Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosa F***, Angestellte, Graz, Staudgasse 12, vertreten durch Dr.Fritz König, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Alfred S***, Pensionist, Graz, Staudgasse 10, vertreten durch
Dr.Franz M. Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Entfernung von Thujenästen (Streitwert S 10.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 10.September 1987, GZ 27 R 213/87-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 10.Juni 1987, GZ 3 C 1691/87h-3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig dem Beklagten die mit S 1.812,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 164,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat an der Grenze ihrer Liegenschaft in Graz, Wetzelsdorf, Staudgasse 12, einen Zaun errichtet, der aus Betonsäulen und einem daran befestigten Drahtgeflecht besteht. Der Beklagte pflanzte auf seinem Nachbargrundstück Staudgasse 10 in einem Abstand von 50 cm entlang dieses Zaunes Thujenpflanzen. Bis zum Jahre 1984 schnitt er diese Pflanzen regelmäßig so, daß zwischen den Thujen und dem Drahtgeflecht ein freier Raum von etwa 20 cm bleib. Am 3.April 1984 beanstandete der damalige Vertreter der Klägerin, daß das Zaungeflecht durch das Einwachsen der Thujen rostig werde und der Beklagte durch das regelmäßige Schneiden der Thujen das Geflecht ausdehne und beschädige. Auf dieses Schreiben hin schnitt der Beklagte die Thujen nicht mehr, so daß sie durch und über das Geflecht des Zaunes der Klägerin wachsen.
Die Klägerin behauptet, daß das Zaungefecht durch die hindurchwachsenden Thujen ständig feucht bleibe, was das Rosten des Drahtgitters begünstige und die Lebensdauer des Zaunes herabsetze. Sie begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Thujenhecke so zurückzuschneiden, daß ihr Zaun nicht berührt wird, und diesen Zustand auch in Zukunft zu erhalten.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei ihm nicht möglich, die Thujen ohne Berührung des Zaunes zu schneiden; er habe sie daher in den letzten Jahren nicht mehr geschnitten. Ein Schaden an dem bereits vierzig Jahre alten und völlig wertlosen Drahtzaun sei nicht entstanden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil das Durchwachsen der Thujenhecke durch das Drahtgeflecht, das durch die ständige Feuchtigkeit stärker roste und dadurch übermäßig beansprucht werde, eine unmittelbare Einwirkung im Sinne des § 364 ABGB sei. Die Klägerin habe daher Anspruch auf künftige Unterlassung dieser Einwirkung.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 15.000,-- aber nicht S 300.000,-- übersteige und die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.
Die Rechte des Nachbarn auf Entfernung des Überhanges seien in § 422 ABGB abschließend geregelt. Der Nachbar könne die Entfernung des Überhanges durch den Eigentümer nicht verlangen, sondern habe den Bewuchs wie die natürliche Umgebung hinzunehmen. Neben dem Selbsthilferecht des § 422 ABGB stehe ihm ein auf sein Eigentumsrecht gestützter Beseitigungsanspruch nicht zu. Das österreichische Recht gestatte auch das Pflanzen von Bäumen an der Grenze; das gelte auch für Sträucher, die das Gesetz nicht besonders erwähne. Es handle sich um eine Eigentumsbeschränkung des Grundeigentümers aus Rücksichten der Nachbarschaft. Eine Verpflichtung des Nachbarn, die Äste seiner Bäume und Sträucher stets so rechtzeitig abzuschneiden, daß sie nicht über die Grenze reichen, bestehe nach österreichischem Recht nicht. Das Verhalten des Beklagten sei soweit nicht rechtswidrig.
Die Klägerin bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, das Ersturteil wiederherzustellen.
Der Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, obwohl die Klägerin den Wert des nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstandes (§ 56 Abs 2 JN) nur mit S 10.000,-- angegeben hatte. Der Beklagte hatte die Berufung nur auf unrichtige rechtliche Beurteilung gestützt, so daß das Berufungsgericht keinen Anlaß hatte, sich bei der Erledigung der Berufung mit den Anfechtungsbeschränkungen des § 501 ZPO auseinanderzusetzen. Die Begründung des Ausspruches des Berufungsgerichtes, daß der von der Berufung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000,-- übersteige, läßt erkennen, daß es eine Unterbewertung des Streitgegenstandes durch die Klägerin angenommen hat, weil durch "die notwendige Wiederherstellung des Zaunes im Falle einer Beschädigung größere Kosten" (als S 15.000,--) entstünden (vgl. RZ 1984/69).
