TE OGH 1987/12/18 6Ob730/87

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Veröffentlicht am 18.12.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Rene V***, geboren am 24.Jänner 1980, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Hans V***, kaufmännischer Angestellter, Aßmayrgasse 11/4, 1120 Wien, vertreten durch Dr.Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 8. Oktober 1987, GZ 47 R 677/87-28, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 21.Juli 1987, GZ 2 P 113/86-24, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Anläßlich der Scheidung ihrer Ehe gemäß § 55 a EheG vereinbarten die Eltern des Minderjährigen, daß dieser in Pflege und Erziehung der Mutter verbleibe, der alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und dem Minderjährigen erfließenden Rechte und Pflichten zustehen (§§ 144 ff. ABGB). Dieser Vergleich wurde vom Pflegschaftsgericht genehmigt.

Am 23.Dezember 1986 gab der eheliche Vater beim Pflegschaftsgericht den Antrag zu Protokoll, der Mutter die Elternrechte zu entziehen und sie dem Vater zuzuteilen. Diesen Antrag wiederholte er mit Schriftsätzen, die am 27.Jänner 1987 und am 19.Juni 1987 beim Erstgericht einlangten.

Die Mutter sprach sich gegen die Anträge des Vaters aus. Nach Einholung eines Berichtes des Bezirksjugendamtes für den

12. Bezirk und eines Gutachtens des Sachverständigen Dr.Erwin S*** entzog das Erstgericht die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des Minderjährigen der Mutter und wies sie dem Vater zu. Gleichzeitig wurde der Mutter ein Besuchsrecht eingeräumt. Das Erstgericht führte aus, das Bezirksjugendamt sei in seinem Bericht für einen Verbleib des Kindes bei der Mutter eingetreten, allerdings unter Gewährung eines ausgedehnteren Besuchsrechtes des Vaters. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr.Erwin S*** gehe hervor, daß der Vater die geeignetere Erziehungsperson sei, er das Kind besser und intensiver fördern werde und das Kind zu ihm auch eine sehr gefestigte tiefe Beziehung habe. Daher schlage der Sachverständige vor, das Kind dem Vater zuzuweisen, wobei jedoch der Mutter ein sehr umfangreiches Besuchsrecht eingeräumt werden solle. Im Hinblick auf diese Ausführungen des Sachverständigen erscheine es dem Wohle des Kindes dienlicher, es beim Vater unterzubringen, wobei allerdings die Mutter-Kind-Beziehung durch ein umfangreiches Besuchsrecht aufrecht erhalten werden solle.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß der Antrag des Vaters, der Mutter die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des Minderjährigen zu entziehen und diese dem Vater zuzuweisen, abgewiesen wird. Das Gericht zweiter Instanz stellte aus dem Akt folgendes fest:

Aus psychologischer Sicht besteht kein zwingender Grund, den Minderjährigen aus seiner Umgebung zu entfernen. Auch konnte bei dem gepflegten und gut geförderten Buben (Lycee-Schüler) keine Vernachlässigung festgestellt werden. Der Minderjährige ist ein körperlich und psychosozial im Rahmen der Norm entwickelter intelligenter Volksschüler eurasischer Herkunft. Der Knabe ist zwar durch den Verfall der Familie seelisch etwas irritiert, versteht es aber doch recht gut, seine Situation als Scheidungskind psychisch einigermaßen zu bewältigen. Er ist zwar an beide Elternteile gefühlsmäßig gebunden, zeigt aber eine faßbare Präferenz für den Aufenthalt in der Familie des Vaters, wo offenbar nicht nur seine emotionalen Bedürfnisse besser befriedigt werden, sondern auch seine geistigen, namentlich technischen Ansprüche. Wenngleich man nach den Untersuchungsresultaten der Mutter momentan keine effektive Vernachlässigung des Kindes vorwerfen kann, erscheint doch vom entwicklungsbiologischen Aspekt und ärztlichen Standpunkt die Übertragung der Elternrechte dem Wohle des Minderjährigen dienlicher, als sein Weiterverbleib bei der Mutter. In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, eine Entziehung der Elternrechte sei gemäß § 176 Abs 1 ABGB nur dann zulässig, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährdeten. Eine Gefährdung des Kindeswohles setze nicht geradezu einen Mißbrauch der elterlichen Befugnisse voraus. Es könne schon genügen, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt würden oder die Eltern sonst durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährdeten (SZ 51/112, SZ 53/142 ua). Maßnahmen nach § 176 ABGB seien aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn die Erziehung bei einem Elternteil besser wäre als die an sich ordnungsgemäße Betreuung bei dem anderen erziehungsberechtigten Teil (EFSlg 33.605 ua). Bei den sogenannten Elternrechten handle es sich um höchste Werte, sie seien als solche auch neben den Kindesrechten bedeutsam (EvBl 1983/125 ua). Demnach dürften Eingriffe in diese Rechte nicht leichtfertig vorgenommen werden. Nur wenn ihre Ausübung tatsächlich eine Gefährdung des Kindeswohles mit sich bringe, sei ein solcher Eingriff zulässig (vgl auch EFSlg 48.395 ff, 48.408 und die jeweils dort zitierte Judikatur des OGH). Im vorliegenden Fall ergebe sich sowohl aus dem Bericht des Bezirksjugendamtes und dem Gutachten des psychologischen Dienstes der Stadt Wien als auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr.Erwin S***, daß keine Vernachlässigung des Minderjährigen bei der Mutter habe festgestellt werden können. Auch wenn die emotionalen Bedürfnisse des Kindes sowie seine geistigen und technischen Ansprüche durch den Vater allenfalls besser befriedigt werden könnten, sei das noch nicht ausreichend, um der Mutter gemäß § 176 ABGB die Elternrechte zu entziehen. Es habe jedenfalls kein Nachweis dafür erbracht werden können, daß die Mutter ihre elterlichen Pflichten gegenüber dem Minderjährigen nicht erfüllt hätte. Darüber hinaus hätten sich auch die Wohnungsverhältnisse der Mutter insoweit gebessert, als die Mutter nach ihren Angaben in der (aus drei Zimmern bestehenden) Wohnung nur mehr zusammen mit ihrer Schwester und dem Minderjährigen wohne. Im übrigen solle auch nicht übersehen werden, daß der Minderjährige auf Befragen des Sachverständigen, wie es ihm bei der Mama gehe, geantwortet habe, "nicht viel besser als beim Papa", und der Minderjährige auf die Frage, warum er am liebsten beim Papa sein wolle, geantwortet habe, "weil er mir mehr kauft". Eine Gefährdung des Minderjährigen bei der Mutter im Sinne des § 176 ABGB sei daher nicht gegeben, weshalb der Antrag des Vaters abzuweisen sei. Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, in welchem die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses beantragt wird. Hilfsweise stellt der Vater einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausführte, ist eine Entziehung der Elternrechte gemäß § 176 Abs 1 ABGB nur zulässig, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Minderjährigen gefährden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, dann darf eine Änderung in der Zuerkennung der elterlichen Rechte und Pflichten nicht angeordnet werden (EFSlg 45.841, 48.396 uva). Davon, daß durch einen Verbleib bei der Mutter das Wohl des Minderjährigen gefährdet würde, kann aber nach den Verfahrensergebnissen nicht ausgegangen werden.

