Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Vormundschaftssache der mj. Sylvia W***, geboren
28. Februar 1969, infolge Revisionsrekurses des Vaters Anton S***, Verkaufsleiter, Seitenstetten, Dorf Nr. 304, vertreten durch Univ.-Doz. Dr. Ferdinand K***, Seitenstetten, Amstettnerstraße 19, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 29. September 1987, GZ. 43 R 492/87-129, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 16. Juli 1987, GZ. 2 P 175/87-126, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Vater war mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 18. September 1985, 10 P 783/75-116, zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.600 verpflichtet. Die Minderjährige schloß im Sommer 1986 die Handelsschule ab. Mit Ausnahme der Fächer Religion und Leibesübungen erhielt sie die Beurteilungen Befriedigend und Genügend. Sie begann im Schuljahr 1986/87 an der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in Wien 12. einen fünfsemestrigen Aufbaulehrgang für Berufstätige, der mit der Matura für Handelsakademiker abschließen soll. Die Schulnachricht über das erste Semester weist keine negative Beurteilung auf. Die Minderjährige nahm zwar am 15. September 1986 eine (ihrer Ausbildung als Handelsschülerin entsprechende) Beschäftigung auf, gab diese aber am 31. Oktober 1986 auf, weil sie feststellte, daß neben ihrer Berufstätigkeit der Schulerfolg nicht gut war. Sie verdiente damals S 7.000 monatlich brutto. Ein Übertritt der Minderjährigen in den Tagesaufbaulehrgang würde keinen Gewinn, sondern den Verlust eines Semesters bedeuten, einem linearen Übertritt stehen verschiedene Lehrpläne entgegen. Eine Halbtagsarbeit neben dem abendlichen Schulbesuch wäre denkbar, die Arbeitsmarktlage ist jedoch äußerst ungünstig.
Die Minderjährige beantragte eine Erhöhung des monatlich vom Vater zu leistenden Unterhaltes auf S 3.400, der Vater, ihn wegen Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen ab 1. Mai 1987 von der Unterhaltsverpflichtung zu befreien.
Das Erstgericht befreite den Vater ab 1. Mai 1987 von seiner Unterhaltsverpflichtung und wies den Unterhaltserhöhungsantrag ab. Bei Jugendlichen sei in der Regel dann die Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben, wenn sie das angestrebte Berufs- oder Ausbildungsziel erreicht hätten. Besitze der Unterhaltsberechtigte bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung und sei er bereits selbsterhaltungsfähig gewesen, so komme ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht nur dann in Betracht, wenn der Berechtigte seine Einkommensmöglichkeit unverschuldet verliere oder wenn für die Wahl eines neuen Berufes eine besondere Eignung für diesen Beruf und die Erwartung eines wesentlich besseren Fortkommens in dem nun neu gewählten Beruf sprächen. Da es sich bei dem Aufbaulehrgang um eine Abendschule handle, die speziell für Berufstätige gedacht sei, könne nicht von einer besonderen Eignung des Kindes gesprochen werden, wenn sie bereits nach sechs Wochen die Arbeit wegen schulischer Schwierigkeiten aufgebe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen Folge. Es änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Antrag des Vaters abwies und den von ihm zu leistenden Unterhaltsbetrag auf monatlich S 3.400 erhöhte. Das zentrale Problem stelle die Entscheidung der Minderjährigen dar, den Besuch des Aufbaulehrganges zunächst neben einer Berufstätigkeit anzustreben, sich aber im Hinblick auf die außerordentliche Belastung für die Fortsetzung des Aufbaulehrganges ohne gleichzeitige Berufstätigkeit zu entscheiden. Diese Situation sei einem Wechsel in der Ausbildung eines Jugendlichen gleichzuhalten. In solchen Fällen sollen einem Jugendlichen keine nachteiligen Folgen erwachsen, wenn er unter dem Druck der täglichen Belastung erkenne, daß er seine erste Entscheidung nicht aufrecht erhalten könne. Der Umstand, daß die Minderjährige zunächst versucht habe, den Aufbaulehrgang neben einer Berufstätigkeit zu besuchen, dürfe sie nicht schlechter stellen, als wenn sie sich von vornherein für den Besuch des Aufbaulehrganges ohne Berufstätigkeit entschieden hätte. Da ein Wechsel des Lehrganges von Abend- auf einen Tageskurs keinen Vorteil, sondern einen Zeitverlust bedeutete, könne er von der Minderjährigen nicht verlangt werden und wäre auch nicht im Interesse des unterhaltspflichtigen Vaters. Die Minderjährige könne aber auch nicht im Sinne der Anspannungstheorie zu einer Halbtagsarbeit verpflichtet werden. Der Besuch der Abendschule bedeute im wesentlichen nur eine zeitliche Verlagerung von Lern-, Schul- und Freizeit, die sonst der Lern- und Freizeit dienenden Nachmittags- und Abendstunden dienten dem Schulbesuch. Die Erlangung einer Handelsakademiematura als einer qualifizierten mittleren Ausbildung könne auch bei den heutigen Arbeitsmarktverhältnissen als vorteilhaft angesehen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist zwar zulässig, weil die Ermöglichung einer bestimmten Berufsausbildung durch den Besuch einer Schule den Kernpunkt der angefochtenen Entscheidung bildet; die Lösung dieser Frage betrifft den Grund des Unterhaltsanspruches (EFSlg. 