Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paula F***, Pensionistin, Mariahof, Adendorf 241, vertreten durch Dr. Gerhard Roth, Rechtsanwalt in Murau, und der der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin Verlassenschaft nach Erwin G***, ehemals Angestellter, Klagenfurt, Stolzstraße 64, wider die beklagte Partei Felix G***, Landwirt, St. Lambrecht, Spitalberg 33, vertreten durch Dr. Max Siebenhofer, Rechtsanwalt in Judenburg, wegen Vornahme von Handlungen und Unterlassung (Gesamtstreitwert S 26.000), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 17. März 1987, GZ R 166/87-45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Neumarkt/Steiermark vom 12. Dezember 1986, GZ C 9/86-40, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.831,35 (darin enthalten S 730,35 Umsatzsteuer und S 1.500 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Grundstück Nr. 1360/3 (Weide) der EZ 234 KG St. Lambrecht steht im Eigentum des Beklagten. Westlich schließen daran die Grundstücke Nr. 1354/9 (Wiese), Nr. 1359 (Wald) und Nr. 1360/1 (Wiese) an, welche die EZ 514 (früher EZ 236) der KG St. Lambrecht bilden. Das Grundstück Nr. 1360/1 wurde aufgeforstet. Auch auf dem Grundstück Nr. 1359 befindet sich ein Jungwald, der jedoch nicht durchgehend bis zur Grenze des Grundstücks 1354/9 verläuft: Während er nämlich vom nördlichen Schnittpunkt der Grenzen der Grundstücke Nr. 1359, 1354/9 und 1360/3 in Richtung Süden über eine Strecke von ca. 40 m tatsächlich bis zur Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken Nr. 1359 und 1354/9 reicht, verläuft die Waldgrenze im südlichen Teil des Grundstücks Nr. 1359 schräg in Richtung Westen. An der südlichen Grundstücksgrenze beträgt der Abstand der Waldgrenze zur östlichen Mappengrenze des Grundstückes Nr. 1359 ca. 2,27 m. Entlang der Waldgrenze verläuft (zumindest seit 1980) ein ca. 132 m langer Stacheldrahtzaun. In der Natur bilden der östlich des Zaunes liegende Teil des Grundstückes Nr. 1359, das Grundstück Nr. 1354/9 und das dem Beklagten gehörende Grundstück Nr. 1360/3 eine Weide. Der Zaun verläuft somit an der Kulturgrenze zwischen Wald und Weide. Unterhalb des Stacheldrahtzaunes befinden sich mehrere gesetzte Natursteine. Seit den Jahren 1936/1937 benützten die Rechtsvorgänger des Beklagten bzw. der Beklagte den östlichen Teil des Grundstückes Nr. 1359 sowie das Grundstück Nr. 1354/9 zur Gänze für landwirtschaftliche Zwecke, und zwar als Wiese, dann als Acker und in den letzten Jahren als Weide.
