TE OGH 1987/11/11 1Ob43/87 (1Ob44/87)

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Veröffentlicht am 11.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Kodek und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef P***, Kaufmann, Neuzeug, Primitz-Straße 2, vertreten durch Dr. Günther Stanonik und Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen S 192.396,80 s.A. infogle Rekurses der klagenden Partei sowie Revision und Rekurses der beklagten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 19. Mai 1987, GZ 1 R 46/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. November 1986, GZ 6 Cg 418/85-9, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision und dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei wird mit ihrem Rechtsmittel auf diese Entscheidung verwiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.245,-- bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegen den Kläger wurde beim Kreisgericht Steyr zu 7 b Vr 473/83 wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 164 StGB und anderer strafbarer Handlungen ein Strafverfahren eingeleitet. Die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht wurde für den 24. September 1984 angeordnet. Mit der am 20. September 1984 beim Kreisgericht Steyr eingelangten Eingabe lehnte der Kläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Günther S***, sämtliche Richter des Kreisgerichtes Steyr wegen Befangenheit ab. Er beantragte, diese Strafsache einem anderen Gerichtshof zu übertragen. Er behauptete, Staatsanwalt Dr. Guido M*** habe zu Rechtsanwalt

Dr. Christoph R*** gesagt, daß der Kläger sicher eine höhere Strafe bekomme als der bereits abgeurteilte A***, weil der Verteidiger so gegen die Richter des Kreisgerichtes Steyr losgegangen sei und weil der Kläger nicht ausgesagt habe. Da der Staatsanwalt diese Information nur von Richtern des Kreisgerichtes Steyr erhalten haben könne, seien diese als voreingenommen anzusehen. Der Ablehnungsantrag wurde am 21. September 1984 mit Äußerungen der an diesem Tag erreichbaren Richter des Kreisgerichtes Steyr dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung vorgelegt, das dem Antrag mit Beschluß vom selben Tag, 11 Ns 593/84, keine Folge gab. Das Oberlandesgericht Linz führte aus, die Schlußfolgerung des Ablehnungswerbers, der Äußerung des Staatsanwaltes müsse die Mitteilung eines Richters des Kreisgerichtes Steyr zugrundeliegen, sei an sich schon keineswegs denkschlüssig; sie entbehre aber überdies des Hinweises auf eine bestimmte Person. Im übrigen sei von den für die Schöffenverhandlung zuständigen Richtern, aber auch von allen anderen erreichbaren Richtern des Kreisgerichtes Steyr die behauptete Mitteilung glaubhaft verneint worden.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz, die am 24. September 1984 beim Kreisgericht Steyr einlangte, wurde zu Beginn der Hauptverhandlung nach Befragung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse dem Verteidiger Dr. Günther S*** ausgefolgt. Dr. Günther S*** wiederholte darauf seinen Ablehnungsantrag mit der Begründung, das Oberlandesgericht Linz sei über seine Beweisanträge zur Darlegung der behaupteten Befangenheit hinweggegangen und habe somit seinen Antrag sachlich nicht erledigt. Sein Mandant sei nach wie vor der Ansicht, daß sämtliche Richter des Kreisgerichtes Steyr befangen seien, weshalb er den Antrag auf Ablehnung wiederhole. Sollte dem Antrag nicht stattgegeben werden, müsse er, Rechtsanwalt Dr. Günther S***, die Verteidigung niederlegen. Der Staatsanwalt sprach sich gegen den Antrag des Verteidigers mit der Begründung aus, daß im Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz auf die vom Ablehnungswerber behaupteten Befangenheitsgründe sachlich eingegangen worden sei. Der Vorsitzende des Schöffensenates, Richter des Kreisgerichtes Mag. Erwin S***, gab bekannt, daß er niemals eine Äußerung gemacht habe, der Angeklagte werde eine höhere Strafe bekommen als A***. Der Senat gab dem Ablehnungsantrag des Verteidigers Dr. Günther S*** nicht Folge, weil sich der Gerichtshof nicht befangen fühle. Rechtsanwalt Dr. Günther S*** erklärte darauf, die Verteidigung zurückzulegen, das Vollmachtsverhältnis bleibe aufrecht. Im Hauptverhandlungsprotokoll wurde vermerkt: "Festgestellt wird, daß der Verteidiger Dr. S*** seine Akten zusammenpackt und erklärt, daß er den Verhandlungssaal heute verlassen werde. Er wird darauf aufmerksam gemacht, daß diese Vorgangsweise vom Gericht der Rechtsanwaltskammer mitgeteilt werden wird. Er verläßt um 9,25 Uhr den Verhandlungssaal." Der Kläger wurde sodann vom Vorsitzenden in Hinblick auf das Verhalten seines Verteidigers aufgefordert, für diese Verhandlung einen Verteidiger namhaft zu machen. Der Kläger erklärte, daß er nicht wisse, wo er einen Verteidiger hernehmen solle; außerdem habe er Rechtsanwalt Dr. Günther S*** für die Verteidigung bezahlt; dieser werde weiterhin seine Verteidigung durchzuführen haben. Die Strafsache gegen den Kläger wurde darauf gemäß § 57 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden, die Hauptverhandlung gegen ihn auf unbestimmte Zeit vertagt und die Hauptverhandlung gegen den Mitangeklagten August P*** bis zur Urteilsfällung zu Ende geführt.

