Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz M***, Pensionist, Helpfau 35, 5261 Uttendorf, vertreten durch Dr. Florian Lackner, Rechtsanwalt in Braunau am Inn, wider die beklagte Partei Eduard A***, Maurergeselle, Lohnau 49, 5261 Uttendorf, vertreten durch Dr. Manfrid Lirk, Rechtsanwalt in Braunau am Inn, wegen S 390.000,-- s.A. infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den in das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 30. Juni 1987, GZ 5 R 51/87-26, aufgenommenen Beschluß womit das Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. vom 14. Jänner 1987, GZ 1 Cg 100/86-18, im Umfang des Zuspruches von S 340.000,-- s.A. und in der Kostenentscheidung aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens unter Rechtskraftvorbehalt zurückverwiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Rekurskosten sind weitere Prozeßkosten erster Instanz.
Text
Begründung:
Am 11. Februar 1985 ereignete sich im Ziegelwerk
G*** & Co. in Uttendorf, Lohnau, ein Arbeitsunfall, bei dem der Kläger von einem vom Beklagten gelenkten Radlader angefahren und schwer verletzt wurde. Der Beklagte wurde deswegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB verurteilt, weil er ohne die gehörige Aufmerksamkeit "nach rückwärts" gefahren war (Urteil des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 25. Juni 1985, U 77/85-8, bestätigt mit Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. vom 9. September 1985, 9 Bl 94/85-13). Zur Unfallszeit waren beide Parteien in dem genannten Ziegelwerk beschäftigt.
Mit der am 27. Februar 1986 erhobenen Klage begehrte der Kläger vom Beklagten ausgehend von dessen alleinigem Verschulden an dem Unfall unter Zugrundelegung eines Schmerzengeldes von S 400.000,-- und Anrechnung eines ihm im Strafverfahren zugesprochenen Teilbetrages von S 10.000,-- die Bezahlung des Restbetrages von S 390.000,-- s.A. Er habe schwerste Verletzungen erlitten und sei wochenlang in stationärer Behandlung gewesen. Es sei fraglich, ob er jemals wieder seinen Beruf ausüben könne.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ihm komme gegenüber dem Kläger die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG zugute. Er habe die Funktion eines Aufsehers im Betrieb gehabt und in übergeordneter Stellung fungiert. Ihm habe als Aufseher im Betrieb die Lehmaufbereitungsanlage und die gesamte Beschickung der Ziegelherstellung unterstanden. Er sei für die Heranschaffung der notwendigen Grundmaterialien Lehm, Tegel, Sägespäne und Sand sowie die Versorgung der Beschicker verantwortlich gewesen. Diese Materialien seien in einem bestimmten Verhältnis zu mischen und würden nach der Aufbereitung mit einem Förderband zur weiteren Verarbeitung transportiert. Für das Funktionieren dieses Teiles des technischen Produktionsablaufes im Ziegelwerk sei er, Beklagter, verantwortlich gewesen. Für den Fall der Annahme seiner Haftung wendet der Beklagte ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers ein, weil er sich nicht an eine Betriebsanweisung gehalten und sich anweisungswidrig in den Gefahrenbereich des Radladers begeben habe. Im übrigen bestritt er auch das Schmerzengeldbegehren als überhöht; die Verletzungen seien komplikationslos abgeheilt, die Krankenhausaufenthalte seien nicht zur Gänze unfallskausal gewesen. Das Erstgericht sprach dem Kläger den Betrag von S 340.000,-- samt Anhang zu, ohne jedoch das Klagemehrbegehren ausdrücklich abzuweisen.
