TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/20 2004/05/0160

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Veröffentlicht am 20.09.2005
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Index

L46109 Tierhaltung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
TierschutzG Wr 1987 §11 Abs1;
TierschutzG Wr 1987 §15 Abs1;
TierschutzG Wr 1987 §28 Abs2 Z1;
TierschutzG Wr 1987 §28 Abs3 Z17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der H in B, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 2. April 2004, Zl. UVS- 06/V/9/340/2003/42/Mil, betreffend Übertretungen des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt,

I. es in ihrer Eigenschaft als Obfrau des Vereines T. und somit als die zur Vertretung nach außen berufene Person im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG zu verantworten zu haben, dass am 12. März 2002 von 8.20 Uhr bis 9.05 Uhr in Wien 21, S-Straße 13, insgesamt 60 näher aufgelistete Landschildkröten und 90 näher aufgelistete Wasserschildkröten gehalten wurden, obwohl diese Tiere als Wildtiere gemäß § 2 der 1. Wiener Tierschutz- und Tierhalteverordnung besondere Ansprüche an Haltung und Pflege stellen und das Halten dieser Tiere aus Gründen des Tierschutzes verboten ist, sowie

II. es als Obfrau des Vereines T. und somit als die zur Vertretung nach außen berufene Person im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG zu verantworten zu haben, dass vom 31. Jänner 2002 bis 8. März 2002 59 näher angeführte Landschildkröten an der unter I. genannten Adresse insofern nicht entsprechend den normierten Grundsätzen der Tierhaltung gehalten wurden, als diese in einem 50 m2 großen Raum gehalten wurden, in dem eine Temperatur von 28 Grad Celsius geherrscht hat, wobei alle Tiere aktiv gewesen sind und Nahrung zu sich genommen haben (das Futter ist am Boden im Raum verstreut gewesen) und somit nicht in den Winterschlaf (= Überwinterung) versetzt gewesen sind (somit wurde keine artgerechte Pflege gewährt).

Die erstinstanzliche Anlastung zweier weiterer Übertretungen des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes (betreffend nähere Umstände der Schildkrötenhaltung) wurde mit dem angefochtenen Bescheid behoben und das Verfahren diesbezüglich eingestellt, da für die Ahndung dieser Delikte die Gerichte und nicht die Verwaltungsbehörden zuständig seien.

Zu I. wurde über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 15 Abs. 1 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes iVm § 28 Abs. 3 Z 17 leg. cit. eine Geldstrafe von EUR 140,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag) verhängt.

Zu II. wurde über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 11 Abs. 1 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes iVm 28 Abs. 2 Z 1 leg. cit. eine Geldstrafe von EUR 80,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 16 Stunden) verhängt.

Vorgeschrieben wurden der Beschwerdeführerin darüber hinaus Verfahrenskostenbeiträge.

Gemäß § 29 Abs. 1 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz iVm § 17 VStG wurden die in dem dem Bescheid beiliegenden Listen genannten Schildkröten, die am 12. März 2002 beschlagnahmt worden waren, für verfallen erklärt.

Begründend legte die belangte Behörde zu I. im Wesentlichen dar, zur Tatzeit habe es weder für die Beschwerdeführerin noch für den Verein T. in Bezug auf den Tatort eine Haltebewilligung für die betreffenden Schildkröten gegeben. Bei diesen handle es sich um Wildtiere, für welche besondere Ansprüche an Haltung und Pflege zu stellen seien und deren Haltung (abgesehen von nicht zutreffenden Ausnahmen) grundsätzlich verboten sei.

Zu II . legte die belangte Behörde im Wesentlichen dar, die betreffenden Landschildkröten seien nicht in Winterruhe gehalten worden, was aber im Sinne einer artgerechten Pflege erforderlich gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, sie habe sich in allen Verfahrensabschnitten damit verantwortet, dass keine artwidrige Haltung vorgelegen sei, dass es insbesondere in der Literatur und Lehre keineswegs unbestritten sei, dass Schildkröten zwingend in den Winterschlaf versetzt werden müssten, und dass es überhaupt keine zwingenden Vorschriften über die Haltung von Schildkröten gebe. Die Amtssachverständige Dr. G. habe ausgeführt, als gesetzliche Grundlage u.a. den "Reptilienatlas" der Magistratsabteilung 60 sowie die Vereinbarung der Bundesländer gemäß Art. 15a B-VG heranzuziehen. Der "Reptilienatlas" sei aber kein Gesetz und könne daher keinem Gutachten zu Grunde gelegt werden, das in einem Strafverfahren Verwendung findet. Erarbeitet sei der "Reptilienatlas" vom Veterinäramt der Stadt Wien und einem privaten Verein worden. Eine Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG stelle ebenfalls weder ein Gesetz noch eine Verordnung dar, sodass auch eine solche Vereinbarung bei der Gutachtenserstattung nicht herangezogen werden könne. Die belangte Behörde habe auch den Ablehnungsantrag der Beschwerdeführerin gegen die Amtssachverständige Dr. G. nicht beachtet, obwohl dieser darauf gestützt gewesen sei, dass Dr. G. eben die Rechtsnatur des "Reptilienatlas" und der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG verkannt habe und offensichtlich von Haus aus davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführerin die vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen jedenfalls anzulasten seien. Im Übrigen sei auf Grund der Verjährungsvorschriften mit 7. April 2004 Verjährung eingetreten. Der angefochtene Bescheid sei der Beschwerdeführerin aber erst am 18. Mai 2004 zugestellt worden.