Am 25. September 1984 wurde der in Untersuchungshaft befindliche Kläger dem Vorsitzenden des Schöffensenates, Richter des Kreisgerichtes Mag. Erwin S***, vorgeführt und in Gegenwart des mit Legitimationsurkunde vom 12. September 1984 ausgewiesenen Konzipienten des Verteidigers Dr. Günther S***, Dr. Markus O***, darüber belehrt, daß im Verfahren vor dem Schöffengericht Verteidigerzwang herrsche. Er wurde weiters belehrt, daß infolge Zurücklegung der Vertretung durch Dr. Günther S*** in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 und die Entfernung des Verteidigers aus dem Gerichtssaal die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung nicht möglich gewesen sei. Er werde deshalb aufgefodert, innerhalb von acht Tagen einen anderen Vertreter namhaft zu machen, damit die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung gewährleistet sei. Im Falle der Unterlassung der Namhaftmachung eines Vertreters werde ihm von Amts wegen ein Verteidiger bestellt. Dem Kläger wurde auch Belehrung über die Bestimmung des § 41 Abs. 2 StPO erteilt. Er gab zu diesen Belehrungen keine Erklärungen ab.

Da der Kläger innerhalb der ihm gesetzten Frist keinen anderen Wahlverteidiger namhaft machte, wurde ihm mit Beschluß vom 5. Oktober 1984 gemäß § 41 Abs. 3 StPO von Amts wegen ein Verteidiger beigegeben. Die dagegen vom Kläger erhobene Beschwerde wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 31. Oktober 1984, 11 Bs 108/84, als unzulässig zurückgewiesen. Mit dem am 8. November 1984 beim Kreisgericht eingelangten Antrag wiederholte Rechtsanwalt Dr. Günther S*** namens des Klägers den Befangenheitsantrag, mit dem sämtliche Richter des Kreisgerichtes Steyr und des Oberlandesgerichtes Linz abgelehnt werden. Er führte weiters aus, daß die betroffenen Richter von der Durchführung der Hauptverhandlung gemäß § 68 Abs. 1 Z 1 und 3 StPO ausgeschlossen seien. Zur Begründung des Ablehnungsantrages brachte Rechtsanwalt Dr. Günther S*** neu vor, daß ein namentlich nicht bekannter Richter des Kreisgerichtes sich zu dem bei ihm im Rahmen einer Außenarbeit beschäftigten Häftling Johann S*** in der Richtung geäußert habe, der Kläger werde eine Strafe von drei bis vier Jahren bekommen.

