TE OGH 1987/12/2 9ObA169/87

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Veröffentlicht am 02.12.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Jürgen Mühlhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Elisabeth P***, Vorarbeiterin, Wien 20., Spaungasse 22/1/25, vertreten durch Dr. Armin Paulitsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P. D*** Gesellschaft mbH & Co KG, Wien 6., Linke Wienzeile 38, vertreten durch Dr. Rudolf Schuh, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 49.090,--netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juli 1987, GZ 32 Ra 65/87-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 5. Dezember 1986, GZ 8 Cr 2029/85-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist binnen 14 Tagen bei Exekution schuldig, der klagenden Partei S 49.090,-- netto samt 4 % Zinsen seit 17. Juni 1985 zu zahlen und ihr die mit S 21.633,90 (darin S 1.836,90 Umsatzsteuer und S 1.428,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.753,70 (darin S 428,70 Umsatzsteuer und S 2.038,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 5.329,75 (darin S 257,25 Umsatzsteuer und S 2.500,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 15. November 1979 als Vorarbeiterin beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Reinigungsunternehmen, das unter anderem in Spitälern vertraglich festgelegte Reinigungsarbeiten druchführt. Die Klägerin wurde von der Beklagten im Krankenhaus der B*** B*** eingesetzt und es unterstanden ihr im Durchschnitt 8 Arbeiterinnen. Am 20. März 1985 wurde sie entlassen.

Mit der Behauptung, ihre Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, begehrte die Klägerin letztlich den der Höhe nach unbestrittenen Betrag von S 49.090,-- netto sA an Abfertigung und anteiligen Sonderzahlungen.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Klägerin habe sich im Dienst untreu verhalten, indem sie sich gegenüber dem Prior des Krankenhauses über die Beklagte beschwert und diesen veranlaßt habe, den Vertrag mit der Beklagten zu lösen. Weiters habe sie dem Prior gegenüber erklärt, die Beklagte sei eine "Scheiß-Firma". Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte für das Revisionsverfahren noch wesentlich fest:

Auf Grund der Verträge mit ihren Kunden hatte die Beklagte sowohl das Reinigungspersonal als auch das Reinigungsmaterial zur Verfügung zu stellen. So wie die anderen Vorarbeiterinnen mußte die Klägerin dem Niederlassungsleiter für Wien einmal monatlich eine schriftliche Materialanforderung übermitteln. Das benötigte Reinigungsmaterial wurde jeweils zu Beginn des nächsten Monats ausgeliefert. Ausfälle bei den ihr unterstellten Arbeiterinnen hatte sie an die Zentrale zu melden, damit ihr von dort Ersatzkräfte geschickt werden konnten.

Im Zuge eines Wechsels der Niederlassungsleiter kam es im März 1985 erstmals dazu, daß die Klägerin das von ihr angeforderte Putzmaterial nicht erhielt. Als das Reinigungsmaterial trotz telefonischer Urgenz in der Zentrale nicht geliefert wurde, wandte sie sich an die Spitalsmeisterei und ersuchte, ihr das Material einstweilen vorzustrecken. Dies teilte sie der Beklagten mit. Von den üblicherweise 8 bis 9 eingesetzten Arbeiterinnen standen ihr für die Reinigungsarbeiten nur 6 zur Verfügung. Als der Prior des Krankenhauses, der schon öfter die Reinigung als mangelhaft beanstandet hatte, erfuhr, daß sich die Klägerin entgegen der Vereinbarung Reinigungsmaterial ausgeborgt hatte, stellte er sie aus diesem Grunde und wegen der nicht ordnungsgemäßen Reinigung zur Rede. So war das Stiegenhaus das nach dem Vertrag zweimal am Tag gereinigt hätte werden müssen, schon tagelang nicht gereinigt worden. Die Klägerin verwies dem Prior gegenüber darauf, daß man ihr kein Reinigungsmaterial geliefert und ihr statt 10 Arbeiterinnen nur 5 zur Verfügung gestellt habe. Aus diesem Grunde hätte sie das Stiegenhaus nur zweimal wöchentlich reinigen können. Die Klägerin verschwieg, daß sie den Personalengpaß der Zentrale nicht gemeldet hatte und daß es bei der Beklagten zufolge des Ausscheidens des Niederlassungsleiters und des stellvertretenden Geschäftsführers zu internen Schwierigkeiten gekommen war. Der durch die wiederholten Beanstandungen verärgerte Prior hielt die Angaben der Klägerin in einer Aktennotiz fest und kündigte den Reinigungsvertrag mit der Beklagten am 18. März 1985 im wesentlichen mit der Begründung auf, daß der Klägerin statt 9 nur 5 Personen zur Verfügung stünden und die Reinigungsmittel nicht beigestellt, sondern aus der Spitalsmeisterei besorgt würden.