Im Jahr 1980, als die Klägerin erstmals diese Liegenschaften besichtigte, erkannte sie den in der Natur verlaufenden Zaun als Grenze zwischen den beiden Kulturen. Später trat sie mit Erwin G***, dem damaligen grundbücherlichen Eigentümer der EZ 236 (nunmehr EZ 514) KG St. Lambrecht, in Kaufverhandlungen. Gegenstand dieser Verhandlungen war "der Jungwald"; von einem Ankauf der Weide war keine Rede. Den Kaufvertrag verfaßte der öffentliche Notar Dr. Herrand F***. Er wurde dahin informiert, daß er einen Kaufvertrag über eine Waldparzelle in St. Lambrecht im Ausmaß von ca. 2 ha errichten solle. Der Notar stellte im Grundbuch fest, daß die fragliche Einlagezahl aus drei Grundstücken besteht, und nahm an, daß es sich bei allen um Jungwald handle. Der Verkäufer Erwin G*** machte auch keine Erwähnung, daß ein Zaun über sein Grundstück Nr. 1359 verläuft. Der Notar nahm sämtliche Grundstücke der EZ 236 KG St. Lambrecht in den Kaufvertrag vom 27. November 1982 auf. Eine gemeinsame Besichtigung des Kaufobjektes fand erst im Frühjahr 1983 statt. Damals verwies die Klägerin Erwin G*** auf den bestehenden Zaun. Erwin G*** erwiderte, daß der Zaun widerrechtlich auf seinem Grundstück stünde, die wahre Grenze verlaufe etwa 20 m östlich davon. Seit einer im Herbst 1984 durchgeführten Vermessung weiß die Klägerin endgültig, daß die Mappengrenze nicht mit der Naturgrenze übereinstimmt. Die Klägerin begehrt vom Beklagten, den auf dem Grundstück Nr. 1359 KG St. Lambrecht errichteten Zaun zu entfernen und künftig weitere Störungen hinsichtlich der Grundstücke Nr. 1359 und 1354/9 zu unterlassen. Anläßlich des Verkaufes an sie habe ihr Erwin G*** die Grenze des Grundstückes Nr. 1354/9 zum Grundstück Nr. 1360/3 in der Natur so gezeigt, wie sie dem Vermessungsplan entspreche. Erwin G*** habe dieses Grundstück stets bis zur Mappengrenze benützt und in seinem Besitz gehabt. Der Beklagte habe den Zaun widerrechtlich aufgestellt. Bei der Übergabe der Grundstücke durch den Verkäufer habe sie auf die Eintragung im Grundbuch vertraut und sich über den tatsächlichen Grenzverlauf auch bei anderen Personen erkundigt. Der Beklagte greife daher in ihr Eigentumsrecht ein.
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Bereits im Jahr 1945 sei die Grundstücksgrenze von den Rechtsvorgängern der Parteien entlang des nunmehr bestehenden Zaunes mit Steinen gekennzeichnet worden. Dies sei jene Grenze gewesen, wie sie vorher und nachher von den jeweiligen Eigentümern eingehalten worden sei. Der Zaun sei vor ca. 12 Jahren errichtet worden. Seit dem Jahr 1937 habe der Rechtsvorgänger des Beklagten den Teil des Grundstückes Nr. 1359, der östlich des Zaunes liegt, und das Grundstück Nr. 1354/9 unbeanstandet und ohne Eingriffe Dritter wie ein Eigentümer benützt. Der Beklagte habe dies fortgesetzt. Der Zaun verlaufe an der Kulturgrenze zwischen Wald und Weide. Der Rechtsvorgänger der Klägerin habe nur den Wald bewirtschaftet; er habe an die Klägerin nur Grundstücke in einem solchen Ausmaß verkauft, wie er sie vorher selbst besessen und benützt habe. Da der Beklagte das Eigentumsrecht an den in der Natur als Weide erkennbaren Grundstücksflächen östlich des Zaunes ersessen habe, könne sich die Klägerin nicht auf den Grundbuchsstand berufen. Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht (erneut) die Klage ab. Aus den von ihm getroffenen und eingangs wiedergegebenen Feststellungen leitete es rechtlich ab, daß der Beklagte bzw. sein Rechtsvorgänger Eigentum an dem östlich des Zaunes liegenden Teil des Grundstückes Nr. 1359 und am Grundstück Nr. 1354/9 ersessen habe. Darüber hinaus sei im Kaufvertrag vom 27. November 1982 festgehalten, daß er sich nur auf forstwirtschaftlich genützte Grundstücke beziehe. Dies treffe aber nur auf das Grundstück 1360/1 und auf einen Großteil des Grundstückes Nr. 1359 (westlich des Zaunes) zu. Dem Rechtsvorgänger der Klägerin sei nicht klar gewesen, daß östlich des Zaunes noch ein ca. 2.500 m2 großes Wiesengrundstück liege, das zu seinem bücherlichen Besitz gehört habe; er habe daher an die Klägerin nicht mehr verkaufen können, als er besessen