Am 12. November 1984 wurde die Hauptverhandlung gegen den Kläger fortgesetzt. Für den Kläger erschienen als Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Günther S*** unter Berufung auf die Vollmacht vom 18. Oktober 1983 und Rechtsanwalt Dr. Josef L*** als bestellter Verteidiger gemäß § 41 Abs. 3 StPO. Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls brachte Rechtsanwalt Dr. Günther S*** vor, daß der Kläger den Antrag auf Enthebung des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Josef L*** stelle, weil nach wie vor Rechtsanwalt Dr. Günther S*** mit der Verteidigung beauftragt sei. Der Staatsanwalt sprach sich gegen die Enthebung des Rechtsanwaltes Dr. Josef L*** aus, weil sich ein Vorfall, wie er sich bei der ersten Verhandlung ereignet habe, jederzeit wiederholen könne. Der Enthebungsantrag wurde mit der Begründung abgewiesen, daß im Hinblick auf das Vorgehen Dris. Günther S*** in der letzten Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht eine Verteidigerbestellung notwendig geworden sei, weil, ohne daß Rechtsanwalt Dr. Günther S*** etwas unterstellt werde oder er kompromittiert werden solle, nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, daß sich ein derartiges Vorgehen wiederholen werde. Die Bestellung des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Josef L*** müsse daher aufrechterhalten werden. Rechtsanwalt Dr. Günther S*** rügte diese Beschlußfassung mit "Nichtigkeit" und wiederholte die schon vor der Hauptverhandlung gestellten Anträge auf Ablehnung aller Richter des Kreisgerichtes Steyr wegen Befangenheit und Ausgeschlossenheit der Richter Mag. Erwin S*** und des beisitzenden Richters Dr. Herbert A***. Der Antrag wurde, soweit er sich auf die erkennenden Richter bezog, abgelehnt, weil weder ein Befangenheits- noch ein Ausschließungsgrund vorliege. Auch diese Entscheidung rügte Rechtsanwalt Dr. Günther S*** "mit Nichtigkeit". Schließlich brachte er neue Tatumstände vor, die seiner Ansicht nach auf eine Befangenheit der Berufsrichter des Schöffensenates schließen ließen, wiederum verbunden mit dem Antrag auf Ablehnung. Auch dieser Befangenheitsantrag wurde abgewiesen. Rechtsanwalt Dr. Günther S*** lehnte in der Folge den Vorsitzenden Mag. Erwin S*** und den beisitzenden Richter Dr. Herbert A*** neuerlich wegen Befangenheit ab, diesmal gestützt auf die Behauptung, Mag. Erwin S*** habe ihm "ein Nachspiel angedroht" und Dr. Herbert A*** habe ihn durch gewisse Gesten und eine Äußerung beleidigt, was ihn zur Einbringung einer Privatanklage veranlassen werde. Auch dieser Ablehnungsantrag wurde abgewiesen. Die Verhandlung wurde mit der Verlesung der Anklageschrift fortgesetzt. Der Kläger erklärte, es nicht für angebracht zu finden, "hier in Steyr auszusagen". Seine Angaben im vorausgegangenen Verfahren wurden verlesen und die Hauptverhandlung zur Fortsetzung am folgenden Tag, dem 13. November 1984, unterbrochen.

Bei der Hauptverhandlung am 13. November 1984 erklärte Rechtsanwalt Dr. Günther S***, daß er eine Privatanklage gegen den beisitzenden Richter Dr. Herbert A*** wegen Vergehens wider die Ehre nach § 115 StGB erhoben und in diesem Verfahren die Einvernahme des Vorsitzenden Mag. Erwin S*** als Zeugen beantragt habe. Demnach seien beide Berufsrichter gemäß § 68 StPO von der Verhandlung ausgeschlossen. Der Antrag auf Ablehnung der Richter wegen Befangenheit bzw. Ausgeschlossenheit wurde abgewiesen. Die Hauptverhandlung wurde in der Folge zur Fortsetzung am 14. November 1984 unterbrochen.

In der Hauptverhandlung am 14. November 1984 wurde in Anwesenheit beider Verteidiger das Beweisverfahren fortgesetzt. Auch in der Hauptverhandlung am 15. November 1984 waren beide Verteidiger anwesend.

