Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Mayer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Jürgen Mühlhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Kurt I***, Angestellter, Hard, Kohlplatzstraße 2, vertreten durch Dr. Walter Derganz, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei K*** G*** m.b.H., Wien 16., Hellgasse 2, vertreten durch Dr. Hartmut Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 80.017,88 sA (Streitwert im Revisionsverfahren S 42.888,25 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Juni 1987, GZ 5 Ra 1074/87-29, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 20.Juni 1986, GZ Cr 110/85-19, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der beklagten Partei vom Oktober 1981 bis zur
einvernehmlichen Auflösung seines Dienstverhältnisses am 30.6.1984
als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Er begehrt von der beklagten
Partei Zahlung der ihm vereinbarungsgemäß zu ersetzenden Spesen
(Kilometergeld, Telefonspesen, kapitalisierte Stufenzinsen sowie
diverse kleinere Spesen) in Höhe von S
100.017,80
abzüglich einer Teilzahlung von S 20.000,--
sohin S 80.017,88 sA
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die vom Kläger vorgelegten Unterlagen über das angesprochene Kilometergeld seien unüberprüfbar; er habe zahlreiche Fahrten doppelt verrechnet. Die beklagte Partei wendete eine Gegenforderung von S 30.000,-- ein, weil der Kläger gegen das vereinbarte "Konkurrenzverbot" verstoßen habe, und eine weitere Gegenforderung von S 10.336,--, weil er eine ihm während des Dienstverhältnisses gelieferte "Dürr-Separier-Automatik" nicht zurückgestellt habe.
Das Erstgericht ermittelte die dem Kläger gebührenden Spesen wie
folgt:
Telefonspesen S 15.510,--
Div. kleinere Spesen für
Fahrtauslagen (S 1.020,-) sowie
die im Berufungsverfahren nicht
mehr bekämpften sonstigen Spesen
von S 2.378,25)
zusammen S 3.398,25
Kilometergeld (festgesetzt gemäß
§ 273 ZPO) S 45.000,--
zusammen S 63.908,25
Es stellte die Klagsforderung mit diesem Betrag und die Gegenforderung der beklagten Partei mit S 10.336,-- als zu Recht bestehend fest und gelangte daher zu einem Zuspruch von S 53.572,25 sA und zur Abweisung eines Mehrbegehrens von S 26.445,63 sA, die in Rechtskraft erwachsen ist, weil der Kläger nur den Ausspruch über den Rechtsbestand der genannten Gegenforderung bekämpfte. Die beklagte Partei bekämpfte das Ersturteil, soweit das Klagebegehren mit einem S 2.378,25 sA übersteigenden Betrag als zu Recht bestehend und das Klagebegehren sohin auf Grund der Kompensandoforderung nicht abgewiesen wurde.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei
teilweise und jener des Klägers zur Gänze Folge. Es setzte das dem
Kläger gebührende Kilometergeld ebenfalls mit
S 45.000,--
fest, ermittelte die dem Kläger zu er-
setzenden Telefonspesen ebenfalls mit S 15.510,--
und gelangte einschließlich
des im Berufungsverfahren nicht mehr
bekämpften Betrages von S 2.378,25
zu Gesamtspesen von S 62.888,25.
Von diesem Betrag seien jedoch die
von der beklagten Partei bezahlten S 20.000,--
abzuziehen.
Da die zweite Instanz auch die Gegenforderung von S 10.336,-- als nicht zu Recht bestehend feststellte, sprach es (einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Teile des Ersturteils) dem Kläger S 42.888,25 sA zu und wies ein Mehrbegehren von insgesamt S 37.129,63 sA ab.
