Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Jürgen Mühlhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert S***, Angestellter, St. Leonhard/Forst 197, vertreten durch Hermann P***, leitender Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, Wien 1., Deutschmeisterplatz 2, dieser vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ing. Helmut B***, Inhaber der protokollierten Firma S*** & Co OHG, Wien 6., Hofmühlgasse 4, vertreten durch Dr. Adolf Lientscher, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen S 257.100,30 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1987, GZ 31 Ra 34/87-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes St. Pölten vom 16. September 1986, GZ Cr 162/85-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 15.736,05 (darin S 1.430,55 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 19.063,45 (darin S 823,95 Umsatzsteuer und S 10.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war beim Beklagten seit 24. Oktober 1966 als Arbeiter und seit 1. Oktober 1971 als Elektromonteur im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Er bezog zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von S 19.850,-- zuzüglich S 790,-- brutto Montagezulage, 14 x jährlich. Am 12. September 1985 wurde er entlassen.
Mit der Behauptung, er sei zu Unrecht entlassen worden, begehrt der Kläger vom Beklagten den der Höhe nach unbestrittenen Betrag von S 257.100,30 brutto sA an Kündigungsentschädigung, anteiligen Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung. Er habe sich zwar geweigert, Überstunden zu leisten, doch sei die Anordnung der Überstunden einseitig und in Verletzung der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes erfolgt, weshalb er privaten Verpflichtungen den Vorrang eingeräumt habe.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe sich für einen dringenden Montageauftrag im Irak zur Verfügung gestellt. Dabei sei ihm klar gewesen, daß - wie schon bei vorhergehenden Auslandseinsätzen - eine Vorbesprechung stattfinden müsse. Nach Erledigung der Visaformalitäten sei der Kläger eingeladen worden, an dieser Vorbesprechung an einem Freitagvormittag teilzunehmen. Der Kläger habe sich aber mit dem Hinweis, daß er schon etwas anderes vorhabe, geweigert, zur Besprechung zu kommen und sei auch nach Androhung von Konsequenzen bei seiner Weigerung geblieben. Er sei daher mit Zustimmung des Betriebsrats zu Recht entlassen worden, zumal dem Beklagten durch dieses Verhalten des Klägers ein Schaden entstanden sei. Es habe ein anderer Arbeitnehmer ausfindig gemacht werden müssen, die Paß- und Visaformalitäten seien neuerlich zu erledigen gewesen und die Abwicklung des Auftrags habe sich um mehrere Tage verzögert. Dies habe nicht nur innerbetriebliche Probleme verursacht, sondern auch die Verläßlichkeit des Beklagten in Frage gestellt. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Beklagte hatte mit mehreren Unternehmen Kooperationsverträge abgeschlossen, aus denen sich öfters kurzfristige Montagearbeiten im Ausland ergaben. Bereits im Frühjahr oder Sommer 1985 wurde der Kläger in Kenntnis gesetzt, daß er im September 1985 für die Firma LTG (Lufttechnische Gesellschaft) in Wien eine Auslandsmontage im Irak durchzuführen habe. Der Kläger stimmte diesem Termin zu und erklärte sich bereit, anfangs oder Mitte September 1985 in den Irak zu reisen. Von mehreren früheren Auslandsarbeiten war dem Kläger bekannt, daß vor den Montageterminen eine persönliche Absprache mit den Leuten der Kooperationsunternehmen im Inland erfolgen mußte, um den Auslandsaufenthalt entsprechend kurz und effizient gestalten zu können.