Mit Eingabe vom 30. November 1984 lehnte Rechtsanwalt Dr. Günther S*** erneut sämtliche Richter des Kreisgerichtes Steyr wegen Befangenheit ab. Mit den Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Linz vom 30. November 1984, 11 Ns 800/84 und 11 Ns 809/84, wurden diesem und den noch nicht erledigten vorausgegangenen Befangenheitsanträgen keine Folge gegeben. Mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 27. November 1984, 12 Ns 24/84-5, wurde auch dem Antrag des Klägers auf Ablehnung aller Richter des Oberlandesgerichtes Linz wegen Befangenheit nicht Folge gegeben.

Die Hauptverhandlung wurde am 3. Dezember 1984 fortgesetzt. Auch an ihr beteiligten sich als Verteidiger Dr. Günther S*** unter Berufung auf seine Vollmacht und Rechtsanwalt Dr. Josef L*** als bestellter Verteidiger. In der Hauptverhandlung am 4. Dezember 1984 wurde das Beweisverfahren geschlossen. Beide Verteidiger beantragten Freispruch des Angeklagten. Mit dem am 5. Dezember 1984 verkündeten Urteil wurde der Kläger der ihm zur Last gelegten Verbrechen und Vergehen teilweise schuldig erkannt, teilweise freigesprochen und nach § 147 Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und gemäß § 38 Abs. 1 FinStrG zu einer Geldstrafe in der Höhe von S 1,042.673,-- sowie gemäß § 38 Abs. 1 vorletzter Satz FinStrG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten verurteilt. Nach Abgabe der Rechtsmittelerklärungen beantragte Rechtsanwalt Dr. Josef L*** seine Enthebung als Amtsverteidiger; diesem Antrag wurde stattgegeben.

Die gegen das Urteil vom Kläger erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde, soweit sie sich auf die formellen Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 1, Z 3 und Z 4 StPO stützte, mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 17. März 1986, 11 Os 184/85-8, zurückgewiesen. Die vom Angeklagten geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, wonach das erkennende Gericht zufolge der Befangenheit bzw. Ausgeschlossenheit erkennender Richter nicht gehörig besetzt gewesen sei, wurden verworfen.