Nachdem die Beklagte dieses Kündigungsschreiben am 20. März 1985 erhalten hatte, begaben sich der Niederlassungsleiter Kurt M*** und der Verkaufsleiter Robert R*** in das Krankenhaus und erreichten durch ein Gespräch mit dem Prior, daß dieser die Kündigung zurücknahm. Zuvor hatten sie noch die Klägerin zur Rede gestellt, warum sie die Aktennotiz aufnehmen habe lassen. Die Klägerin erwiderte, daß sie zum Prior gegangen sei und sich über die "Scheiß-Firma" beschwert habe. Daraufhin sprachen die beiden die Entlassung aus und übergaben der Klägerin ein bereits vorbereitetes Entlassungsschreiben.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin im Sinne des § 82 GewO 1859 zu Recht entlassen worden sei. Ihr hätte klar sein müssen, daß sie durch ihr Verhalten der Beklagten großen Schaden zufügen könne. Sie habe ihre Pflichten als Vorarbeiterin dadurch verletzt, daß sie nicht für Durchführung der Reinigungsarbeiten entsprechend Sorge getragen habe. Dabei hätte sie die Probleme in ihrem Arbeitsbereich mit der Beklagten klären müssen und nicht den Kunden darauf aufmerksam machen dürfen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß sich die Klägerin auch einer groben Ehrenbeleidigung im Sinne des § 82 lit g GewO gegenüber ihrem Arbeitgeber schuldig gemacht und damit eine qualifizierte Mißachtung der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe. Auch wenn der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, einem Kunden gegenüber allfällige Mißstände zu vertuschen, dürfe der Boden einer berechtigten Kritik nicht verlassen werden. Im Interesse der Beklagten hätte von der Klägerin erwartet werden können, den Kunden zu beschwichtigen und der Kritik die Spitze zu nehem. Da die Befürchtung der Beklagten, die Klägerin werde ihre Interessen nicht mehr wahren, berechtigt gewesen sei, liege auch der im Wege der Analogie zu § 82 lit e GewO anzuwendende Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 AngG vor. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem sinngemäßen Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Bei der Prüfung, ob das Verhalten der Klägerin einen Entlassungstatbestand nach der Gewerbeordnung 1859 erfüllt, ist zu beachten, daß § 82 GewO die Gründe, aus denen ein "Hilfsarbeiter ohne Kündigung sofort entlassen werden kann" - anders als § 27 AngG -, taxativ aufzählt (Kuderna, Das Entlassungsrecht 31 f;

Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 349, 377; Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser Arbeitsrecht2 I 227;

