Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred B***, Steinmetzarbeiter, Mühlgasse 33 a, 7400 Oberwart, vertreten durch Dr. Ernst Blasl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei DER A*** A*** V***-AG, 1010 Wien, Hoher Markt 10-11, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 275.000,-- und Feststellung (Streitwert S 100.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. Juli 1987, GZ 15 R 143/87-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wien vom 20. März 1987, GZ 27 Cg 701/86-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.469,05 (darin keine Barauslagen und S 1.133,55 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 24. Oktober 1983 ereignete sich auf der Aschauer Landesstraße Nr. 3553 bei Km 4,5 ein Verkehrsunfall, der von Alfred K*** als Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten, dem Julius W*** gehörenden LKW mit dem Kennzeichen B 155.600 verursacht wurde. Der Kläger, der in diesem LKW mitgefahren war, wurde schwer verletzt. Sowohl der Kläger als auch Alfred K*** waren Dienstnehmer der Firma W*** und befanden sich auf der Fahrt von der Arbeitsstätte zum Firmensitz.
Der Kläger begehrte die Bezahlung eines Betrages von S 275.000,--s.A. und stellte auch ein Feststellungsbegehren; er brachte vor, daß die beklagte Versicherungsgesellschaft ihre Haftung für die beim Unfall entstandenen Schäden zunächst durch eine Akontozahlung von S 25.000,-- am 30. Mai 1984 anerkannt und in der Folge mit der Begründung verneint habe, daß Alfred K*** im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG Aufseher im Betrieb der Firma W*** gewesen sei. Tatsächlich sei Alfred K*** aber gelernter Bäcker, der Kläger gelernter Schlosser und die Beaufsichtigung der durchgeführten Steinmetzarbeiten Sache eines anderen Dienstnehmers der Firma W*** gewesen. Zur Zeit des Unfalls habe Alfred K*** nur die Aufgabe gehabt, das Firmenfahrzeug und die an der Baustelle tätig gewesenen Dienstnehmer zum Sitz des Unternehmens zurückzubringen. Der Kläger habe Hautabschürfungen und einen Bruch des linken Schienbeinkopfes erlitten. Die Heilung sei kompliziert und langwierig gewesen, sodaß ein Schmerzengeld von S 300.000,-- angemessen sei. Das Feststellungsbegehren sei zu bejahen, weil möglicherweise ein Dauerschaden zurückbleiben werde.
Die beklagte Versicherungsgesellschaft wendete ein, daß der Kläger, der als Gelegenheitsarbeiter bekannt sei, am Unfallstag erst zwei Wochen lang im Steinmetzbetrieb W*** tätig gewesen sei und sein Arbeitsverhältnis insgesamt nur einen Monat hätte dauern sollen. Er sei bei allen Arbeitseinsätzen Alfred K*** unterstellt gewesen. Julius W*** habe täglich die durchzuführenden Arbeiten bestimmt und K*** die entsprechenden Aufträge erteilt. Dieser sei zwar gelernter Bäcker, habe aber schon seit Anfang 1981 in Steinmetzbetrieben gearbeitet. Bei der Firma W*** sei er als Partieführer eingesetzt und zumeist auch als LKW-Fahrer tätig gewesen. Am 24. Oktober 1983 sei K*** von Julius W*** mit dem Firmen-LKW zum Friedhof Aschau beordert worden. Die dortigen Arbeiten seien nach den Weisungen K***'s durchgeführt worden, der Unfall habe sich auf dem Rückweg ereignet. K*** sei zum Unfallszeitpunkt daher Dienstvorgesetzter des Klägers gewesen. Hilfsweise wurde vorgebracht, daß die Alkoholisierung K***'s dem Kläger erkennbar gewesen sei, woraus sich ein Mitverschulden von einem Drittel ergebe. Das begehrte Schmerzengeld sei überhöht. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:
