TE OGH 1987/11/17 3Ob520/86

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Veröffentlicht am 17.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier, Dr. Angst, Dr. Bauer und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** G***, 1101 Wien,

Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Robert Amhof und Dr. Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ing. Franz R***, Kaufmann, 3003 Gablitz, Linzer Straße 40, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wegen 87.160,31 S s.Ng., infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. November 1985, GZ. 11 R 191/85-35, womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 9. April 1985, GZ. 25 Cg 367/82-27, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I. Aus Anlaß der Rekurse wird der Beschluß des Berufungsgerichtes insoweit als nichtig aufgehoben, als damit das Ersturteil zur Gänze, also auch in dem dem Klagebegehren teilweise abweisenden Ausspruch aufgehoben wurde;

II. Soweit das Berufungsgericht das Ersturteil in dem der Klage stattgebenden Teil und im Kostenzuspruch aufgehoben hat, wird beiden Rekursen nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

Die Kosten des Rekurses sowie der Rekursbeantwortung der beklagten Partei sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte war vom 9. Oktober 1975 bis 24. Mai 1979 Geschäftsführer der Firma Ing. Franz R*** Gesellschaft mbH. Die finanzielle Lage dieses Unternehmens verschlechterte sich im Jahr 1978 zusehends, die zum 31. März 1978 erstellte Bilanz 1977/78 wies eine Überschuldung auf, das Stammkapital war zur Gänze aufgebraucht. Diese vom Steuerberater Dr. Georg S*** erstellte Bilanz stand im Herbst 1978 zur Verfügung, spätestens zu diesem Zeitpunkt war dem Beklagten die Überschuldung bekannt. Über Anraten des Steuerberaters wurden daraufhin Einnahmen-Ausgabenrechnungen erstellt. Aus ihnen ergab sich die Notwendigkeit von Ratenvereinbarungen und Ratenzahlungen mit den Gläubigern, insbesondere den Lieferanten. Im Zuge dieses Unterfangens wurde gegen Ende 1978 ein außergerichtlicher Ausgleich mit einer Quote von 60 % angestrebt, der aber in der Folge nicht zustande kam. Das Unternehmen wurde im Hinblick auf die Vereinbarung von Ratenzahlungen mit Lieferanten und die Aussicht auf neue Aufträge für das Kabelfernsehen weitergeführt. Zum 31. Jänner 1979 (vom Erstgericht offenbar irrtümlich mit 31. Jänner 1978 festgestellt: vgl. ON 11 Seite 43) beliefen sich die Lieferantenverbindlichkeiten auf 2,370.000 S, die Bankverbindlichkeiten betrugen 1,560.000 S. Diesen Passiven standen ein Warenlager von rund 2,000.000 S und Forderungen gegenüber Kunden sowie sonstige Forderungen in Höhe von 768.000 S aber keine stillen Reserven gegenüber, sodaß ein Debet von rund 1,160.000 S bestand. Die Zahlungsfähigkeit der Firma konnte zum damaligen Zeitpunkt nur dadurch aufrecht erhalten werden, daß durch den Bankkredit die kurzfristigen Zahlungsziele in langfristige umgewandelt wurden. Die Bankverbindlichkeit wurde erst nach Konkurseröffnung dadurch beglichen, daß die Bank auf das Privatvermögen des Beklagten griff. Ab März 1979 wurden die Beiträge zur Sozialversicherung nur mehr teilweise bzw. nicht bezahlt, die Dienstgeberbeiträge blieben zum Teil offen, zum Stichtag 28. Juni 1979 waren für den Zeitraum 1. März 1979 bis 24. Mai 1979 S 63.864,27 offen, zuzüglich Mahngebühren von S 400 und Zinsen haftet bei der klagenden Partei insgesamt ein Betrag von S 86.718,28 aus.