Mit der auf die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes gestützten Klage begehrt der Kläger den Zuspruch des Betrages von S 192.396,80 (richtig: S 192.416,78) s.A. Organe der beklagten Partei hätten ihm dadurch schuldhaft und rechtswidrig Schaden zugefügt, daß sie von Amts wegen in dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren Rechtsanwalt Dr. Josef L*** als Verteidiger bestellten, obwohl er Rechtsanwalt Dr. Günther S*** zum Wahlverteidiger bestellt hatte. Rechtsanwalt Dr. Josef L***, dessen Kosten in der Höhe von S 172.919,60 dem Kläger zur Zahlung auferlegt wurden, habe gegen ihn auch Exekution zur Hereinbringung dieser Kosten geführt, wofür Exekutionskosten in der Höhe von S 5.171,74 und S 3.250,74 aufgelaufen seien. Kosten in Höhe von S 11.074,80 seien ihm dadurch entstanden, daß sein Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Günther S*** eine Äußerung zum Kostenbestimmungsantrag des Rechtsanwaltes Dr. Josef L*** abgegeben und Beschwerde gegen den Beschluß über die Bestimmung der Kosten erhoben habe.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Die Bestellung des Rechtsanwaltes Dr. Josef L*** zum Amtsverteidiger sei zu Recht erfolgt, weil Rechtsanwalt Dr. Günther S*** in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 die Verteidigung seines Mandanten ohne jede sachliche Rechtfertigung zurückgelegt und die Hauptverhandlung verlassen habe. Da der Kläger ohne die gesetzlich vorgeschriebene Verteidigung gewesen sei, habe der Senat die Ausscheidung des Strafverfahrens gegen den mitangeklagten Kläger beschlossen. Auf Grund des Verhaltens des Rechtsanwaltes Dr. Günther S*** habe das Gericht mit gutem Grund angenommen, daß er auch in Zukunft entweder nicht zur Hauptverhandlung erscheinen oder sich von der Hauptverhandlung entfernen und damit das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren verzögern könne. Die Bestellung des Amtsverteidigers sei demnach geboten gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Aufrechterhaltung der Bestellung des Amtsverteidigers Rechtsanwalt Dr. Josef L*** sei weder rechtswidrig noch schuldhaft erfolgt. Auf Grund der Ereignisse in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 sei die Ansicht des Schöffensenates, ein derartiger Vorfall könne sich wiederholen, vertretbar gewesen. Es sei zu berücksichtigen, daß Rechtsanwalt Dr. Günther S*** in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 nur wegen des Senatsbeschlusses, womit dem Ablehnungsantrag nicht Folge gegeben wurde, die Verteidigung zurückgelegt habe. Auch in der Folge habe er Ablehnungsanträge gestellt. Es sei daher durchaus damit zu rechnen gewesen, daß er sein Verhalten wie in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 wiederholen werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge. Es änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger den Betrag von S 156.746,15 zu bezahlen. Im übrigen, sohin in Ansehung des weiteren Betrages von S 35.650,65 samt den geltend gemachten Zinsen, hob es das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung an das Prozeßgericht zurück. Das Berufungsgericht erklärte die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO als zulässig. Es sprach aus, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen ist. Gemäß § 41 Abs. 3 StPO bedürfe der Angeklagte für die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht eines Verteidigers. Der Kläger habe Rechtsanwalt Dr. Günther S*** am 18. Oktober 1983 Vollmacht erteilt und ihn in der Strafsache zu seinem Verteidiger bestellt. Dadurch, daß Rechtsanwalt Dr. Günther S*** in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 aus Protest gegen die Abweisung seiner Ablehnungsanträge die Verteidigung niedergelegt und den Verhandlungssaal verlassen habe, habe er den Angeklagten seiner Verteidigungsrechte entblößt. Die Aufforderung des Vorsitzenden des Schöffensenates, einen Verteidiger namhaft zu machen, habe der Rechtslage entsprochen. Da der Kläger erklärt habe, nicht zu wissen, woher er einen Verteidiger nehmen solle, er habe auch Rechtsanwalt Dr. Günther S*** für die Übernahme der Verteidigung bereits bezahlt, sei die Ausscheidung des Verfahrens gegen den Kläger gemäß § 57 StPO und die Vertagung der Hauptverhandlung