Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24.November 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Samek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Anton und Gertrud P*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB und eines anderen Deliktes über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 1987, GZ 24 Vr 669/86-52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Strasser, der Angeklagten Anton P*** und Gertrud P*** sowie der Verteidiger Dr. Kafka und Dr. Merlicek zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten werden verworfen. Gemäß dem § 290 Abs 1 StPO wird das Ersturteil, das im übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB (Punkt 1 a des Urteilssatzes) und wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach dem § 99 Abs 1 StGB (Punkt 2) sowie in den Strafaussprüchen aufgehoben und unter gleichzeitiger Ausschaltung des Schuldspruches wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB (Punkt 1 a des Urteilssatzes)
a) im Fall des Angeklagten Anton P*** gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Für das Anton P*** nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches weiterhin zur Last liegende Vergehen der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 2 StGB (Punkt 1 b des Urteilssatzes) wird dieser Angeklagte nach dem § 159 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 7 (sieben) Monaten verurteilt;
b) im Fall der Angeklagten Gertrud P*** wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu Punkt 2 (Vergehen nach dem § 99 Abs 1 StGB) sowie im Umfang der Aufhebung des Strafausspruches an das Erstgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß dem § 390 a StPO fällt dem Angeklagten Anton P*** auch der Ersatz der durch seine Rechtsmittel verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Anton und Gertrud P*** schuldig erkannt:
1./ des Vergehens (richtig: der in Realkonkurrenz zusammentreffenden, rechtlich selbständigen Vergehen - vgl. 10 Os 126/84) der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB, weil Gertrud P*** als Geschäftsführerin und Anton P*** als leitender Angestellter (§§ 161, 309 StGB) der Vieh- und Fleischhandelsgesellschaft mbH, welche Schuldnerin mehrerer Gläubiger war, in der Zeit zwischen Februar 1984 und 23. Dezember 1985 in Wörgl und anderen Orten
a/ fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit des genannten Unternehmens herbeiführten, indem sie es ohne genügende Ausstattung mit Eigenkapital betrieben sowie leichtsinnig und unverhältnismäßig Kredit benützten,
b/ in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit fahrlässig die Befriedigung der Gläubiger der Vieh- und Fleischhandelsgesellschaft mbH insbesondere dadurch vereitelten oder schmälerten, daß sie neue Schulden eingingen und den Betrieb nicht einstellten (Schuldsprüche 1/a/ und b/); 2./ Gertrud P*** überdies des Vergehens der Freiheitsentziehung nach dem § 99 Abs 1 StGB, weil sie am 8.Dezember 1985 in Wörgl Erwin B*** widerrechtlich gefangenhielt, indem sie ihn durch Versperren der Türe ca. 15 Minuten lang am Verlassen ihrer Wohnung hinderte, um ihn zur Ausstellung einer Quittung über eine an ihn geleistete Teilzahlung einer Schuld zu nötigen.
Dieses Urteil wird von den Angeklagten mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden bekämpft, und zwar von Anton P*** aus den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO sowie von Gertrud P*** - nur im Schuldspruch Punkt 2/ wegen Vergehens der Freiheitsentziehung - aus den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und 9 lit a leg. cit. Die Beschwerden selbst sind nicht begründet, geben aber Anlaß zur amtswegigen Wahrnehmung materieller Nichtigkeit im Schuldspruch der beiden Angeklagten wegen Vergehens der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB (1/a/) und im Schuldspruch der Angeklagten Gertrud P*** wegen Vergehens der Freiheitsentziehung nach dem § 99 Abs 1 StGB (2/).
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem Beschwerdevorbringen des Anton P*** besteht zwischen der Urteilsannahme, wonach dieser Angeklagte am 30. März 1982 als Geschäftsführer der Gesellschaft enthoben und seine Ehefrau Gertrud P***, die in der Folge auch alleinige Gesellschafterin war, zur Geschäftsführerin bestellt wurde und den Urteilskonstatierungen, daß ungeachtet dieses formalen Geschäftsführerwechsels die beiden Angeklagten die Geschäfte der Gesellschaft weiterhin stets gemeinsam betrieben, wobei Anton P*** auch von der schlechten finanziellen Situation des Unternehmens und von den laufenden (größtenteils erfolglosen) Exekutionen sowie von der Leistung des Offenbarungseides seiner Gattin wußte, kein (tatsächlicher oder rechtlicher) Widerspruch. Eine derartige (bloß) faktische Beteiligung an der Geschäftsführung einer juristischen Person, zu der es nach den durch die Verfahrensergebnisse (S 286 dA) gedeckten Urteilsgründen kam, um Anton P*** - und damit auch seinen Familienangehörigen - als Dienstnehmer der Gesellschaft die Vorteile der Sozialversicherung zukommen zu lassen, ist nach allgemeiner und forensischer Erfahrung keine Seltenheit und begründet gemäß dem § 161 Abs 1 StGB in Verbindung mit dem § 309 StGB ua im Sinn des § 159 StGB strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betreffenden als leitender Angestellter (vgl. Mayerhofer-Rieder2, ENr. 1 bis 4 zu § 161 StGB ua).