Spätestens im April 1979 war dem Beklagten die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens bekannt. Anfang Mai 1979 war die finanzielle Situation der Firma bereits so, daß der Steuerberater Dr. Georg S*** die Konkursreife des Unternehmens feststellte und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens empfahl. Am 25. Mai 1979 wurde über Wunsch des Beklagten dessen Ehefrau an seiner Stelle zur Geschäftsführerin bestellt. Am 7. Juli 1979 stellte der Rechtsvertreter des Unternehmens den Konkursantrag. Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 87.160,31 samt Anhang für aufgelaufene Dienstgeberbeiträge der Ing. Franz R*** Gesellschaft mbH im Zeitraum vom 1. März 1979 bis 24. Mai 1979 zuzüglich Mahnspesen und bis 17. September 1982 berechneter Zinsen, weil der Beklagte schuldhaft in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens für die von ihm geleitete Gesellschaft neue Schulden, unter anderem auch gegenüber der beklagten Partei durch Weiterbeschäftigung von Dienstnehmern eingegangen sei. Er hafte für den der Klägerin dadurch entstandenen Schaden durch Verwirklichung des Tatbestandes des § 159 Abs 1 Z 2 StGB, eventuell nach § 85 GmbHG für den verschuldeten Beitragsrückstand.

Der Beklagte bestritt das Vorliegen eines deliktischen Tatbestandes. Er sei seinen Pflichten als Geschäftsführer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nachgekommen und zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung nicht mehr Geschäftsführer des Unternehmens gewesen.

Das Erstgericht gab der Klage mit Ausnahme eines auf einem Rechenfehler beruhenden Betrages von S 442 samt Anhang statt. Es sei gesicherte Rechtsprechung und Lehre, daß Gläubiger einer Gesellschaft mbH, die für ihre Forderung im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine ausreichende Deckung gefunden hätten, die Geschäftsführer direkt für einen Schaden in Anspruch nehmen könnten, der ihnen von den organschaftlichen Vertretern durch eine eigene schuldhafte Verletzung des Gesetzes, das gerade ihren, der Gesellschaftsgläubiger, Schutz bezwecke, verursacht worden sei. Ein solches Schutzgesetz habe bis zum Inkrafttreten des inhaltsgleichen § 69 Abs 3 KO auch § 85 GmbHG dargestellt, welcher zum Unterschied zum § 159 Abs 1 Z 2 StGB, der nur auf die Zahlungsunfähigkeit abstelle, auch die Überschuldung der Gesellschaft mbH einen die Verpflichtung des Geschäftsführers auslösenden Grund zur unverzüglichen Stellung eines Antrages auf Konkurs oder, bei Vorliegen der Voraussetzungen, auf Ausgleichseröffnung bilde. Weil der Beklagte auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens spätestens im Herbst 1978 von dessen Überschuldung wissen mußte und diese erkennen konnte, hafte er ab diesem Zeitpunkt für das Eingehen neuer Schulden, auch für das fahrlässige Zustandekommen aufgelaufener weiterer Beitragsforderungen. Der Versuch eines außergerichtlichen Ausgleiches mit einer Rate von 60 % Ende 1978, Anfang 1979 müsse als untauglich bezeichnet werden, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zu dieser Zeit so gewesen seien, daß die vorhandenen liquiden Mittel nur zur Zahlung der Löhne gereicht hätten. Da die Arbeitsverhältnisse der Dienstnehmer rechtzeitig und arbeitsrechtlich zulässig zum Quartalsende per 31. Dezember 1978 hätten beendet werden können (ein Substrat hiefür in den Feststellungen fehlt gänzlich) und in diesem Falle die Beitragsschulden bei der klagenden Partei nicht aufgelaufen wären, habe der Beklagte in Höhe des Rückstandsausweises der klagenden Partei nach Berichtigung eines unterlaufenen Rechenfehlers zu haften.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Ersturteil zur Gänze auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach aus, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei.

