TE OGH 1987/10/28 11Os100/87

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Veröffentlicht am 28.10.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Levnaic-Iwanski als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf H*** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 12. März 1987, GZ 16 Vr 1.395/86-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Über die Berufung wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 7.April 1949 geborene Rudolf H*** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB (I), des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs 1 StGB (II) und des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt. Darnach mißbrauchte er in der Zeit von 1976 bis 1982 in St. Pölten zu wiederholten Malen seine am 27.Oktober 1969 geborene Stieftochter Sabine Z*** zur Unzucht, indem er sein Glied bis zur Erregung streicheln, einen Mundverkehr bis zum Samenerguß durchführen ließ und sein gesteiftes Glied in den After der Unmündigen einführte (I). Ab dem Jahr 1977 unternahm er nach den jeweiligen Unzuchtshandlungen mit der Unmündigen auch den außerehelichen Beischlaf (II). Hiedurch mißbrauchte er seine Stieftochter unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person zur Unzucht (III).

Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf den § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Den Nichtigkeitsgrund nach der Z 3 sieht der Beschwerdeführer in dem Umstand, daß sich das Gericht auch auf die Aussage des Tatopfers im Vorverfahren beruft, obwohl sich Sabine Z*** ausdrücklich der Zeugenaussage entschlug.

Tatsächlich wurde das dem Personenkreis des § 72 StGB angehörende Mädchen erstmalig am 29.Oktober 1986 von der "Bundespolizeidirektion St. Pölten - Kriminalpolizeiliche Abteilung" niederschriftlich als Zeugin vernommen, wobei es "auf die Möglichkeit der Verweigerung der Aussage im Sinn der §§ 48 bis 50 AVG und §§ 152 ff StPO aufmerksam gemacht" worden war (S 41 bis 46). Diese Niederschrift wurde Bestandteil der von ihrer Mutter auf Anraten des (Scheidungs-) Gerichtes am selben Tag erstatteten Anzeige. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihre belastenden Aussagen voll aufrecht erhielt, entschlug sich Sabine Z*** "nach Vorhalt des § 152 StPO" in der Hauptverhandlung der Aussage (S 109), worauf am Ende der Verhandlung neben anderen Aktenbestandteilen auch die Anzeige verlesen wurde (S 144).

Der Oberste Gerichtshof zog schon in seiner Entscheidung vom 21. Juli 1987, AZ 11 Os 24, 25/87 (= RZ 1987/62 I), in Erwägung, daß auf Grund des Art. V EGVG auch Protokolle von Sicherheitsbehörden, die unter ganz ähnlichen Kautelen wie gerichtliche Protokolle aufzunehmen sind (§§ 24, 38 VStG, 48 bis 50 AVG), unter das Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO fallen und ein Verstoß gegen diese Norm als Umgehung der unter Nichtigkeitssanktion stehenden Vorschrift des § 152 Abs 1 Z 1 StPO zu werten ist (siehe hiezu Lohsing-Serini4, S 328). Nach dieser Rechtsansicht könnten nur formlos zustandegekommene, von Exekutivorganen (Gendarmerie, Sicherheitswache, Kriminalbeamtenkorps) aufgenommene Niederschriften und Berichte über ihnen gegebene Auskünfte dem zwingenden Verlesungsgebot des § 252 Abs 2 StPO unterworfen werden (vgl. hiezu SSt. 5/66 und die darauf fußende, allerdings nicht differenzierende Judikatur, zuletzt 14 Os 81/87 = RZ 1987/62 II).

Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren kann die Entscheidung dieser Frage aber offenbleiben, weil sich der verwirkte Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs 1 Z 3 StPO dann nicht (mit Erfolg) geltend machen läßt, wenn unzweifelhaft feststeht, daß die Formverletzung auf die Entscheidung keinen (dem Angeklagten) nachteiligen Einfluß zu üben vermochte (§ 281 Abs 3 StPO). Dieser Fall liegt hier vor:

Die Tatrichter berufen sich am Beginn der Beweiswürdigung (S 119 oben) auf die "eingangs angeführten Beweismittel", nämlich auf die Aussagen der Zeugen Gertrud H***, Roland S***, Lucia S*** und Brigitte S*** sowie die Verantwortung des Angeklagten im Zusammenhalt mit den Polizeierhebungen (S 117 unten). In diese Polizeierhebungen, insbesondere in das offen und mit Erleichterung abgelegte Geständnis des Angeklagten flossen die - wie dargelegt rite gewonnenen - Aussagen des Tatopfers bei der Polizei in Form von Vorhalten ein, sodaß sie Gegenstand dieser Vernehmung wurden (S 51 bis 55). Auf dieses (vor dem Untersuchungsrichter wiederholte) Geständnis stützten die Tatrichter ihre Feststellungen und führten unter Hinweis auf die aufrecht erhaltenen Angaben der Anzeigerin Gertrud H*** aus, daß sie der leugnenden Verantwortung in der Hauptverhandlung und den angeführten Zeugen keine entlastende Bedeutung zumaßen (S 119 bis 121). Ersichtlich nur resümierend am Ende der Beweiswürdigung erwähnte das Gericht auch die (verlesene) Aussage der Zeugin Sabine Z***, ohne ihr aber eine über das Geständnis des Angeklagten hinausgehende Bedeutung beizulegen. Nach der Aktenlage konnte also durch die Verlesung der polizeilichen Aussage des Tatopfers in diesem Strafverfahren - in dem weder in der Hauptverhandlung noch in der Rechtsmittelschrift konkrete Gründe angeführt wurden, weshalb diesem Beweismittel eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung für die Beweiswürdigung zukomme - kein Nachteil für den Angeklagten entstehen. Die Urteilsbegründung ist aber auch nicht mit den behaupteten formalen Mängeln (Z 5) behaftet. Die Tatrichter setzten sich nämlich - der Beschwerde zuwider - sehr eingehend mit der in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung des Angeklagten auseinander, wonach er das Geständnis bei der Polizei im ersten Schock - wahrheitswidrig - abgelegt habe und ihn seine Frau und deren Tochter aus erster Ehe verleumdeten, um ihn anläßlich der gleichzeitig eingereichten Scheidungsklage leichter aus der Wohnung zu bringen (S 119 bis 120). Wenn der Beschwerdeführer nun versucht, die vom Gericht als für seine Überzeugung maßgebend angeführten Argumente, nämlich die aus der Protokollierung hervorleuchtende Art der Antworten, deren befreienden Charakter und die dem Vernehmenden unbekannten Details der Lebensgewohnheiten des Verdächtigen als unzutreffend, zumindest aber als nicht überzeugend hinzustellen, macht er in Wahrheit nicht den angezogenen formalen Nichtigkeitsgrund geltend, sondern zweifelt nur die Richtigkeit der Beweiswürdigung an. Gleiches gilt für die Einwände gegen die Würdigung der Aussagen der Zeugen S***. Die Rüge aber, bei der gegebenen Beweislage hätte es der Vernehmung der ermittelnden Polizeibeamten bedurft, schlägt schon deshalb nicht durch, weil die Unvollständigkeit der Erhebungen niemals unter der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO bekämpft werden kann, sondern unter der (hier nicht gegebenen) Voraussetzung einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung bloß unter der Z 4 (Mayerhofer-Rieder2, E 82 bis 84 zu § 281 Z 5 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich daher als teilweise nicht gesetzmäßig ausgeführt nach dem § 285 d Abs 1 Z 1 StPO in Verbindung mit dem § 285 a Z 2 StPO, im übrigen aber als unbegründet nach dem § 285 d Abs 1 Z 2 StPO, weshalb sie bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen war.

Über die Berufung wird bei einem mit gesonderter Verfügung anzuordnenden Gerichtstag, für den sich der Oberste Gerichtshof auch eine Maßnahme nach dem § 290 Abs 1 StPO vorbehält, entschieden werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E14289

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0110OS00100.87.1028.000

Dokumentnummer

JJT_19871028_OGH0002_0110OS00100_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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