Daß die Verpflichtung zur Anmeldung eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich nur den Schuldner selbst, allenfalls auch qualifizierte bevollmächtigte Geschäftsführer, nicht aber den de-facto-Geschäftsführer trifft (Mayerhofer-Rieder2, ENr. 30 zu § 159 StGB; Leukauf-Steininger2, RN 13 zu § 161 StGB ua), kann hier außer Betracht bleiben. Denn der - in der Unterlassung einer solchen Antragstellung bestehenden, nur in den Urteilsgründen aufscheinenden - Schuldkomponente einer Gläubigerbenachteiligung im Sinn des alternativen Mischtatbestandes des Vergehens nach dem § 159 Abs 1 Z 2 StGB kommt neben jener des (festgestellten) Eingehens neuer Schulden (in welchem Sinn auch die den Angeklagten vorgeworfene Unternehmensfortführung zu verstehen ist !S 15 der Urteilsausfertigung) im Nichtigkeitsverfahren keine selbständige Bedeutung zu (Mayerhofer-Rieder2, ENr. 13 zu § 159 StGB ua). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Anton P*** war daher zu verwerfen.
Dem Schuldspruch der beiden Angeklagten wegen fahrlässiger Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (§ 159 Abs 1 Z 1 StGB) haftet indes, wie erwähnt, eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO an:
Das Ersturteil umgrenzt - entsprechend der den Kridaschuldsprüchen zugrundeliegenden Anklage wegen Betruges - den Tatzeitraum für die beiden Kridavergehen ausdrücklich mit Februar 1984 und 23.Dezember 1985. Die im Urteil festgestellte (fahrlässige) Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (S 5 f der Urteilsausfertigung) schon im Jahr 1980 - womit das Delikt nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB vollendet war (vgl. ua Kienapfel BT II, RN 12 hiezu) - liegt aber zeitlich weit vor dem vom Erstgericht dem Schuldvorwurf in ausdrücklich einschränkendem (S 15 f der Urteilsausfertigung) und daher nicht korrigierbarem Sinn zugrundegelegten Tatzeitraum. Da der Urteilssachverhalt somit den schuldspruchmäßigen Vorwurf des Vergehens nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB nicht deckt, erweist sich dieser Schuldspruch nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO als nichtig und war ebenso wie die Strafaussprüche aufzuheben.
Damit erübrigen sich eine - amtswegige - Prüfung der Frage des Verbrauches des Anklagerechtes (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) in bezug auf den Kridasachverhalt nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB im (Vorstraf-)Verfahren 7 Vr 2.546/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, in welchem die finanzielle Situation der Angeklagten und der Gesellschaft in den ersten Jahren nach der Gesellschaftsgründung bereits bekannt war (vgl. S 10 der vorliegenden Urteilsausfertigung), sowie eine Erwiderung auf den unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO erhobenen Beschwerdeeinwand der Verjährung des Vergehens nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB. Nur am Rande sei zu diesem Einwand bemerkt, daß selbst bei Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (§ 159 Abs 1 Z 1 StGB) schon im Jahr 1980 zufolge der anschließenden, nach dem § 159 Abs 1 Z 2 StGB tatbildlichen Gläubigerbenachteiligung die (fünfjährige) Verjährungszeit für das erstere Delikt nicht abgelaufen wäre (Ablaufhemmung: § 58 Abs 2 StPO).
Dem Beschwerdevorwurf einer Nichtigkeit auch des Schuldspruches nach dem § 159 Abs 1 Z 2 StGB wegen Verjährung fehlt jede Substantiierung. Da diese Tat bis Ende 1985 begangen wurde, scheidet ein Ablauf der Verjährungszeit aus.