Der Hinweis des Vaters auf ein angeblich geringes Körpergewicht des Minderjährigen ist schon deshalb verfehlt, weil dieser nach dem Gutachten des Sachverständigen trotz zarter Gestalt körperlich adäquat entwickelt ist. Dafür, daß der zarte Körperbau auf eine mangelhafte Ernährung zurückzuführen ist, bestehen keine Anhaltspunkte.

Der Vater führt in seinem Revisionsrekurs weiters aus, das Rekursgericht habe nur einen Teil des Sachverständigengutachtens wiedergegeben. Der Sachverständige habe ausgeführt, daß ausgehend von den emotionalen und geistigen Ansprüchen des Minderjährigen es verschiedene Hinweise gäbe, wonach er bei seiner Mutter zu kurz komme. Es sei nicht zu übersehen, daß sich bei Verbleib des Kindes in Betreuung der Mutter hier gewisse Gefährdungsmomente bezüglich seiner günstigen affektiven Entwicklung annehmen ließen. Entgegen der Ansicht des Vaters reichen diese Ausführungen des Sachverständigen nicht aus, um eine Gefährdung des Wohles seines Sohnes annehmen zu können. Der Sachverständige hat ausdrücklich angegeben, die Mutter komme im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Pflege und Erziehung des Sohnes nach. Daß die Möglichkeiten der Mutter für eine entsprechende Pflege und Erziehung des Sohnes nicht ausreichen, kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Die Mutter hat eine Ausbildung als diplomierte Krankenschwester, sie ist in diesem Beruf tätig und beherrscht offensichtlich auch die deutsche Sprache. Es ist nicht einzusehen, weshalb man ihr die Fähigkeit, ein normal entwickeltes Kind zu erziehen, absprechen sollte, zumal der in ihrer Pflege und Erziehung befindliche Minderjährige das französische Lycee besucht und dort ein guter Schüler ist. Vermutungen des Sachverständigen über gewisse Gefährdungsmomente bezüglich der ungünstigen affektiven Entwicklung können eine Entziehung der Elternrechte nicht rechtfertigen. Das Sachverständigengutachten spricht wohl dafür, daß eine Erziehung des Kindes beim Vater wahrscheinlich günstiger wäre als bei der Mutter, keinesfalls geht daraus aber hervor, daß eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen wegen einer Gefährdung des Kindeswohles dringend geboten ist (vgl EFSlg 45.846).

Hinreichende Gründe, die es rechtfertigen würden, von der getroffenen Regelung abzugehen, die Elternrechte der Mutter zu entziehen und dem Vater zuzuteilen, liegen daher derzeit nicht vor. Aus diesen Gründen war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E13222

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00730.87.1218.000

Dokumentnummer

JJT_19871218_OGH0002_0060OB00730_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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