gemäß § 274 StPO gesetzlich gedeckt gewesen. Im Hinblick darauf, daß der Kläger ungeachtet der ihm erteilten Rechtsbelehrungen nichts unternommen habe, um klarzustellen, daß der von ihm gewählte Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Günther S*** seine Vertretung wieder aufnehmen und sich an der Hauptverhandlung beteiligen werde, habe auch die amtswegige Beigebung eines Verteidiger iS des § 41 Abs. 3 StPO dem Gesetz entsprochen. In der Folge, insbesondere in der Hauptverhandlung vom 12. November 1984, sei aber Rechtsanwalt Dr. Günther S*** wieder als Verteidiger eingeschritten. Er habe den Antrag gestellt, den von Amts wegen bestellten Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Josef L*** seines Amtes zu entheben, weil der Kläger nach wie vor durch ihn vertreten sei. Die Abweisung dieses Antrages mit der Begründung, es könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß Rechtsanwalt Dr. Günther S*** ein Verhalten wie am 24. September 1984 wiederholen werde, habe nicht dem Gesetz entsprochen. Mit dem Einschreiten des Wahlverteidigers sei die Bestellung des Amtsverteidigers hinfällig geworden. Es möge verständlich sein, daß das Schöffengericht angesichts der notwendigen Verteidigung des Angeklagten bestrebt gewesen sei, sich für den Fall, daß Rechtsanwalt Dr. Günther S*** sein auf die Vereitlung der Hauptverhandlung gerichtetes Verhalten wiederholen werde, "zu rüsten" und sich einen Amtsverteidiger gewissermaßen in Reserve zu halten, mit dem Gesetz sei dies jedoch nicht vereinbar. Hätte Rechtsanwalt Dr. Günther S*** nach Abweisung der von ihm neuerlich gestellten Ablehnungsanträge die Hauptverhandlung verlassen, so hätte das Gericht wiederum nur Anzeige an die Rechtsanwaltskammer wegen Verdachtes einer Berufspflichtverletzung erstatten und neuerlich einen Amtsverteidiger bestellen können. Die gleichzeitige Teilnahme des Amtsverteidigers Rechtsanwalt Dr. Josef L*** sei im Hinblick auf die aufrechterhaltene Bestellung des Wahlverteidigers Rechtsanwalt Dr. Günther S*** und dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung nicht nur überflüssig, sondern auch gesetzwidrig gewesen. Dem Kläger sei dadurch gemäß § 41 Abs. 3 StPO eine Kostenersatzpflicht erwachsen, die hintangehalten worden wäre, wenn das Kreisgericht Steyr in richtiger Anwendung des § 44 Abs. 2 StPO das Erlöschen der Befugnis des Amtsverteidigers wahrgenommen hätte. Die Nichtbeachtung der Rechtslage sei dem Kreisgericht Steyr als schuldhaftes Verhalten anzulasten. Der erhobene Schadenersatzanspruch sei demnach dem Grunde nach gerechtfertigt. Was die Höhe des Anspruchs betreffe, so sei das Verfahren nur in Ansehung eines Teilbetrages von S 156.746,15 entscheidungsreif, im übrigen bedürfe es noch weiterer Ergänzungen. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird von der beklagten Partei mit Revision und Rekurs, vom Kläger mit Rekurs bekämpft. Die Rechtsmittel der beklagten Partei sind gerechtfertigt, dem Rekurs des Klägers kommt Berechtigung nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1 Abs. 1 AHG haften die dort genannten Rechtsträger, darunter der Bund, für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten schuldhaft zugefügt haben, nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Das heißt, daß die Schadenersatzpflicht des Rechtsträgers grundsätzlich keine andere als die außerhalb des Geltungsbereiches des Amtshaftungsgesetzes zu sein hat (SZ 52/56 u.a.). Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß im Amtshaftungsprozeß nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen ist, ob die in Betracht kommende Entscheidung richtig war, sondern ob sie auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruht. Sind gesetzliche Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlautes und steht zudem eine höchstrichterliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung, kommt es allein darauf an, ob bei pflichtgemäßer Überlegung die getroffene Entscheidung als vertretbar bezeichnet werden kann (JBl. 1986, 182; SZ 56/93; SZ 53/83; SZ 52/56; Loebenstein-Kaniak, AHG2 142). Eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung mag zwar rechtswidrig sein, stellt aber kein Verschulden iS des § 1 Abs. 1 AHG dar (JBl. 1985, 171; Loebenstein-Kaniak aaO 143).

