Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marianne K***, Pensionistin, Salzburg, Müllner Hauptstraße 4, vertreten durch Dr. Bruno Binder ua, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Gunther N***, Gastronom, Salzburg, Müllner Hauptstraße 4, vertreten durch Dr. Friedrich Gehmacher ua, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 26.März 1987, GZ 32 R 283/86-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 17. Juni 1986, GZ 18 C 1929/85-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.243,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 385,80 Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin vermietete Egon R*** im Jahr 1975 Geschäftslokale in ihrem Haus in Salzburg. Zu dieser Zeit war in den Bestandräumlichkeiten noch kein Kaffeehaus eingerichtet. Mit 1.9.1984 trat Egon R*** seine Mietrechte gemäß § 12 Abs 3 MRG an den Beklagten ab, der darin seither das früher von Egon R*** geführte "C*** R***" betreibt.
Die klagende Partei kündigte diesen Mietvertrag zum 30.6.1986 gerichtlich auf und machte den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG geltend. Dieser Kündigungsgrund sei gegeben, weil der Sohn der Klägerin in den Bestandräumlichkeiten einen Gastgewerbebetrieb beginnen wolle, was für ihn den einzig möglichen Weg darstelle, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen.
Die beklagte Partei erhob Einwendungen und bestritt das Vorliegen des Kündigungsgrundes.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt.
Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:
Der Sohn der Klägerin ist 1953 geboren. Von 1971 bis 1982 studierte er Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie. Wegen der schlechten Berufsaussichten erlernte er während des Studiums Teilgebiete des Uhrmacherhandwerks. In den Ferien war er insgesamt 8 bis 10 Monate im Gastgewerbe tätig. Nach Abschluß seines Studiums im Jahr 1982 blieben verschiedene Stellenbewerbungen erfolglos. In seinem akademischen Beruf stehen derzeit keine Posten zur Verfügung. Er arbeitete dann eineinhalb bis zwei Jahre in einem Kaffeehaus als Volontär und legte am 21.10.1983 die Konzessionsprüfung zum Nachweis der Befähigung für die Gastgewerbe ab. Seither übte er keine gastgewerbliche Tätigkeit mehr aus. Er hat für ein 1981 geborenes Kind zu sorgen. Den geschuldeten Unterhaltsbetrag leistet die Klägerin. Seit über einem Jahr ist der Sohn der Klägerin mit Elisabeth Maria L*** befreundet und will sie heiraten. Auch sie hat am 16.6.1980 die Konzessionsprüfung zum Nachweis der Befähigung für die Gastgewerbe abgelegt. An die Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit dachte der Sohn der Klägerin bisher nicht. Nach Auffassung der beiden Vorinstanzen reicht der erwiesene Sachverhalt nicht aus, um einen dringenden Eigenbedarf zu begründen. Selbst wenn man von einer Notlage des Sohnes der Klägerin ausgehe, sei nicht dargetan, daß diese nur durch die Aufkündigung des Bestandobjektes beseitigt werden könne.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Die geltend gemachten Feststellungsmängel liegen nicht vor. Ob der Sohn der Klägerin den Arbeitsmarkt ständig verfolgt, muß nicht geklärt werden, weil auch nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen davon auszugehen ist, daß er ohne sein Verschulden bisher keinen Arbeitsplatz im erlernten akademischen Beruf erlangen konnte. Daß er die Absicht hat, einen Gastgewerbebetrieb zu eröffnen, und zwar für den Fall seiner Verehelichung zusammen mit seiner künftigen Frau, kann gleichfalls ohne ausdrückliche Feststellung als gegeben unterstellt werden. Der Hinweis aber, daß der Sohn der Klägerin aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, ein Lokal an einem anderen Standort anzumieten, ist deshalb nicht überzeugend, weil nicht dargetan wurde, daß nicht etwa gleich hohe Kosten auflaufen, wenn für den jetzigen Mieter ein derartiges Ersatzlokal zu beschaffen ist. Es sind daher keine zusätzlichen Tatsachenfeststellungen notwendig.