Der Kläger hatte bereits zwei Jahre auf der Baustelle in Dürnrohr gearbeitet und war auch in der Woche vom 9. bis 13. September 1985 dort eingesetzt. Die wöchentliche Normalarbeitszeit war im Betrieb des Beklagten einschließlich der Pausen auf Montag bis Donnerstag von 7,00 bis 16,15 Uhr und am Freitag auf 7,00 bis 12,00 Uhr aufgeteilt. Der KLäger arbeitete aber im Einverständnis mit dem Beklagten von Montag bis Donnerstag täglich 10 Stunden, so daß die 40-Stundenwoche bereits am Donnerstag erfüllt war. Die Montageausweise wurden jeweils entsprechend der Normalarbeitszeit von Montag bis Freitag ausgestellt, damit die Monteure einen Anspruch auf Auslösen auch über das Wochenende hatten. Der Kläger bezog ebenfalls diese Auslösen, obwohl er die Möglichkeit hatte, täglich nach Hause zu fahren. Der Kläger, der in der Zeit von Mai bis September 1985 im Juli 1 Überstunde und im August 8 Überstunden leistete, hatte sich schon vorher mindestens zweimal geweigert, betriebsintern notwendige Überstunden zur Fertigstellung dringender Arbeiten auf der Baustelle zu verrichten. Nachdem das Unternehmen des Beklagten von der L***
Gesellschaft verständig worden war, daß der Kläger am 16. September 1985 (Montag) in den Irak fliegen und dazu am Vormittag des 13. September 1985 (Freitag) in Wien die Vorbesprechung stattfinden solle, rief der Prokurist Ing. Walter Z*** am 11. September 1985 (Mittwoch) sofort abends beim Kläger an und teilte ihm diese Termine mit. In dieser Woche hatte der Kläger bis Mittwoch erst 30 Stunden auf der Baustelle gearbeitet. Der KLäger weigerte sich, am Vormittag des 13. September 1985 zur Vorbesprechung nach Wien zu fahren, weil er schon etwas anderes vorhabe. Als ihm der Prokurist Ing. Walter Z*** die Entlassung androhte, erwiderte der Kläger, daß ihm das auch recht sei. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger von Montag bis Donnerstag die gemäß § 4 AZG zulässige Wochenarbeitszeit verrichtet habe, so daß die am Freitag Vormittag anfallende Besprechung als Überstundenarbeit anzusehen sei. Da der Beklagte als Elektro- und Installationsunternehmer den Irakeinsatz nur in Zusammenarbeit mit der L*** Gesellschaft (Installation von Gebläsen und Schalteinrichtungen) durchführen habe können, seien seiner Dispositionsmöglichkeit enge Grenzen gesetzt gewesen, und es müsse der Auftrag an den Kläger, am 13. September 1985 an der Vorbesprechung teilzunehmen, als ein Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes im Sinne des § 7 AZG beurteilt werden. Die Weigerung des Klägers, am Freitag Vormittag nach Wien zu fahren, sei ein wichtiger Grund im Sinne des § 27 AngG gewesen, der den Arbeitgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt habe.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Beklagte von der gemäß § 4 Abs 2 AZG zulässigen Arbeitszeitregelung nicht einseitig abgehen könne. Der Kläger habe sich dem Beklagten gegenüber nicht allgemein zur Erbringung von Überstunden verpflichtet. Überstunden dürften nur ausnahmsweise, wie etwa im Fall eines Betriebsnotstandes, einseitig angeordnet werden. Die vom Beklagten gewünschte Teilnahme an der Vorbesprechung könne zwar dringend und notwendig gewesen sein, zu einem Betriebsnotstand hätte die Nichtteilnahme des Klägers jedoch nicht geführt. Da der Kläger sohin nicht verpflichtet gewesen sei, Überstunden zu leisten, sei seine Entlassung wegen Arbeitsverweigerung ungerechtfertigt erfolgt. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem sinngemäßen Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 6 Abs 1 AZG liegt Überstundenarbeit vor, wenn entweder
a) die Grenzen der nach den §§ 3 oder 5 zulässigen Wochenarbeitszeit überschritten werden oder b) die Tagesarbeitszeit überschritten wird, die sich auf Grund der Verteilung dieser Wochenarbeitszeit gemäß den §§ 3 bis 5 und 18 Abs 2 ergibt. Soweit die Vorinstanzen von einer zulässigen Verteilung der 40 stündigen Wochenarbeitszeit auf 4 Tage zu je 10 Stunden ausgegangen sind, entspricht dies nicht § 4 Abs 10 AZG, wonach im Falle einer anderen Verteilung der Arbeitszeit nach § 4 Abs 2, 4, 5 und 7 bis 9 die Tagesarbeitszeit 9 Stunden nicht überschreiten darf. Eine nähere Prüfung dieser Regelung wie auch einer angeblich für den Kläger nicht anwendbaren Betriebsvereinbarung kann aber schon deshalb unterbleiben, da gemäß § 7 Abs 1 AZG bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes die Arbeitszeit über die zulässige Dauer um 5 Überstunden in der einzelnen Woche und darüber hinaus um höchstens 60 Überstunden innerhalb eines Kalenderjahres verlängert werden kann. Wöchentlich sind nicht mehr als 10 Überstunden zulässig; die Tagesarbeitszeit darf 10 Stunden nicht übersteigen. Es dürfen daher in diesem Rahmen neben den wöchentlichen 5 Überstunden bis zur Erschöpfung des Jahreskontingents noch weitere Überstunden geleistet werden. Geht man daher mit dem Kläger davon aus, daß die Vorbesprechung am 13. September 1985 Überstundenarbeit gewesen wäre, hätte sich diese Überstundenarbeit - das Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes vorausgesetzt - noch im gesetzlichen Rahmen gehalten. Die im Arbeitszeitgesetz vorgesehenen Möglichkeiten einer Verlängerung der Arbeitszeit regeln grundsätzlich nur die öffentlich-rechtliche Seite; sie geben keinen Aufschluß darüber, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer zur Überstundenleistung verpflichtet ist (Cerny aaO § 6 AZG Erl. 9, 73 f; Grillberger, Arbeitszeitgesetz § 6 Anm. 5, 61; Martinek-Schwarz, AngG6 § 6 Anm. 1, 123; Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht2 I 97; Arb. 8.836 ua.). Als Rechtsgrundlage einer solchen Verpflichtung kommen - von Notfällen abgesehen, in denen der Arbeitnehmer schon auf Grund seiner Treuepflicht verbunden sein kann, über die Normalarbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen zu erbringen (Arb. 10.449, 10.427 je mwH) - vor allem der Arbeitsvertrag oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, insbesondere Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung in Betracht. (Cerny aaO § 6 AZG, Erl. 9, 75;
Grillberger aaO; Spielbüchler aaO; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 178; Mayer-Maly-Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht, Bd I 75;
JBl. 1987, 264 mwH). Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen über das Nichtvorliegen eines Betriebsnotstandes sind nicht von entscheidender Bedeutung, da hier ohnehin nicht von einer einseitigen Anordnung von Überstundenarbeit durch den Arbeitgeber ausgegangen werden kann.