Zutreffend habe der Beklagte bemängelt, daß das Erstgericht ohne Grundlage in den Feststellungen und nur im Rahmen der rechtlichen Beurteilung den Versuch des Beklagten, einen außergerichtlichen Ausgleich zustande zu bringen, als untauglich bezeichnet habe. Auch bei Verletzung eines Schutzgesetzes und kausalem Verhalten des Geschäftsführers - bei Erkennen der Überschuldung hätte der Beklagte noch rechtzeitig die Dienstnehmer kündigen und den Schaden abwenden können - müßten darüber hinaus sowohl der Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw. auch ein Verschulden des Geschäftsführers vorliegen, um eine direkte Inanspruchnahme durch die Gesellschaftsgläubiger zu rechtfertigen. Der Zweck des § 85 GmbHG, der den Schutz der Gesellschaftsgläubiger im Auge habe, schließe nicht aus, daß der Geschäftsführer taugliche Versuche starte, um ein drohendes Insolvenzverfahren abzuwenden. Es müsse diesem daher zugebilligt werden, Maßnahmen zu setzen, die - soferne sie tauglich bzw. erfolgreich seien - die Gläubiger sogar besser befriedigen könnten als ein Ausgleichsverfahren, so zum Beispiel durch Erzielen eines außergerichtlichen Ausgleiches mit einer 60 %igen Quote. Überschuldung sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die bilanzierten Werte selbst unter Offenlegung der stillen Reserven eine rechnerische Unterbilanz ergäben sondern erst dann, wenn diese auch nicht durch eine geschätzte zukünftige positive Entwicklung ausgeglichen werden könne. Es komme auf die Überlebenschancen des Unternehmens an (Doralt, GesRZ 1982, 88 f.). Schuldhaftes Verhalten des Beklagten, der sich des Rates seines Steuerberaters bedient habe, sei dann zu verneinen, wenn die gesetzten Maßnahmen an sich im Einzelfall zu einem Erfolg geführt hätten, also auch jeder andere sorgfältig handelnde Geschäftsführer solche Sanierungsversuche unternommen hätte. Sollten an sich erfolgversprechende Maßnahmen nur auf Grund nicht vorhersehbarer Begleitumstände gescheitert sein, müßten sich der Zeitpunkt, zu welchem der Beklagte die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu beantragen gehabt hätte und auch jener der erforderlichen Beendigung der Dienstverhältnisse verschieben. Weil aber ausreichende Feststellungen über alle vom Beklagten gesetzten Maßnahmen und deren Tauglichkeit fehlten, sei eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich und das erstinstanzliche Verfahren ergänzungsbedürftig. Da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage inwieweit trotz Überschuldung taugliche Sanierungsversuche zuzubilligen seien, fehle, setzte das Berufungsgericht einen Rechtskraftvorbehalt. Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes wenden sich die Rekurse beider Streitteile. Die klagende Partei beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Die beklagte Partei bekämpft nicht den Aufhebungsbeschluß selbst, wendet sich aber gegen die im angefochtenen Beschluß ausgesprochene, dem Erstgericht überbundene Rechtsansicht, schon bei untauglichem Sanierungsversuch sei die Rechtssache spruchreif. Selbst dann lägen die schon in der Berufung gerügten Feststellungsmängel über die Möglichkeit der rechtzeitigen Auflösung der Dienstverhältnisse noch immer vor. Durch die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsmeinung sei dieser Einwand der beklagten Partei endgültig, in abschlägigem Sinne, erledigt worden. Es wird daher beantragt auch auszusprechen, daß das Verfahren auch durch Aufnahme tauglicher Feststellungen über den Inhalt der einzelnen Dienstverträge und deren Auflösungsmöglichkeiten zu ergänzen sei.

Da das Berufungsgericht das Ersturteil zur Gänze, also auch in dem das Klagebegehren abweisenden Teil, der in Rechtskraft erwachsen ist, aufgehoben hat, war der Beschluß des Berufungsgerichtes aus Anlaß der Rekurse in diesem Umfange als nichtig aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rekurse sind im Ergebnis nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in jüngster Zeit mehrfach und ausführlich sowohl mit dem Überschuldungsbegriff als auch mit der rechtlichen Zulässigkeit von Sanierungsversuchen auseinandergesetzt und dabei auch die in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland vertretene Lehre berücksichtigt (vgl. GesRZ 1984, 218;

RdW 1987, 126 = EvBl. 1987/104 = WBl. 1987, 74 mit Anm. von Wilhelm;

JBl. 1986, 713 mit Anm. von Reich-Rohrwig, dazu auch Honsell, JBl. 1987, 146).