Das Erstgericht traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgende für die im Rekursverfahren strittig gebliebenen Fragen des Haftungsprivileges nach § 333 Abs 4 ASVG und der Höhe des Schmerzengeldes bedeutsame Feststellungen:
Der Beklagte war für die Zubereitung und Mischung des Ausgangsmaterials der Ziegel verantwortlich. Diese Materialien lagern unter einem Flugdach neben der eigentlichen Erzeugungshalle und mußten vom Beklagten mit einem Radlader in eine quer durch diese Halle verlaufende, mit Gittern abgedeckte Gosse geworfen werden. Förderbänder transportieren dann das Gemisch von dort in die eigentliche Herstellungshalle. Der Beklagte hatte bei seiner Tätigkeit keine Untergebenen oder Helfer. Traten Schäden im Bereich der Transportwege auf, mußte dies der Beklagte dem Betriebsleiter P*** melden, der für die Reparatur zu sorgen hatte. Der Kläger, der erst seit 3 Wochen in der Ziegelei beschäftigt war, arbeitete als Betriebsschlosser und unterstand direkt dem Betriebsleiter P***. Am Unfallstag mußte er, wie schon die Tage zuvor, dem betriebsfremden Monteur D*** bei Reparatur- und Wartungsarbeiten an der Förderanlage unter dem Flugdach helfen. D*** hatte diese Anlage montiert und war im Gegensatz zum Kläger damit vertraut. Während dieser Arbeiten hatte der Kläger mit dem Beklagten unmittelbar nichts zu tun. Als der Kläger am 11. Februar 1985 seine Nachmittagsschicht begann, begab er sich unter das Flugdach und fragte D***, der bei der stillstehenden Förderanlage stand, ob er ihm helfen müsse. D*** bejahte dies. Zur gleichen Zeit wollte ein mit Tegel beladener LKW unter das Flugdach fahren, um das Material abzuladen. Dazu war es notwendig, daß der Beklagte mit dem Radlader Platz machte und etwas zurückfuhr. Zu diesem Zeitpunkt standen der Kläger und D*** etwa 3 m hinter diesem Radlader. Der Beklagte, der vor oder beim Besteigen des Fahrzeuges sowohl den Kläger als auch D*** gesehen hatte, startete und fuhr, ohne noch einmal zurückzuschauen, zurück. Er stieß dabei den Kläger, der gerade zu seinem Werkzeugkasten in der Betriebshalle gehen wollte, nieder. Weder D*** noch der Kläger haben das Starten des Radladers bewußt wahrgenommen. Der Kläger wurde vom Unfall völlig überrascht und glaubte zunächst, vom LKW angefahren worden zu sein. Erst Zurufe eines weiteren Arbeitskollegen veranlaßten den Beklagten, den Radlader abzubremsen. Der im Unfallszeitpunkt 55 Jahre alte verheiratete Kläger erlitt bei diesem Unfall eine Prellung der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeines mit einer Konus-Kaudaläsion, eine Sprengung der Schamfuge und Lockerung des linken Kreuzdarmbeingelenkes, einen Bruch des linken Würfelbeines, eine Rißquetschwunde am linken Ellenbogen und eine Prellung des linken Unterschenkels. Die Erstversorgung erfolgte auf der Intensivstation des Krankenhauses Braunau am Inn, wo mit einer Schockprophylaxe und Infusionen begonnen wurde. Zur Flüssigkeitsbilanzierung wurde ein Blasenkatheter in die Harnröhre eingeführt. Eine anfängliche Harnblutung kam nach einer Stunde zum Stillstand. Bei Röntgenuntersuchungen wurden die zuvor beschriebenen Knochenverletzungen festgestellt. Am Tag nach dem Unfall konnte der Kläger auf die Normalstation verlegt werden. Schon nach wenigen Tagen konnten die Nähte der komplikationslos abgeheilten Ellenbogenwunde entfernt werden. Wegen neuerlicher Blutungen aus der Harnröhre wurde der Harnröhrenkatheter entfernt und direkt durch die Bauchdecke ein Katheter in die Harnblase eingebracht. Die Blasenentleerungsstörung wurde in Verbindung gebracht