TE OGH 1987/11/12 7Ob51/87

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Veröffentlicht am 12.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred S***, Küchengehilfe, St. Peter am Wallersberg 47, vertreten durch Dr. Paul Meyer, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei E*** A*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Manfred Haslinglehner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 371.300 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 29. Juni 1987, GZ 4 R 125/87-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 27. Februar 1987, GZ 16 Cg 379/84-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 211.300 S samt 4 % Zinsen seit 7.1.1985 binnen 14 Tagen zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 160.000 S samt 4 % Zinsen seit 7.1.1985 wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1/5 der mit 146.702,60 S bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten 13.336,60 S Umsatzsteuer), das sind 29.340.52 S binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat mit der beklagten Partei eine Unfallversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1965, im folgenden nur AUVB) zugrundeliegen. Die Versicherungssumme für dauernde Invalidität beträgt 400.000 S, im Falle eines Freizeitunfalles das Doppelte. Bei dauernder Invalidität gelten gemäß Art. 10 der AUVB für die Bemessung der Leistung des Versicherers unter Ausschluß des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität folgende Invaliditätsgrade: Bei völligem Verlust oder völliger Gebrauchsunfähigkeit .... einer Hand 60 %, eines Daumens 20 %, eines Zeigefingers 10 %, eines anderen Fingers 5 %. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Gebrauchsunfähigkeit der vorgenannten Glieder werden die vorstehenden Sätze entsprechend herabgesetzt.

Am 10. April 1982 erlitt der Kläger bei Bedienung eines Böllers einen Unfall, bei dem die 5 Finger der linken Hand zum Teil abgetrennt wurden. Der Kläger begehrt die Versicherungsleistung für dauernde Invalidität im Ausmaß von 45 % der für einen Freizeitunfall vereinbarten Versicherungssumme, d.s. 360.000 S und ein Taggeld von 11.300 S samt Anhang.

Die beklagte Partei behauptet Leistungsfreiheit wegen Verzuges des Klägers mit der Zahlung der Folgeprämien und vertritt im übrigen den Standpunkt, daß der Kläger wegen des nur teilweisen Verlustes der Finger lediglich Anspruch auf 21,66 % der höheren Versicherungssumme habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und wies lediglich ein die gesetzlichen Verzugszinsen übersteigendes Zinsenmehrbegehren (rechtskräftig) ab. Nach seinen Feststellungen ist dem Kläger, der sich seit 24. September 1981 mit unterschiedlich hohen Quartalsprämien im Zahlungsrückstand befand, zwischen dem November 1981 und dem April 1982 eine Mahnung wegen des Zahlungsrückstandes nicht zugekommen. Bei dem Unfall verlor der Kläger die Endglieder des Daumens, des Zeigefingers und des 5. Fingers. Von den Fingern 3 und 4 sind nur mehr die Stümpfe des Grundgelenkes vorhanden. Der Kläger kann mit der linken Hand mit dem Daumen und mit dem Zeigefinger gerade noch einen kräftigen Zangengriff vornehmen, ein Faustschluß ist ihm nicht mehr möglich. Die Hand ist nur mehr in sehr beschränktem Maß verwendungsfähig. Die Dauerinvalidität beträgt 80 % des Handwertes.

Das Erstgericht verneinte die Leistungsfreiheit der beklagten Partei, weil ihr der Nachweis nicht gelungen sei, daß dem Kläger eine qualifizierte Mahnung zugekommen sei. Nach Art. 10 der AUVB betrage der Grad der dauernden Invalidität bei Verlust oder völliger Gebrauchsunfähigkeit einer Hand 60 %. Da beim Kläger eine dauernde Invalidität der Hand von 80 % vorliege, ergebe sich ein Prozentsatz von 48 der Versicherungssumme. Darin finde die vom Kläger für dauernde Invalidität begehrte Versicherungsleistung Deckung. Darüber hinaus habe der Kläger Anspruch auf ein Taggeld von 100 S für 113 Tage.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung, verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist teilweise berechtigt.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß auf Leistungsbeschränkungen des Versicherers, die sich aus einer besonderen Vereinbarung oder aus den vereinbarten Versicherungsbedingungen ergeben, nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen ist. Insoweit muß sich der Versicherer auf die besondere Vereinbarung berufen (vgl. Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen in ZVR 1985, 67; SZ 50/136). Auf die Vereinbarung einer Ärztekommission hat sich die beklagte Partei ebensowenig berufen wie auf die Vereinbarung der "Klausel 89", wonach die Verdoppelung der Versicherungssumme nur unter bestimmten Voraussetzungen Platz greife. Die beklagte Partei hat vielmehr ihrer Berechnung der Ersatzansprüche des Klägers selbst das Vorliegen eines Freizeitunfalles und die höhere Versicherungssumme zugrunde gelegt (ON 3).