Zum von der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Gertrud P*** allein bekämpften Schuldspruch wegen Vergehens der Freiheitsentziehung nach dem § 99 Abs 1 StGB stützt das Schöffengericht seine Feststellungen auf die in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) für glaubwürdig befundene Zeugenaussage des Tatopfers Erwin B***. Das Gericht begründete dabei der Beschwerde zuwider unter Beachtung aller wesentlichen Verfahrensergebnisse mängelfrei (§§ 258 Abs 2, 270 Abs 2 Z 5 StPO), warum es den gegenteiligen Aussagen des Zeugen Gerhard P*** sowie der Darstellung der beiden Angeklagten den Glauben versagte.
Demgegenüber wird in der Beschwerde - sowohl in den Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 als auch in jenen zur Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO - der unbeachtliche Versuch unternommen, nach Art einer gegen Urteile der Schöffengerichte nicht zulässigen Schuldberufung diese Beweiswürdigung in Zweifel zu ziehen. Dabei wird in der Rechtsrüge nicht von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes, sondern von den als unglaubwürdig abgelehnten Angaben der Angeklagten und ihres Sohnes ausgegangen; der Einwand einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung entbehrt zudem der Substantiierung.
Sohin erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Gertrud P*** als zur Gänze nicht der Prozeßordnung gemäß ausgeführt. Auch diese Beschwerde war daher zu verwerfen. Gleichwohl leidet das Ersturteil auch im Schuldspruch wegen Vergehens nach dem § 99 Abs 1 StGB an einer von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemachten materiellen Nichtigkeit, und zwar nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO:
Den Urteilsfeststellungen zufolge war die Freiheitsentziehung Mittel zum Zweck der Erlangung einer Quittung für (auf eine Schuld von rund 1.917 S) geleistete Teilzahlungen (von insgesamt 1.650 S - vgl. S 15 f in ON 6). Hatte der Gläubiger Erwin B*** diese Teilzahlungen angenommen, dann war er zur Ausstellung einer entsprechenden Quittung verpflichtet (§ 1426 iVm § 1415 ABGB; vgl. E 18 zu letzterer Bestimmung MGA32). Obwohl die Verantwortung der Gertrud P*** der Sache nach nun dahin ging (vgl. insbes. S 54 in ON 8 in Verbindung mit S 202), daß sie sich, da Erwin B*** dieser Verpflichtung zunächst nicht nachkam, zur Selbsthilfe durch vorübergehende Freiheitsentziehung berechtigt ansah und in diesem Zusammenhang auf der Beiziehung eines Zeugen bestand sowie nach der Aussage des Erwin B*** (vgl. ON 10) ua auch die Herbeiholung der Polizei in Erwägung zog, entbehrt das Urteil jeglicher Konstatierungen zur subjektiven Tatseite. Dieser Feststellungsmangel, insbesonders zur Frage des nach dem § 99 Abs 1 StGB erforderlichen Unrechtsbewußtseins (vgl. ua Kienapfel BT I2 RN 22 f zu § 99 StGB), macht die amtswegige Aufhebung des Schuldspruchs der Gertrude P*** wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung sowie die Anordnung einer neuen Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang der Aufhebung sowie im Umfang der Aufhebung des Strafausspruches erforderlich.
Bei der bei Anton P*** für das (ua) ihm weiterhin zur Last liegende Vergehen der fahrlässigen Krida nach dem § 159 Abs 1 Z 2 StGB (Punkt 1 b des erstinstanzlichen Schuldspruches) vorzunehmenden Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof die einschlägigen Vorstrafen, den hohen Grad der Fahrlässigkeit und den raschen Rückfall als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber keinen Umstand als mildernd. In Anbetracht der Löschung der von den beiden Angeklagten betriebenen Vieh- und Fleischhandels GesmbH am 27.Februar 1987 und des Umstandes, daß der Schuldspruch wegen des Vergehens nach dem § 159 Abs 1 Z 1 StGB in Wegfall kam, erachtete der Oberste Gerichtshof bei diesen Strafzumessungsgründen eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten als tat- und tätergerecht.
Die Gewährung bedingter Strafnachsicht kam im Hinblick auf das getrübte Vorleben des Anton P*** schon aus spezialpräventiven Gründen nicht in Betracht.
Mit ihren Berufungen waren Gertrud P*** auf den kassatorischen, Anton P*** auf den verurteilenden Teil dieser Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
Anmerkung
E12440European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0110OS00134.87.1124.000Dokumentnummer
JJT_19871124_OGH0002_0110OS00134_8700000_000