Eine insolvenzrechtlich bedeutsame Überschuldung ist nicht schon beim Überwiegen der Passiven über die Aktiven anzunehmen. Ein derartiges Verständnis des Überschuldungstatbestandes ist auf dem Gebiet der Unternehmensinsolvenzen praktisch nicht anwendbar, weil bei einer solchen Beurteilung auch gesunde, aber fremdfinanzierte Unternehmen überschuldet wären. Die rechnerische Überschuldung bildet zwar eine notwendige, aber noch keineswegs hinreichende Bedingung für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens, weil in dieser Phase der Überschuldungsprüfung noch keine Aussage darüber möglich ist, ob eine Kapitalgesellschaft ihren Verpflichtungen nicht im Rahmen ihrer laufenden Betriebstätigkeit wird nachkommen können. Die Überschuldungsprüfung ist daher durch eine Unternehmensprognose zu ergänzen, in deren Rahmen mit Hilfe sorgfältiger Analysen von Verlustursachen, eines Finanzierungsplanes sowie der Zukunftsaussichten der Gesellschaft die Wahrscheinlichkeit der künftigen Zahlungsunfähigkeit und damit der Liquidation der Gesellschaft zu prüfen ist. Ein statischer Überschuldungsbegriff würde zur Konkursantragspflicht auch bei lebens- und ertragsfähigen Unternehmungen führen, was weder dem wohlverstandenen Interesse der Gesellschafter noch auch dem der Gläubiger und der Öffentlichkeit dienen würde. So lange demnach noch eine künftige positive Unternehmensentwicklung erwartet werden kann, die sich im Ertragswert und good will wiederschlägt (Doralt, GesRZ 1982, 88 f.) und die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft erhalten bleibt, fehlt es an einer konkursrechtlich relevanten Überschuldung. In diesem Rahmen sind bei der Prüfung der Überschuldung auch Sanierungsversuche miteinzubeziehen (RdW 1987, 126 = EvBl. 1987/104 = WBl. 1987, 74). Nur so kann ein Geschäftsführer, der einerseits den Gesellschaftern verantwortlich ist, andererseits die insolvenzrechtlichen Bestimmungen zu beachten hat, wirtschaftliche Entscheidungen treffen, die den Gesellschafts- und den Gläubigerinteressen gerecht werden, ohne eine uferlose Ausweitung seiner persönlichen Haftung in der einen oder anderen Richtung befürchten zu müssen. Die deliktische persönliche Haftung des Geschäftsführers soll nach der im Gesetz vorgesehenen Konstruktion der Kapitalgesellschaft die Ausnahme und nicht die Regel bilden. Wenn daher ein Geschäftsführer Sanierungsversuche unternimmt, dann ist zu untersuchen, ob er bei Anwendung jener objektiv zu beurteilenden Sorgfalt (§ 25 GmbHG), die den Fähigkeiten und Kenntnissen, welche von einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig üblicherweise erwartet werden kann, entspricht, und die ein im kaufmännischen Leben erforderliches Eingehen wirtschaftlicher Risken nicht ausschließt (vgl. Reich-Rohrwig GesmbH-Recht, 134) überzeugt sein durfte, daß sein Sanierungskonzept aussichtsreich und dessen Verwirklichung ernsthaft möglich sein werde. Nur wenn die Sanierung von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben kann oder die Fortsetzung zwar zunächst aussichtsreich beurteilt, in der Folge aber wegen geänderter Umstände, auf die zunächst nicht Bedacht genommen werden konnte, abgebrochen hätte werden müssen, fällt dem Geschäftsführer ein Verschulden zur Last, das seine persönliche Haftung begründen würde. Zu Recht hat das Berufungsgericht daher ausgeführt, daß die Feststellungen des Erstgerichtes, die von dem auf einem statischen und nicht auf einem dynamischen Überschuldungsbegriff aufbauenden Sachverständigengutachten ausgehen, zur abschließenden Beurteilung nicht ausreichen. Es wird daher durch ergänzende Beweisaufnahmen zu klären sein, wie sich die Unternehmenssituation im einzelnen zum Zeitpunkt der Kenntnis oder Erkennbarkeit des Beklagten von der Überschuldung darstellte, wobei die Feststellung "im Herbst 1978" näher einzugrenzen sein wird, welche Ursachen die Überschuldung hatte, wie sich die Auftragslage und vor allem die Einschätzung der künftigen Entwicklung des Unternehmens (Verträge und Zusagen über Mitarbeit beim Ausbau des Kabelfernsehens) darstellte und welche einzelnen Maßnahmen zu welchen Zeitpunkten gesetzt wurden. Bei berechtigter Annahme einer günstigen Auftragsentwicklung kann auch das Anstreben eines außergerichtlichen Ausgleiches mit einer höheren als der im Gesetz im Ausgleichsverfahren vorgesehenen Quote durchaus zur Sanierung geeignet sein, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme des Ausgleichsvorschlages durch die Altgläubiger besteht und die Neugläubiger voll befriedigt werden können. Dazu wird aber zu prüfen sein, wie und in welcher Zeit der außergerichtliche Ausgleich finanziert werden sollte, sei es durch Fremdkapital, durch kurzfristig zu erwartende zusätzliche Einnahmen aus neu hinzugekommenen Aufträgen, durch Gesellschafterzuschüsse oder Übernahme von entsprechend abgesicherten persönlichen Haftungen von Gesellschaftern oder des Geschäftsführers und dergleichen. Schließlich müssen auch Bemühungen, einen außergerichtlichen Ausgleich zu erreichen, zeitliche Grenzen gesetzt werden, weil die Aussichten und Vorteile eines begonnenen Sanierungsversuches gegen die Nachteile abzuwägen sind, die anderen Gläubigern bei Scheitern des Versuches durch zwischenzeitige Vermögensbewegungen entstehen könnten. Eine Richtlinie wird auch für Fälle, auf welche das Insolvenzrechtsänderungsgesetz nocht nicht anzuwenden ist, die dort normierte Frist des § 90 Abs 1 Z 3 AO für Sanierungsbemühungen im Vorverfahren sein, weil es der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung tragende Absicht des Gesetzgebers war, zwar das Ausgleichsverfahren möglichst zu begünstigen, wirtschaftliche Werte und damit auch Arbeitsplätze zu erhalten, mithin den Abbau aller einer wirtschaftlich sinnvollen Sanierung und damit der Fortführung von Unternehmen entgegenstehende Hemmnisse möglichst hintanzuhalten, die Sanierungsversuche aber im Interesse der Gläubiger zeitlich zu begrenzen (1147 BlgNR 15.GP, 3 Beil. S 26).

