TE OGH 1987/11/4 9ObS19/87

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Veröffentlicht am 04.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adolf S***, Kirchdorf-Hausmanning 4, vertreten durch Dr. Harry Zamponi, Dr. Josef Weichselbaum und Dr. Helmut Trenkwalder, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei A***

U***, Wien 20., Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 1987, GZ 13 Rs 18/87-14, womit das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz vom 26. Mai 1986, GZ 6 b C 124/85-9, (25 Cgs 141/87 des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht) aufgehoben, das Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er zu lauten hat:

"Die Berufung wird verworfen".

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,25 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger erlitt im Rahmen einer landwirtschaftlichen Tätigkeit am 12. März 1965 einen Arbeitsunfall. Mit Bescheid der Land- und Forstwirtschaftlichen Sozialversicherungsanstalt vom 26. November 1968 wurde ihm für die durch die Folgen dieses Unfalles bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (nach vorheriger Gewährung einer vorläufigen Versehrtenrente im Ausmaß von 25 v.H. der Vollrente) eine Versehrtenrente von 20 v.H. der Vollrente als Dauerrente zuerkannt.

Am 12. Februar 1976 erlitt der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt bei Ing. Gottfried K*** als Tischler beschäftigt war, einen Arbeitsunfall. Für die Folgen dieses Unfalles wurde ihm mit Bescheid der beklagten Partei vom 28. Oktober 1976 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente auf die Dauer von 9 Monaten zuerkannt. Anträge auf Gewährung der Rentenleistung wegen Verschlimmerung der Unfallsfolgen vom 8. Februar 1980 und 1. März 1983 wurden von der beklagten Partei mit der Begründung abgewiesen, daß eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenfähigen Ausmaß nicht vorliege. Bei Fällung dieser Entscheidungen hatte die beklagte Partei von der Tatsache, daß der Kläger am 12. März 1965 einen Arbeitsunfall im Rahmen der Landwirtschaft erlitten hatte und hiefür eine Rentenleistung bezog, keine Kenntnis; der Kläger hat diesen Umstand nicht erwähnt. Aus diesem Grund unterblieb auch eine Gesamtrentenbildung.

Am 23. August 1984 teilte der Arbeitgeber des Klägers mit, daß sich die Beeinträchtigung des Klägers durch die Unfallsfolgen verschlimmert habe und ersuchte um eine neue Untersuchung des Klägers. Die beklagte Partei behandelte dieses Schreiben als Verschlimmerungsantrag des Klägers und wies mit Bescheid vom 31. Oktober 1984 diesen Antrag mit der Begründung ab, daß Unfallfolgen im rentenfähigen Ausmaß nicht vorliegen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage, wobei er im Verfahren erstmalig vorbrachte, daß er am 12. März 1965 in der Landwirtschaft einen Arbeitsunfall erlitten habe und hiefür eine Rentenleistung beziehe. Ein ärztliches Sachverständigengutachten ergab bei Berücksichtigung beider Unfälle das Bestehen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von ingsgesamt 30 v.H. In einem in diesem zu 6 b C 208/84 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz geführten Verfahren abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich die beklagte Partei, dem Kläger ab 23. August 1984 eine Gesamtdauerrente von 30 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Am 17. Juli 1985 beantragte der Kläger die Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG durch Feststellung eines Gesamtdauerrentenanspruches von 30 v.H. ab September 1978 und die Nachzahlung der Rentenleistung. Er brachte dazu vor, daß seit diesem Zeitpunkt eine durch den Unfall vom 12. Februar 1976 bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. bestehe. Im Hinblick auf die Rentengewährung durch die Land- und Forstwirtschaftliche Sozialversicherungsanstalt (bzw. nunmehr Sozialversicherungsanstalt der Bauern) wäre eine Gesamtdauerrente festzustellen gewesen. Die beklagte Partei wies diesen Antrag "zurück und ab" und führte zur Begründung aus, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des § 101 ASVG nicht gegeben seien, weil der Kläger es unterlassen habe, den Vorunfall bekanntzugeben und daher die Tatsache, daß die Gesamtdauerrentenbildung unterblieben sei, selbst zu vertreten habe. Der Bescheid vom 28. Oktober 1976 könne keine Basis für die Anwendung des § 101 ASVG bilden, weil er sachgerecht ergangen sei, zumal zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über eine Gesamtrente noch nicht spruchreif gewesen sei. Durch die meritorische Wirkung des vor dem Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich geschlossenen Vergleiches sei einer Korrektur gemäß § 101 ASVG der Boden entzogen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Leistung einer Gesamtdauerrente im Ausmaß von 30 v.H. der Vollrente ab 1. Februar 1978 in eventu ab 28. Jänner 1980 zu verpflichten.

Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Klage und brachte vor, daß der ablehnende Bescheid in einer Verwaltungssache ergangen sei und seine Überprüfung damit der Zuständigkeit des Gerichtes entzogen sei; in eventu wurde die Abweisung der Klage beantragt, wobei im wesentlichen die im bekämpften Bescheid dargestellten Argument wiederholt wurden.

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Gesamtdauerrente im Ausmaß von 30 v.H. der Vollrente ab 1. Februar 1978. Der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges komme keine Berechtigung zu, weil es sich bei der Herstellung des gesetzlichen Zustandes um eine Leistungssache handle. Der Vergleich im Verfahren zu 6 b C 208/84 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz schließe die Herstellung des gesetzlichen Zustandes nicht aus, weil er gegen zwingende Bestimmungen des Leistungsrechtes verstoße. Da auch ein vom Versicherten verschuldeter Irrtum des Versicherungsträgers der Anwendung des § 101 ASVG nicht entgegenstehe, komme dem diesbezüglichen Einwand der beklagten Partei keine Berechtigung zu. Mit Rücksicht auf die bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit sei der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Gesamtdauerrente im Ausmaß von 30 v.H. bereits ab 1978 gegeben.

Das Berufungsgericht gab der ausschließlich auf den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO gestützten Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es führte dazu aus, daß dann, wenn ein Sozialversicherungsträger einen Antrag nach § 101 ASVG ablehne, dagegen grundsätzlich eine Klage nach § 383 ASVG zulässig sei. Da

§ 101 ASVG aber nur auf Bescheide des Versicherungsträgers anwendbar sei, fehle diesem eine Entscheidungszuständigkeit über einen auf

§ 101 ASVG gestützten Antrag, wenn über den Leistungsanspruch aus der Sozialversicherung durch gerichtliches Urteil entschieden worden sei oder sonst eine Leistungsfeststellung vorliege, die zuletzt von einem Gericht ergangen sei. Durch die im Vorprozeß zu 6 b C 208/84 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz erhobene Klage, die auf Zuerkennung der Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gerichtet gewesen sei, sei der abweisliche Bescheid des Versicherungsträgers außer Kraft getreten. Es sei jede Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers weggefallen, sodaß mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes mit Recht zurückgewiesen worden sei; dieser Bescheid betreffe daher eine Verwaltungssache und könne nur durch Einspruch an den Landeshauptmann angefochten werden. Damit habe das Erstgericht über eine nicht auf den Rechtsweg gehörige Sache erkannt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Gemäß § 101 ASVG ist mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen, wenn sich nachträglich ergibt, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde. Gegen Bescheide der Versicherungsträger, die einen Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes abweisen, weil weder ein wesentlicher Irrtum noch ein offenkundiges Versehen bei Erlassung des Bescheides, dessen Abänderung angestrebt wird, festgestellt wurde oder gegen Bescheide, die in Anwendung des § 101 ASVG den ursprünglichen Leistungsbescheid beseitigen und die Geldleistung neu feststellen, erachtete die bisherige Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien die Klage für zulässig, sofern für die in der Klage begehrten Leistungen der Rechtsweg gegeben war; § 101 ASVG beinhalte einen Leistungsanspruch, nämlich den Anspruch auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes; ein Streit hierüber sei daher eine Leistungssache (SVSlg. 15.901 u.a.). Diesem Ergebnis hat sich auch der überwiegende Teil der Lehre angeschlossen (Biussi, RdA 1967, 212; Snasel VR 1959, 56 ff; Pesendorfer, ZAS 1977, 67 f, Stolzlechner, RdA 1986, 287 ff insbes. 296). In ständiger Judikatur (SSV 5/122; SSV 12/57) wurde jedoch die Auffassung vertreten, daß bei Vorliegen eines rechtskräftigen Leistungsurteiles die Unzulässigkeit des Rechtsweges gegeben sei, wenn in derselben Leistungssache ein Antrag auf Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes vom Versicherungsträger abgelehnt und gegen den ablehnenden Bescheid Klage beim Schiedsgericht erhoben werde. Dieser Rechtsansicht ist auch der Verwaltungsgerichtshof (ZAS 1977, 64) beigetreten. Pesendorfer (ZAS 1977, 65 ff insbes. 66) führt gegen diese Auffassung gewichtige Argumente ins Treffen, während Stolzlechner unter Hinweis darauf, daß in diesem Fall vom Versicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch, sondern über eine verfahrensrechtliche Frage abgesprochen werde, diese Ansicht billigt.