mit einer neurologisch festgestellten Prellung des Rückenmarks. Nach Stabilisierung der Knochenverletzungen im Unterleib wurde der Kläger am 16. März 1985 erstmals in ambulante Pflege entlassen. Am 15. April 1985 wurde er wegen Blasenentleerungsstörungen und Hautgefühlsstörungen an den Beinen neuerlich stationär aufgenommen. Bei einer Durchuntersuchung wurde eine Verengung der Harnröhre festgestellt und ein operativer Eingriff zu deren Erweiterung geplant. Allerdings wurde der Kläger schon vor diesem Eingriff am 20. April 1985 entlassen, weil er ab 23. April 1985 im Rehabilitationszentrum Häring stationär aufgenommen wurde, wo er bis 20. Juni 1985 blieb. Dort wurde dann die Harnröhre operativ erweitert. Nervenfachärztliche Untersuchungen ergaben eine erektive Impotenz. Zur ursprünglich vorgesehenen Arbeitsaufnahme am 4. Juli 1985 kam es jedoch nicht, weil der Kläger am 1. Juli 1985 neuerlich stationär im Krankenhaus Braunau am Inn aufgenommen wurde. Er erhielt bis zu seiner Entlassung am 9. Juli 1985 Schmerzinfusionen und Zweizeilenbäder. Darauf folgten ambulante Kontrollen. Vom 27. Jänner bis 8. Februar 1986 wurde eine neuerliche Einengung der Harnröhre im Krankenhaus Braunau am Inn operiert. Der Kläger befand sich 58 Tage im Krankenhaus; ebenso lange dauerte der Aufenthalt im Rehabilitationszentrum. Der Kläger verspürt noch Schmerzen im linken Vorfuß und im Becken und klagt über Harnentleerungs- und Potenzstörungen, die zwar glaubhaft aber objektiv nicht nachweisbar sind. Im übrigen sind die Wunden bis auf unauffällige Narben abgeheilt. Bewegungseinschränkungen des linken Sprunggelenkes und der linken Hüfte sind verblieben sowie eine geringe Gangstörung. Der Unfall gilt als Arbeitsunfall. Der Kläger ist seit August 1986 mit einer vorläufigen Versehrtenrente von 40 % der Vollrente in Pension. Die Harnröhrenverengung ist auf die Einführung des Katheters zurückzuführen und als sekundäre Unfallsfolge anzusehen. Es kann deswegen auch in Zukunft zu weiteren Verengungen kommen, die neuerliche operative Eingriffe erforderlich machen. Die Schmerzen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Starke Schmerzen, insbesondere in den ersten Tagen nach dem Unfall und im Zusammenhang mit den operativen Eingriffen, gerafft gesehen, in der Dauer von 3 bis 4 Wochen, mittelstarke Schmerzen in der Dauer von 8 bis 10 Wochen und leichte Schmerzen, einschließlich der überschaubaren Restbeschwerden von 6 bis 7 Monaten. Die psychischen Belastungen, die insbesondere im Zusammenhang mit der erektiven Impotenz stehen, sind davon nicht umfaßt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß dem Beklagten die Stellung eines Aufsehers im Betrieb nicht zuzubilligen sei, weil er insbesondere im Verhältnis zum Beklagten nicht für das Zusammenwirken mehrerer Betriebsangehöriger oder Betriebseinrichtungen verantwortlich gewesen sei. Ein Mitverschulden des Klägers verneinte es, weil von ihm nicht verlangt werden könne, auf das Starten des Radladers sofort zu reagieren. Das Schmerzengeld erachtete es mit S 350.000,-- als angemessen, weshalb es dem Kläger unter Abzug des Privatbeteiligtenzuspruches S 340.000,-- s.A. zuerkannte.
Dieses Urteil des Erstgerichtes wurde vom Kläger hinsichtlich der Abweisung des Klagebegehrens im Ausmaß von S 50.000,-- samt Anhang bekämpft, vom Beklagten hinsichtlich seines stattgebenden Teiles.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes im Umfang der Abweisung eines Betrages von S 50.000,-- s.A. als Teilurteil mit der Maßgabe, daß es das Mehrbegehren auch spruchmäßig abwies.