Zu den noch Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Ansprüchen stellte die zweite Instanz im wesentlichen fest:
Die beklagte Partei befaßt sich vorwiegend mit dem Verkauf von zahnärztlichen Einrichtungen. Der als Außendienstmitarbeiter für Vorarlberg eingestellte Kläger hatte im wesentlichen Reparaturen durchzuführen und die Kunden zu betreuen. Die Streitteile vereinbarten, daß der Kläger für die Benützung seines privaten Kraftfahrzeuges zu Dienstfahrten das amtliche Kilometergeld erhalten sollte. Er trug die zurückgelegten Kilometer in ein Fahrtenbuch ein. Bis Februar 1983 bezahlte die beklagte Partei alle vom Kläger angesprochenen Spesen (Kilometergeld, Telefonspesen usw.) auf Grund der jeweils vorgelegten Spesenabrechnungen. Am 17.12.1983 erhielt der Kläger ein Firmenfahrzeug, das als fahrbare Werkstätte eingerichtet war, aber auch von der Sekretärin der beklagten Partei benützt wurde. Die mit diesem PKW zurückgelegten Kilometer wurden nicht in ein Fahrtenbuch, sondern in ein Formular mit der Bezeichnung "Reisespesenabrechnung" eingetragen.
Die ab März aufgelaufenen Spesen verrechnete der Kläger mit den Abrechnungen vom 11.4., 1.5., 7.6., 4.7., 11.8., 17.10. und 15.12.1983 sowie vom 15.3. und 30.5.1984, mit denen er insgesamt den Klagsbetrag ansprach. Die beklagte Partei leistete auf diese Spesen bis zum Ausscheiden keine Zahlungen.
Eine genaue Überprüfung der vom Kläger mit seinem Privat-PKW zurückgelegten Fahrtstrecken ist nicht möglich. Laut Fahrtenbuch legte der Kläger in der Zeit vom 4.10.1981 bis 4.10.1982 rund
5.100 km, also etwa 425 km pro Monat und vom 4.10.1982 bis zum 4.10.1983 durchschnittlich 1.200 km monatlich zurück. Nachdem ein Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellt worden war, legte der Kläger mit dem Privat-PKW monatlich noch etwa 300 km zurück. Nach dem auf seine Richtigkeit nicht überprüfbaren Fahrtenbuch steht dem Kläger ein restliches Kilometergeld von S 51.779,20 zu.
Ob zwischen den Streitteilen ein "Konkurrenzverbot" vereinbart wurde, ist nicht feststellbar.
Am 27.2.1984 erhielt der Kläger von der beklagten Partei eine "Dürr-Separier-Automatik" komplett, mit "Überfüll-Ventil". Der Verkaufspreis dieses Bauteils betrug S 10.336,--, der Selbstkostenpreis S 6.201,60. Bei der Schlußinventur im Juni 1984 wurde festgestellt, daß dieser Bauteil nicht mehr vorhanden war. Wo er hingekommen ist, ist nicht mehr feststellbar.
Nach dem (auf das Dienstverhältnis des Klägers anzuwendenden) Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs verfallen Ansprüche auf Reisekosten und Reiseaufwandsentschädigung, wenn sie nicht spätestens innerhalb von 2 Monaten nach Beendigung der Dienstreise bzw der vereinbarten oder aufgetragenen Vorlage des Fahrtenbuches beim Arbeitgeber durch Rechnungslegung bzw. Vorlage des Fahrtenbuches geltend gemacht werden (Punkt XV Z 9 dieses Kollektivvertrages). Die Bestimmungen dieses Abschnittes finden jedoch keine Anwendung, wenn Reisekosten und Reiseaufwandsentschädigungen durch Betriebsvereinbarung oder einzelvertragliche Regelung geregelt sind (Punkt XV. Z 1 des Kollektivvertrages).
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß für die Ausmittlung des dem Kläger gebührenden Kilometergeldes § 273 ZPO herangezogen werden dürfe, da feststehe, daß der Kläger seinen Privatkraftwagen als Dienstwagen verwendet habe und zwischen den Streitteilen die Vergütung dieser Fahrten mit einem Kilometergeld vereinbart worden sei. Im Hinblick auf die Tätigkeit des Klägers und die topographische Situation in Vorarlberg sei die vom Erstgericht angenommene Kilometerleistung realistisch. Ein Verfall dieser Spesen sei schon deshalb nicht eingetreten, weil ihr Ersatz mit Einzelvertrag geregelt worden sei.