Gemäß § 39 Abs. 1 StPO kann sich der Beschuldigte in allen Strafsachen eines Verteidigers bedienen und dazu jeden wählen, der in der Verteidigerliste eines der Gerichtshöfe zweiter Instanz eingetragen ist. Das Recht auf Verteidigung im Strafverfahren ist in Art. 6 Abs. 3 MRK auch verfassungsrechtlich verankert (Foregger-Serini, StPO3 62). Für die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht besteht gemäß § 41 Abs. 3 StPO Verteidigerzwang, d. h. dem Beschuldigten muß ein Verteidiger zur Seite stehen. Wenn der Beschuldigte keinen Verteidiger wählt und ihm auch kein Verfahrenshelfer gemäß § 41 Abs. 2 StPO beigegeben wird, ist gemäß § 41 Abs. 3 StPO ein Verteidiger von Amts wegen zu bestellen. Dieser sogenannte Amtsverteidiger hat gegen den Beschuldigten grundsätzlich einen Honoraranspruch (SSt 5/39; Foregger-Serini aaO 68). Gemäß § 44 Abs. 2 StPO erlischt der Auftrag des von Amts wegen bestellten Verteidigers, sobald der Beschuldigte einen anderen Verteidiger bestellt. Durch die Bestellung eines Wahlverteidigers wird die amtswegige Beigebung und Bestellung eines Verteidigers grundsätzlich von selbst hinfällig, ohne daß es einer besonderen Aufhebung bedarf (RZ 1986/34; SSt 5/39, Foregger-Serini aaO 71). Daß die Vertretung durch einen frei gewählten Verteidiger die Bestellung des Amtsverteidigers ausschließt, gilt aber nicht ausnahmslos. Bleibt der frei gewählte Verteidiger ungeachtet gehöriger Ladung von der Hauptverhandlung fern oder entfernt er sich vor deren Schluß, so eröffnet § 274 StPO ungeachtet der grundsätzlichen Vertretung des Beschuldigten durch den gewählten Verteidiger die Möglichkeit, einen Amtsverteidiger zu bestellen.