Der Berufung des Beklagten hingegen gab es Folge; es hob das angefochtene Urteil des Erstgerichtes im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 340.000,-- s.A. sowie im Kostenpunkt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes an das Erstgericht zurück. Zu der in der Berufung des Beklagten relevierten Frage der Aufsehereigenschaft des Beklagten nahm das Berufungsgericht wie folgt Stellung:
Nach ständiger Judikatur hänge die Beurteilung der Frage, ob jemand als Aufseher im Betrieb anzusehen sei, von den Umständen des Einzelfalles ab. Es komme dabei vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innegehabt habe und dabei für das Zusammenspiel persönlicher oder technischer Kräfte verantwortlich, ihm also eine gewisse Weisungsbefugnis eingeräumt gewesen sei. Aufseher im Betrieb könne daher nur der sein, der andere Betriebsangehörige, einen Teil des Betriebes oder wenigstens einen Betriebsvorgang zu überwachen habe (ZVR 1987/57; SVSlg. 26.171; E 79 zu § 333 ASVG in MGA ABGB32). Es komme dabei nicht auf die gewöhnliche Stellung im Betrieb und eine allfällige Dauerfunktion an, sondern auf die Aufseherfunktion im Zeitpunkt des Unfalles, das heiße, daß der betreffende Dienstnehmer im Unfallszeitpunkt tatsächlich die Obliegenheiten eines Aufsehers im Betrieb zu versehen gehabt habe, wobei die Begünstigung nur Platz greife, wenn zwischen dieser leitenden Tätigkeit und der Schädigung ein Zusammenhang bestehe (Koziol, Haftpflichtrecht II2, 228; ZVR 1968/212 ua). Der Beklagte habe nun dazu vorgebracht, daß er zwar nicht für das Zusammenspiel persönlicher Kräfte verantwortlich gewesen sei, wohl aber für das Funktionieren des technischen Produktionsablaufes der laufenden Versorgung der Ziegelherstellung mit den notwendigen Grundstoffen. Genau dies habe aber das Erstgericht auch festgestellt. Allerdings betreffe diese Feststellung nur den üblichen und gewöhnlichen Aufgabenbereich des Beklagten, nicht aber seine konkrete Überwachungsfunktion im Unfallszeitpunkt. Dies könne aber, da die gesamte Förderanlage im Unfallszeitpunkt repariert und gewartet worden sei, eben nicht darin bestanden haben, daß der Beklagte diesen Betriebsvorgang, für den er an und für sich verantwortlich gewesen sei, zu organisieren und zu überwachen gehabt habe. Der Beklagte habe auch mit diesen Servicearbeiten an der Förderanlage selbst nichts zu tun gehabt, weil solche Arbeiten vielmehr vom Betriebsleiter angeordnet würden und im konkreten Fall von betriebsfremden Monteuren im Zusammenwirken mit dem Kläger erledigt worden seien. Da der Beklagte daher im Unfallszeitpunkt nicht die unter dem Flugdach befindliche Misch- und Aufbereitungsanlage zu beschicken gehabt habe, habe er auch nicht die von ihm behauptete Aufseherfunktion ausgeübt. Da es aber nicht auf die generelle Stellung des Beklagten im Betrieb ankomme, seien auch die vom Beklagten in der Berufung als fehlend monierten Feststellungen entbehrlich. Es möge dem Beklagten als Teilbereich seiner Tätigkeit neben der Mischung und Beförderung auch die Lagerung des Rohmaterials und das Unterfertigen von Lieferscheinen aufgetragen gewesen sein, jedoch sei andererseits der Kläger in keiner Weise in diesen Tätigkeitsbereich oder die damit zusammenhängenden Betriebsvorgänge eingebunden gewesen, sodaß auch der notwendige Zusammenhang zu verneinen sei, sollte man der Meinung sein, die Entgegennahme von angelieferten Rohstoffen habe eine leitende Tätigkeit des Beklagten entfacht. Letztlich sei das Verfahren in diesem Zusammenhang auch nicht mangelhaft geblieben. Der Zeuge Dr. V***, der nach Meinung des Beklagten zur Aufsehereigenschaft hätte vernommen werden sollen, hätte als Dienstgeber, der beim Unfall selbst nicht anwesend gewesen sei, auch nur Aussagen über die gewöhnliche Stellung des Beklagten im Betrieb