Dahingestellt bleiben kann auch der im Ersturteil anklingende Vorwurf, die klagende Partei neige dazu, Kündigungsgründe zu konstruieren, weil es darauf in diesem Verfahren nicht ankommt. Das Argument, wegen des anzubietenden Ersatzmietgegenstandes unter Übernahme der Übersiedlungskosten müsse an die Dringlichkeit des Eigenbedarfs bei einer Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG kein so strenger Maßstab angelegt werden wie bei einer Kündigung ohne Ersatzbeschaffung, trifft nicht zu. Der Oberste Gerichtshof hat seit dem Inkrafttreten des MRG wiederholt ausgesprochen, daß der Begriff des dringenden Eigenbedarfs nach diesem Gesetz dasselbe bedeutet wie frührer nach dem MG, so daß die frühere Rechtsprechung auch weiterhin anwendbar ist (MietSlg. 36.435 f, 37.448). Auch beim dringenden Eigenbedarf nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG muß demnach ein echter Notstand gegeben sein, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand so bald als möglich zu beseitigen (MietSlg. 37.449, 37.453 mwN). Da das MRG in Kenntnis der strengen Auslegung der Rechtsprechung die früheren Rechtsbegriffe in diesem Bereich ausdrücklich übernommen hat, besteht kein Anlaß zu einer großzügigeren Auslegung (wie sie etwa Würth in Rummel, ABGB, Rz 36 zu § 30 MRG nahelegt). Nichts hätte den Gesetzgeber gehindert, bei jedem konkreten Eigenbedarf, dem nur die Dringlichkeit fehlt, für den Fall der Ersatzbeschaffung das Kündigungsrecht einzuräumen. Ein Notstand im Sinne der angeführten Rechtsprechung, der die wirtschaftliche Existenz des Sohnes der Klägerin bedroht (vgl Entsch. wie MietSlg. 15.337, 16.367, 20.405), ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es liegt kein dringender Bedarf nach Geschäftsräumlichkeiten vor. Nur wenn ein solcher gegeben wäre, dürfte der Vermieter bei einer Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG in der Regel nicht auf das zu beschaffende Ersatzlokal verwiesen werden. Die klagende Partei hat sich zur Begründung der Dringlichkeit des Eigenbedarfes für ihren Sohn nur darauf berufen, daß dieser in seinem erlernten akademischen Beruf keine Anstellung finde, daß er durch praktische Arbeit im Gastgewerbe und Ablegung der entsprechenden Prüfung die Befähigung zur Ausübung des Gastgewerbes iSd § 193 Abs 1 GewO erlangt und daß er gemeinsam mit seiner Verlobten die ernste Absicht habe, einen Gastgewerbebetrieb zu eröffnen. Ihm stehe außer den aufgekündigten Geschäftsräumlichkeiten kein anderes Lokal zur Verfügung, er sei mittellos und habe schon für ein Kind zu sorgen.
Es wurde hingegen nicht dargetan, daß der Sohn der Klägerin seinen Zweitberuf nur in der Form ausüben könne, daß er sich selbständig mache, weil eine Tätigkeit etwa als Geschäftsführer oder Pächter eines Gastgewerbebetriebes ausscheide, und daß seine wirtschaftliche Existenz nur sichergestellt werden könne, wenn es zur Erlangung entsprechender Geschäftsräumlichkeiten kommt. Die beim Sohn der Klägerin nachgewiesene (zweite) Berufsausbildung zielt nicht typischerweise auf die Ausübung des Berufes in Form einer selbständigen Tätigkeit, wie dies etwa bei einer Ausbildung zum Rechtsanwalt oder Notar der Fall wäre. Anhaltspunkte dafür, daß für den Sohn der Klägerin nur die Möglichkeit besteht, an dem Standort, an dem die beklagte Partei (und ihr Vorgänger) einen Gastgewerbebetrieb begründet und geführt haben, im selben Gewerbe tätig zu sein, bestehen nicht. Der Oberste Gerichtshof hat kürzlich zu 6 Ob 599/87 in einem vergleichbaren Fall ausgesprochen, daß ein dringender Eigenbedarf iSd § 30 Abs 2 Z 9 MRG zum Zwecke der Neugründung einer Existenz nur beim Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden kann, wie etwa im Falle einer körperlichen Behinderung, die eine Erwerbstätigkeit nur in unmittelbarer Nähe der Wohnung zuläßt. Auch solche besonderen Umstände wurden im vorliegenden Fall von der klagenden Partei nicht behauptet und sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Die von der klagenden Partei hervorgehobenen finanziellen Verhältnisse ihres Sohnes sind hiefür nicht ausreichend.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E12767European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0030OB00536.87.1028.000Dokumentnummer
JJT_19871028_OGH0002_0030OB00536_8700000_000