habe. Das Berufungsgericht gab der Klage statt und sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen aus, die Klägerin habe das Eigentum an allen im Kaufvertrag bezeichneten Liegenschaften auf Grund des Kaufvertrages und der Eintragung ihres Eigentumsrechtes im Grundbuch erworben. Die Klägerin habe als gutgläubige Erwerberin vom bisherigen Eigentümer, gegen den allenfalls die Ersitzungszeit eines Dritten abgelaufen gewesen sei, dingliche Rechte erwerben können. Sie hätte vom allfälligen Eigentumsrecht des Beklagten auch keine Kenntnis haben müssen. Die Klägerin habe jedoch erst nach Abschluß des Kaufvertrages und nach der Eintragung ihres Eigentumsrechtes (28. Februar 1983) im Frühjahr 1983 erfahren, daß der Grundbuchsstand nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche. Daß sie den Zaun bereits im Jahr 1980 als Grenze zwischen Jungwald und Weide erkannt habe und daß anläßlich der Vertragsverhandlungen nur vom Kauf eines Jungwaldes die Rede gewesen sei, hätte den gutgläubigen Eigentumserwerb nicht ausgeschlossen. Ein Zaun sei immer eine Grenze; ohne konkreten Hinweis und ohne entsprechende Vermessung müsse aus seinem Vorhandensein nicht der Schluß gezogen werden, daß die durch den Zaun dokumentierte Grenze mit der Mappengrenze nicht übereinstimme. Wegen des Vorhandenseins eines Zaunes sei der Erwerber auch nicht gehalten, sich zu erkundigen, ob allfällige Rechte Dritter seinem Eigentumserwerb entgegenstehen könnten. Im Kaufvertrag vom 27. November 1982 sei der übereinstimmende Parteiwille, daß sämtliche zum Gutsbestand der damaligen EZ 236 KG St. Lambrecht gehörigen Grundstücke den Gegenstand des Vertrages bilden sollten, dokumentiert; daß im Zuge der Vertragsverhandlungen nur vom Jungwald, nicht aber auch von der Weide die Rede gewesen sei, ändere daran nichts. Die nach dem Vertragsabschluß erworbene Kenntnis, daß der Zaun mit der Mappengrenze nicht übereinstimme, habe den beim Erwerb vorhandenen guten Glauben der Klägerin nicht mehr beseitigen können. Der Beklagte könne der Klägerin sein allenfalls durch Ersitzung erworbenes Eigentumsrecht nicht entgegenhalten. Auf die Dauer seiner Benützungshandlungen komme es daher nicht an.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise stellt der Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beantwortung der dem Vertrauensschutz des Erwerbers logisch vorgeordneten Frage, in welchem Umfang die Klägerin die ehemals zur EZ 236 KG St. Lambrecht gehörenden Grundstücke erworben hat, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt. Nach den im österreichischen Sachenrecht geltenden Grundsätzen ist für den abgeleiteten Eigentumserwerb an Liegenschaften sowohl ein gültiger Erwerbstitel als auch die Eintragung in das Grundbuch als einzige in Betracht kommende Erwerbsart erforderlich (§§ 425, 431 ABGB). Weder der bloße Titel (Kaufvertrag), verbunden mit der Einräumung des faktischen Besitzes, noch die bloße Eintragung können jeweils für sich allein Eigentum verschaffen (SZ 58/177). Daß die Einverleibung des Eigentumsrechts ohne Rechtstitel kein Eigentum verschafft, hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen (SZ 23/346; EvBl. 1966/397; MietSlg. 20.035; SZ 45/35). Ein gültiger Titel für den Erwerb des Eigentums an allen in einem Grundbuchskörper vereinigten Liegenschaften in ihrem vollen mappenplanmäßigen Ausmaß liegt nicht schon dann vor, wenn alle Grundstücke im Kaufvertrag als Kaufgegenstand bezeichnet werden; Kaufgegenstand ist nur das, was die Vertragsparteien als solchen bezeichnen wollten (RZ 1965, 9; RZ 1966, 185; EvBl. 1967/101, NZ 1980, 100; SZ 56/141; SZ 58/177; Wegan, Die Auswirkungen des Vermessungsgesetzes auf das Zivilrecht und die Vertragspraxis, NZ 1971, 66 ff !70 ; Angst, Das neue Vermessungsgesetz, ÖJZ 1969, 337 ff !338 f ; Spielbüchler, Grundbuch und Grenze, JBl. 1980, 169 ff; Dittrich-Hrbek-Kaluza, Das österreichische Vermessungsrecht2, 164 ff). Beim Erwerb richten sich daher die Grenzen und damit die Größe eines Grundstücks nicht nach dem Mappenplan, sondern nach den tatsächlichen Grundstücksgrenzen (Koziol-Welser7 II 90 f).