Zuzustimmen ist dagegen der Revision in der Beurteilung der Bemessung der Invaliditätsentschädigung. Für den Fall der dauernden Invalidität hat der Versicherer die dem Grad der Invalidität entsprechende Versicherungsleistung zu erbringen. Die Feststellung des Grades der Invalidität wurde durch Art. 10 der AUVB durch Vereinbarung bestimmter Taxen für einzelne Glieder geregelt. Diese Bestimmung gilt alternativ für den völligen Verlust oder die völlige Gebrauchsunfähigkeit der einzelnen Glieder und enthält nicht nur eine Regelung für den völligen Verlust oder die völlige Gebrauchsunfähigkeit der Hand, sondern auch für die einzelnen Finger mit der Maßgabe, daß bei teilweisem Verlust oder bei teilweiser Gebrauchsunfähigkeit der genannten Glieder eine entsprechende Herabsetzung der vereinbarten Hundertsätze zu erfolgen hat. Aus dem Wortlaut und der Gliederung des Art. 10 AUVB ergibt sich, daß er in Ansehung der Finger als Teile der Hand eine spezielle und abschließende Regelung darstellt. Daraus folgt, daß für die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei unfallsbedingter Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Hand durch Verlust oder teilweisen Verlust einzelner Finger nicht an die Stelle der Gliedertaxe für die einzelnen Finger die der teilweisen Gebrauchsunfähigkeit der Hand zugrunde zu legen ist (Bruck-Möller-Wagner VVG8 VI/1 486). Zu Unrecht haben daher die Vorinstanzen der Bemessung der Invaliditätsentschädigung des Klägers die für eine Hand vereinbarte Taxe zugrunde gelegt, weil die durch den Verlust oder teilweisen Verlust von mehreren Fingern bedingte Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Hand außer Betracht zu bleiben hat. Bei der zu beurteilenden Frage handelt es sich um eine Rechtsfrage, sodaß der gegenteiligen Meinung des Sachverständigen, die mit dem Wortlaut und der Gliederung des Art. 10 AUVB nicht im Einklang steht, keine Bedeutung zukommt. Daß bei dieser Auslegung des Art. 10 AUVB für die Gliedertaxe der Hand kein Anwendungsbereich bliebe, kann nicht gesagt werden. Denkbar ist ein völliger Verlust der Hand ab der Handwurzel und die Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit durch eine im Armbereich lokalisierte Ursache (vgl. die bei Bruck-Möller-Wagner aaO S 487 angeführten Beispiele). Der Kläger hat auch insoweit zutreffend seiner Berechnung in der Klage nicht den für die Hand vorgesehenen Hundertsatz zugrunde gelegt, sondern die für die einzelnen Finger bestimmten Sätze, hiebei jedoch außer acht gelassen, daß nur ein teilweiser Verlust vorliegt und daher die vereinbarten Sätze gemäß Punkt 2. des Art. 10 AUVB entsprechend herabzusetzen sind. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat der Kläger die Endglieder des Daumens, des Zeigefingers und des 5. Fingers verloren. Dies entspricht einem Teilverlust von 50 % des Daumens bzw. von einem Drittel der Finger 2 und 5. Da bei den Fingern 3 und 4 nur mehr die Stümpfe der Grundglieder vorhanden sind, ksnn bei ihnen von einem bloß teilweisen Verlust keine Rede sein. Eine derartige Verkürzung kommt einem völligen Verlust gleich. Es ergibt sich somit folgende Invaliditätsberechnung: Für den Daumen 10 %, für den Zeigefinger 3,333 %, für den 3. und 4. Finger je 5 % und für den 5. Finger 1,666 %, zusammen 25 %. Daraus errechnet sich eine Invaliditätsentschädigung des Klägers von 200.000 S. Zuzüglich des Taggeldes ergibt sich somit ein Gesamtanspruch des Klägers von

211.300 S.

Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO. Da der Kläger mit rund 3/5 obsiegte und mit rund 2/5 unterlag, hat er Anspruch auf Ersatz von 1/5 seiner Verfahrenskosten.

Anmerkung

E12611

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00051.87.1112.000

Dokumentnummer

JJT_19871112_OGH0002_0070OB00051_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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