit von Substitutionsprodukten) fehlt es an der notwendigen Konkretisierung sowie einer genauen Darlegung der betreffenden Umstände im einzelnen.

3. An diesem Ergebnis vermag auch der dem Gesetzgeber bei Erlassung des §5 Abs2 Z5 DMG 1994 von der antragstellenden Gesellschaft zur Last gelegte Verstoß gegen die Vorschriften der Informationsrichtlinie 98/34/EG nichts zu ändern. Es trifft zwar zu, daß nach der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften die Art8 und 9 der Informationsrichtlinie unmittelbar anwendbar sind und wesentliche Fehler des Notifikationsverfahrens dazu führen, daß die betreffende technische Vorschrift infolge Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts insofern unanwendbar ist, als die nicht notifizierte Vorschrift die Verwendung oder den Vertrieb eines ihr nicht entsprechenden Produktes behindert (EuGH, Rs. C-194/94, CIA Security International, Slg. 1996, I-2201; Rs. C-226/97, Lemmens, Slg. 1998, I-3711).

Österreich nahm allerdings, wie den Ausführungen der Bundesregierung zu entnehmen ist, für die Notifikation der Novelle BGBl. I 23/2001 das Dringlichkeitsverfahren nach Art9 Abs7 der Informationsrichtlinie in Anspruch, weil die Erlassung der betreffenden technischen Vorschrift ohne vorhergehende Konsultation der Kommission aus dringenden Gründen, die sich auf den Schutz der Gesundheit der Menschen und Tiere im Zusammenhang mit dem BSE-Problem bezogen, erforderlich war. Mit ihrer Mitteilung SG(2001) D/51063, derzufolge "die betreffende Notifizierungsakte am 15-05-2001 ... vorzeitig geschlossen wurde", hat die Kommission jedenfalls zum Ausdruck gebracht, daß sie ihre ursprünglichen Zweifel an der Inanspruchnahme des Dringlichkeitsverfahrens durch Österreich hintangestellt hat.

An der Anwendbarkeit der Novelle BGBl. I 23/2001 ist sohin auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht zu zweifeln, sodaß jedenfalls die unter 2.1. bzw. 2.2. geschilderte Rechtsfolge eintritt und damit von der Zumutbarkeit des auf §9a DMG 1994 gestützten Verwaltungsrechtsweges mit der Unzulässigkeit des Individualantrages als Konsequenz auszugehen ist.

III. Der Antrag war daher mangels Legitimation der antragstellenden Gesellschaft gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

Düngemittel, EU-Recht, EU-Recht Richtlinie, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G152.2001

Dokumentnummer

JFT_09989073_01G00152_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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