Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Claus Bauer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Andrea B***, Pensionistin, 8020 Graz, Kosakengasse 9, vertreten durch Dr. Helmut Cronenberg, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei
P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer Lände
3, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Mai 1987, GZ 7 Rs 1051/87-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Steiermark in Graz vom 16. Dezember 1986, GZ 7 C 41/86-18 (33 Cgs 101/87 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz) bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin auf Grund ihres Antrags vom 7.10.1986 zur Invaliditätspension den Hilflosenzuschuß in der gesetzlichen Höhe zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der (am 21.12.1963 geborenen) Klägerin wurde das linke Bein im Hüftgelenk amputiert. Der Stumpf des linken Beines ist ausreichend gepolstert, eine Prothese mit Beckenkorb kann einwandfrei verwendet werden. Ohne Prothese kann die Klägerin sich mit zwei Stützkrücken fortbewegen. Sie ist in der Lage, sich ohne fremde Hilfe anund auszuziehen, zu waschen, die Toilette aufzusuchen, Mahlzeiten zuzubereiten, zu essen, die Wohnung oberflächlich zu reinigen, die kleine Leibwäsche zu waschen, einen Ofen zu heizen und zu beaufsichtigen und in kleinen Mengen mit einer Umhängetasche einzukaufen. Brennmaterial kann sie allein nicht herbeischaffen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß gemäß § 105 a ASVG kein Anspruch auf Hilflosenzuschuß bestehe, wenn der Bezieher der Pension nur bei aufschiebbaren und in längeren Zeitabständen erforderlichen Besorgungen auf fremde Hilfe angewiesen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Einbeinigkeit bewirke nur in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn eine prothetische Versorgung nicht möglich sei, Hilflosigkeit. Eine solche Versorgung könne die Klägerin von der beklagten Partei verlangen, sie müsse sie aber auch dulden. Da die Klägerin mit passender prothetischer Versorgung gehfähig und nur auf Hilfe im sachlichen Bereich, nicht aber auf Wartung im persönlichen Bereich angewiesen sei, sei sie nicht hilflos im Sinne des § 105 a ASVG. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach der grundlegenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 22.10.1987, 10 Ob S 46/87, liegt Hilflosigkeit im Sinne des hier anzuwendenden § 105 a ASVG dann vor, wenn der Rentner oder Pensionist nicht in der Lage ist, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses ergebe sich allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden könne, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Leistungsbeziehers üblicherweise aufzuwendenden und daher nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig (vgl. § 273 ZPO) festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch seien wie der begehrte Zuschuß. Bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handelt, müßten die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel berücksichtigt werden. Da jedoch auch von einem Hilflosen erwartet werden müsse, daß er einen Standard hält, der unter nichthilflosen Beziehern gleichhoher Einkommen im selben Lebenskreis üblich sei, sei bei der Schätzung des notwendigen Dienstleistungsaufwandes mindestens dieser Standard zugrunde zu legen.
Die in großstädtischen Verhältnissen lebende Klägerin kann von den lebensnotwendigen Verrichtungen nur schwierigere Tätigkeiten, wie das Heranbringen von Heizmaterial und das Großreinemachen, nicht allein ausführen. Dabei wies schon das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß von einem Pensionisten, dem eine der Gliedmaßen fehlt, verlangt werden muß, daß er eine Prothese verwendet, wenn ihm dies gesundheitlich zuzumuten ist. Ebenso wäre von ihm zu verlangen, daß er andernfalls Stützkrücken zu Hilfe nimmt. Beides ist der Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichtes möglich. Soweit die angeführten Verrichtungen, welche die Klägerin nicht allein ausführen kann, nicht überhaupt außer Betracht zu bleiben haben, weil sie allgemein von dritten Personen besorgt werden, sind sie nur in - mehr oder weniger großen - Abständen notwendig. Es ist unter diesen Umständen auszuschließen, daß der Aufwand, der nach dem Lebenskreis der Klägerin üblicherweise entsteht, wenn die Verrichtungen durch Dritte besorgt werden, im Monatsdurchschnitt auch nur annähernd rund S 2.840,-- (so hoch wäre der derzeitige monatliche Durchschnitt des Mindesthilflosenzuschusses) erreicht. Der Klägerin gebührt daher kein Hilflosenzuschuß zu ihrer Person, weshalb das Berufungsgericht ihr Klagebegehren mit Recht abwies. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E12660European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00097.87.1117.000Dokumentnummer
JJT_19871117_OGH0002_010OBS00097_8700000_000