Soweit sich die Beschwerdeführerin auf Verjährung beruft, macht sie offenbar das Unterlassen der Heranziehung des § 51 Abs. 7 VStG geltend. Nach dieser Bestimmung tritt das Straferkenntnis von Gesetzes wegen außer Kraft und ist das Verfahren einzustellen, wenn in einem Verfahren, in dem nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zusteht, seit dem Einlangen der Berufung gegen ein Straferkenntnis 15 Monate vergangen sind.

Die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis ist nach der Aktenlage am 7. Jänner 2003 eingelangt. Wie sich aus dem Akt weiters ergibt, wurde der angefochtene Bescheid der erstinstanzlichen Behörde (Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 21. Bezirk) am 7. April 2004 mit Telefax zugestellt. Damit ist aber dieser Bescheid als rechtzeitig erlassen anzusehen und hat die mit der Versäumung der genannten Frist verbundene Rechtsfolge der Aufhebung des erstbehördlichen Bescheides mit anschließender Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nicht einzutreten (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren II, 2. Auflage, S. 1006 f unter E 262 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Gemäß § 11 Abs. 1 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz hat, wer ein Tier in seine Obhut nimmt, ihm art-, rasse- und altersgerechte Nahrung und Pflege sowie art-, rasse- und verhaltensgerechte Unterbringung zu gewähren und bei Erkrankung oder Verletzung erforderlichenfalls ehestmögliche tierärztliche Betreuung zu verschaffen.

Das Halten von Wildtieren, welche besondere Ansprüche an Haltung und Pflege stellen, ist gemäß § 15 Abs. 1 leg. cit. aus Gründen des Tierschutzes verboten. Die Landesregierung hat gemäß § 15 Abs. 2 leg. cit. durch Verordnung jene Wildtierarten zu bezeichnen, welche besondere Ansprüche an Haltung und Pflege stellen.

§ 2 der 1. Wiener Tierschutz- und Tierhalteverordnung, LGBl. Nr. 48/1987 idF Nr. 22/1997, sieht vor, dass u.a. "Schildkröten (Testudines spp.), alle Arten" zu jenen Wildtierarten zählen, die besondere Ansprüche an Haltung und Pflege stellen.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die gegenständlichen Schildkröten ohne entsprechende Bewilligung gehalten wurden. Die Bestrafung auf Grund einer Übertretung des § 15 Abs. 1 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz erfolgte somit aber zu Recht.

Im Zusammenhang mit der Übertretung des § 11 Abs. 1 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz ist der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde nur vorgeworfen worden, dass die Tiere nicht in den Winterschlaf versetzt waren, sondern in einem 50 m2 großen Raum bei einer Temperatur von 28 Grad Celsius gehalten wurden. Dass dies nicht den Vorschriften des § 11 Abs. 1 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz entsprochen hat, konnte die belangte Behörde auf Grund des im Akt befindlichen Gutachtens von Dr. G. zutreffend annehmen. In diesem Gutachten wird nämlich zunächst allgemein darauf hingewiesen, dass fast alle Reptilien in ihren natürlichen Lebensräumen jahreszeitlichen Veränderungen von Temperatur, Feuchtigkeit, Lichtdauer und Lichtintensität ausgesetzt sind. Bei vielen Arten würden nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch der Fortpflanzungszyklus durch diese Schwankungen bestimmt, bei manchen Arten seien sie überlebenswichtig. Um diesen physiologischen Grundbedürfnissen der Tiere Rechnung zu tragen, seien die Jahreszyklen weitestgehend und genau nachzuvollziehen. Darüber hinaus wurde im Gutachten darauf hingewiesen, dass in Österreich von namhaften und näher genannten Schildkrötenhaltern und Schildkrötenzüchtern sämtliche entsprechende Schildkröten im Oktober für den Winterschlaf vorbreitet werden und sich spätestens ab November im Winterschlaf befinden. Die Tiere würden erst im April, wobei die Blüte des Löwenzahns als Richtwert gelte, aufgeweckt. Diese Winterruhe sei für sie und ihre physiologische Uhr unumgänglich notwendig. Das Gutachten erweist sich somit, wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, als ausreichend nachvollziehbar.