Im vorliegenden Fall wußte die Klägerin bei den Kaufverhandlungen mit Erwin G*** noch nicht, daß die EZ 236 KG St. Lambrecht aus mehreren Grundstücken bestand. Sie verhandelte mit Erwin G*** nur über den Kauf des Jungwaldes, an dessen Grenze der Zaun verläuft; nur diese Tatsache war ihr auf Grund der Besichtigung vom Jahr 1980 klar. Bei den Kaufverhandlungen war jedoch niemals davon die Rede, daß die Klägerin auch ein Stück Weide kaufe. Nur der Vertragsverfasser ging nach der Einsichtnahme ins Grundbuch davon aus, daß sich auf sämtlichen Grundstücken der EZ 236 KG St. Lambrecht auch Wald befinde. Auf Grund des übereinstimmend erklärten Parteiwillens, der auch in der Formulierung des Kaufvertrages "als forstwirtschaftlich genützte Grundstücke" seinen Niederschlag findet, bildet daher nur jene Fläche den Gegenstand des Kaufvertrages, auf der sich der Wald befindet. Die Kaufvertragsparteien haben nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Vertrag unbeschadet des in der Natur bestehenden engeren Grenzverlaufes des Waldes einen Eigentumserwerbstitel für sämtliche Grundstücke bzw. Grundstücksteile, die in der Natur als Weide benützt werden, bilden sollte. Die irrtümliche Aufnahme dieser Teile in den Kaufvertrag hat auf die Ermittlung des tatsächlich erklärten Parteiwillens über den Gegenstand des Kaufvertrages keinen Einfluß. Der Kaufvertrag bildet daher nur einen Eigentumserwerbstitel für denjenigen Teil der der EZ 236 (jetzt EZ 514) KG St. Lambrecht inneliegenden Grundstücke bzw. Grundstücksteile, die tatsächlich mit Jungwald bestanden sind und im Osten durch den streitgegenständlichen Zaun begrenzt werden. Auf Grund der bloßen Eintragung des Eigentumsrechtes an der östlich dieses Zaunes liegenden Fläche, nämlich dem Teil des Grundstückes Nr. 1359 und dem Grundstück Nr. 1354/9, konnte die Klägerin mangels eines Titels daran kein Eigentum erwerben.
Da die Klägerin an den östlich des Zaunes gelegenen Teilen der genannten Liegenschaft kein Eigentum erworben hat, konnte ihrer auf § 523 ABGB gestützten Klage kein Erfolg beschieden sein. Sie hat auch nicht behauptet, daß sämtliche zum Gutsbestand der EZ 236 KG St. Lambrecht gehörenden Grundstücke mit den im Mappenplan aufscheinenden Grenzen bereits in den Grenzkataster aufgenommen worden wären; daher war nicht zu prüfen, ob sich aus dem Gutglaubensschutz nach § 49 VermessungsG etwas anderes ergeben könnte. Mangels eines gültigen Erwerbstitels für den östlich des Zaunes gelegenen Teil der Liegenschaft erübrigen sich auch Ausführungen über den Gutglaubensschutz nach § 1500 ABGB. Der außerordentlichen Revision des Beklagten war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E12310European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00605.87.1117.000Dokumentnummer
JJT_19871117_OGH0002_0040OB00605_8700000_000