Der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ein Insolvenzverfahren zu beantragen, wird also nach den obigen Ausführungen dort anzusetzen sein, wo der Beklagte nach objektiven Maßstäben erkennen mußte, daß eine Sanierung von vornherein nicht aussichtsreich, oder eine zunächst als aussichtsreich beurteilte und begonnene Sanierung wegen eingetretener Umstände, die ex ante nicht einkalkuliert werden konnten, keine Aussicht auf Verwirklichung mehr hatte. Es ist daher dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß die Feststellungen des Erstgerichtes, wie oben dargelegt, nicht ausreichen.

Den Ausführungen der beklagten Partei in ihrem Rekurs ist aber auch zuzugestehen, daß selbst dann, wenn sich die Sanierungsbemühungen des Beklagten von vornherein - ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Überschuldung des Unternehmens - als nicht erfolgversprechend erweisen sollten, der der klagenden Partei zustehende Schadenersatzanspruch noch immer nicht abschließend beurteilt werden kann. Im Ersturteil wird ohne jede Feststellung über die Anzahl der Dienstnehmer, Dauer der Dienstverhältnisse und mögliche Kündigungsfristen und -termine ausgeführt "bei ordnungsgemäßer Beendigung der Dienstverhältnisse per 31. Dezember 1978 wäre die gegenständliche Beitragsschuld nicht aufgelaufen." Zu Recht hat der Beklagte bereits in der Berufung gerügt, daß das Erstgericht keinerlei Feststellungen darüber getroffen hat, die die "Feststellung", - richtig den rechtlichen Schluß - zulassen, daß die Arbeitsverhältnisse der Dienstnehmer der Gesellschaft rechtzeitig und arbeitsrechtlich zulässig zum 31. Dezember 1978 hätten beendet werden können. Der beigezogene Sachverständige hat seine Berechnungen hiezu, die im Ersturteil keinen Niederschlag fanden und die hinsichtlich der möglichen Kündigungstermine und -fristen bezüglich einzelner Arbeitnehmer vom Beklagten überdies als unrichtig bemängelt wurden, auf einen Ausspruch der Kündigung am 30. April 1979, also zu dem von ihm angenommenen Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft und nicht auf jenen der Überschuldung abgestellt. Dabei ist er zu dem Ergebnis gekommen, daß bei Ausspruch einer Kündigung am 30. April 1979 die Kündigung der meisten Arbeitnehmer zum 30. Juni 1979 möglich gewesen wäre, Beitragszahlungen im hier strittigen Zeitraum daher jedenfalls noch ausgelöst hätte. Feststellungen über die Kündigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer der Gesellschaft auf Grund ihrer Arbeitsverträge sowie Beschäftigungsart und -dauer sind aber jedenfalls erforderlich, weil auch zu prüfen ist, ob und allenfalls in welcher Höhe der klagenden Partei ein Schaden erwachsen wäre, hätte der Beklagte das Insolvenzverfahren rechtzeitig im Sinne der obigen Ausführungen beantragt. Vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wäre eine begünstigte Lösung der Arbeitsverhältnisse nicht möglich gewesen. Der klagenden Partei stünde jedenfalls nur die Differenz zwischen den Dienstgeberbeiträgen, die bei rechtzeitiger Konkurseröffnung und Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht mehr aufgelaufen wären, und dem zu, was sie auf diese Beitragsschuld aus der Konkursmasse tatsächlich erhalten hat oder voraussichtlich erhalten wird, sollte der Konkurs noch nicht beendet sein (vgl. Doralt aaO 88 f.). Selbst wenn daher das Insolvenzverfahren bereits "im Herbst 1978" oder Ende 1978 zu beantragen gewesen wäre, könnte der Schaden der klagenden Partei ohne Ermittlung nach den aufgezeigten Grundsätzen nicht ohne weiteres mit dem tatsächlichen Ausfall (noch dazu einschließlich der bis September 1982 berechneten Zinsen) gleichgesetzt werden. Da die Prüfung der Berechtigung der von der klagenden Partei erhobenen Ansprüche daher eine Ergänzung des Verfahrens erster Instanz bedarf, war den Rekursen beider Parteien keine Folge zu geben. Weil jedoch der Einwand der beklagten Partei, auch die vom Berufungsgericht nach dessen Rechtsansicht aufgetragenen Verfahrensergänzungen reichten zur abschließenden rechtlichen Beurteilung noch nicht aus, es seien aus rechtlichen Erwägungen weitere Feststellungen erforderlich, berechtigt ist, waren die Kosten ihres Rekurses sowie der Beantwortung des Rekurses der klagenden Partei gemäß § 52 ZPO vorzubehalten, während die klagende Partei nach §§ 40 und 50 ZPO sowohl die Kosten ihres Rekurses als auch jene der Rekursbeantwortung zum Rekurs der beklagten Partei mangels Erfolges selbst zu tragen hat.

Anmerkung

E12774

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0030OB00520.86.1117.000

Dokumentnummer

JJT_19871117_OGH0002_0030OB00520_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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