Ein Eingehen auf die zuletzt erörterte Frage ist im vorliegenden Fall jedoch entbehrlich.

Der Kläger hat erstmalig den Bescheid vom 31. Oktober 1984, mit dem über den Antrag vom 23. August 1984 erkannt wurde, mit Klage angefochten. Gemäß § 86 Abs 4 ASVG fallen Leistungen aus der Unvallversicherung, wenn innerhalb von 2 Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt wurde, mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw. mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruches führt. Da im vorliegenden Fall die Einleitung des Verfahrens am 23. August 1984 und damit nach Ablauf von 2 Jahren seit Eintritt des Versicherungsfalles (§ 174 Z 1 ASVG) gestellt wurde, konnte von der Entscheidung über den Antrag nur der Zeitraum ab Stellung des Verschlimmerungsantrages bzw. der Einleitung des Verfahrens über die Bekanntgabe des Dienstgebers, sohin die Zeit ab 23. August 1984 umfaßt sein; dieser Zeitraum war auch Gegenstand des Vergleiches im Verfahren zu 6 b C 208/84 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz. Gegenstand des Verfahrens auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes bildet jedoch ausschließlich der vor diesem Tag liegende Zeitraum, wie in der Ergänzung zum Antrag vom 10. September 1985 zum Ausdruck kommt. Das Begehren des Klägers war darauf gerichtet, daß ihm die Leistung, die ihm durch gerichtlichen Vergleich mit Wirkung ab 23. August 1984 zuerkannt wurde, auch für den davor liegenden Zeitraum gewährt werde. Wenn auch das Klagebegehren keine zeitliche Begrenzung enthält, so ergibt sich aus den Klageausführungen, daß der Kläger sein Begehren lediglich auf die Zeit vom 1. Februar 1978 bis 22. August 1984 bezog. Für diese Zeit liegen jedoch lediglich bescheidmäßige Entscheidungen der beklagten Partei vor, die, da eine Anfechtung nicht erfolgte, auch nicht außer Kraft getreten sind. Hinsichtlich des von der vorliegenden Klage betroffenen Zeitraumes liegt daher eine Situation vor, in der nach der überwiegenden Lehre und bisherigen ständigen Judikatur, der der Oberste Gerichtshof beitritt, der Rechtsweg zulässig ist, sodaß sich die Frage, ob dann, wenn eine gerichtliche Leistungsfeststellung vorliegt, gegen den die Herstellung des gesetzlichen Zustandes ablehnenden Bescheid der Rechtsweg zulässig ist, nicht stellt.

Der von der beklagten Partei im Berufungsverfahren geltend gemachte und vom Berufungsgericht bejahte Nichtigkeitsgrund liegt somit nicht vor. Die angefochtene Entscheidung war daher im Sinne einer Verwerfung der Berufung abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a, Abs 2 ASGG.

Anmerkung

E12390

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBS00019.87.1104.000

Dokumentnummer

JJT_19871104_OGH0002_009OBS00019_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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