49.367, 47.182/2, 44.072 uva.), er ist aber nicht berechtigt. Der Unterhaltsanspruch eines unehelichen Kindes erlischt gemäß §§ 166, 140 ABGB mit dessen Selbsterhaltungsfähigkeit. Es ist dem Rekurswerber gewiß darin zu folgen, daß der positive Abschluß einer dreijährigen Handelsschule, die gemäß § 60 Abs 1 SchOG der kaufmännischen Berufsausbildung für alle Zweige der Wirtschaft dient und für die Minderjährige die Lehrabschlußprüfung in den Lehrberufen eines Büro-, Einzelhandels-, Großhandels- und Industriekaufmannes sowie eines Spediteurs ersetzt (Anlage I der Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 8. April 1970, BGBl. Nr. 142, über den Ersatz der Lehrabschlußprüfung und der Lehrzeit auf Grund schulmäßiger Ausbildung, zuletzt idF BGBl. 1980/508, die gemäß § 4 Abs 2 der Verordnung des genannten Ministeriums vom 3. Juli 1985, BGBl. Nr. 356, für den Handelsschulabschluß der Minderjährigen weiterhin gilt), grundsätzlich, wie bereits in mehreren Entscheidungen von Rekursgerichten ausgesprochen wurde (EFSlg. 45.660, 40.663, 35.815), zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten führt. Im Schulorganisationsgesetz ist aber für die Erreichung einer höheren Bildungshöhe (§ 3 Abs 2 lit b SchOG) bei gleichem Bildungsinhalt (§ 3 Abs 2 lit a SchOG) ausdrücklich Vorsorge getroffen. Nach § 3 Abs 1 SchOG ist der Erwerb höherer Bildung und Übertritt von einer Schulart in eine andere allen hiefür geeigneten Schülern zu ermöglichen. Demgemäß sieht § 75 Abs 1 lit b SchOG idF der 9. SchOG-Novelle, BGBl. 1986/371, als Sonderform der Handelsakademie, die gemäß § 74 Abs 1 SchOG der Erwerbung höherer kaufmännischer Bildung für alle Zweige der Wirtschaft dient, Aufbaulehrgänge vor, welche die Aufgabe haben, in einem zweijährigen Bildungsgang Personen, die eine Handelsschule erfolgreich abgeschlossen haben, zum Bildungsziel einer Handelsakademie zu führen. Der Aufbaulehrgang wird durch eine Reifeprüfung abgeschlossen. Aufbaulehrgänge können auch als Schule für Berufstätige, erforderlichenfalls unter Verlängerung der Ausbildungsdauer, geführt werden. Diese Bestimmung trat ab 1. September 1986 an die Stelle der bisher gemäß Art. II § 5 der 5. SchOG-Novelle, BGBl. 1975/323, als Schulversuche geführten Aufbaulehrgänge. Da Handelsschule und Aufbaulehrgang als Sonderform der Handelsakademie den gleichen Bildungsinhalt bei verschiedener Bildungshöhe aufweisen, können die in der Judikatur vorzüglich entschiedenen Fälle, daß nach Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit ein zweiter, somit gänzlich verschiedener Bildungsgang ergriffen wurde (siehe die Zusammenstellung in EFSlg. 45.661/2), nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall herangezogen werden. Der eingeschlagene Bildungsweg der Minderjährigen ist vielmehr einem Entschluß vergleichbar, nach bereits erfolgreicher Erfüllung der ersten acht Jahre der allgemeinen Schulpflicht und erfolgreicher Ablegung einer Aufnahmsprüfung eine Handelsakademie zu absolvieren. Es entspricht nun ständiger Rechtsprechung, daß in solchen Fällen der Unterhaltspflichtige dann zu einer höherwertigen Berufsausbildung beizutragen hat, wenn das Kind die zu einer solchen Ausbildung erforderlichen Fähigkeiten besitzt, den Abschluß der Ausbildung ernsthaft und zielstrebig verfolgt und dem Unterhaltspflichtigen nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen eine Beteiligung an den Ausbildungskosten möglich und zumutbar ist (EFSlg. 45.661/2, 43.179/2 je mwN). Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Die Minderjährige erfüllte durch den erfolgreichen Abschluß der Handelsschule die erforderliche Qualifikation für den Aufbaulehrgang. Nach der positiven Schulnachricht über das erste Semester dieses Lehrganges ist sie eine durchschnittliche Schülerin, so daß immerhin angenommen werden kann, daß sie diesen von ihr eingeschlagenen Bildungsweg ernstlich anstrebt und verfolgt. Daß das Motiv für den Besuch des Aufbaulehrganges ausschließlich die Überbrückung von Arbeitslosigkeit gewesen sei, wurde nicht festgestellt. Die Einkommensverhältnisses des Vaters, eines Verkaufsleiters, liegen etwas über dem Durchschnitt. Daß die Minderjährige vorerst versucht hatte, den von ihr angestrebten Weg unter finanzieller Entlastung ihrer Eltern zu gehen, kann, wie der Vater selbst im Revisionsrekurs konzediert, nicht zu ihrem Nachteil gereichen. Nach dem vorliegenden Sachverhalt hat sie ihre Berufstätigkeit nicht leichtfertig aufgegeben, sondern deshalb, weil sie feststellen mußte, daß Berufstätigkeit und erfolgreicher Besuch des Aufbaulehrganges ihre Kräfte übersteigen. Hätte sich die Minderjährige von allem Anfang an entschlossen, ohne berufstätig zu sein, den Aufbaulehrgang zu besuchen, wäre sie nach den bisherigen Lernergebnissen im Interesse des besseren Fortkommens als nicht selbsterhaltungsfähig anzusehen. Nichts anderes kann aber dann gelten, wenn sich nach einer kurzen Zeitspanne herausstellte, daß sie dieses Bildungsziel nicht erreichen kann, wenn sie neben dem Studium berufstätig bleibt.
Dem Revisionsrekurs ist der Erfolg zu versagen.
Anmerkung
E12722European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00703.87.1221.000Dokumentnummer
JJT_19871221_OGH0002_0010OB00703_8700000_000