Nach den maßgeblichen Feststellungen war der Kläger mit dem vom Beklagten bereits im Frühjahr oder Sommer 1985 gemachten Angebot, kurzfristige Montagearbeit im Irak durchzuführen, ausdrücklich einverstanden und hatte sich bereit erklärt, anfangs oder Mitte September 1985 dazu in den Irak zu reisen. Da ihm andererseits aus vorhergehenden Auslandstätigkeiten schon bekannt war, daß vor solchen Montageterminen noch persönliche Absprachen mit den Auftraggebern im Inland erforderlich waren, hat er mit seiner erklärten Bereitschaft, auf Auslandsmontage zu gehen, implicite auch der Teilnahme an der erforderlichen Vorbesprechung zugestimmt. Ohne die Bereitschaft, auch an der Vorbesprechung teilzunehmen, wäre es ihm nach den Feststellungen gar nicht möglich gewesen, den Auslandsauftrag durchzuführen. Es kann bei dieser Sach- und Rechtslage dahingestellt bleiben, ob der Kläger tatsächlich durch Kürzung der Arbeitsstunden am Donnerstag noch Normalarbeitszeit für Freitag Vormittag einsparen hätte können, da er mit seiner Zusage zufolge der diesbezüglichen Fremdbestimmtheit des Beklagten, dem die Termine von den Auftraggebern vorgeschrieben wurden, entgegen seinen Ausführungen in der Revisionsbeantwortung auch mit einer allfälligen Überstundenarbeit rechnen mußte.
Zur Rechtfertigung seiner strikten Weigerung, an der Vorbesprechung teilzunehmen, kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf berücksichtigungswürdige Interessen im Sinne des § 6 Abs 2 AZG berufen, da er seine Weigerung lediglich damit begründete, daß er schon etwas anderes vorhabe. Es mag sein, daß ihn die Einladung zur Vorbesprechung zu einer anderen als der bereits ins Auge gefaßten Zeit überraschen hätte können. Der Kläger wußte aber, daß er sich bereit erklärt hatte, Anfang oder Mitte September 1985 in den Irak zu reisen, so daß der vorgesehene Abreisetermin am 16. September 1985 genau im Rahmen der zeitlichen Einordnung seiner Verpflichtung lag und es ihm daher zumutbar gewesen wäre, seine Zeit auch im Hinblick auf die Vorbereitung der Reise einzuteilen. Dies trifft, wie schon das Erstgericht hervorhob, besonders auf den Vormittag des 13. September 1985 zu, da es allgemein bekannt ist, daß am Freitag Vormittag noch gearbeitet wird. Die vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, daß das Interesse des Klägers am Unterbleiben der Arbeitsleistung mangels konkreter Gründe nicht höher gewertet werden kann als das Interesse des Beklagten an der Einhaltung der schon vorher vertraglich übernommenen Verpflichtung zur Teilnahme an der betrieblich dringend erforderlichen Vorbesprechung, sei es auch in Form einer Überstundenarbeit. Da sich der Kläger sohin trotz Androhung der Entlassung beharrlich weigerte, seine versprochenen Dienste zu leisten, erfolgte seine Entlassung gemäß § 27 Z 4 AngG gerechtfertigt (Kuderna, Entlassungsrecht 95; Arb. 6.862 ua.).
Aus diesen Erwägungen war der Revision Folge zu geben, ohne daß noch auf die erhobene Mängelrüge einzugehen wäre. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren ein Verschulden des Beklagten an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 32 AngG einwendete, handelt es sich dabei, abgesehen davon, daß die Feststellungen keinen Anhalt für eine Verschuldensausgleichung bieten, um eine gemäß § 63 Abs 1 ASGG unzulässige Neuerung.
Die Kostenentscheidungen sind in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E13064European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBA00110.87.1202.000Dokumentnummer
JJT_19871202_OGH0002_009OBA00110_8700000_000