machen können, nicht aber zur maßgeblichen konkreten Tätigkeit des Beklagten im Unfallszeitpunkt, was auch in der Berufung gar nicht behauptet werde. Daß darüber hinaus der Beklagte Anweisungsrechte gegenüber allen Betriebsangehörigen und Personen gehabt habe, die sich, wenn auch nur zu Reparaturzwecken, unter dem Flugdach aufgehalten hätten, was dieser Zeuge angeblich ebenfalls hätte bestätigen können, werde nun in der Berufung erstmals vorgebracht und sei wegen des Neuerungsverbotes des § 482 ZPO nicht zu beachten. Daß sich der Kläger andererseits aufgrund eines Verstoßes gegen eine generelle Anweisung im Gefahrenbereich des Radladers aufgehalten haben solle, tangiert nicht die Aufsehereigenschaft des Beklagten, sondern berührt allenfalls die Frage einer Mithaftung des Klägers. Aus all diesen Erwägungen seien die Feststellungen zur Aufsehereigenschaft ausreichend und die vom Erstgericht vorgenommene Verneinung des Haftungsprivileges begründet.
Zu der in der Berufung des Beklagten vorgetragenen Bekämpfung des Ausspruches des Erstgerichtes über die Angemessenheit des Schmerzengeldes führte das Gericht zweiter Instanz im wesentlichen folgendes aus:
Die hinsichtlich der Feststellung, daß die Harnröhrenverengung und die damit verbundenen Operationen unfallskausal seien, erhobene Rüge sei unberechtigt. Gerade zu dieser Frage sei der medizinische Sachverständige eingehend befragt worden. Er habe umfangreich und schlüssig dargelegt, daß die Harnröhrenverengung als Folge des Harnröhrenkatheters eingetreten sei. Der bloß auf einem Gerücht basierende Einwand in der Berufung des Beklagten könne diese Feststellung nicht erschüttern. Insoweit der Beklagte die Höhe des vom Erstgericht ausgemessenen Schmerzengeldes bekämpfe, sei die Berufung ebenfalls nicht berechtigt. Ausgehend von dem von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Sinn und Zweck des Schmerzengeldes und der Bedeutung der Art, Dauer und Intensität der körperlichen und seelischen Schmerzempfindungen nach deren Gesamtbild sowie der Schwere der Verletzungen, des Heilungsverlaufes und der Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes auch unter Berücksichtigung des Bewußtseins eines Dauerschadens und der Gefahr einer Verschlechterung des verletzungsbedingten Zustandes hätte es bei dem vom Erstgericht festgesetzten Schmerzengeld von S 350.000,-- zu bleiben. Der Beklagte habe in seiner Berufung nicht ausreichend darauf Bedacht genommen, daß die Harnwegverengung als sekundäre Unfallsfolge zu zwei sehr schmerzhaften Eingriffen geführt hätte. Es könne auch nicht gesagt werden, daß die subjektiv empfundenen Schmerzen des Klägers mit den schweren Unfallsfolgen, die immerhin eine Minderung der Erwerbstätigkeit im Ausmaß von 40 % nach sich gezogen hätten, nicht vereinbar und geradezu überbewertet seien. Da das Erstgericht die Abweisung des Mehrbegehrens von S 50.000,-- in seinen Urteilsspruch nicht aufgenommen habe, den Entscheidungsgründen jedoch der deutlich darauf gerichtete Entscheidungswille zu entnehmen sei, handle es sich bei der Auslassung der spruchgemäßen Abweisung des Mehrbegehrens um einen der Berichtigung nach § 419 ZPO zugänglichen Fehler, der vom Berufungsgericht im Sinne der Verfahrensvereinfachung durch die vorgenommene Maßgabebestätigung zu beheben gewesen sei. Die Beisetzung des Rechtskraftvorbehaltes begründete das Berufungsgericht mit der Zweckmäßigkeit, die im Hinblick auf den Streitwert ohne die Einschränkung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO revisible Frage des Haftungsprivileges nach § 333 Abs 4 ASVG so rasch wie möglich einer endgültigen Klärung zuzuführen.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne einer "klagsabweisenden Sachentscheidung" abzuändern oder die Vorinstanzen "anzuweisen, das Klagebegehren abzuweisen".
