TE OGH 1987/11/3 10ObS110/87

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Veröffentlicht am 03.11.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka und Dr. Elmar Peterlunger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermelinde W***, Enzersdorferstraße 14, 2345 Brunn am Gebirge, vertreten durch Dr. Christian Haas, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

S*** D*** G*** W***, Wiedner

Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 1987, GZ. 34 Rs 108/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien vom 8. Oktober 1986, GZ. 11 C 71/86-7 (nunmehr 11 Cgs 71/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23. Juli 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses ab. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte fest, daß die am 2. September 1928 geborene Klägerin, die vor ihrer Pensionierung Geschäftsführerin eines Süßwarengroßhandels war, ein Intelligenzniveau aufweist, das im Durchschnitt liegt, Abbau- oder Psychosezeichen fehlen. Sie leidet an einer an Taubheit beiderseits grenzenden Innenohrschwerhörigkeit. Mit einer Hörhilfe am rechten Ohr ist auch mittels Ablesens eine Verständigung möglich. Die Türglocken kann sie grundsätzlich hören. Der Klägerin ist es möglich sich zu waschen, einkaufen zu gehen, die Wohnung instand zu halten, einfache Speisen zuzubereiten, das Haus zu verlassen, sich in der näheren und der weiteren Umgebung zurecht zu finden, die Toilette aufzusuchen, sich an- und auszukleiden, zu essen und zu trinken, den Ofen zu warten und sich zu verständigen. Die Klägerin ist ohne weiteres in der Lage, wenn man lauter mit ihr spricht, zu verstehen und auch zu antworten. Sie könnte telefonisch erreicht werden, wenn sie ein Telefon hat, welches auf ein Lichtsignal reagiert, bei aktiven selbst geführten Anrufen ist es ihr jederzeit möglich, den Partner zu verstehen.

Daraus leitete das Erstgericht ab, die Klägerin sei nicht hilflos im Sinne des § 74 GSVG, weil sie alle lebensnotwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens ohne Einschränkungen ausüben könne, selbst bei Vorliegen gänzlicher Taubheit könnte nicht von Hilflosigkeit gesprochen werden.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge. Es erachtete die gerügten Verfahrensmängel - eine unterbliebene Ergänzung des Gutachtens des Sachverständigen für Hals-Nasen-Ohrenerkrankungen und nähere Erörterung der Frage, inwieweit die Klägerin in der Lage sei, selbständige Telefongespräche zu führen und entgegenzunehmen, insbesondere wenn Nebengeräusche der Umwelt auch einem nicht Gehörgeschädigten das Hören und Verstehen schwermachen - aus rechtlichen Gründen für nicht relevant, billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und gab der Berufung daher keine Folge. In ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsgericht sei ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht auf die in der Berufung gerügten Verfahrensmängel nicht eingegangen, denn ein Bedürfnis nach Wartung und Hilfe liege nicht nur dann vor, wenn jemand um tätig zu werden, fremder Unterstützung bedürfe sondern vor allem auch dann, wenn jemand diese Unterstützung schon ohne tätig zu werden benötige, weil er selbst nicht in der Lage sei, Umweltsignale wahrzunehmen. Ein praktisch tauber Mensch sei daher hilflos im Sinne des Gesetzes.

Rechtliche Beurteilung

Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nach § 503 Z 2 ZPO ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (SZ 50/150 uva.). Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß muß also abstrakt geeignet sein, eine unrichtige Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz herbeizuführen.

Dies trifft hier nicht zu.

Zweck des Hilflosenzuschusses ist es, dem Rentner oder Pensionisten, der infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage ist, die lebensnotwendigen Verrichtungen selbst zu besorgen, den durch die Inanspruchnahme anderer Personen entstehenden Mehraufwand wenigstens teilweise zu ersetzen. Aus den beiden Wörtern "derart hilflos" in § 74 GSVG ergibt sich, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Maß des sich nicht Helfenkönnens, das mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben wird, Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt. Ein Hilflosenzuschuß gebührt daher nur dann, wenn der Rentner oder Pensionist nicht in der Lage ist, auch nur einzelne, dauernd wiederkehrende lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Dabei kommen jedoch jeweils nur jene Verrichtungen in Frage, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt werden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigen (10 Ob S 46/87 ua.).

Da die Klägerin noch in der Lage ist, alle lebensnotwendigen Verrichtungen ohne fremde Hilfe selbst auszuführen, ist sie nicht hilflos im Sinne des Gesetzes. Die bloße Unmöglichkeit zu telefonieren allein - diese Frage wurde vom Berufungsgericht mit Recht offen gelassen - vermag daher Hilflosigkeit keinesfalls zu begründen. Der Klägerin gebührt daher kein Hilflosenzuschuß zur Pension, die Vorinstanzen haben das Klagebegehren zu Recht abgewiesen.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E12403

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00110.87.1103.000

Dokumentnummer

JJT_19871103_OGH0002_010OBS00110_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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