Die Entscheidung über die Revision hängt auch von einer erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechtes im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ab. Die vom Berufungsgericht zitierte Vorentscheidung SZ 55/69 = JBl 1983, 96 betraf zwar einen gleichgelagerten Sachverhalt, doch hatten die dortigen Kläger das Begehren auf Unterlassung "des Wachsenlassens von Ästen" erhoben, weshalb der Oberste Gerichtshof damals letztlich die Frage offenließ, wie weit gegen den Eigentümer der Hecke (der diese in den fremden Grund wachsen läßt) ein Beseitigungsanspruch besteht.
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Die von einem Baum (oder Strauch; vgl §§ 910, 911 BGB) ausgehende Beeinträchtigung des Nachbargrundes ist nicht nach § 364 Abs 2 ABGB, sondern nach der besonderen nachbarrechtlichen Bestimmung des § 422 ABGB zu beurteilen, nach welcher jeder Grundeigentümer die Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden reißen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen kann. Es handelt sich dabei um eine Beschränkung des Eigentumsrechtes, die vor allem aus Rücksichten der Nachbarschaft besteht (SZ 55/69 = JBl 1983, 96; JBl 1986, 459;
Koziol-Welser7 II 142). § 422 ABGB regelt die Rechte des Nachbarn bezüglich des Überhanges abschließend. Über das in § 422 ABGB normierte Selbsthilferecht hinaus hat der Nachbar nicht die Möglichkeit, ein auf sein Eigentumsrecht gestütztes Begehren zur Beseitigung des Überhanges durch den Eigentümer des Baumes oder Strauches zu stellen (so schon die ältere Lehre und Rechtsprechung:
GlUNF 1262, 3548, 4527; Schuster GZ 1883, 78; ebenso die herrschende Lehre und Rechtsprechung: Klang in Klang2 II 295; Ehrenzweig2 I/2, 149; GschnitzerFaistenberger-Barta-Call-Eccher, Sachrecht2, 69; Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 422).
Der Nachbar hat den durch einen Überhang entstehenden Bewuchs - unbeschadet seines Selbsthilferechtes - wie die natürliche Umgebung hinzunehmen (Spielbüchler in Rummel aaO.). Aus § 421 ABGB ergibt sich, daß es dem Grundeigentümer gestattet ist, Bäume oder Sträucher selbst an der Grundstücksgrenze zu pflanzen (SZ 55/69 = JBl 1983, 96; JBl 1986, 459). Dieses Recht könnte aber der Beklagte nicht ausüben, wenn er verpflichtet wäre, die Thujenhecke ohne Berührung des Zaunes zu schneiden (womit die Klägerin nach dem Vorbringen der Klage ein Zurückschneiden der Äste so weit versteht, daß der Beklagte einen ausreichenden Arbeitsraum gewinnt, damit der Zaun beim Schneiden der Hecke nicht beschädigt wird). Dieses Verlangen der Klägerin kommt im Ergebnis einer Entfernung der ohnehin mit 50 cm Abstand von der Grundgrenze gepflanzten Hecke nahe. Eine Verpflichtung des Grundeigentümers, die Wurzeln und Äste seiner Bäume und Sträucher stets so rechtzeitig abzuschneiden, daß sie nicht über die Grenze wachsen, besteht nach österreichischem Recht nicht (SZ 55/69 = JBl 1983, 96; JBl 1986, 459). Die Klägerin hat daher keinen Beseitigungsanspruch. Die Revision vermag dem nichts Stichhältiges entgegenzusetzen. Da § 422 ABGB eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung des vom Überhang betroffenen Grundeigentümers ist und das Gesetz diesem nur ein Selbsthilferecht gibt, aber (sonstige) Abwehransprüche und auch Beseitigungsansprüche versagt, könnte die Klägerin wegen der mit einem hinzunehmenden Bewuchs allenfalls verbundenen Schäden weder nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche (JBl 1986, 459) noch - mangels rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten - Schadenersatzansprüche erheben. Sie kann daher vom Beklagten auch nicht mit der Begründung, daß er von vornherein für die Hintanhaltung solcher Schäden zu sorgen habe, das Zurückschneiden der Hecke so, daß ihr Zaun nicht berührt wird, und die künftige Erhaltung dieses Zustandes verlangen. Es bleibt ihr unbenommen, in Ausübung ihres Selbsthilferechtes die Hecke möglichst nahe der Grundgrenze zu schneiden und dadurch ein vorzeitiges Rosten des Zaungeflechts tunlichst zu verhindern. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO, § 56 Abs 2 JN. Der Ausspruch des Berufungsgerichtes über den Wert des Streitgegenstandes ändert an der Bemessungsgrundlage für die Rechtsanwaltskosten nichts.
Anmerkung
E12786European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00603.87.1215.000Dokumentnummer
JJT_19871215_OGH0002_0040OB00603_8700000_000