Der Kläger hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Hinblick auf den wegen des Wertes des Streitgegenstandes mit Recht beigesetzten Rechtskraftvorbehalt zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen wiederholt der Beklagte in seinem Rekurs vorerst seinen Standpunkt, es sei ihm die Eigenschaft als Aufseher im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG doch zuzubilligen. Der Beklagte vermag jedoch die zutreffend begründete Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht in Frage zu stellen.
Der in diesem Zusammenhang geltend gemachte Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor, was jedoch nicht weiter zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hängt die Beurteilung der Frage, ob ein Betriebsangehöriger gegenüber einem Arbeitskollegen als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist - wie die Vorinstanzen auch zutreffend erkannten - vor allem davon ab, ob der Betreffende zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war, er also eine gewisse Weisungsbefugnis hatte (SZ 26/215; Arb. 8919; ZVR 1972/203; SozM I A e 1019; 4 Ob 35/78 uva). Den Vorinstanzen ist auch darin beizupflichten, daß es für die Beurteilung der Aufsehereigenschaft nur auf die Funktion des verantwortlichen Dienstnehmers im Zeitpunkt des Unfalls ankommt, nicht aber auf seine sonstige Stellung in der betrieblichen Hierarchie (SZ 51/128 mit weiteren Judikaturhinweisen; SZ 52/66 uva). Nach der für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage war die Förderanlage zur Unfallszeit nicht in Betrieb. Da dem Beklagten im Rahmen des Produktionsbetriebes die Zubringung der für die Ziegelerzeugung erforderlichen Rohmaterialien zur Förderanlage obliegt, war der Beklagte zur Zeit des Unfalles tatsächlich nicht mit den ihm sonst obliegenden Aufgaben befaßt. Die Ausführungen des Rekurswerbers, in welchen er auf diese Tätigkeiten im einzelnen hinweist, gehen daher ins Leere. Insoweit der Beklagte aber meint, er habe auch im konkreten Unfallszeitpunkt "Überwachungsfunktion der Beförderung des Grundmaterials über die Förderanlage" gehabt, weil die Förderanlage zur Unfallszeit repariert und gewartet worden sei, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Denn bei Auftreten von Schäden im Bereich der Transportwege hatte der Beklagte einem anderen Betriebsangehörigen Meldung zu erstatten, der für die Reparatur zu sorgen hatte. Konnte der Beklagte aber während des durch die Reparatur bedingten Stillstandes der Förderanlage die ihm im Rahmen des Produktionsablaufes obliegenden Arbeiten nicht verrichten, so war er in diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht Aufseher im Betrieb. Wenn der Rekurswerber weiters ausführt, es habe ihn auch die Aufsehereigenschaft bezüglich der Reparatur der Anlage getroffen, weil er nach erfolgter Reparatur der Förderanlage diese zu überprüfen und sozusagen "abzunehmen" gehabt habe, während dieser Abnahme hätten sich die im Betrieb eingegliederten Dienstnehmer und damit auch der Kläger seinen Weisungen fügen müssen, geht er einerseits von einem feststellungsfremden Sachverhalt aus und übersieht er anderseits, daß sich der Unfall des Klägers nicht im Zuge einer solchen "Abnahme" der reparierten Förderanlage durch den Beklagten ereignet hat. Von den Feststellungen der Vorinstanzen nicht gedeckt und nicht recht verständlich ist weiters die Annahme des Rekurswerbers, der verletzte Kläger habe "die Sphäre seines eigenen Lebensbereiches verlassen und sich dem Aufgabenbereich des anderen Unternehmers, also ihm, Beklagten, als dessen Vertreter unterworfen (SZ 52/66)". Von einer Beteiligung zweier Betriebsunternehmer als Vertragskontrahenten bei der der Klage zugrunde liegenden Verletzung des Klägers kann hier keine Rede sein, weil der Kläger von dem vom Beklagten gelenkten Radlader seines Dienstgebers verletzt wurde und der LKW, dem der Beklagte Platz machen wollte, am Unfall überhaupt nicht beteiligt war; darüber hinaus steht auch gar nicht fest, daß der mit Tegel beladene LKW, der zum Zwecke der Abladung des Materials unter das Flugdach fahren sollte, ein betriebsfremdes Fahrzeug war.