Da dem Kläger die "Dürr-Separier-Automatik" zugekommen sei, müsse er beweisen, daß der Schaden nicht auf ein ihm zurechenbares Verschulden zurückzuführen sei. Grobe Fahrlässigkeit werde aber nicht vermutet. Es sei somit davon auszugehen, daß der Verlust des Gerätes auf einen minderen Grad des Versehens zurückzuführen sei. Damit sei aber die der beklagten Partei spätestens im August 1985 bekannt gewordene und erst mit Schriftsatz vom 4.4.1986 geltend gemachte Gegenforderung gemäß § 6 DHG verfallen. Diese Frist sei eine von Amts wegen wahrzunehmende Ausschlußfrist.
Die beklagte Partei erhebt Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, "unrichtiger bzw. mangelhafter Sachverhaltsfeststellung" und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Ein Verfahrensmangel soll deshalb unterlaufen sein, weil der Geschäftsführer der beklagten Partei zum persönlichen Erscheinen bei der Berufungsverhandlung aufgefordert, nach Abweisung des begründet erhobenen Vertagungsantrages aber nicht erschienen und das Berufungsverfahren ohne seine Einvernahme geschlossen worden sei.
Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt jedoch nicht vor. Der
Neuverhandlungsgrundsatz des § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG ist nach dem
1.1.1987 auch dann nicht anzuwenden, wenn das Datum der
angefochtenen erstgerichtlichen Entscheidung - wie im vorliegenden
Fall - vor dem 1.1.1987 liegt. Die Geltendmachung von Neuerungen war
hingegen noch zulässig (Kuderna ASGG 483). Zu der von der beklagten
Partei vorgetragenen Neuerung des Verfalls der Reisespesen des
Klägers genügte es aber, den Inhalt des einschlägigen
Kollektivvertrages - und zwar gemäß § 43 Abs 3 ASGG von Amts
wegen - zu ermitteln. Im übrigen ergibt sich aus dem Aktenvermerk
des Berufungsgerichtes vom 15.6.1987, daß der Vertagungsantrag laut
telefonischer Rücksprache mit dem Beklagtenvertreter als
zurückgezogen gilt. In der Unterlassung der neuerlichen Vernehmung
des Geschäftsführers der beklagten Partei im Berufungsverfahren
liegt daher kein Mangel.
Der Revisionsgrund der "unrichtigen Sachverhaltsfeststellung"
ist dem Gesetz fremd. Die zweite Instanz ging außerdem ohnehin davon
aus, daß der Kläger für das Abhandenkommen der
"Dürr-Separier-Automatik" mangels eines Entlastungsbeweises nach
§ 1298 ABGB verantwortlich sei, doch ist die Schadenersatzforderung
der beklagten Partei jedenfalls gemäß § 6 DHG verfallen. Zu dieser
Frage nimmt die Revision nicht mehr Stellung, so daß es genügt, auf
die zutreffenden Ausführungen der zweiten Instanz zu verweisen (§ 48
ASGG; siehe auch Arb 10.324). Bemerkt sei lediglich, daß der
Zeitpunkt des Eintrittes der Aufrechnungslage (Gegenüberstehen der
Spesenforderung des Klägers und der Schadenersatzforderung der
beklagten Partei) den Ablauf der Fallfrist des § 6 DHG nicht zu
hindern vermag (14 Ob 126/86).
Die Verfallklausel des Art XV Z 9 des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs steht dem Zuspruch der Fahrtspesen an den Kläger schon deshalb nicht entgegen, weil über die Bezahlung dieser Spesen eine einzelvertragliche Vereinbarung getroffen wurde, so daß diese Kollektivvertragsbestimmung insoweit nicht anzuwenden ist (Art XV Z 1 dieses Kollektivvertrages). Der Grund des Anspruches des Klägers - Verwendung seines Privat-PKWs für Dienstfahrten und Vereinbarung eines Spesenersatzes für solche Fahrten - steht fest. Gegen die Erwägungen des Berufungsgerichtes, der Zuspruch von S 45.000,-- sei in Anbetracht des Ausmaßes der Tätigkeit des Klägers und der topographischen Situation in Vorarlberg "realistisch", bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Revision bringt zu diesen Ermessenserwägungen auch nichts Konkretes vor.
Dem Rechtsmittel ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E12887European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBA00173.87.1202.000Dokumentnummer
JJT_19871202_OGH0002_009OBA00173_8700000_000