Am 24. Oktober 1983 waren der Kläger, Alfred K*** und Werner L*** von ihrem gemeinsamen Dienstgeber Julius W*** damit beauftragt, auf dem Friedhof von Aschau Grabeinfassungen herzustellen. Der Kläger, der gelernter Schlosser war und schon früher ein Jahr lang in einem Steinmetzbetrieb gearbeitet hatte, war seit 10. Oktober 1983 bei der Firma W*** beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis sollte nach Allerheiligen 1983 enden. Alfred K*** war seit 28. März 1983 für die Firma W*** tätig und wäre dort etwa bis Weihnachten 1983 beschäftigt worden. Er war gelernter Bäcker, aber bereits Anfang 1981 als Partieführer in einem Steinmetzbetrieb tätig gewesen. Werner L*** war ausgelernter Kunststeinerzeuger. Julius W*** hatte Alfred K*** eine Skizze des Grabes übergeben und ihn ausdrücklich mit der Arbeit des Ausmessens beauftragt. Auf dem Friedhof teilte Alfred K*** die Arbeiten ein. Er bestimmte, wer das Wasser zu holen, den Zement zu rühren oder zu fugen hatte. K*** arbeitete auch selbst mit. Gab es Unklarheiten, so hatte er zu entscheiden. K*** war zwar nur Hilfsarbeiter, hatte aber die Verantwortung für die ganze Partie. Nach getaner Arbeit sollte er alles einladen und seine Kollegen zum Firmensitz zurückbringen. Während der Arbeiten kam ein weiterer Dienstnehmer der Firma W***, Josef F***, mit einem anderen Firmenfahrzeug nach. Er brachte Materialien, die noch gefehlt hatten und half bei den Arbeiten. Josef F*** war Steinmetz, erteilte aber keine Weisungen. Er fuhr später allein zurück. K***, der Kläger und L*** begaben sich nach Beendigung der Arbeiten in dem von K*** gelenkten LKW auf den Rückweg zum Firmensitz. Unterwegs kam es zum Unfall, den K*** durch grobe Fahrlässigkeit verschuldete und bei dem der Kläger verletzt wurde.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß die Fahrt auf einem Dienstauftrag beruht habe und im Interesse des Betriebes gelegen sei. K*** habe nicht nur die Aufgabe gehabt, die Beförderung seiner Arbeitskollegen durchzuführen, er sei vielmehr allein mit der organisatorischen Abwicklung des gesamten Arbeitseinsatzes betraut und seinen Arbeitskollegen gegenüber insoweit auch weisungsbefugt gewesen. Ihm sei die Skizze übergeben worden, er sei gefahren, habe ausgemessen und Weisungen im Zusammenhang mit der Durchführung der Arbeiten erteilt und die Verantwortung für die ganze Partie getragen. Es sei zutreffend, daß es nicht darauf ankomme, ob Alfred K*** "an sich" Aufseher des Klägers gewesen sei, vielmehr sei auf den Zeitpunkt des Unfalles abzustellen. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung komme es für die Beurteilung der Aufsehereigenschaft im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG nicht auf die sonstige Stellung in der betrieblichen Hierarchie, sondern auf die Funktion im Zeitpunkt des Unfalls an. Dies könne aber nicht so verstanden werden, daß im vorliegenden Fall Alfred K*** seine während des Arbeitseinsatzes ausgeübte Funktion als Aufseher im Sinne dieser Gesetzesstelle mit dem Antritt der Rückfahrt verloren gehabt hätte, weil während dieser keine Arbeitseinteilung zu treffen gewesen sei. Der ihm erteilte Auftrag, nach Beendigung der Arbeiten alles einzuladen und seine Kollegen mit dem Firmenfahrzeug in den Betrieb zurückzubringen, sei im Zusammenhang mit seiner Funktion während der Arbeiten selbst vielmehr so zu verstehen, daß er nicht nur den Kraftwagen bedienen, sondern insgesamt für eine ordnungsgemäße Rückkehr von Fahrzeug, Material und Kollegen sorgen und dabei die Interessen des Dienstgebers wahrnehmen sollte. Daß K*** dies nicht zum Anlaß genommen habe, tatsächlich eine über die kraftfahrrechtlichen Befugnisse hinausreichende Weisungsbefugnis auszuüben, und er seine Pflichten auch sonst vernachlässigt habe, wodurch es zum Unfall gekommen sei, sei nicht entscheidend. Alfred K*** sei daher auch für die Zeit der Rückfahrt und somit des Unfalls als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen. Das Mitfahren in einem Fahrzeug des Dienstgebers bedeute nach ständiger Rechtsprechung keine Teilnahme am allgemeinen Verkehr. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos; ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes billigte das Berufungsgericht auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz und sprach aus, daß der Wert, über den es entschieden hat, insgesamt S 300.000,-- übersteigt.