Schließlich vertritt der Rekurswerber noch die Ansicht, das Haftungsprivileg hätte als gegeben angenommen werden müssen, weil der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt worden sei; dies sei zwar für die gerichtliche Entscheidung nicht bindend, doch sei der diesbezügliche Bescheid des Sozialversicherungsträgers ein nicht zu übersehendes, in Zweifelsfällen vielleicht sogar ausschlaggebendes Indiz. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Rekurswerber übersieht nämlich, daß die Haftungsbegünstigung durch Körperverletzung infolge eines Arbeitsunfalles (§§ 175, 176 ASVG) nur den Dienstgeber (§ 333 Abs 1 und 2 ASVG) und die gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter des Unternehmers sowie den Aufseher im Betrieb (§ 333 Abs 4 ASVG) erfaßt. Da der Beklagte diesem Personenkreis nicht zuzuzählen ist, kommt der Qualifikation des Unfalls als Arbeitsunfall im vorliegenden Verfahren keine rechtliche Bedeutung zu (vgl. SZ 51/75; EvBl 1979/44).
Der Oberste Gerichtshof billigt daher die Ansicht der Vorinstanzen, daß der Beklagte gegenüber dem Kläger nicht als Aufseher im Betrieb anzusehen ist.
Der Beklagte wendet sich in seinem Rekurs weiters noch gegen die Höhe des von den Vorinstanzen ausgemessenen Schmerzengeldes. Unter Bedachtnahme auf das objektive Krankheitsbild und unter Einbeziehung der physischen und psychischen Schmerzen, der Schwere der Verletzungen, der Dauer der Gesundheitsstörung könnte dem Kläger nur ein Schmerzengeld von S 200.000,-- zugesprochen werden. Auch hier kann dem Rekurswerber nicht gefolgt werden.
Das Schmerzengeld ist Ersatz ideellen Schadens, der im Zusammenhang mit körperlichen Verletzungen entsteht. Für die Beurteilung des Schmerzengeldanspruches sind im vorliegenden Fall nicht so sehr die Verletzungen entscheidend, die der Kläger bei dem gegenständlichen Unfall selbst erlitten hat; im Vordergrund stehen vielmehr die schwerwiegenden Komplikationen im Zuge des Heilungsverlaufes und die damit verbundenen Schmerzen, Unlustgefühle und Beeinträchtigungen. Ausgehend von den dazu getroffenen Feststellungen der Vorinstanzen, auf die der Beklagte im Rekurs gar nicht mehr eingeht, erscheint unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß die Verletzungen nicht folgenlos abgeheilt sind, vielmehr eine dauernde Gangstörung zurückgeblieben ist, der von den Vorinstanzen ausgemessene Schmerzengeldbetrag doch erforderlich, um den Kläger in die Lage zu versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Da das Berufungsgericht die Rechtssache hinsichtlich der Frage eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers an dem Unfall noch nicht spruchreif erachtet und die Rechtssache diesbezüglich an das Erstgericht zurückverwiesen hat, kann zu der im Rekurs letztlich vertretenen Ansicht, dem Kläger sei ein Mitverschulden von 75 % anzurechnen, noch nicht Stellung genommen werden.
Damit erweist sich aber der Rekurs als unberechtigt, weshalb ihm der Erfolg versagt werden mußte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E12634European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00083.87.1125.000Dokumentnummer
JJT_19871125_OGH0002_0080OB00083_8700000_000