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen neben dem frei gewählten Verteidiger dem Beschuldigten ein Amtsverteidiger bestellt werden kann, war in der Bundesrepublik Deutschland Gegenstand eingehender Erörterungen in Literatur und Judikatur. Oberster Grundsatz ist auch in der Bundesrepublik Deutschland (§ 137 dStPO) die freie Wahl des Verteidigers durch den Beschuldigten. In gewissen Fällen wird die Mitwirkung eines Verteidigers durch das Gesetz mit der Konsequenz für zwingend erachtet, daß das Verfahren nicht ohne Beteiligung des Verteidigers weitergeführt werden darf (§ 140 Abs. 1 und 2 dStPO). Wählt der Beschuldigte bei notwendiger Verteidigung keinen Verteidiger, ist ihm gemäß § 141 Abs. 1 dStPO von Amts wegen ein Verteidiger zu bestellen. Es ist anerkannt, daß der gewählte Verteidiger vorgeht und die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur subsidiär einzutreten hat (Römer, ZRP 1977, 92, 94). Ein Pflichtverteidiger wird grundsätzlich nur bestellt, wenn der Beschuldigte keinen Wahlverteidiger hat und nur für so lange, als dies der Fall ist (Dünnebier in Löwe-Rosenberg, Großkomm.23 Rz 2 zu § 141 dStPO; Pfeiffer, Karlsruher Kommentar Rz 3 zu § 143 dStPO). Während in der älteren deutschen Rechtsprechung die Bestellung eines Pflichtverteidigers neben einem bereits tätigen Wahlverteidiger als eine der gesetzlichen Regelung zuwiderlaufende und somit unzulässige Pflichtverteidigung angesehen wurde (vgl. Römer aaO 95), anerkannte der Bundesgerichtshof erstmals in der Entscheidung vom 24. Jänner 1961, BGHSt 15, 306, 309, daß das Gericht, wenn sich die Gefahr abzeichnet, daß der Verteidiger die zur reibungslosen Durchführung der Hauptverhandlung erforderlichen Maßnahmen nicht treffen kann oder nicht treffen will, befugt ist, neben dem Wahlverteidiger einen Pflichtverteidiger zu bestellen, um damit den reibungslosen Fortgang der Verhandlung zu sichern. Diese Rechtsansicht wurde vom Bundesgerichtshof auch in der Folge aufrechterhalten (NJW 1973, 1985 ua). Auch das Bundesverfassungsgericht anerkannte die Zulässigkeit der zusätzlichen Bestellung eines Pflichtverteidigers neben dem Wahlverteidiger, "um den Fortgang der Verhandlung auch für den Fall sicherzustellen, daß sich die Wahlverteidiger der gebotenen Mitwirkung im Verfahren versagen" (BVerfGE 39, 238, 246, 247 = Römer aaO 96). Diese Rechtsprechung der deutschen Höchstgerichte wird von der Lehre gebilligt. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers neben dem Wahlverteidiger wird als zulässig erachtet, um Verschleppungen des Prozesses entgegenzuwirken oder wenn erkennbar die Gefahr besteht, der Verteidiger werde die ihm obliegenden Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Hauptverhandlung durchzuführen, nicht treffen (Dünnebier aaO Rz 7 und 8 zu § 141 StPO; Pfeiffer aaO Rz 8 zu § 141 StPO). Tritt die Gefahr, den Prozeß nicht durchführen zu können, hervor, braucht nicht so lange gewartet zu werden, bis der Prozeß blockiert ist (Dünnebier aaO Rz 8 zu § 141 StPO); durch die Möglichkeit des § 145 dStPO, der dem § 274 öStPO entspricht, könne diese Gefahr nicht hinreichend begegnet werden. Die Bestellung eines anderen Verteidigers erst in der Hauptverhandlung könne Komplikationen aufwerfen, die verhütet werden können, wenn der Pflichtverteidiger vorsorglich schon vorher bestellt wird (Dünnebier aaO Rz 7). Im vorliegenden Fall verließ der vom Kläger gewählte Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Günther S***, nachdem seinem auf Ablehnung der Richter des Kreisgerichtes Steyr gerichteten Antrag vom Oberlandesgericht Linz und dem in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 erneuerten Ablehnungsantrag vom Senat keine Folge gegeben worden war, die Verhandlung, was, da der Kläger einen anderen Verteidiger nicht namhaft machen konnte und die sofortige Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht in Betracht kam, zur Folge hatte, daß die Strafsache gegen den Kläger gemäß § 57 StPO ausgeschieden und die Hauptverhandlung vertagt werden mußte. Das weitere Verhalten des Rechtsanwaltes Dr. Günther S***, der seine Ablehnungsanträge wiederholte und den Versuch unternahm, den beisitzenden Richter des Senates durch Erhebung einer Privatanklage und den Vorsitzenden durch den Antrag auf Einvernahme als Zeuge in der Privatanklagesache von der Verhandlung und Urteilsfällung auszuschließen, rechtfertigte die Annahme, Rechtsanwalt Dr. Günther S*** könnte sein in der Hauptverhandlung vom 24. September 1984 an den Tag gelegtes Verhalten wiederholen und damit den Fortgang des Verfahrens weiter verzögern. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, daß die in § 274 StPO vorgesehenen Maßnahmen die einzige Reaktion auf Verschleppungsversuche des Verteidigers darstellen. Jene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, die aussprachen, daß mit der Bestellung eines Wahlverteidigers die Befugnis des Amtsverteidigers von selbst hinfällig werde, hatten solche Fälle nicht im Auge. Das Gesetz gedenkt offenbar nur des Falles, daß es der gewählte Verteidiger an der nötigen Mitwirkung im Verfahren grundsätzlich nicht fehlen lassen wird. Unter Bedachtnahme auf das auch dem Schutz des in Haft befindlichen Beschuldigten dienende (Römer aaO 99) verfassungsgesetzlich verankerte Beschleunigungsgebot (Art. 5 Abs. 3 zweiter Satz, Art. 6 Abs. 1 MRK) und im Hinblick auf die dargestellte Praxis in der Bundesrepublik Deutschland, die auf vergleichbaren gesetzlichen Grundlagen beruht, ist die Bestellung bzw. die weitere Belassung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs. 3 StPO neben dem vom Beschuldigten bestellten Wahlverteidiger als auf vertretbarer Rechtsansicht beruhend anzusehen, wenn hinreichende Gründe die Annahme rechtfertigen, der Wahlverteidiger sei nicht gewillt, die reibungslose Durchführung der Hauptverhandlung zu sichern. Solche Gründe waren im vorliegenden Fall gegeben. Demzufolge erweist sich der erhobene Amtshaftungsanspruch als nicht gerechtfertigt, so daß spruchgemäß zu entscheiden ist. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E12522

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00043.87.1111.000

Dokumentnummer

JJT_19871111_OGH0002_0010OB00043_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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