Arb. 9.517, 10.267 ua; aM Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I 197). Aus den Feststellungen ergibt sich vorerst kein Hinweis, daß die Klägerin etwa ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis verraten oder ein für die Beklagte abträgliches Nebengeschäft betrieben hätte und ihr Verhalten daher dem Tatbestand des § 82 lit e GewO zu unterstellen wäre (vgl. dazu Kuderna aaO 64 ff). Andererseits enthält § 82 GewO 1859 keinen dem § 27 Z 1 AngG vergleichbaren allgemeinen Entlassungstatbestand der "Untreue im Dienst" (Arb. 10.324). Der dem dritten Tatbestand des § 27 Z 1 AngG entsprechende Tatbestand des § 82 lit d GewO verlangt das Vorliegen einer die Vertrauensunwürdigkeit begründenden strafbaren Handlung. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber eine Handlung, die nicht strafbar ist, auch dann nicht für eine gerechtfertigte Entlassung ausreichend erachten wollte, wenn sie Vertrauensunwürdigkeit hervorruft (Kuderna aaO 61). Es liegt daher keine planwidrige Lücke vor, welche an sich durch Analogie geschlossen werden könnte (zuletzt 14 Ob A 38/87). Der Klägerin wird im wesentlichen angelastet, daß sie ihre Pflichten als Vorarbeiterin dadurch verletzt habe, daß sie dem Kunden gegenüber den aufgetretenen Engpaß an Personal und Material nicht mit den internen Schwierigkeiten der Beklagten gerechtfertigt, sondern im Gegenteil versucht habe, ihre mangelhafte Tätigkeit mit der unzulänglichen Ausstattung durch die Beklagte zu entschuldigen. Für ein solches Verhalten käme von den übrigen Entlassungstatbeständen des § 82 GewO an sich der zweite Tatbestand des § 82 lit f GewO in Betracht. Dieser Entlassungsgrund erfordert allerdings eine beharrliche Vernachlässigung der Pflichten. Darunter ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Pflichtenvernachlässigung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verletzung der Pflicht gerichteten Willens zu verstehen. Die Pflichtenverletzung muß sich daher entweder wiederholt ereignet haben oder von so schwerwiegender Art sein, daß mit Grund auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers geschlossen werden kann. Auf die Erstmaligkeit des Vorfalls wiesen bereits die Vorinstanzen hin. Würdigt man das Gesamtverhalten der Klägerin, ist zu berücksichtigen, daß sie durch die Beklagte vor eine unlösbare Aufgabe gestellt wurde. Trotz Urgenz erhielt sie keine Reinigungsmittel, die es ihr ermöglicht hätten, ihrer Arbeitspflicht nachzukommen. Daß sie in dieser Zwangslage initiativ wurde, sich an die Spitalsmeisterei wandte und damit die Verärgerung des Priors des Krankenhauses auslöste, kann ihr wohl nicht als Vernachlässigung ihrer Pflichten angelastet werden. Die vom Berufungsgericht dazu in Richtung eines rechtswidrigen "Organisierens" des Reinigungsmaterials aufgestellte Vermutung findet im festgestellten Sachverhalt keinerlei Grundlage. Richtig ist lediglich, daß die Klägerin die Beklagte nicht um Beistellung zusätzlicher Arbeitskräfte ersuchte, wobei es aber offenblieb, ob ihr wegen der festgestellten internen Schwierigkeiten, welche sogar die Lieferung von Reinigungsmaterial verhinderten, tatsächlich rechtzeitig genügend Arbeiterinnen zur Verfügung gestellt worden wären; eine Feststellung darüber, daß der personelle Engpaß tatsächlich sofort beseitigt worden wäre, wurde von den Vorinstanzen nämlich nicht getroffen. Die in der Aktennotiz vom 18. März 1985 aufscheinenden Angaben der Klägerin entsprachen sohin mit Ausnahme des etwas übertrieben dargestellten Personalmangels den Tatsachen. In diesem Zusammenhang ist auch die vom Berufungsgericht dem § 82 lit g GewO unterstellte Äußerung der Klägerin über die "Scheiß-Firma" zu sehen, worin auch eine Wertung der Untätigkeit der Unternehmensleitung liegt. Abgesehen davon, daß eine Verletzungsabsicht nicht festgestellt wurde (Kuderna aaO 77; DRdA 1983/21), faßte die Klägerin damit im Ergebnis nur ihre zumindest zum Teil berechtigte Kritik am Organisationsmangel der Beklagten ihrem Vorgesetzten gegenüber (und nicht etwa dem Kunden gegenüber, wie von der Beklagten zu Unrecht vorgebracht worden ist) zusammen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sowohl der Niederlassungsleiter als auch der Verkaufsleiter, die das vorbereitete Entlassungsschreiben schon mitbrachten, ihr vorwarfen, daß sie die Aktennotiz aufnehmen habe lassen. Da aber schon die Nichtbeistellung des Reinigungsmaterials allein ohne die Initiative der Klägerin bewirkt hätte, daß sie ihrer Reinigungspflicht überhaupt nicht nachkommen hätte können, wäre in dieser Situation zumindest eine diesbezügliche auch für die Zukunft maßgebliche erläuternde Erklärung der Unternehmensleitung zu erwarten gewesen. Es liegen somit besondere, auf die konkrete Lage der Klägerin abgestellte Umstände vor, welche die als Unmutsäußerung aufzufassende sprachliche Entgleisung der sowohl vom Kunden als auch vom Arbeitgeber "in die Zange genommenen" Klägerin als entschuldbar erscheinen lassen (Arb. 6.041, 8.428, 8.901, 9.111, 9.188 ua). Entgegen der Ansicht der Beklagten war es jedenfalls nicht allein Sache der Klägerin als Vorarbeiterin, für die Organisationsmängel der Beklagten einzustehen und trotz der aufgetretenen Engpässe auch die mängelfreie Reinigung des Krankenhauses zu verantworten. Ihre Entlassung war somit ungerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 bzw. 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E12642

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBA00169.87.1202.000

Dokumentnummer

JJT_19871202_OGH0002_009OBA00169_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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