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kläger führt aus, seine Tätigkeit und jene des Alfred K*** seien in rechtlicher Hinsicht als gleichwertig zu betrachten; K*** sei nicht als Verantwortlicher für die Arbeiten am Friedhof anzusehen, da er keine entsprechende Ausbildung genossen habe; er sei daher nicht als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG zu betrachten; vor allem sei er während der Heimfahrt nur Fahrzeuglenker gewesen und habe keine über das Lenken des LKWs hinausgehende Verantwortung für die Mitfahrer gehabt; überdies sei der von K*** verschuldete Unfall zwar als Arbeitsunfall im Sinn des ASVG anzusehen, jedoch sei der Unfall bei der Teilnahme am öffentlichen Verkehr entstanden, sodaß gemäß § 333 Abs 3 ASVG kein Haftungsausschluß der Beklagten in Betracht komme.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Bei der Beurteilung der Frage, ob jemand als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist oder nicht, kommt es nach ständiger Rechtsprechung (SZ 26/215; Arb. 8919; ZVR 1984/23; 4 Ob 41/84 uza) vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei der Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausgehende Befugnisse und Pflichten hatte (ZVR 1974/59; SZ 51/128; ZVR 1984/23 ua.). Ein Arbeitnehmer, der einen im gleichen Betrieb tätigen Kollegen im eigenen Kraftwagen in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Rahmen des Betriebes und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus; er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und als solcher nicht Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs 4 ASVG. Einer solchen, auf reiner Gefälligkeit beruhenden Mitnahme von Arbeitskollegen im eigenen PKW kann aber die auf einer Anordnung der zuständigen Stelle der Betriebsleitung beruhende Beförderung von Betriebsangehörigen an einen bestimmten Arbeitsplatz nicht ohne weiteres gleichgehalten werden. Wer einen solchen Auftrag seines Dienstgebers befolgt, hat einen, wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienen, hinsichtlich der beförderten Betriebsangehörigen eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen und ist damit "Aufseher im Betrieb". Maßgebend ist, daß der beförderte Arbeitskollege hier nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen wird (SZ 23/266; Arb. 8660; ZVR 1974/97; ZVR 1984/23; 4 Ob 51/84, 8 Ob 17/86 uva.). Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet und wird berücksichtigt, daß Alfred K*** nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes von seinem Dienstgeber Julius W*** mit dem Ausmessen des Grabes beauftragt war, auf dem Friedhof die Arbeit einteilt, im Falle von Unklarheiten zu entscheiden hatte und über Auftrag seines Dienstgebers mit dessen LKW nach Beendigung der Arbeit den Kläger und einen weiteren Arbeitnehmer zum Firmensitz zurückzuführen hatte, wobei sich der Unfall auf dieser Rückfahrt ereignete, ist entgegen der Auffassung der Revision in der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß K*** im Zeitpunkt des Unfalles gegenüber dem Kläger als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen war, keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu erblicken.
Auch soweit die Revision die Auffassung vertritt, der Unfall habe sich bei der Teilnahme des Klägers am allgemeinen Verkehr ereignet, sodaß der Beklagten das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 bzw. Abs 4 nicht zugute komme, kann ihr nicht gefolgt werden. Von einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr kann nämlich dann nicht gesprochen werden, wenn der Verletzte in Ausübung seines Dienstes ein vom Dienstgeber beigestelltes, der Allgemeinheit nicht zugängliches Fahrzeug benützte (vgl. SZ 33/134, ZVR 1964/62 ua.), was hier der Fall war.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E12631European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00080.87.1119.000Dokumentnummer
JJT_19871119_OGH0002_0080OB00080_8700000_000