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Tierärztin Dr. T. als Zeugin vor der belangten Behörde am 19. Mai 2003 u.a. ausgesagt hat, "abgesehen von der fehlenden Einwinterung waren die Landschildkröten im weitesten Sinne artgerecht gehalten ...". Der Amtstierarzt Mag. G. sagte als Zeuge vor der belangten Behörde am 16. Februar 2004 u.a. aus, dass "die bloße Haltung von Landschildkröten während der Winterruhe keine besondere Bedingungen, außer die für die Überwinterung notwendigen Kriterien voraussetzt, nämlich: die entsprechend niederen Temperaturen (4-8 Grad), Schutz vor Schadnagern und wo man die Tiere kontrollieren kann".

Wenn die Beschwerdeführerin nunmehr vorbringt, dass "insbesondere in der Literatur und Lehre keineswegs unbestritten sei, dass Schildkröten zwingend in den Winterschlaf zu versetzen seien", so ist ihr entgegen zu halten, dass sie während des Verwaltungsverfahrens den sachverständigen Äußerungen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist. Auch hat die Beschwerdeführerin das Erfordernis einer Winterruhe nicht bestritten und bei der Verhandlung vor der belangten Behörde am 19. Mai 2003 selbst vorgebracht, dass die Landschildkröten erst wenige Tage vor dem 12. März 2002 von einer anderen Liegenschaft geholt worden seien, wo die Tiere unter behördlicher Aufsicht gestanden und teilweise bis kurz vor der Verbringung zum Tatort in den Winterschlaf versetzt gewesen seien. (Ein derartiges Vorbringen, das die belangte Behörde im Übrigen im Hinblick darauf, dass bereits am 21. Jänner 2002 am Tatort nicht im Winterschlaf befindliche Landschildkröten vorgefunden worden waren, als nicht glaubwürdig erachtete, ist in der Beschwerde nicht mehr enthalten.)

Auch aus der Aktenlage ergab sich somit kein Grund für die belangte Behörde, an den Aussagen der Sachverständigen Dr. G. über die Notwendigkeit einer Winterruhe zu zweifeln.

Unter einem Sachverständigen ist eine Person zu verstehen, die in einem Verfahren bei der Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes dadurch mitwirkt, dass sie Tatsachen erhebt (Befund) und aus diesen Tatsachen auf Grund besonderer Fachkundigkeit tatsächliche Schlussfolgerungen zieht (Gutachten). Der Sachverständige hat somit Tatsachen klarzustellen und auf Grund seiner Sachkenntnisse deren allfällige Ursachen oder Wirkungen festzustellen. Er muss aber immer im Bereich der Tatsachen bleiben und darf nicht Rechtsfragen lösen (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 8. Auflage, S. 183 mwN).

Davon ausgehend kommt dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, das darauf hinausläuft, dass die Sachverständige Dr. G. Quellen herangezogen habe, denen keine Gesetzesqualität zukomme, weder verfahrensrechtliche Relevanz zu, noch kann dadurch eine Befangenheit der Sachverständigen begründet werden. Wie die Beschwerdeführerin in der Beschwerde selbst ausführt, ist der "Reptilienatlas" in enger Zusammenarbeit mit erfahrenen und kompetenten Reptilienhaltern und von wissenschaftlicher Seite auf Tiergerechtigkeit geprüft worden. Es bestehen daher keine Bedenken dagegen, wenn ein derartiges Werk von einem Sachverständigen herangezogen wird, um aus den festgestellten Tatsachen entsprechende sachverständige Schlüsse zu ziehen. Dass die Sachverständige eine Quelle unzutreffend als "gesetzliche Grundlage" bezeichnet hat, verschlägt nichts, solange aus dem Gutachten hervorgeht, dass diese nur als Ausdruck des heranzuziehenden Standes der entsprechenden Wissenschaft gedient hat. Bemerkt wird, dass im Gutachten der "Reptilienatlas" auch im Literaturverzeichnis genannt ist und im Zusammenhang mit der Angabe gesetzlicher Grundlagen darauf hingewiesen wird, dass sich die im "Reptilienatlas" vorgeschriebenen Terrariengrößen ausdrücklich als Mindestmaße verstehen, im angefochtenen Bescheid der Beschwerdeführerin eine Verletzung dieser Mindestmaße jedoch nicht mehr angelastet worden ist.

Aus den genannten Gründen kann es für sich allein auch keine Rolle spielen, dass eine in einem Sachverständigengutachten herangezogene Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG nicht unmittelbar verbindlich wie ein Gesetz oder eine Verordnung ist. Im Übrigen hat sich das im Akt befindliche Sachverständigengutachten nicht auf eine solche Vereinbarung berufen.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. September 2005

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Aufgaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004050160.X00

Im RIS seit

19.10.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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